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Kurt Wernicke
Erste Fahrzeugsteuer in Berlin

Die Diskussion um eine Erhöhung der Gebühren, mit denen Kraftfahrzeugnutzer stärker oder differenzierter oder ökologisch wirksamer oder moralisch motivierender oder oder oder zur Kasse gebeten werden sollen, reißt nicht ab und freut die Medien, die mit dem Thema immer wieder Debatten aus dem Hut zaubern können. Es ist allerdings bemerkenswert, daß schon vor fast 300 Jahren - immerhin in der Hohen Zeit des Absolutismus, in der es keinerlei sich artikulierende Öffentlichkeit außerhalb des Dunstkreises des Monarchen gab - bei der erstmaligen Einführung einer Steuer auf die Benutzung von Personen-Transportfahrzeugen in der kurbrandenburgischen Residenz gleich zwei Begründungen angeführt wurden, eine moralisierende und eine ökonomische.
     Das »Edikt wegen Einführung der Wagen- und Perücken-Steuer«, erlassen aus dem kurfürstlichen Schloß in Cölln an der Spree am 20. März 1698, wußte nämlich mitzuteilen, daß der Luxus in den Residenzstädten (gemeint waren Berlin, Cölln, Friedrichswerder, Dorotheenstadt, Friedrichstadt) in letzter Zeit dermaßen ungebührlich gestiegen sei, daß man ihn füglich durch eine Steuer ausgleichen müsse.

Ihre Kurfürstliche Hoheit hatte daher »in Gnaden« beschlossen, vorerst auf alle in Berlin ausschließlich zum Personentransport produzierten Wagen eine Verbrauchssteuer von vier Prozent des Verkaufspreises zu legen, ganz egal, ob das Produkt in den Residenzstädten verblieb oder nach außerhalb ging. Die Wagenhersteller hatten einen Verkauf im Akzise-Amt anzuzeigen, die Steuer abzuliefern und dann den Wagen einem Akzise-Visitator vorzuführen, der mittels eines Brenneisens das Gefährt als ordnungsgemäß mehrwertversteuert markierte.
     Mit dem kurfürstlichen Gewinn am Verkauf solcher Gefährte war es noch nicht getan: Das zunehmende Befahren der Berliner Straßen mit Privatkutschen, »wodurch das Pflaster, so zu unterhalten ein nicht Geringes erfordert, sehr verderbet wird«, tat ja eben auch materiellen Schaden. Und zu dessen Ausgleich war künftig eine jährliche Benutzungssteuer zu begleichen: für eine Karosse (eine schwere prunkvolle Kutsche) einen Taler, für einen »Zellischen Wagen« (wohl eine sogenannte Halb-Berline, die nur für zwei Personen eingerichtet war) 16 Groschen und für eine Chaise (einen halboffenen, daher leichteren Wagen) 12 Groschen. Es galt also das bis heute angewandte Prinzip: Je schwerer der Wagen, desto höher die Steuer!
Das einmal (pünktlich zu Beginn des neuen Steuerjahres am 1. April) losgetretene Wüten gegen den Luxus gab gleich noch den moralischen Impetus für eine weitere neue Steuerquelle.
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Die seit 1685 nach Berlin eingewanderten Hugenotten hatten u. a. das bis dato hierorts gänzlich unbekannte Gewerbe des Perückenmachers eingeführt, und es galt natürlich bald als tout chique (»totschick«), sein Haupt mit einer Perücke zu zieren. Jetzt wurden also zusammen mit den Jahressteuern für Kutschen auch solche für Perücken eingeführt, und zwar gerechterweise nach gesellschaftlichem Rang und dementsprechend differenziertem Einkommen gestaffelt. Wobei naheliegt, daß die Perücke sich die Gesellschaft schon so weit erobert hatte, daß der Rang mit der Pracht des jeweiligen künstlichen Kopfschmucks betont wurde. Das Tragen einer Perücke wurde jedenfalls seit Rechnungsjahr 1698 bei höfischen Zivilwie Militärpersonen vom Minister bis zum Kabinettssekretär mit einem Taler Jahressteuer belegt, bei niederem kurfürstlichen Verwaltungspersonal, städtischen Magistratspersonen, Kammerdienern und Schreibern bei einem vornehmen Herrn, bei Angehörigen der Kaufmannschaft und bei Inhabern des Bürgerrechts (damit eo ipso bei Zunftmeistern) mit 16 Groschen, bei Lakaien, Handwerksgesellen und allen übrigen mit 12 Groschen. Offenbar hatte sich die neue Mode schon derart festgesetzt, daß selbst Handwerksgesellen wagten, ihren Kopf in der Art eines Kaufmanns oder Kabinettssekretärs zu schmücken! Die hohe Wertschätzung der Obrigkeit für die Geistlichkeit kam darin zum Ausdruck, daß ihr die Steuer erlassen wurde - wie auch den Lehrern, denen man wohl »aus Gnade« eine kleine Kompensation für ihre sonstige schlechte Besoldung zubilligte.
     Bei dem Erfindungsreichtum der Finanzbehörden in der Einführung von Steuern ist zu hoffen, daß vorstehender Beitrag nicht vor die Augen des Fiskus gelangt. Die Idee der Fahrzeugsteuer läßt sich zwar nicht mehr ausschlachten, aber eine Steuer auf Perücken und Toupets, vielleicht auch auf gefärbte Haare, wäre doch noch denkbar. Schauspieler und Sänger könnten ja »aus Gnade« davon befreit werden.
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 3/1996
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