69 Geschichte und Geschichten | Chaplin in Berlin |
Dieter Busse
Charlie Chaplin in Berlin In großer Aufmachung verkündet die »B. Z. am Mittag« am 9. März 1931 auf Seite 1: Charlie kommt! Gegen 17.00 Uhr dieses Montags werde er auf dem Bahnhof Friedrichstraße erwartet. Eine ebenso sensationelle wie freudige Nachricht.
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Damals war Chaplin an einem Abend zu Gast bei einem weiteren Freund, dem Justizrat Werthauer. Die Klatschpresse hatte berichtet, daß er sich bei dieser Gelegenheit mit seiner Tischdame, dem Filmstar Pola Negri, verlobt hätte. Eine Ente. Berichte aber, wonach Chaplin mehrere Nachtbummel durch Berliner Arbeiterviertel gemacht hatte, stimmten. Dem Berliner Publikum war Chaplin damals nur aus seinen Ein- und Zweiaktern bekannt, so daß sein Besuch nicht besonders beachtet worden war.
Ganz anders 1931. Inzwischen waren auch seine großen abendfüllenden Filme in den Kintopps der Hauptstadt gelaufen. Chaplin - das war der Stummfilm schlechthin. Eine gewisse Vorstellung von der Euphorie der Berliner über die plötzliche Ankunft des kleinen großen Mannes vermittelte kein Geringerer als Erich Kästner. Eiligst hatte der Poet zur Feder gegriffen und Verse geschmiedet. Und so sieht es an diesem Tag am Bahnhof Friedrichstraße aus: Der Fernbahnsteig A ist seit 16.00 Uhr gesperrt. Eine Abteilung Bahnpolizisten sorgt für Ordnung. Etwa 100 zugelassene Gäste haben sich gegen 17.00 Uhr eingefunden. Der Zug läuft ein. Aus dem Fenster einer der ersten Wagen winkt der ersehnte Gast. Schupos drängen die Masse ab. Leute bringen Hochrufe auf den Star aus, umdrängen ihn. Ein kleines Mädchen mit Tulpen versucht vergebens, seinen Strauß zu übergeben. |
70 Geschichte und Geschichten | Chaplin in Berlin |
Draußen wächst die Menge auf Tausende an. Chaplin ist etwas verwirrt, daß ihn die Berliner sofort und zutraulich »Hoch Charlie« begrüßen. Im Auto geht die Fahrt zum Adlon, wo der Gast von Louis Adlon, den Managern der Südfilm-AG und weiteren Berliner Freunden begrüßt wird. Die wartende Menge vor dem Hotel läßt nicht locker. Mehrmals muß sich Chaplin auf dem Balkon zeigen. In seinen Räumen wird er von Journalisten umringt.
Ein Foto auf Seite 2 des »Lichtenberger Tageblatts« vom 11. März zeigt ihn in deren Kreis. Im Mittelpunkt und sitzend jedoch Marlene Dietrich, die Diva. Zu ihrer Linken stehend, ganz Gentleman und bescheiden - das Genie. Der Schauspieler Max Hansen berichtete (in der B. Z. vom 10. März) über den triumphalen Auftritt Chaplins im Großen Schauspielhaus, als er zum 2. Akt erschien: »Da der Zuschauerraum bereits verdunkelt war, blieb er unerkannt. Vom Chaplinfieber gepackt, stürzte ich auf die Bühne, schrie: >Licht, Licht!< Scheinwerfer flammten auf, ich stehe an der Rampe - ich mußte meinem Herzen Luft machen! Ich sagte dem Publikum, daß er, der Liebling der ganzen Welt, dort in der Loge sitzt. Einen Augenblick Stille, dann: 4 000 Menschen brachen in Schreien und Johlen aus, in einem nicht endenwollenden Applaus, trampelten mit den Füßen, schrien: >Chaplin, Chaplin!<« | Turbulenter ging es offenbar nur noch in »Carow's Lachbühne« am Weinbergsweg zu. Ein aktiver Teilnehmer, ein wackerer Mann aus dem Volke erwähnte diesen grandiosen Abend in einem Autogrammwunsch an Chaplin (gedruckt in der B. Z. vom 12. März). So, wie er es vor 1904 in der Schule gelernt hatte (hs statt ß), schrieb er: »Grohser Charlie. Hatte am Montag abend in Carow's Lachbühne die grohse Ehre, Ihnen auf die Bühne zu tragen. Hier mit bitte ich höflichst um ihr Autogramm. Ihr immer bleibender Verehrer Otto. P.« Am 15. März reiste Chaplin weiter nach Wien. Am 26. März wollte er wiederkommen, zur Berliner Erstaufführung von »Lichter der Großstadt« im Ufa-Palast am Zoo. So hatte er es beim Abschied versprochen. Aber dann hatte er es sich anders überlegt. |
© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 3/1996
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