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Hainer Weißpflug
Die Rosentretereiche in Wittenau

Um zu diesem einmaligen Naturdenkmal zu gelangen, fahren wir mit der S- oder U-Bahn bis Wittenau, überqueren die verkehrsreiche Oranienburger Straße und kommen schon nach wenigen Schritten - nördlich des alten Wittenauer Dorfkerns - in den Volkspark Wittenau. Durch ihn müssen wir hindurch, um sofort danach in die von alten Bäumen gesäumte Hermsdorfer Straße in Richtung Waidmannslust einzubiegen. Schon nach kurzer Zeit erreichen wir die Gleise der Niederbarnimer Industriebahn, die von Tegel nach Rosenthal führt. Davor zweigt der Blomberger Weg von der Hermsdorfer Straße ab. An der Ecke, die beide Straßen hier bilden, befindet sich ein zwar eingezäuntes, aber vom Blomberger Weg aus betretbares Grundstück. Wir befinden uns auf einer von Büschen und Bäumen umgebene Freifläche. Inmitten dieser kleinen Anlage steht die mächtige, uralte Eiche. Von einem niedrigen, verrosteten Eisenzaun geschützt, reckt sie ihre dunklen, an mehreren Stellen schon mit Drahtseilen zusammengehaltenen Äste in den Himmel. Sie ist zwar auf allen Stadtplänen als Naturdenkmal vermerkt, aber nur auf älteren findet man ihren Namen - Rosentretereiche.

Ihr Alter wird auf über 500 Jahre geschätzt. Sie stammt also aus der Zeit, da die Hohenzollern ihre Herrschaft in Brandenburg antraten und festigten. Damals lagen die Dörfer des heutigen Bezirkes Reinickendorf noch inmitten der uralten Waldgebiete des Tegeler Forstes und der Jungfernheide. Sie waren im Besitz des Benediktiner-Nonnenklosters zu Spandau, von den Markgrafen Johann I. und Otto III. 1239 errichtet. Als das Kloster 1558 aufgehoben wurde, bekam Kurfürst Joachim II. die Forsten als Teil seines Jagdreviers zugesprochen. Reich war das große Waldgebiet an mächtigen Eichen, die schon damals als Grenzbäume dem Auge im Gelände Halt boten. So wird in einer Beschreibung des Joachimschen Jagdgebietes im »Erbregister des kurfürstlichen Amtes Spandow de Anno 1590« von »einer großen strauben eichen« am »Heiligen Sehischen Bluttwegk« gesprochen, die die Grenze zwischen Tegel und der Churfürstlichen Heide markierte. 1)
     Die Entwicklung der Dörfer brachte es mit sich, daß immer mehr Waldgebiete abgeholzt wurden, um Felder zu gewinnen. Zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges 1618 war der Wald schon stark zurückgedrängt. Große Eichen, Buchen oder Linden jedoch wurden häufig geschont, vor allem, wenn sie als Grenzbäume zwischen Feldfluren oder als Rats- und Gerichtsbäume genutzt wurden. Mit dem Krieg erlosch das Leben in den Dörfern fast vollständig, und der Wald eroberte sich manche Fläche zurück.
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Nach Kriegsende normalisierte sich das Leben in den Dörfern, erneut wurden große Waldflächen geschlagen.
     Diese Zeit, also die nach 1648, ist mit dem Namen unserer Eiche, der Rosentretereiche, eng verbunden. In Dalldorf, so hieß Wittenau zur damaligen Zeit, gab es vor dem Kriege 17 Höfe. 1652 berichtete ein kurfürstlicher Landreiter, daß noch zehn Höfe wüst und verlassen wären. »Die Amtsdörfer befinden sich in einem schlechten Zustande. Sie sind durch den Krieg meistenteils ruiniert und wüste gemacht worden. In manchen Dörfern, wo sich 10 bis 12 Bauern befunden haben, sind jetzt 2 bis 3 oder aufs höchste 5 vorhanden.« 2)
     Auch der Lehnschulzenhof, seit 1571 von der Familie Wartenberg besetzt, war verwaist. Ab 1646 blieb der Hof unbesetzt. Die spärlichen Überlieferungen sprechen von unklaren Verhältnissen bezüglich des Schulzenhofes. Zunächst, so hieß es, soll ein Peter Engel Besitzer gewesen sein. Anfang 1700 dann ist von einem Andreas Wilcke als Besitzer und Schulze die Rede, der den Hof und das Amt 1711 an einen Rosentreter abtrat. »Nachdem Andreas Wilcke, bisheriger Schulze in Dalldorf, wegen herannahenden Alters das abgebrannte Gehöft nicht wohlausbauen und fernerhin vorstehen können, hat er seinen Schwiegersohn und Successori (Nachfolger) Joachim Rosentreter nicht nur verwichenen Mariae Verkündigung (25. März) daselbe übergeben, sondern auch dato
den darüber unter ihnen abgeredeten Kauf und Vergleich gerichtlich aufsetzen und ausfertigen lassen, und zwar hat er ihm besagtes Schulzen- und Bauerngehöft mit Garten, Äckern und Wiesen und allen Ländereien und Pertinentien (Zubehör), Rechten und Gerechtigkeiten, wie es Namen haben mag und er bisher besessen und besitzen können, völlig abgetreten und verkauft ...« 3)
     Im Gegensatz zu den Wartenbergs, die Hof und Amt als Lehen des Dorfherren mit allerlei Privilegien besaßen, wurde Rosentreter als Setzschulze eingesetzt. Das heißt, er mußte Hof und Amt erwerben, um es zu besitzen. In einer Beschreibung des Schulzengutes von 1721 heißt es: »Joachim Rosentreter, jetzo Jürgen Christoph, als zugleich eingesetzter Schulze, hat 8 Hufen Landes und besitzt das Gut mit der Hofwehr erblich vermöge dessen Kaufbrief vom 25. September 1711. Seine Vorfahren haben solches vormals zu Lehen besessen, jetzo trägt er die Onera (Lasten, Abgaben).« 4) Alte Flurkarten zeigen die Feldfluren, die Rosentreter gehörten. 5)
     Seit jener Zeit gehörten die Rosentreters zu Dalldorfs bedeutenden Familien. Noch heute führen Straßen in Wittenau ihren Namen, die Rosentreterpromenade und der Rosentreterpfad. »Das Grundstück Alt-Wittenau 38 trägt noch die Gebäude des stattlichen Gehöftes der Familie Rosentreter, die von 1711 bis in das 19. Jahrhundert das Amt des Dorfschulzen innegehabt hat.
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1855 wurde das Wohnhaus errichtet, 1882 folgte die Scheune auf dem hinteren rechten Teil des Hofes. 1895 ließ der letzte Rosentreter, Gustav (1845-1896), die Scheune an der rechten Hofseite bauen, deren Giebel zur Straße seine Initialen >G-R< zeigt ...« 6)
     Ungeklärt ist bis heute, seit wann und aus welchem Anlaß der Baum den Namen Rosentretereiche erhielt. Anläßlich der 600-Jahr-Feier des Ortes Dalldorf-Wittenau wurde in einem Umzug ein Bild gestaltet, das die Pflanzung einer Eiche durch Rosentreter darstellte. Leider gibt es keinerlei weitere Hinweise oder Quellen dazu. Klar ist nur, daß es sich nicht um die Pflanzung dieses Baumes handelte. Als Rosentreter 1711 Setzschulze wurde, war der Baum schon über 250 Jahre alt. Ein anderer Hinweis findet sich in einem Artikel der Berliner Morgenpost vom 9. April 1986. Danach soll der Dorfschulze Rosentreter nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges die Eiche vor dem Fällen gerettet haben. Seither solle sie seinen Namen tragen. Eine schöne Geschichte! Leider ist sie nicht belegt. Trotzdem scheint es einen Zusammenhang zu geben. Ein großer Teil der Felder Rosentreters lag am Weg nach Hermsdorf, der heutigen Hermsdorfer Straße. Das ist durch eine Flurkarte belegt. Auf diesen einstigen Feldern, dem heutigen Grundstück Blomberger/Ecke Hermsdorfer, steht unsere Eiche. Und: Gegenüber dem Blomberger Weg stößt die Straße Lange Enden auf die Hermsdorfer. Sie führt zur Rosentreterpromenade, deren Name von Rosentreters Besitz der Felder bis zum Steinberg herrührt.
Fest steht auch, daß sich Dalldorf nach 1700 langsam von den Folgen des Dreißigjährigen Krieges zu erholen begann.
     Als hätte es eines letzten, eines endgültigen Beweises bedurft, bestätigt eine weitere Legende, daß Rosentreters Felder am Weg nach Hermsdorf von Wald und Busch bewachsen waren. Als er diesen Wald fällen ließ, soll er die stärkste Eiche zur Erinnerung stehen lassen haben, die Rosentretereiche! So schreibt es der Heimatforscher Wilhelm Tessendorf in seinem von Karl Buntrock 1964 neu bearbeiteten Aufsatz »Reinickendorf in Sage und Geschichte«.

Quellen:
1 Der Marsch in die Heimat: Ein Heimatbuch des Bezirkes Berlin-Reinickendorf. Hrsg. Walter Pauls und Wilhelm Tessendorf, Verlag Moritz Diesterweg, Frankfurt am Main 1937, S. 54
2 Gustav Zietlow: Am Born der Heimatgeschichte: Bilder aus dem geschichtlichen Leben des
20. Groß-Berliner Verwaltungsbezirks für Schule und Haus. Oemigke's Verlagsbuchhandlung, Berlin 1821, S. 122
3 Der Marsch in die Heimat, a. a. O., S. 283
4 Gustav Zietlow: Am Born der Heimatgeschichte, a. a. O., S. 190
5 Wilhelm Tessendorf: Der Bezirk Reinickendorf, Berlin 1953, S. 22
6 Bürger erforschen ihren Ortsteil: Dalldorf-Wittenau, Berlin 1987, S. 6

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 3/1996
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