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Günter Peters
Die Marzahner wollten keine »verkehrte Kirche«

Architektonisch reizvolle Gotteshäuser inmitten monotoner Platten

Die Dorfkirchen in Alt-Biesdorf und Alt-Marzahn ragten früher weit in das märkische Land. Beide Dörfer mit ihren spindelförmigen Angern entstanden im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts. Biesdorf wurde an der von Berlin nach Frankfurt (Oder) führenden alten Handelsstraße angelegt und 1371 erstmals als »Bystersdorf« erwähnt. Das Angerdorf Marzahn, an der von Berlin nach Landsberg (heute Altlandsberg) verlaufenden Straße gebaut, wurde 1300 als »Mortzane«, im Zusammenhang mit dem Nonnenkloster Friedland, erstmals genannt. Während 1375 die Herrschaft über Marzahn von einem Ritter von Wulkow ausgeübt wurde, war es im 15. und 16. Jahrhundert in den Besitz der Familie Lindner übergegangen. Die grundherrschaftlichen Rechte in Biesdorf nahm seit der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Familie von Gröben wahr, ihr folgte die Familie von Pfuel. Im 17. Jahrhundert kamen Biesdorf und Marzahn in kurfürstlichen Besitz und wurden dem Amt Köpenick als Vorwerke unterstellt.


     Die Dorfkirche auf dem Anger in Biesdorf wurde im 13. Jahrhundert als frühgotischer Feldsteinbau errichtet. Die Umfassungswände lassen dies auch heute noch erkennen. Nach dem Brand von 1754 wurde das Kirchenschiff mit Putz versehen, und der Bau erhielt einen barocken Turm mit aufgesetzter geschweifter Haube und sogenannten Schiffsfenstern (Rundfenster). Die dann bis 1834 vorgenommenen Veränderungen können auf einer aquarellierten Zeichnung von H. Wohler nachvollzogen werden. 1896/97 erneuerte man das baufällige Gebäude und erweiterte es durch eine Halbrundapsis und den quadratischen Westturm in Backstein. Dabei wurden auch die bisherigen »Schiffsfenster« verändert.

Der Kirchturm stürzte ein

Am 12. Oktober 1897, kurz bevor die im historisch-neugotischen Baustil umgebaute Kirche eingeweiht werden sollte, stürzte ihr Turm infolge von konstruktiven Mängeln ein. Am 20. Januar 1944 wurde das Gebäude bei einem Luftangriff zerstört und blieb bis 1950 als Ruine stehen. 1950/51 erfolgte ein vereinfachter Wiederaufbau. Die damalige Material- und Geldknappheit bewirkte den Verzicht auf den Ziergiebel an der Nordseite und auf den Turmhelm. Das Innere wurde modern ausgeführt. Seit der Weihung trägt sie den Namen Gnadenkirche.

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     Die erste Dorfkirche Marzahns entstand im 13. oder 14. Jahrhundert als Feldsteinbau inmitten des 1889 geschlossenen Friedhofes zwischen der heutigen Allee der Kosmonauten und der Pöhlbergstraße. Der Zustand des mittelalterlichen Bauwerkes mit eingezogenem Chor wurde 1782 in einem Bericht als »entsetzlich schlecht« bezeichnet, und das trotz mehrerer Reparaturen. Ein Wohler-Aquarell von 1834 zeigt einen Bau mit hölzernem, viereckigem Turm mit Zeltdach, verputzt und neu getüncht.
     Ursprünglich sollte ein Teil der alten baufälligen Kirche in den Neubau einbezogen werden. Dies scheiterte an der Hartnäckigkeit der Marzahner Bauern, die keine »verkehrte« Kirche haben wollten. Sie wurde darum 1874, drei Jahre nach Fertigstellung des neugotischen märkischen Backsteinbaus am heutigen Standort, abgerissen. Der Entwurf für das einschiffige Langhaus mit Rechteckchor und quadratischem Turm ist von Friedrich August Stüler, die Ausführung leitete Adolf Bürchner. Das 1871 fertiggestellte Gotteshaus umzieht ein Zierfries. Mit der Rekonstruktion des Dorfes Marzahn erfolgte 1983 auch eine Renovierung des Kircheninneren.

Kirche wurde Lazarett

Beide Dorfkirchen blieben bis Anfang des 20. Jahrhunderts die einzigen in Biesdorf und Marzahn.

Mit dem Bau und der Erweiterung des Siedlungsgebietes Biesdorf-Süd entstanden dann in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts neue Gotteshäuser. Die 1904 gebaute Ausflugsgaststätte in der Köpenicker Straße 165/Ecke Eichenallee wurde nach einem Umbau 1950 das evangelische Gemeindezentrum Biesdorf-Süd. In dem zweigeschossigen Gebäude mit ausgebautem Dachgeschoß sind der Gemeindesaal, Büro- und Pfarrwohnungen untergebracht. Von der 1912 gegründeten »Gesellschaft Erholung mbH« wurde in Absprache mit dem Jesuitenorden (damals in Preußen noch durch die »Kulturkampfgesetze« verboten) 1913 mit dem Bau des Exerzitienhauses in der Fortunaallee 27 in Biesdorf-Süd begonnen. 1920 wird es nach den kriegsbedingten Verzögerungen feierlich durch den Jesuitenorden eröffnet.
     In dem drei- und viergeschossigen weißen Komplex ist die Pfarrkirche zur Straßenseite eingeordnet. Im Zweiten Weltkrieg dient die Anlage als Reservelazarett, danach ist ein Infektionskrankenhaus der Stadt darin untergebracht.
     Das Bistum Berlin übernimmt 1952 das St.-Josef-Haus. Die geplante Einrichtung eines Priesterseminars scheitert am Einspruch der Behörden, und so wird das Haus schließlich ein Altersheim des Caritas-Verbandes. Eine Etage bleibt den Exerzitanten vorbehalten.
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Der Neubau eines Exerzitienhauses wird nach 1983 auf dem benachbarten Grundstück Fortunaallee 29, jetzt mit Unterstützung der Behörden und durch »Grundstückstausch und Devisenzufluß«, möglich. Das »Friedrich-Spee-Haus« wurde von 1988 bis 1991 nach einem Entwurf des Architekten Ullrich Caspar vom BMK Ingenieurhochbau Berlin - heute ein Betrieb der Maculan-Gruppe - errichtet. Die Einweihung erfolgte im Februar 1991 durch Bischof Sterzinski.

Oberfeldstraße machte den Anfang

In den 80er Jahren setzte mit dem Bau der Großplattensiedlung ein wahrer »Kirchen-Bau-Boom« ein. Während noch bis 1975 in den Bebauungsplänen für die Neubaugebiete keine Standorte für solche Zwecke ausgewiesen sind, planten schon seit 1977 die Pfarrer aus der evangelischen und katholischen Kirche gemeinsam mit Baptisten und Methodisten den Aufbau ihrer Gemeinden und neuer Kirchen. Nach den Gesprächen zwischen dem Vorsitzenden des Staatsrates und den führenden Vertretern der evangelischen Kirche in der DDR 1978 wie den Vertretern der katholischen Bischofskonferenz 1981 wurde dann ein langfristiges Kirchenbauprogramm in der DDR vereinbart - mit und auch ohne Devisen. In Marzahn standen zuerst Standorte am Rande der Neubaugebiete in Biesdorf-Nord zur Verfügung.
     Als erstes entstand von 1982 bis 1983 das Katholische Gemeindezentrum in der Oberfeldstraße 58-60. Das neue Gebäudeensemble bezog das 1957/58 errichtete Gemeindehaus mit Pfarrwohnung, Büro und Kapelle mit ein.

Dies war der erste kirchliche Neubau in Ostberlin nach 1945, und es sollte noch 25 Jahre der einzige bleiben. Bis dahin hatten die Gottesdienste in Erbes Gaststätte (später Kino Bio) sowie in Notkapellen in Privatwohnungen und in einem provisorischen »Gemeindezentrum« in einer Baracke stattgefunden.
     Erst das »Limex-Sonderbauprogramm« und die Finanzierung durch das Bonifatiuswerk der Bundesrepublik ließen den Neubau entstehen. Sein Grundriß besitzt die Form eines unregelmäßigen Oktogons und bietet 170 Plätze. Die Außenwände sind in Verblendmauerwerk ausgeführt mit verglasten Öffnungen. Die Stahlbetonkonstruktion des Glockenträgers ist ebenfalls mit Ziegelmauerwerk verblendet. Nach dem Entwurf von Ralph Rodnick, Ursula Laute und Michael Limberg wurde der Neubau vom VEB Bau-Ost ausgeführt. Die künstlerische Ausgestaltung lag in den Händen von Werner Nickel. Am 18. Dezember 1983 weihte Bischof Meisner die »Kirche Maria Königin des Friedens«.
     Ihr folgte das Zentrum der Evangelischen Versöhnungskirchengemeinde und der Evangelisch-methodistischen Kirchengemeinde Berlin-Marzahn in der Maratstraße 98-102. Der Architekt Arndt vom Kirchlichen Bauamt entwarf das Gebäude einschließlich Pfarrhaus, und der BMK Ingenieurhochbau Berlin benötigte die Zeit vom 11. Oktober 1985 (Grundsteinlegung) bis zum 30. November 1986, um es fertigzustellen. Das Ensemble ist architektonisch gut gestaltet und überwiegend in Klinkermauerwerk ausgeführt.
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Die Altarwand mit dem Thema »Versöhnung« im Gemeindesaal wurde von Rüdiger Roehl geschaffen. Am 30. November 1986 weihte Bischof Dr. Albrecht Schönherr das Gemeindezentrum ein.
     Die katholische Kirche nahe der Landsberger Allee am Neufahrwasserweg 8 wurde von 1984 bis 1987 nach Entwürfen des Architekten Hermann Kornele vom VEB Bau Calau gebaut. Sie liegt am Rand des Marzahner Siedlungsgebietes südlich der Marzahner Promenade im Wohngebiet 3. Das eigenwillige Ensemble ist mit seinem Ziegelverblendmauerwerk und einem weißen, 29 Meter hohen Glockenturm von ausdrucksvoller Architektur. Das Rot der Ziegel, das Weiß des Betons und die Glasflächen, verbunden mit dem Grün, geben der Gesamtanlage ihr Gepräge. Kirche, Gemeinderäume und Pfarrhaus sind räumlich miteinander verbunden. Das Kircheninnere zeichnet sich durch Schlichtheit aus.
     W. Frischmuth gestaltete den »Kreuzweg«. Kardinal Meisner führte am 31. Oktober 1987 die Weihe durch. Die Kirche erhielt den Namen »Kirche von der Verklärung des Herrn«.
     Das Gemeindezentrum der Evangelischen Gemeinde Berlin-Marzahn/ Nord in der Schleusinger Straße entstand von 1987 bis 1989 nach Plänen von Heinz Tellbach vom Kirchlichen Bauamt ebenfalls durch das BMK Ingenieurhochbau.
Es liegt versteckt inmitten des Wohngebietes 3 - umgeben von Wohnhäusern, einer Schule und einem Seniorenheim. Die äußere Gesamtgestaltung macht aufmerksam, ebenso das Gebäudeinnere. Altarwand und Altarraum - Tisch, Kanzel und Taufe - wurden von den Künstlern Wieland Schmiedel und Johann Peter Hinz entworfen und gestaltet. Die Golgatha-Gruppe besteht aus drei gemauerten Pilastern. Die Schächer sind aus Sandstein gehauen, das in der Mitte befindliche schlichte Kreuz besteht aus U-Profilstahl. Bischof Dr. Gottfried Forck nahm die Kirchenweihe am 12. März 1989 vor. Auch die Gemeinde der Siebenten-Tags-Adventisten benutzt das Zentrum mit.
     Die »Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage« wurde im Alwineweg im Siedlungsgebiet von Biesdorf-Nord östlich des Blumberger Dammes entsprechend einer Vereinbarung mit der Regierung der DDR errichtet. Das nach einem Entwurf von dem Architekturbüro Fetzer aus Salt Lake City (USA) und der Abteilung Hantzsche der Deutschen Bauakademie - Projektierung Dresden gebaute Ensemble mit freistehendem Glockenturm wurde von 1988 bis 1990 in Klinkermauerwerk und rotem Klinkerdach ausgeführt. Der große Saal mit 150 Plätzen dient als Kapelle, der kleinere ist für kulturelle Zwecke vorgesehen und verfügt über eine kleine Bühne. Beide Säle können miteinander verbunden werden.
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Die Innengestaltung ist schlicht, weiße Wände kontrastieren zur sichtbaren Dachkonstruktion mit einer Verkleidung aus gespundeten Brettern. Außerdem gibt es Klassenräume und Büros im Inneren. Die Weihe des Hauses mit seinen grünen Freiflächen erfolgte am 23. August 1990 durch den Präsidenten Dellenbach.
     Die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Berlin-Marzahn - Baptisten KDÖR - hat im Marzahner Siedlungsgebiet an der Schönagelstraße, östlich der Raoul-Wallenberg-Straße, ihren Sitz. Das schlichte, im Grünen gelegene, eingeschossige Gebäude mit Flachdach ging aus dem Umbau der ehemaligen katholischen »Bungalow-Kirche« sowie Erweiterungsbauten hervor, die größenteils dank freiwilliger Arbeit entstanden. Am 29. Juni 1986 gründete sich die Gemeinde. Von 1987 bis 1990/91 wurden in Etappen der Gottesdienstliche Raum mit 70 Plätzen, der Bibelstundenraum, der Kinderraum sowie das Foyer gebaut. Der Eingang ist behindertengerecht. Den Giebel zur Straßenseite schmückt ein einfaches schwarzes Kreuz aus Stahl.
     Die fünf Gemeindezentren mit ihren Kirchen sowie das Friedrich-Spee-Haus ragen eindrucksvoll aus der Monotonie des Plattenbaubezirks heraus. Sie sind ein Beispiel für architektonische Leistungen in den 80er Jahren. Diese gegen Devisen, überwiegend mit DDR-Materialien entstandenen Häuser wurden von DDR-Handwerkern in guter Qualität ausgeführt.
Der »Kirchen-Bau-Boom« hinterließ seine Spuren am Rand der Großwohnsiedlung. Bis heute blieb das Gemeindezentrum Nord die einzige Kirche im »Platten-Meer«.
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 4/1996
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