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Helmut Eikermann
Berliner Geschichte - zum Berühren

Heinz Knobloch zum 70. Geburtstag am 3. März 1996

Wollte man alle Bücher aufzählen, die der Journalist und Schriftsteller Heinz Knobloch in über dreißig Jahren veröffentlicht hat, ergäbe das eine lange Liste. Manche tragen poetische Titel wie »Allerlei Spielraum« oder »Stäubchen aufwirbeln«, »Meine liebste Mathilde« oder »Die schönen Umwege«. Andere Titel klingen ganz alltäglich: »Mehr war nicht drin«, »Berliner Fenster«, »Stadtmitte umsteigen«. Knobloch ist ein Poet des Alltags. Er findet etwas zu erzählen, wo andere nur Steine sehen: »Kurioses gibt es immer. Man muß es nur finden.« Fast alle seine Bücher haben mit Berlin zu tun. Die anderen nehmen sich wie Fingerübungen für das große Thema aus: die Geschichte und die Geschichten dieser einmaligen Stadt und ihrer Bewohner. Der ganzen Stadt, wohlgemerkt. Knobloch hat es gewagt, die verschwiegenen und verdrängten Teile des gewaltsam gespaltenen Stadtorganismus ins Gedächtnis zurückzurufen, die schraffierte und mit einem Stern gekennzeichnete Fläche der »besonderen politischen Einheit«.

Das sei ihm nicht vergessen. Er hat die verschlungenen Behördenwege und das Grenzregime geschildert, die den Besucher hinderten, an Fontanes Grab zu gelangen, und er hat daran erinnert, daß auch der »Angehaltene Bahnhof« und die Friedhöfe vor dem Halleschen Tor zu dieser Stadt gehören. »Drüben ist heute ein unanständig mißdeutbares Wort«, schrieb er 1982, und es war klar, wo er die Unanständigkeit sah.
     Es mag manchen überraschen, daß der Berliner Lokalpatriot Heinz Knobloch von Geburt ein waschechter Sachse ist wie seine Landsleute Heinrich Zille und Erich Kästner. Vielleicht muß einer als Neun- oder Zehnjähriger unfreiwillig hierher zuwandern und sich die fremde Stadt selbst erobern, um sich den Blick für die Details zu bewahren und dabei die großen Zusammenhänge nicht aus den Augen zu verlieren. Um beispielsweise ein Buch wie Döblins »Berlin Alexanderplatz« zu schreiben. Oder Knoblochs »Herr Moses in Berlin«.
     »Vielleicht ist es einer der Nachteile dieses Buches, daß es zum langsamen Lesen, Innehalten und Durchdenken nötigt«, vermutete Knobloch in diesem seinem ersten großen Wurf nach einem guten Dutzend Feuilletonsammlungen. Die Leser, stellte sich heraus, schätzen diesen Nachteil besonders. Sie halten gerne inne, um über das nachzudenken, was Knobloch ihnen nicht immer auf geradem Wege nahezubringen weiß.
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Seine Bücher bestehen zu einem Gutteil aus Abschweifungen. Gerade das macht ihren Reiz aus, dieser assoziative Rundumschlag durch die Berliner Kulturgeschichte, die aktuellen Seitenhiebe nicht zu vergessen. Knobloch ist ein Entdecker, der seine profunde Sachkenntnis weitergibt, ohne den Leser zu belehren. Der weiß fortan Bescheid und fühlt sich im stillen Einverständnis mit dem Autor.
     Man ist versucht, Knobloch ständig zu zitieren: »Andererseits nimmt unsereinen Wunder, daß so ein Bürger ohne weiteres den Schloßhof durchqueren konnte; ohne Passierschein, ohne Anmeldung und dergleichen ... (Ich) denke an Pankow, wo ich wohne und zuweilen gern am dortigen Schloß vorbeiginge, wenn das ginge, um den Weg abzukürzen; da fuhr früher sogar die Straßenbahn entlang ...«
     Das liest sich heute ganz selbstverständlich, wie so viele Anspielungen bei Knobloch, der nicht nur aus Pankow mancherlei zu berichten wußte, was sich nicht in den Zeitungen fand: »... wir leben fast immer unter Fahnen und unter den mit einem hohen Besuch verbundenen Verkehrsbeeinträchtigungen. Er kündigt sich bereits frühmorgens dadurch an, daß in der Grünanlage unterschiedliche junge Männer auf den Bänken sitzen und die gleiche Sorte Wurstbrote verzehren.«
     Wenn der Autor »das nicht mit versteckter Absicht so ersonnen hat, wieso konnte es damals den Zensoren entgehen?
Sie merkten es nicht, weil sie total von sich überzeugt waren. Ein besserer Aufpasser würde sein, wer selber zweifelt; aber gerade deswegen kriegt er diesen Posten nicht.« Das schrieb Knobloch über Kästner und hängte zum Beweis zwei Sätze aus dessen Münchhausen-Film an: »Die Staatsinquisition hat zehntausend Augen und Arme. Und sie hat die Macht recht und unrecht zu tun.« Knobloch 1978. Die Zensoren - siehe oben ...
     Es wäre zu einfach, Knobloch einen Berliner Chronisten zu nennen. Er ist der geborene Feuilletonist, der diese in den Zeitungen vernachlässigte Grenzform zwischen Journalismus und Literatur für sich und die Leser erschlossen und kultiviert und die literarischen Perlen von Ernst Kossak, Victor Auburtin und Franz Hessel ausgegraben und vorgezeigt hat. »Unsereiner ist kein Herausgeber, der Vorhandenes gruppiert, sondern zunächst ein Nachforscher, Zeitungswälzer, Spürhund, Finder ...« Ein Schatzgräber wie Schliemann, der die Kulturschichten der Berliner Vergangenheit freilegt. »Der Berliner zweifelt immer« benannte er eine seiner Sammlungen mit einem Fontane-Wort. »Hier sind Feuilletons über Berlin vereinigt, die im Vormärz mit den Anfängen Glaßbrenners beginnen und bis zum Ende der Naziherrschaft reichen. Das ist der Zeitraum, in dem Berlin zur Weltstadt wuchs, eine war und zerstört wurde.« Kann man das treffender sagen?
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Als geborener Zweifler ist Knobloch ein hundertprozentiger Berliner: »Ich möchte meist gern etwas mehr wissen, als im Geschichtsbuch steht ... Denn nicht nur der Teufel steckt im Detail, sondern die eigentliche Geschichte.« Wie gut, daß es einen Knobloch gibt, der uns Vergangenes erzählend nahebringt und »ein wenig mehr Bescheidenheit vor der Geschichte und mehr Selbstbewußtsein vor den Geschichtsbüchern« lehrt. Selbst an der alleinseligmachenden KPD-Überlieferung wagte er zu kratzen: »... daß ich traurig Versäumnisse nenne, und als Nachgeborener Fragen an die Vordermänner stelle, weil ich den mir von Nachgeborenen gestellten Fragen nicht ausweichen möchte, das muß man schon zugestehen.«
     Hat man ihm tatsächlich zugestanden, sich des Sieges über Polen auf wahrhaftige Weise zu erinnern? »Die gemeinsame Parade, oft gesehen in der Wochenschau: Offiziere unserer Wehrmacht und der Roten Armee nebeneinander grüßend auf einer provisorisch errichteten Tribüne.« (»Das Grammophon«, 1978) Knobloch, den Nazizeit und Kriegsgefangenschaft früh das Zweifeln gelehrt hatten, setzte seine bohrende Beharrlichkeit gegen die selbsternannten »Sieger der Geschichte«, die am Ende auch als Sieger ihrer lückenhaften Geschichtsschreibung scheitern mußten, und liefert Geschichte - zum Berühren, wie es im Untertitel seiner »Liebsten Mathilde« heißt,
deren Lebensweg er mit der gleichen Detailliebe und -treue nachgezeichnet hat wie die des Moses Mendelssohn und des »Armen Eppstein«. Knobloch hat für uns die verfolgte, versunkene, geschändete, totgeschwiegene und verdrängte jüdische Kultur in Berlin wiederentdeckt. Er ist den Spuren von Kafkas Braut Felice Bauer nachgegangen und hat uns die jüdischen Friedhöfe nahegebracht.
     »Der beherzte Reviervorsteher« ist die Geschichte des mutigen Polizeileutnants Wilhelm Krützfeld, der die Neue Synagoge in der Oranienburger Straße am 9. November 1938 vor dem Brand bewahrte. Knobloch hat dessen Söhne und die Nachkommen jüdischer Menschen gefunden, denen Krützfeld und andere das Leben retteten. Und er hat nebenbei herausgefunden, daß es sich bei dem bekannten Bild der brennenden Synagoge mit größter Wahrscheinlichkeit um eine Fälschung handelt.
     In diesem Buch unternimmt Knobloch einen seiner Spaziergänge ums Karree, wie der Berliner sagt, rund um den Hackeschen Markt, an dem das Polizeirevier 16 lag. Wer diese 15 Seiten gelesen hat, wird kaum wieder vergessen, was er über das jüdische Berlin und die Auguststraße, über Monbijou und über die 28 Jahre lang verborgene S-Bahn erfahren hat.
     Den »Geisterbahnhöfen« unter Ostberlin hat Knobloch 1992 einen besonderen Band gewidmet, auch der ein Stück angehaltenen Zeit.
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Der Zeitzeuge Knobloch hat immer auch das Aktuelle, inzwischen Historische registriert. Ob es der Pferde-Urin ist, für den das Gartenbauamt bei der 750-Jahr-Feier zuständig gemacht wurde, das Aufsetzen der neuen Türme der Nikolaikirche 1982 oder der Ost-West-Tausch der Figuren auf der Schloßbrücke gegen das KPM-Archiv. Knobloch sorgt dafür, daß nichts der Vergessenheit anheimfällt.
     »Im Lustgarten« heißt das letzte in der DDR veröffentlichte Buch. Es stecken darin, wie Knobloch anmerkt, sieben Jahre Sammeln, Recherchieren und Selbersehen. Eine Berliner Topographie besonderer Art. »Die es (das Schloß) abzureißen befahlen, sind lange tot. Können sich nicht rechtfertigen. Mir aber auch den Mund nicht verbieten. Dennoch kann ich das Schloß nicht herbeireden. Auferstehung findet meist auf Papier statt. Es bleibt geduldig, solange ich mir das gefallen lasse.«
     Ein wenig spürt man, daß Knobloch am Ende seiner Geduld angelangt war. Er erzählt vom Soldatenkönig, der flüchtenden Berlinern mit dem Stock nachsetzte und dabei schrie: Lieben sollt ihr mich! Wem fällt da nicht der unvergessene Satz eines anderen Prüglers ein?
     »Professor Beckmann von der Universität Frankfurt/Oder möchte mit einigen Studenten nach Ungarn fahren.« Das Reisedokument hatte der Kurfürst selber unterschrieben. »Landeskinder durften nicht ohne seine Zustimmung das Land verlassen. O Zeiten, o Sitten.« Knobloch 1989.
     Es war übrigens jener Landesherr Friedrich Wilhelm, der sich damit vergnügte, »daß er sich die Berliner Post bringen ließ ... Den ganzen Tag brachte er in Wusterhausen damit zu, alles, was in und aus seinem Land geschrieben wurde, zu lesen«, wie seine Tochter laut Knobloch zu berichten wußte. Und wie kommentiert der diesen Bericht aus der Frühgeschichte der preußischen Volksrepublik DDR? »An dieser Stelle mußte ich Rosi Nante den Mund zuhalten ...«
     Die Oberen des Landes, in dem Knobloch all das aufschrieb, hätten gut daran getan, es aufmerksam zu lesen. Aber welcher Herrscher hätte je aus der Geschichte, geschweige denn aus der Literatur etwas gelernt?
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 3/1996
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