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Der Schriftsteller Heinz Knobloch sagt: »Ich habe Schwejk adoptiert«

Ein Gespräch über Feuilletons, Berlin und besondere verwandtschaftliche Beziehungen

»Mißtraut den Grünanlagen«, dieser Satz, mit dem Ihr Buch »Herr Moses in Berlin« beginnt, ist der Titel Ihres jüngsten Buches. Ist der Herr Knobloch ein mißtrauischer Mensch?
     Heinz Knobloch: Wo sich einst der Berliner Jüdische Friedhof befand, in der Großen Hamburger Straße, ist heute eine Grünanlage. Freundliches Grün bedeckt heute auch die Stelle, wo vor 1945 in Dresden das elterliche Wohnhaus stand. Mißtrauisch - ? Jeder Intellektuelle ist mißtrauisch. Wir vom Jahrgang 1926, so wir überlebt haben, ganz besonders.

Die Geschichte derer, die nicht mehr leben, das ist der Stoff, aus dem die meisten Ihrer Bücher sind. Und manchmal hat man das Gefühl, daß nicht Sie ihn, sondern der Stoff Sie sucht.
     Heinz Knobloch: Irgendwie stimmt das. Ich habe 20 Jahre mein Feuilleton »Mit beiden Augen« in der »Wochenpost« geschrieben. Beim Durchblättern der Mappen mit dem Material wußte ich, wenn eines geschrieben werden will, meldet es sich.

Hat sich so der Reviervorsteher gemeldet, der während der Nazizeit die Synagoge in der Oranienburger Straße rettete?
     Heinz Knobloch: Ganz anders. Ich fand im Katalog der Ausstellung »Synagogen in Berlin« 1979 die kurze Geschichte über den ungenannten Vorsteher des zuständigen Polizeireviers, der in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 verhinderte, daß ein von SA-Leuten gelegtes Feuer die Neue Synagoge in der Oranienburger Straße zerstörte. Mit vorgehaltener Pistole verjagte er die Brandstifter und beorderte die Feuerwehr zum Brandort. Ich fragte mich, warum weiß das niemand, warum kennt keiner den Namen des Mannes, warum wird er nicht geehrt? Auf das Feuilleton in der »Wochenpost« meldete sich dann der Berliner Sohn des Reviervorstehers Wilhelm Krützfeld.

Man bescheinigt Ihnen, Journalismus und Literatur auf glückliche Weise zusammenzuführen. Sehen Sie sich als Journalist?
     Heinz Knobloch: Ja, schon wegen der Details und der Neuigkeiten.

Ist es so, daß der Journalist recherchiert und der Schriftsteller Knobloch dann schreibt?
     Heinz Knobloch: Wer sollte das auseinanderhalten. Ich käme nie auf die Idee, einen Roman zu schreiben. Das kann ich nicht; ich kann keine Personen machen.

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Obwohl Sie schon als Sechsjähriger Ihr erstes journalistisches Werk verfaßten, ein handgeschriebenes Extrablatt für Ihren Vater und Großvater, kamen Sie eher auf Umwegen zur schreibenden Zunft. Und Sie waren kein guter Schüler?
     Heinz Knobloch: Auf meinem Abgangszeugnis steht in keinem Fach »Gut«, nur in Geschichte und Geographie »Befriedigend«, in allen andern Fächern »Vier«. Englisch hat ja noch Spaß gemacht, Mathematik habe ich nie begriffen, und Turnen war einfach eine Katastrophe.

Mit sechzehn begann Ihre Lehre, mit siebzehn mußten Sie Soldat werden.
     Heinz Knobloch: Schon bei der Ausbildung zum Rekruten bin ich immer aufgefallen, krumm, wie ich dastand. Einer hat später mal zu mir gesagt, du brauchst deine Vorgesetzten nur anzugucken, dann wissen die alles. Ich habe unter den Strapazen und unter der ganzen militärischen Primitivität gelitten. Als ich längst merkte, daß dieser Krieg sinnlos ist, bin ich 1944 desertiert.

Sie waren Kriegsgefangener zuerst in den USA, dann in Schottland. Wie kam das?
     Heinz Knobloch: Die Amerikaner haben im Mai 1946 uns nach Europa geschifft. Der Kalte Krieg war schon zu Gange, so konnten sie darauf verweisen, keine Kriegsgefangenen mehr zu haben. Die Russen aber hatten ihre Millionen Gefangenen noch nicht entlassen. Ich hatte Glück und kam nach Schottland. Das hieß Straßenbau im Gebirge, später Kunstdüngerfabrik und so weiter.

Als Sie im Februar 1948 nach Berlin zurückkamen, gingen Sie auf Arbeitsuche. Wie kamen Sie zur Zeitung?
     Heinz Knobloch: Ich wollte unbedingt zur Presse, das war der Traumberuf seit meiner Kindheit. Ich hatte auch als Gefangener immer geschrieben. In Unkenntnis des Handwerks. Es waren Geschichten, daraus sollte ein Roman werden. Ich habe heute noch viel Material, aber das falsche. Ich hätte Tagebuch führen müssen. Also ich wollte zur Zeitung, wurde aber überall abgewiesen. Bis sich Walter Heilig, Bildjournalist beim Berliner Verlag und ein Lehrkollege von damals, mir half. So wurde ich Bürohilfe im Illus-Bilderdienst, habe den Fotografen die Leiter getragen und Blitzlichtpulver abgebrannt, die Bilder gestempelt und Nummern draufgeschrieben. Später als Volontär in der Lokalredaktion der »Berliner Zeitung« durfte ich als erstes das Rundfunkprogramm redigieren.

Erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Feuilleton?
     Heinz Knobloch: Klar, das war 1957 bei der »Wochenpost«. Sie war ein Kind des 17. Juni 1953. Plötzlich gab es damals nicht nur mehr Sorten Wurst und Käse, Ölsardinen und Konserven, sondern auch diese neue Zeitung. Mein erstes Feuilleton handelte von jungen Lesern in der Berliner Stadtbibliothek. Sie fielen mir auf, weil sie so unscheinbar angezogen waren, viel schlechter als Leute, die nicht in Bibliotheken gingen. Übrigens war damals allein das Wort »Feuilleton« unerwünscht. Es galt als bürgerlich, oberflächlich, aber das hat mich nicht gekümmert, wie nachzulesen.

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Die Kritik hat Sie als Flaneur eigener Art bezeichnet, als einen Spurensucher, der auch akribisch genau mit der Sprache umgeht. Wird der deutschen Sprache heute nicht viel angetan?
     Heinz Knobloch: Naja, einer macht ein Modewort wie »Biß« oder »Flieger«, und alle plappern es nach, rüberbringen und rüberkommen beispielsweise. Sieger bringen immer ihren Wortschatz mit. Denken Sie nur an die fürchterliche Russifizierung unserer deutschen Sprache nach 1945. Zum Beispiel »der Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes«, diese klappernden Genitive. Oder die »schwere Technik«. Dafür haben wir doch Wörter wie Bagger, Kräne, Geräte usw. Ich habe nichts gegen »Soljanka« oder »Sputnik«, dafür gibt es keine Übersetzungen, aber »schwere Technik«, darin steckt sprachliche Verarmung. Übrigens habe ich in den 70er Jahren festgestellt, daß von der Sowjetunion nichts mehr zu erwarten sei. Alle neuen Wörter wie Kybernetik und Computer kamen aus dem Amerikanischen.
Sie sind mit neun Jahren von Dresden nach Berlin gekommen, haben erst in Kreuzberg, dann in Altglienicke und Weißensee gewohnt, bis Sie 1957 Pankower wurden. Wenn Sie nach Kreuzberg fahren, hat sich da wieder heimatliches Gefühl eingestellt?
     Heinz Knobloch: Nein, das geht auch gar nicht. Weder in Dresden noch in Kreuzberg.

Wird Berlin allmählich eine Stadt der Berliner, oder bleibt es vorerst bei »Ossis« und »Wessis«?
     Heinz Knobloch: Berlin ist zur Zeit eine Stadt mit einer Zwei-Klassen-Gesellschaft, in der Leute für die gleiche Arbeit unterschiedlich bezahlt werden, von den Strafrenten ganz zu schweigen. Das wird wohl noch zwei Generationen dauern. Bis wir Letzten, die noch etwas von der DDR wissen, weggestorben sind. Und ebenso die Westberlin-Insulaner.

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Welchen Schriftsteller lesen Sie am liebsten?
     Heinz Knobloch: Das wechselt. An erster Stelle wird immer Victor Auburtin stehen, der 1928 gestorbene Klassiker des Feuilletons. Gerade habe ich mich genüßlich mehrere Wochen mit seinem »Was ich in Frankreich erlebte« beschäftigt, es mir gewissermaßen auf der Zunge zergehen lassen, ihn auch beneidet. Und habe gedacht, Mensch, das könntest du auch. Wenn du Zeit und Muße hättest, könntest du jetzt über Berlin schreiben, über Zeitungen, die du liest. Auch wenn es nicht gedruckt wird, nur so als Chronist. Ich kann es mir aber nicht leisten, ich muß noch anderes tun. Und dann gibt es noch das Elementarbuch meines Lebens, das ich erst 1950 in die Hände bekam. Das ist der brave Soldat Schwejk, indem ich es nämlich bin, von Geburt an, ohne es zu wissen. Deswegen auch meine glorreiche Militärkarriere und mein Überleben in harten Kritikzeiten. Ich sehe ihm auch ähnlich, was auf meinen böhmischen Großvater zurückzuführen ist. Wir sind miteinander verwandt. Ich habe Schwejk adoptiert.

Ohne Ihre Bücher wäre vielleicht manches oder mancher immer noch in der Berliner Anonymität geblieben.
     Heinz Knobloch: Mit dem »Herrn Moses« habe ich damals in Ostberlin drei Gedenktafeln verursacht. In der Großen Hamburger Straße, dann die Tafel für die Bücherverbrennung, wobei der Text nicht von mir stammt, und schließlich die an der Heiliggeist-Kapelle, dem ältesten noch vorhandenen Haus in Berlin.

Und wie war das mit dem Reviervorsteher Krützfeld, dem Retter der Synagoge?
     Heinz Knobloch: Der damalige Polizeipräsident Scherz hat 1991 spontan auf das Buch reagiert. Er hat am Grab von Krützfeld und dessen Frau eine Feierstunde abhalten lassen. Eine kleine Ehrenformation der Polizei war da, ein Musikkorps spielte, es wurden Reden gehalten und Kränze niedergelegt. Es gibt ein Foto von diesem Ereignis, auf dem ich mit einem Schmunzeln im Gesicht zu sehen bin. Das gehört sich vielleicht nicht auf einem Friedhof, aber es kam der Gedanke: Ohne mich wäret ihr alle heute nicht hier.

     Das Gespräch führte Jutta Arnold

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 3/1996
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