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Heinz Menge
2. April 1928:
Erstmals Schlagzeilen vom Eisernen Gustav

Die Berliner Droschkenkutscher waren seit jeher ein ebenso rauhbeiniger wie humorvoller und liebenswerter Menschenschlag. In den 20er Jahren unseres Jahrhunderts geriet ihr Stern jedoch ins Sinken, als die viel schnelleren und bequemeren, allerdings auch lauteren und stinkigen Autodroschken immer zahlreicher wurden. Pferde- und Benzinkutscher waren erbitterte Konkurrenten, achteten sich aber gegenseitig als Standesgenossen.
     Auch Gustav Hartmann, mit 68 Jahren der älteste Kutscher einer Pferdedroschke von Wannsee, mußte 1927 die bittere Wahrheit zur Kenntnis nehmen, daß sein Metier keine Zukunft mehr hatte. Aber aufgeben wollte er nicht, zumal man ihn deshalb schon den »Eisernen Gustav« nannte. Sensationsmeldungen über eine Reiterin, die die Strecke Paris - Berlin - Bukarest zu Pferde zurückgelegt hatte, brachten ihn auf die Idee, in ähnlicher Weise auf die Tragik seines Berufsstandes aufmerksam zu machen. Eine Fahrt mit seiner Droschke nach Paris und zurück schwebte ihm vor.

Zweifel seiner Standesgenossen stachelten seinen Ehrgeiz erst recht an. Dennoch wäre es vielleicht doch nur eine »verrückte Idee« geblieben, wenn sie nicht einigen erfolgshungrigen Journalisten des Ullstein Verlages zu Ohren gekommen wäre. Erst dadurch wurde aus der Sache allmählich ein handfester Plan. In welchem Maße ihn der Verlag beeinflußte und die Ausführung finanzierte, ist übrigens nie genau bekannt geworden.
     Jedenfalls trat Gustav Hartmann seine Fahrt am 2. April 1928 an. Vor dem Gebäude des Ullstein Verlages stand seine mit Blumen geschmückte und mit Proviant beladene Droschke Nr. 120. Sie trug ein großes Schild mit der Aufschrift Berlin - Paris - Berlin. Der eingespannte Fuchs Grasmus und dessen Zaumzeug glänzten. Eine beachtliche Menschenmenge hatte sich versammelt.
     Gustav zeigte sich ihr in einer nagelneuen Droschkenkutscherkluft, zu der ein weißer Zylinder mit schwarzem Band gehörte. Damit, vor allem aber mit seinem ebenso wetterharten wie freundlichen Gesicht, das eine lustige Brille und ein rötlich-grauer Spitzbart zierten, konnte er schon Eindruck machen. Eine Blaskapelle spielte, und Vertreter des Verlages verabschiedeten ihn. Gustav verkaufte den zahlreichen Neugierigen Ansichtskarten, die ihn mit seiner Droschke zeigten. Der Verlag hatte ihn damit reichlich ausgestattet. Die Fahrt führte zunächst zum Roten Rathaus.
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Dort händigte man ihm die beantragten Papiere für die Grenzüberfahrt nach Frankreich aus. Erst dann ging es richtig los. In der Stadt winkten ihm viele Leute zu. Am Bahnhof Wannsee hupten zehn Autodroschken im Takt des Liedes »Muß i denn, muß i denn ...«. Die erste Tagesetappe endete in Brandenburg.
     Von den Zeitungsmachern gut organisiert, wurde die Weiterfahrt zu einem Triumphzug. In allen Etappenstädten und selbst in vielen Dörfern an der Wegstrecke bereitete man ihm herzliche Empfänge. In Dortmund zum Beispiel waren 150 000 Menschen auf den Beinen; teils säumten sie die Straßen, teils erwarteten sie ihn am Tagesziel. In Köln stellte das Fernsprechamt für zwei Minuten alle Vermittlungen ein, damit die Telephonistinnen aus den Fenstern schauen konnten. In den Moseldörfern klingelten die Amtsdiener Gustavs Ankunft aus. Auch in Frankreich bewunderte man auf ähnliche Weise den Mut des Berliner Droschkenkutschers. Vielerorts erhielt er kleine Geschenke: Wein, Likör, Zigarren und immer wieder Blumen. Am 4. Juli 1928 empfingen ihn schließlich in Paris seine Berufskollegen sowie eine Riesenmenge von Benzinkutschern und Studenten wie einen Fürsten. Zu einem Bankett anläßlich seines 69. Geburtstages erschienen unter anderen offizielle Vertreter der Stadt Paris und drei Herren der deutschen Botschaft. Englische und amerikanische Journalisten veranstalteten eine Art Pressekonferenz.
     Am 5. August trat der »Eiserne Gustav« die Rückfahrt an. Dabei zeigte sich schon, daß das Interesse an seiner Aktion allmählich abflaute. Nur seine Ankunft in Berlin am 12. September und der am nächsten Tag veranstaltete Festempfang machten nochmals Schlagzeilen, zumal die Filmdiva Henny Porten als Gustavs Tischdame engagiert worden war. Dann wurde es sehr still um den Eisernen Gustav. Erst der 1938 sehr frei nach diesen Ereignissen geschriebene Roman von Hans Fallada rückte den inzwischen verstorbenen Volkshelden wieder ins Licht der Öffentlichkeit.
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 4/1996
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