67   Geschichte und Geschichten Gesindeball  
Hans Wegner
Der Gesindeball im Kaiserhof

Zwei gesellschaftliche Höhepunkte, die am Sonnabend, dem 23. März 1901, in der Haupt- und Residenzstadt stattfanden, hielt das damals führende Boulevardblatt, Scherls »Berliner Lokal-Anzeiger«, der Berichterstattung in seinen Wochenendausgaben für würdig. »Beim Ober-Hof- und Hausmarschall, Grafen von Eulenburg«, konnte man gut plaziert in der Sonnabend-Abendausgabe lesen, »findet heute eine große Abendgesellschaft statt, zu welcher gegen 200 Einladungen ergangen sind.« Dazu sollte »Eine Tasse Tee« nicht gereicht, sondern aufgeführt werden, irgendein Stück aus dem Französischen - gespielt von »Mitgliedern der Hofgesellschaft«, wohl so einer Art adliger Laienspielgruppe.
     Berlins Berufs-Schauspielerinnen und Schauspieler waren an diesem Abend nämlich fast geschlossen mit eigenem Vergnügen beschäftigt. Sie waren auf dem Gesindeball im Hotel Kaiserhof anzutreffen, worüber der Lokal-Anzeiger am Sonntagmorgen berichtete. »Der Gesindeball«, war da zu erfahren, »ist das fröhliche Finale des öffentlichen Berliner Karnevals.« Er sei aber keine Tanzveranstaltung der Dienstboten, sondern ein »ausschließliches Theater-Fest«.

Weshalb dann der irreführende Name? Wegen eines »Paragraphen, der das Bühnenvolk unter die Gesindeordnung stellt« und der in Preußen eben noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts (offenbar bis 1918) gültig war.
     In der illustrierten Zeitschrift »Die Woche«, die auch ein Foto des schauspielerischen Festkomitees in Dienstbotentracht druckte, konnte man lesen, daß man auf diese »gesetzlichen Bestimmungen, an deren Geltung kein Mensch mehr dachte«, anläßlich eines Prozesses gestoßen sei. »Anfangs herrschte in den beteiligten Kreisen große Empörung, dann aber gewann das lustige Bühnenvolk der Sache eine humoristische Seite ab. Es veranstaltete einen Ball, bei dem alle Teilnehmer als Dienstboten erscheinen mußten.«
     So sei, wie der Lokal-Anzeiger feststellte, »mit der Zeit eine feste Institution im Gesellschaftsleben Berlins« entstanden. Anno 1901 hatte sich diese Institution, wie das Blatt bemerkte, „etwas Zeit gelassen", traf man sich später als in den vorhergehenden Jahren, dafür aber offenbar besonders zahlreich und prominent. Lang die Liste der Hofschauspieler und Hofopernsänger, ebenso zahlreich die Namen der „Theaterdamen", deren Wirken an diesem Abend „den guten Herzen und vollen Taschen der Herren" galt, „die zu leben und zu geben verstehen". Die reichlichen Einnahmen des Gesindeballes nämlich fielen vor allem theatralischen Wohlfahrtseinrichtungen zu.
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 3/1996
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