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Horst Wagner
14. April 1906:
Eröffnung des Gerichts in Moabit

Turmstraße 91 - so lautet auch heute noch die Hauptadresse des Berliner Kriminalgerichtes in Moabit. Es war am Ostersonnabend, dem 14. April 1906, als hier, an der Ecke zur Rathenower Straße, der Erweiterungsbau des 25 Jahre zuvor unter der Adresse Alt-Moabit 11 errichteten alten Gerichtsgebäudes den Justizbehörden übergeben wurde.
     Die »Vossische Zeitung« berichtete darüber erst am folgenden Mittwoch, klein in der Lokalspalte und ohne Erwähnung irgendwelcher Prominenz. Denn es hatte Ärger gegeben. Die am Neubau beschäftigten Schlosser- und Malergehilfen hatten gestreikt. Deshalb war zur Übergabe die Mittelhalle des Gebäudes mit den Schwurgerichtssälen noch nicht ganz fertig. Man vertröstete auf die nächste Woche.
     Ärger, besser gesagt, einen handfesten Skandal, gab es auch beim ersten Prozeß im neuen Haus. Das war am 19. April 1906.
     Angeklagt war der Schlächter und Kellner Richard Hardtke. Der mehrfach Vorbestrafte und gerade erst aus dem Gefängnis Entlassene hatte sich als sogenannter Uhrennepper betätigt. Mit dem in den Gefängnisjahren angesparten Geld hatte er billig amerikanische Golddoublee-Uhren erstanden.

Eine versuchte er in einer Schankwirtschaft in der Auguststraße als »echt golden« und »gutes Schnäppchen« für 100 Mark an einen ihm bekannten Schlächtermeister zu verkaufen. Der muß Lunte gerochen haben und wollte einen Uhrmacher zu Rate ziehen. Da lief H. davon, wurde aber von herbeigerufenen Schutzleuten festgenommen. Als das Gericht nun sein Urteil verkündete - ein Jahr Gefängnis wegen Betruges und Widerstandes gegen die Staatsgewalt (H. hatte auf die Polizisten eingeschlagen) -, fing H. nicht nur an, das Gericht und die Zeugen zu beschimpfen. »Ehe es die als Zeugen erschienenen Schutzleute verhindern konnten, hatte der Angeklagte«, so der Gerichtsbericht der »Vossischen«, »blitzschnell seinen Lederpantoffel ausgezogen und ihn dem vorsitzenden Amtsrichter an den Kopf geschleudert.« Als H. schließlich abgeführt wurde, schlug er »wie toll um sich und verletzte die beiden Beamten in schwerer Weise durch Bisse. Dem Schutzmann Böhs wurde der linke Daumen völlig durchgebissen. Da der wie ein wildes Tier Tobende das Fingerglied fest in den Zähnen hielt, mußten erst ziemlich energische Mittel in Anwendung gebracht werden, um den rabiaten Burschen zu bewältigen.« - Ein uns heute eher erheiternder Beginn einer langen Gerichtsgeschichte, in deren Verlauf es neben vielem Alltäglichen und Banalen natürlich auch zahlreiche ernste, epochekennzeichnende Ereignisse gab.
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     Noch 1906 begann in Moabit der Prozeß gegen den »Hauptmann von Köpenick«. Er wurde zu vier Jahren verdonnert, aber nach zweien vom Kaiser begnadigt. Gleichsam in die Literaturgeschichte eingegangen ist die 1911 hier erfolgte Verurteilung des Journalisten Lebius zu 100 Mark Geldstrafe wegen Beleidigung, weil er den Schriftsteller Karl May als »geborenen Verbrecher« bezeichnet hatte. Großes Aufsehen erregte 1920 einer der ersten gravierenden Fälle von Wirtschaftskriminalität. Vor den Schranken des Gerichts stand der Bürstenbinder Max Klante, der mit seinem angeblichen Weltkonzern 80 000 Anleger um ihr Geld betrogen hatte. 1921 wurde der Kommunist Max Hoelz von den Moabiter Richtern zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Eine Strafe, die später vom Reichsgericht in siebeneinhalb Jahre Gefängnis umgewandelt wurde. 1928 bestimmte vor allem der sensationelle Mordprozeß gegen den Oberprimaner Krantz die geistvollen Berichte und Feuilletons des in Moabit ein- und ausgehenden berühmten Gerichtsreporters Sling alias Paul Schlesinger (siehe BM 1/93). Von den schlimmsten Naziprozessen blieb Moabit verschont. Der »Volksgerichtshof« tagte erst im Preußischen Abgeordnetenhaus in der Prinz-Albrecht-Straße (gleich neben der Gestapo-Zentrale), später im Kammergericht am Kleistpark.      In der Turmstraße wurde zum Beispiel 1937 von einem nazistischen Sondergericht gegen den späteren Bischof Dibelius wegen Verstoßes gegen das »Heimtückegesetz« verhandelt.
     Nach dem Zweiten Weltkrieg waren, wie in dem vom Senat herausgegebenen Berlin-Handbuch zu lesen ist, »die historischen Säle Kulisse für einige der raren und letztlich erfolglosen Versuche, während der NS-Zeit in der Richterrobe begangenes Unrecht strafrechtlich aufzuarbeiten«. (S. 680) So wurde der Richter am »Volksgerichtshof« Hans-Joachim Rehse, der an ungefähr 230 Todesurteilen beteiligt war, 1967 in Moabit zunächst zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Das Urteil wurde allerdings vom Bundesgerichtshof kassiert, und Rehse mußte 1968 freigesprochen werden.
     Machten in den 70er Jahren die in Moabit geführten Prozesse gegen Terroristen - so wegen des Attentats auf den Kammergerichtspräsidenten Drenkmann und der Entführung des CDU-Landesvorsitzenden Peter Lorenz - Schlagzeilen, so sorgen in jüngster Zeit die umstrittenen Prozesse gegen Spitzenfunktionäre der DDR für Gesprächsstoff: von Honecker und Mielke über Keßler und Streletz bis zu Egon Krenz und weiteren Mitgliedern des SED-Politbüros.
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 4/1996
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