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Hans Wegner
24. April 1926:
Der Berliner Vertrag mit der UdSSR

Fünfzehnmonatige Verhandlungen lagen hinter den Delegationen Deutschlands und der Sowjetunion, als am Nachmittag des 24. April 1926 im Auswärtigen Amt in der Berliner Wilhelmstraße Reichsaußenminister Dr. Stresemann und der sowjetische Botschafter N. N. Krestinski ihre Unterschriften unter einen »Freundschafts- und Neutralitätsvertrag« setzten, der in die Geschichte der Diplomatie als »Berliner Vertrag« eingegangen ist. Beide Seiten, so hieß es in der Präambel, hätten sich entschlossen, »die zwischen ihnen bestehenden freundschaftlichen Beziehungen durch einen besonderen Vertrag zu bekräftigen«. Dabei wurde in Artikel 1 ausdrücklich auf den 1922 geschlossenen Rapallo-Vertrag Bezug genommen, der beide Länder aus einer diplomatischen Isolierung herausgeführt und auch durch die seither gute Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen beiderseitigen Vorteil gebracht hatte. In Artikel 2 und 3 wurde Neutralität für den Fall vereinbart, daß einer der beiden Staaten »von einer dritten Macht« angegriffen wird, und versichert, daß man sich nicht an einer Koalition beteiligt, die den »wirtschaftlichen oder finanziellen Boykott« eines Vertragspartners zum Ziel hat.

     Das kam vor allem den Sorgen Sowjetrußlands über die mit den Verträgen von Locarno 1925 erfolgte stärkere Westbindung Deutschlands entgegen. In Moskau verlas der stellvertretende Außenminister Litwinow noch am gleichen Tag den Vertragstext auf einer Sitzung des Zentralen Exekutivkomitees der UdSSR und feierte ihn als »Verminderung der Gefahr eines Krieges«. Ein »günstiges Zeichen«, so Litwinow, sei auch die Gewährung eines deutschen Kredits in Höhe von 300 Millionen Reichsmark. Der deutsche Außenminister wertete in einem von der »Vossischen Zeitung« veröffentlichten Interview den Berliner Vertrag als »logische Ergänzung von Locarno« und als »Ausdehnung des Verständigungsgedankens«.
     In einem zusätzlichen Notenaustausch versicherte Stresemann der sowjetischen Seite, daß der bevorstehende (und im August erfolgte) Eintritt Deutschlands in den Völkerbund »kein Hindernis für die Entwicklung der freundschaftlichen Beziehungen« mit der UdSSR sein werde.
     Alles in allem erwies sich der Berliner Vertrag als solide Grundlage für eine günstige Weiterentwicklung der deutsch-sowjetischen Beziehungen. Er galt bis 1936, als die Nazi-Regierung schließlich seine weitere Verlängerung ablehnte.
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 4/1996
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