39 Berliner Gespräche | Berlin braucht seine Mitte |
Berlin braucht seine Mitte
Gespräch mit Annette Ahme, Geschäftsführerin der Gesellschaft Historisches Berlin e.V.
Welche Ziele verfolgt die Gesellschaft Historisches Berlin?
Das 18./19. Jahrhundert Stein für Stein hineingebaut ins Zwanzigste ... Kann man die verschwundene Herrlichkeit tatsächlich neu, sozusagen künstlich erschaffen?
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die DDR hatte damit angefangen, die Lindenmeile wiederherzustellen. Und sie hat die Palais aus den Trümmern aufgebaut. Teilweise nicht perfekt, aber doch ansehnlich. Wer heute durch die Linden läuft, ist überrascht vom Berliner Charme. Und die Touristen sagen: Ach, das also ist Berlin! Diesen Aha-Effekt brauchen wir. Genauso, wie die Linden endlich ihr städtebauliches Ende brauchen. Denn jetzt kommt man von den Linden über die rekonstruierte Schloßbrücke mit den schönen, originalen Figuren ... Und stolpert in ein Nichts. In ein gesichtsloses Ensemble mit einem Dom, der alles beherrscht! So, als sei Berlin die größte katholische Bischofsstadt des Nordens.
Sie fordern also das 1951 gesprengte Schloß als Schlußpunkt der Linden ...
Also wieder zurück zu den Hohenzollern? Glauben Sie denn, daß die Berliner das akzeptieren würden, wenn da plötzlich wieder das Stadtschloß stände? Viele haben doch gar keine Beziehung mehr zur Geschichte.
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Aber unserem Verein ist das nicht egal. Wir haben uns zusammengefunden, weil wir meinen, daß die Vergangenheit zum Leben gehört. Und nur der, der seine Geschichte kennt, kann auch ein wenig die Zukunft planen.
Wer verbirgt sich hinter dem Namen Gesellschaft Historisches Berlin?
Was sind Sie selbst von Beruf?
Wann wurde der Verein gegründet, wie viele Mitglieder hat er?
Eine der großen Aktivitäten des Vereins ist das Bürgerbegehren für die historische Mitte Berlins. Mit welchem Erfolg begehren Sie?
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Welches sind die wichtigsten Punkte des Bürgerbegehrens ...?
Annette Ahme: Wir wollen nicht länger mit ansehen, wie das Berliner Stadtzentrum durch schnelle Abrisse, häßliche Neubauten und unsinnige Projekte weiter in seiner Substanz getroffen wird. Berlin braucht eine behutsame Weiterentwicklung der historischen Mitte auf der Grundlage der Berliner Architekturtradition. Mit anderen Worten: Keine Hochhäuser in der historischen Innenstadt, keine kalten Büroburgen. Wir sind gegen eine monotone Bebauung der Straße Unter den Linden. Und gegen die Verunstaltung der Museumsinsel. Ebensowenig darf der Lustgartenriegel realisiert werden. Hier sollte sich die gartendenkmalpflegerische Gestaltung am historischen Vorbild orientieren.
Wie funktioniert ein Bürgerbegehren?
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Also ist das Bürgerbegehren die überzeugendste aller möglichen Antworten auf die allgegenwärtige Frage: Was kann der sogenannte kleine Mann tun?
Annette Ahme: So ist es!
Jeden Tag wird irgendwo in Berlin wertvolle Bausubstanz zerstört. Wie erfahren Sie davon?
Was unternehmen Sie in einem solchen Fall?
So eine Art städtebaulicher Bürgerwehr?
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Warum sollen nicht Bürger ehrenamtlich eingeteilt werden für bestimmte, eng begrenzte Baublocks, die sie beschützen, sorgsam auf Bausubstanz, vor allem auf die denkmalgeschützte, historische achten. Dann gäbe es zumindest keine Nacht-und-Nebel-Aktionen mehr.
Angesichts dieses Vorschlags: Wie ist das Verhältnis der Gesellschaft Historisches Berlin zum Senat ... Wird Ihre Stimme gehört, werden Ihre Aktivitäten wahrgenommen?
Apropos Störenfriede ... Hat nicht die Gesellschaft Historisches Berlin gerade erst wieder für Ärger gesorgt in der Stadt? Ich meine den Streit um die historischen Straßenleuchten ...
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Warum stellt die Senatsverwaltung nicht drei verschiedene Laternen dem Bürger zur Wahl? Der kommt, schaut sie sich an und macht sein Kreuzchen: Ich bin für diese Laterne, ich für jene, ich für die dritte ... Da bricht dem Senat doch kein Zacken aus der Krone! Der Bürger interessiert sich halt für die Straßenlaternen, die ihm heimleuchten. Und für die Pflasterformen. Und die Farbe der Häuser. Und für die Straßennamen. Die Sehnsucht nach ein wenig Alt-Berlin ist groß. Das wird völlig unterschätzt, schlimmer noch: einfach ignoriert.
Entspringt diese Haltung einem Desinteresse, oder steckt Ignoranz dahinter, Arroganz?
Aber die Erhaltung dieser Kleinigkeiten kostet Geld. Einheitlichkeit ist pflegeleichter denn Vielfalt. Gegen diese Rechnung kommen Ihre Argumente nicht an ... |
Annette Ahme: Doch! Zumindest, wenn man eine Öko-Bilanz über Jahre und Jahrzehnte hinweg aufstellen würde. Mit den seelischen Werten als reale Größe. Und der Tatsache, daß die Leute immer mürrischer werden und aggressiver, weil ihnen ständig Lebensqualität weggenommen wird.
Zum Beispiel?
Vielleicht liegt das einfach daran, daß es für den Bürger kaum Möglichkeiten der Mitsprache gibt?
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Mitsprache hat sicherlich auch etwas damit zu tun, ob und wie schnell die Bürger etwas für sie Neues annehmen, akzeptieren. Ein Haus, einen ganzen Stadtteil ... Häuser leben doch erst, wenn Menschen drin wohnen. Dann verändern sie sich, atmen, strahlen Wärme aus, Sympathie oder Feindlichkeit ...
Annette Ahme: Richtig. Berlin leidet ja nicht nur darunter, daß es ein Stück weit häßlich ist. Ein großes Manko dieser Stadt ist ja auch die schlechte Laune. Auch die hat etwas mit dem Gesagten zu tun. Ebenso der hohe Krankenstand, er ist viel höher als im Bundesgebiet.
Kämpfen Sie nicht wie Don Quijote gegen Windmühlenflügel?
Sie meinen, sollte der Palast der Republik eines Tages abgerissen werden, kommt nichts anderes dahin?
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Und es macht auch nur dann Sinn, den Palast abzureißen, wenn das Schloß kommt. Das ist eigentlich allen klar. Selbst Sperlich, einst Direktor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, ist jetzt für das Stadtschloß. Er kann nicht erkennen, sagt er, daß irgendein Architekt in der Lage wäre, etwas für diesen Ort Angemessenes zu schaffen. Und Sperlich ist nun wirklich ein kritischer Geist. Insofern habe ich keine Bange. Entweder das Schloß kommt oder der Platz bleibt leer.
Aber er wird doch nicht auf Dauer leer bleiben ...
Das Gespräch führte Bernd Siegmund |
© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 2/1996
www.berlinische-monatsschrift.de