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Helmut Caspar
Das Kronprinzensilber blieb unbenutzt

Aus der 300jährigen Geschichte des
Schlosses Charlottenburg

Von der Berliner Schlösserlandschaft ist im Zweiten Weltkrieg und danach unendlich viel verlorengegangen - die Ruine des Stadtschlosses und von Schloß Monbijou sowie etliche Adelspaläste fielen Bilderstürmereien und Erneuerungswahn zum Opfer. Das nach der brandenburgischen Kurfürstin und ersten preußischen Königin Sophie Charlotte benannte Schloß Charlottenburg hingegen, durch einen britischen Luftangriff im November 1943 zu großen Teilen zerstört, ist originalgetreu wiederaufgebaut. Doch wer genau hinschaut, kann bemerken, daß vieles nicht alt und original ist. Was sich heute den rund 300 000 Besuchern im Jahr darbietet, ist im wesentlichen eine an alten Fotos, Stichen, Zeichnungen sowie erhalten gebliebenen Originalmaterialien - wie Steine, Stukkaturen, Farben, Holz und Metall - orientierte qualitätsvolle Kopie. Der plastische Schmuck auf der Turmspitze und der Attika wurde barocken Vorbildern gekonnt nachempfunden, stellt aber eine eigenständige künstlerische Leistung der Nachkriegszeit dar.

Die geistreiche Kurfürstin und Königin Sophie Charlotte aus dem Herrscherhaus der Welfen ging als »Philosophin auf dem Königsthron« in die Geschichte ein. Sie betrieb die Gründung der Akademie der Künste (1696) und der Sozietät der Wissenschaften (1700), heute Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Wesentlicher »Motor« der Gründung der AdW war der mit der Monarchin befreundete Philosoph und Polyhistor Gottfried Wilhelm Leibniz. Lange konnte sich Sophie Charlotte an dem Besitz wenige Meilen vor der Haupt- und Residenzstadt Berlin nicht erfreuen. Sie starb im Jahre 1705, erst 37 Jahre alt. Die von Andreas Schlüter geschaffenen prunkvollen Sarkophage des ersten preußischen Königspaares sind im Berliner Dom erhalten.
     König Friedrich I. ließ nach dem viel zu frühen Tod seiner Gemahlin in der Sommerresidenz die Lichter nicht ausgehen. Im Gegenteil, er baute das Schloß prunkvoller denn je aus und benannte es nach seiner ersten Frau. Auch spätere Vertreter des Herrscherhauses ließen es sich in dem Kuppelbau samt weitläufigem Park wohl gehen und vollendeten das Werk.

Ursprünglich Lietzenburg

Das anno 1695, vor 300 Jahren, begonnene Schloß Lietzenburg, seit 1705 Charlottenburg, wurde am 11. Juni 1699, dem Geburtstag der Kurfürstin Sophie Charlotte (ab 1701 Königin »in« Preußen), feierlich eingeweiht.

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Die Monarchin dachte an Schloß und Park Herrenhausen bei Hannover, als sie ihren neuen Besitz gestaltete. Ursprünglich hatte Sophie Charlotte Schloß und Park Caputh als Sommersitz gewählt, doch war dieser Besitz zu weit von Berlin entfernt, so daß sie Caputh gegen Lietzow tauschte. Daraus wurde Lietzenburg.
     Die von Eosander von Göthe und anderen hochtalentierten Baumeistern, Bildhauern und Malern gestaltete Residenz wurde zu einem Zentrum höfischen Lebens und hochpolitischer Haupt- und Staatsaktionen, eine Pflegestätte der Musik und Oper, des Theaters und der Malerei. Der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., der 1713 als Nachfolger des prunkliebenden Königs Friedrich I. den Thron bestieg und nur seine »Langen Kerls« im Kopf hatte, tummelte sich lieber in seinen Jagdschlössern und ließ Charlottenburg unvollendet. Das Opernhaus wurde Schule; Teile des Parks wurden Ackerland, doch wenigstens ließ der stockschwingende Herrscher den stolzen Bau nicht verkommen, sondern sorgte für Reparaturen.
     Friedrich der Große, der von 1740 bis 1786 regierte, nahm sich mit Hingabe der Residenz an, quartierte ihr gegenüber Truppen ein und erweiterte sie durch repräsentative Räume. Er ließ Kunstwerke aufstellen, kaufte Möbel und Bücher speziell für diese Residenz. Ein Höhepunkt friderizianischer Raumkunst ist die 1746 eingeweihte Goldene Galerie, ein Werk Knobelsdorffs und des »Directeurs des Ornaments« Johann August Nahl.
Dahinter besaß der flötenspielende, kriegerische Herrscher seine Privaträume. Als Schloß Sanssouci samt umliegendem Park geschaffen war, büßte Charlottenburg in der Gunst des Hohenzollern ein. Nachdem 1760, mitten im Siebenjährigen Krieg, feindliche Truppen das Schloß demoliert hatten, ließ Friedrich der Große es aufwendig wiederherstellen.
     Das Auf und Ab preußischer Geschichte belegen Gemälde und Porzellane, Möbel, Bücher und andere Ausstellungsstücke in der Schausammlung, so auch die Kronjuwelen des Hauses Hohenzollern oder kostbares Tafelsilber. In der Herrscherfamilie war es Brauch, anläßlich fürstlicher Hochzeiten prunkvollen Tafelschmuck aus Edelmetall anzuschaffen. Wer die Krone in einer jetzt eingerichteten Kronkammer anschaut, wird Edelsteine vermissen. Friedrich der Große ließ sie entfernen, um Geschmeide zu gewinnen. Krönungen waren bei den Hohenzollern die Ausnahmen, und als sich Wilhelm I. 1861 in Königsberg das Diadem aufs Haupt setzte, waren jene edlen Steine wieder eingefügt.

Ein besonderes Geschenk

Zum 300. Geburtstag der barocken Residenz hatte sich die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg ein besonderes Geschenk gemacht. Im neuen Silbersaal ist hinter dickem Panzerglas das aus rund 2 500 Teilen bestehende Kronprinzensilber zu sehen,

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das dem Thronfolgerpaar Wilhelm und Cecilie von 414 preußischen Städten dediziert worden war, als 1904 die Verlobung bekanntgegeben wurde. Die »in Liebe und Treue dargebrachte Huldigung« wurde erst 1914 fertiggestellt und ist das letzte Beispiel für die Vorliebe der Hohenzollern zu kostbarem Tafelschmuck. Schon im Barock ließen Kurfürsten und Könige wappen- und puttengeschmückte Silberservices fertigen, um von ihnen zu essen. Taten sie es nicht, so wurden die Kannen und Schüsseln, Teller, Kandelaber und Figuren in den Paradekammern des Berliner Schlosses aufgestellt. Als ihm bei seinen Kriegen das Geld ausging, ließ Friedrich der Große die von Berliner und Augsburger Silberschmieden gefertigten Arbeiten einschmelzen, um harte Taler aus dem Edelmetall zu prägen.

Schloß Charlottenburg
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     Dem Sohn und der Schwiegertochter Kaiser Wilhelms II. war es in der Zeit des Ersten Weltkrieges nicht vergönnt, von dem kaiserlichen Silber zu speisen. Die Herrscherfamilie mag gesehen haben, daß es geschmacklos ist, während im Volk Not herrscht und Soldaten auf den Schlachtfeldern sterben. Nach der Entmachtung der Hohenzollern (1918) ist es dann von der Stadt Berlin gekauft worden. Die Amerikaner schafften den Schatz 1945 als Kriegsbeute in die USA, doch schon 1949 konnte ihn der damalige Berliner Bürgermeister Ernst Reuter zurückholen.
     Gelegentlich wurde der Schatz bei Staatsempfängen aufgestellt. Es soll vorgekommen sein, daß anschließend Löffel fehlten. Die meiste Zeit aber lag das Silber in einem Safe der Landeszentralbank. Für Kunsthistoriker ist das so lange verborgene Werk bekannter Bildhauer und Kunsthandwerker wie Louis Tuaillon, August Gaul, Fritz Klimsch, Ignatius Taschner, Adolph Amberg und Emil Lettré eine wahre Entdeckung.
     In festlichem Ambiente kann man auch anderes Tafelsilber bewundern, etwa die üppig dekorierten Kannen, die Kaiser Wilhelm II. ins niederländische Exil mitnahm und die nun als Leihgabe der Stiftung Haus Doorn an die Spree kamen. Das erinnert daran, daß Charlottenburg im Festkalender der Herrscherfamilie obenan stand.
Man verlustierte sich lieber vor der Stadt als in der Stadt, zumal sich an das Schloß Charlottenburg ein schöner Garten anschließt, den Peter Joseph Lenné zum Teil in einen Landschaftspark verwandelte. Als die aus Mecklenburg-Strelitz stammende Königin Luise von Preußen im Jahre 1810 starb, wurde ihr nahe des Schlosses ein klassizistisches Mausoleum errichtet, in das auch die sterblichen Überreste ihres Gemahls Friedrich Wilhelm III. und des Kaiserpaares Wilhelm I. und Augusta gebettet wurden.

Original und Kopie

Vom Schloß stammt das meiste nicht aus dem 18. Jahrhundert. Daß es sich um qualitätvolle Raumkopien handelt, wird man kaum erkennen. Die Eichengalerie, in der seit vielen Jahren Staatsgäste empfangen und beköstigt werden, ist allerdings im wesentlichen original erhalten. Restauratoren haben in dem dunkel vertäfelten Raum mit Blick auf das geometrisch angelegte Gartenparterre das Sagen. Der Saal mit kostbaren Schnitzereien hatte wie durch ein Wunder jenen Luftangriff überstanden, der das übrige Schloß in Schutt und Asche legte.
     Wie Schloßdirektor Prof. Dr. Wilfried Baer erklärt, gebiete der Respekt vor dem Original, vor der Leistung der Künstler, vor der Geschichte, daß man mit diesem kostbaren Raumkunstwerk besonders vorsichtig umgeht und es in Ruhe läßt.

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Während Deckengemälde in anderen Festräumen bizarre Farbkompositionen des Malers Hann Trier aus der Nachkriegszeit sind, könnte sich unter dem hellen Deckenanstrich der Eichengalerie ein echtes Barockgemälde verbergen. Leider sei bis heute nichts gefunden worden.
     Daß ausgerechnet in diesem großen Saal kein Deckenbild existieren sollte, will dem Kunsthistoriker nicht in den Kopf, seien doch kleinere Räume von Antoine Pesne und anderen Malern ausgeschmückt worden. Sollte das vermutete Bild gefunden werden, so sei das eine »kunstgeschichtliche Sensation«. Für Staatsempfänge stünden künftig andere Räume zur Verfügung, so die Goldene Galerie, der Weiße Saal, der Spiegelsaal und die Große Orangerie. Diese Nachschöpfungen könnten solche »anstrengenden Aktionen« eher vertragen als das einmalige Raumkunstwerk Eichengalerie, die wieder als Ahnensaal genutzt werden soll. Die Bilder der Herrscherfamilie allerdings seien 1945 als Beutegut von der Roten Armee in die UdSSR mitgenommen worden. Baer hofft auf baldige Rückführung, auch wenn die russische Staatsduma entgegengesetzte Beschlüsse gefaßt hat. Schließlich existierten klare Abmachungen mit Rußland.

Bildquelle: »Der Bär«, 1. November 1875

Kleine Chronik
- 1695 Baubeginn von Lietzenburg, 1705 nach dem Tod der ersten preußischen Königin Charlottenburg genannt; 1699 Einweihung des Schlosses und eines kleinen Opernhauses
- 1705 Tod der Königin Sophie Charlotte; Friedrich I. baut das Schloß weiter aus
- 1706 Verlobung des Kronprinzen Friedrich Wilhelm (I.) mit Sophie Dorothea von Hannover
- 1707 Treffen der Könige von Dänemark, Polen und Preußen im Schloß Charlottenburg
- 1728 Besuch Augusts des Starken, einer der wenigen Anlässe barocker Prachtentfaltung unter dem Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I.
- 1746 Einweihung der Goldenen Galerie durch Friedrich den Großen
- 1760 Demolierung und Plünderung durch österreichische und sächsische Truppen; da nach Reparatur und Neuausstattung unter Friedrich dem Großen
- 1797 König Friedrich Wilhelm III. und Luise wählen Charlottenburg zu ihrer Lieblingsresidenz und bauen sie weiter aus
- 1810 Tod der Königin Luise, der im Schloßpark ein Mausoleum errichtet wird
- 1943 Das Schloß wird bei einem britischen Luftangriff zu großen Teilen zerstört
- Nach 1945 Wiederaufbau nach originalen Relikten, Fotos und Zeichnungen. Nutzung als Galerie, Schloßmuseum und für festliche Empfänge.
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 4/1996
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