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Helmut Caspar
Reste des »stinkerigen Grabens« gefunden

Nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618_1648) ließ der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm aus Furcht vor neuen Feinden durch seinen Festungsbaumeister Gregor Memhardt einen gezackten Kranz von Bastionen, Wällen, Gräben und Toren um seine Haupt- und Residenzstadt Berlin legen. Die mehrmals in der Woche zum Schanzen gezwungenen Einwohner waren erbost, denn sie sahen nicht ein, warum sie schuften sollten, damit der Herrscher seine Sicherheitsbedürfnisse befriedigen konnte, beugten sich aber dem Willen des Hohenzollern. Über 200 Jahre zuvor hatten die Bewohner der Doppelstadt Berlin- Cölln vergeblich gegen die Schloßbaupläne der auf den kurfürstlichen Thron gelangten fränkischen Dynastie opponiert und waren beim »Berliner Unwillen« dem Herrscher unterlegen. Also schachtete man Gräben aus und schichtete Wälle auf.
     Einige Straßennamen, so die Oberwall- und die Niederwallstraße oder Am Festungsgraben hinter der Neuen Wache, erzählen von den Mühen um den Schutz der Residenz. Daß solche Bastionen im Zeitalter neuer Waffen überflüssig waren, sahen die Hohenzollern alsbald ein, und so wurden schon im frühen 18. Jahrhundert die ersten, noch gar nicht sehr alten Anlagen wieder beseitigt.

Sie hatten sich als einengend und antiquiert erwiesen, zumal sich in ihrem Vorfeld neue Trabantenstädte mit schnurgeraden Straßen und viereckigem Raster ausbreiteten. Die Friedrichstadt, Dorotheenstadt und andere Areale erinnern mit ihren Namen an Vertreter des Herrscherhauses.
     Von den Befestigungen der Barockzeit ist bis auf wenige Relikte nichts mehr vorhanden, wenigstens oberhalb der Erde. Archäologen spüren im Vorfeld von Erdarbeiten und gartendenkmalpflegerischen Maßnahmen den Fundamenten des Festungsgrabens nach. Es ist schwer, sich heute den Verlauf dieses einst mehrere Meter breiten, dann aber immer mehr eingeengten Gewässers quer über die Straße Unter den Linden vorzustellen. Auch daß es in der Höhe der Königlichen Oper einmal die figurengeschmückte Neue Torbrücke (auch Opernbrücke) gegeben hat, ist nur noch auf alten Bildern dargestellt.
     Historische Karten zeigen den Verlauf des Festungsgrabens. Von der Spree im Süden ging es vorbei an der Mohrenstraße, Jägerstraße und Oper hinüber zum Palais des Prinzen Heinrich (Humboldt- Universität) und dann zum Kupfergraben. Dort war die Spree wieder erreicht. Was alte Bilder nicht sagen, ist die Meinung der Berliner über dieses Relikt aus barocker Zeit. Kronprinz Friedrich Wilhelm, der spätere König Friedrich Wilhelm IV., adressierte einen Brief an seine Schwester »An die Prinzessin Luise, wohnhaft am stinkerigen Graben«.
     Der Bote wußte sofort, was gemeint war.
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Bis zu ihrer Verheiratung lebten in dem barocken Palais drei Töchter Friedrich Wilhelms III. und der 1810 verstorbenen Königin Luise. Was sie von den Ausdünstungen des nicht mehr benötigten Grabens hielten, ist nicht überliefert. Noch in unserem Jahrhundert erinnerten Büsten an die Königstöchter. Prinzessinnenpalais und das benachbarte Kronprinzenpalais wurden durch einen Kopfbau und einen Steinbogen verbunden. Vermutlich war Karl Friedrich Schinkel an der Umgestaltung beteiligt. Eine Mauer, deren Fundamente im Frühjahr 1995 gefunden wurden, schirmte den Garten von der Außenwelt ab. Sie soll wiederhergestellt werden.
     Als sich Karl Friedrich Schinkel um 1816 mit Plänen zum Bau der klassizistischen Neuen Wache befaßte, war vom Festungsgraben schon nicht mehr die Rede.

Die figurenbestückte Spandauer Brücke überspannte im frühen 19. Jahrhundert einen Teil des alten Festungsgrabens (unbekannter Künstler).
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Ein Lageplan enthält den altertümlichen Flußlauf nicht mehr, dafür aber ist vorgesehen, daß der Prinzessinnengarten vergrößert werden soll. Der Graben wurde als Hindernis für die Gestaltung des Raums zwischen Oper und Palais empfunden, und so war es nur natürlich, daß man versuchte, ihn durch Zuschüttung zu überspringen. Im Zusammenhang mit dem Bau des Wachgebäudes opferte man die Neue Torbrücke, die den Festungsgraben an den »Linden« überspannte. Die als Kandelaberträger gestalteten Figuren kamen auf den von Lenné umgestalteten Leipziger Platz. Der Graben wurde mit Schutt und Sand aufgefüllt. Bald geriet in Vergessenheit, daß die Straße Unter den Linden durch einen »stinkerigen Graben« zerschnitten war.
     Wie der Chef der Berliner Gartendenkmalpflege, Klaus von Krosigk, sagt, seien bei der Zuschüttung des Festungsgrabens die Einfassungen aus Sandstein nicht zerstört worden. Dies hätten die jüngsten gartenarchäologischen Untersuchungen ergeben. Alle Bestandteile des gewesenen Wasserlaufes seien noch erhalten. Jetzt werde überlegt, wie man ihn ausgräbt, ob man ihn mit Wasser füllt oder im Bereich des Prinzessinnengartens als ein Rasenband sichtbar macht. Die Rückgewinnung von Teilen des Festungsgrabens gleich bei dem »geheimnisvollen Prinzessinnengarten« würde einen neuen, ganz ungewohnten, aber authentischen Erlebnisraum schaffen und einen großen Gewinn für die ganze Gegend bedeuten.
Die im hinteren Teil der Grünfläche eher ab- als aufgestellten Bronzedenkmäler der Generale der Befreiungskriege Blücher, Gneisenau und Yorck sollten nach dem Willen von Denkmalschützern und Gartenarchitekten wieder nach vorn, an die Linden, gerückt werden. Doch ist über das Schicksal der berühmten, von Christian Daniel Rauch geschaffenen Figuren noch nichts entschieden. Fest steht nur, daß sie restauriert und gegen Dreck und Abgase konserviert werden müssen. Mit der Neuaufstellung am alten Platz würden die Denkmäler dazu beitragen, die Straße Unter den Linden, wie im vorigen Jahrhundert geplant, als figurenbestückte »Via triumphalis« zu empfinden. Ganz und gar unklar ist, ob die Marmordenkmäler der Generale der Befreiungskriege, Scharnhorst und Bülow, links und rechts der Neuen Wache aufgestellt werden. Die Erben der Bildhauerin Käthe Kollwitz leisten gegen die von Christian Daniel Rauch geschaffenen, jetzt restaurierten und deponierten Figuren heftigen Widerstand, weil sie meinen, es handele sich um eine Ehrung des »preußischen Militarismus«, die sich mit der Pietá der Kollwitz im Ehrenmal der Bundesrepublik Deutschland, vormals Mahnmal für die Opfer des Faschismus und Militarismus, nicht vertrage.

Bildquelle: Archiv des Autors

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 3/1996
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