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Berlin braucht seine Mitte

Gespräch mit Annette Ahme, Geschäftsführerin der Gesellschaft Historisches Berlin e.V.

Welche Ziele verfolgt die Gesellschaft Historisches Berlin?
     Annette Ahme: Wir haben uns das Ziel gesetzt, die historische Mitte Berlins, besser gesagt: das wenige, was davon noch vorhanden ist, zu schützen. Das eigentliche alte Berlin gibt es ja nicht mehr. Rund um die Marienkirche, rund um die Nikolaikirche, da, wo Berlin einst entstand, ist nichts mehr vorhanden. Das alte Berlin findet man nur noch in der barocken Stadterweiterung der Lindenachse beispielsweise. Dort aber brauchen wir keine Architektur-Experimente. Dort muß ein neues Stück altes Berlin wiederentstehen!

Das 18./19. Jahrhundert Stein für Stein hineingebaut ins Zwanzigste ... Kann man die verschwundene Herrlichkeit tatsächlich neu, sozusagen künstlich erschaffen?
     Annette Ahme: Künstlich ist das falsche Wort. Tatsache ist: Nur an historischen Gebäuden ist Geschichte auch zu sehen. Überall in der Welt - und natürlich auch in Deutschland - gibt es auferstandene Häuser, Schlösser, Stadtteile, die keiner mehr missen möchte. Ich erinnere nur an die Münchener Innenstadt, das Goethehaus in Frankfurt am Main,

die DDR hatte damit angefangen, die Lindenmeile wiederherzustellen. Und sie hat die Palais aus den Trümmern aufgebaut. Teilweise nicht perfekt, aber doch ansehnlich. Wer heute durch die Linden läuft, ist überrascht vom Berliner Charme. Und die Touristen sagen: Ach, das also ist Berlin! Diesen Aha-Effekt brauchen wir. Genauso, wie die Linden endlich ihr städtebauliches Ende brauchen. Denn jetzt kommt man von den Linden über die rekonstruierte Schloßbrücke mit den schönen, originalen Figuren ... Und stolpert in ein Nichts. In ein gesichtsloses Ensemble mit einem Dom, der alles beherrscht! So, als sei Berlin die größte katholische Bischofsstadt des Nordens.

Sie fordern also das 1951 gesprengte Schloß als Schlußpunkt der Linden ...
     Annette Ahme: Jawohl! Das Schloß muß wiedererrichtet werden. Und es muß ergänzt werden durch andere, für Berlin wichtige Bauten, etwa die Bauakademie, das Kommandantenhaus ...

Also wieder zurück zu den Hohenzollern? Glauben Sie denn, daß die Berliner das akzeptieren würden, wenn da plötzlich wieder das Stadtschloß stände? Viele haben doch gar keine Beziehung mehr zur Geschichte.
     Annette Ahme: Richtig, ich finde es erschreckend, wenn Berliner Schüler - wie in einer jüngst durchgeführten Untersuchung - gefragt werden, wer oder was da auf dem Brandenburger Tor steht ... Und viele antworten: Irgendein deutscher Kaiser. Nun kann man zwar sagen, das ist mir egal.

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Aber unserem Verein ist das nicht egal. Wir haben uns zusammengefunden, weil wir meinen, daß die Vergangenheit zum Leben gehört. Und nur der, der seine Geschichte kennt, kann auch ein wenig die Zukunft planen.

Wer verbirgt sich hinter dem Namen Gesellschaft Historisches Berlin?
     Annette Ahme: Viele Berufsgruppen sind bei uns vertreten: Architekten, Ärzte, Freiberufler, Handwerker, Schriftsteller ... Wir sind alle ehrenamtlich für den Verein tätig.

Was sind Sie selbst von Beruf?
     Annette Ahme: Historikerin. Ich arbeite in der Friedrichsstädtischen Galerie neben dem Hebbel-Theater.

Wann wurde der Verein gegründet, wie viele Mitglieder hat er?
     Annette Ahme: Gegründet wurde er relativ schnell nach der Wende. Zur Zeit haben wir mehr als 200 Mitglieder.

Eine der großen Aktivitäten des Vereins ist das Bürgerbegehren für die historische Mitte Berlins. Mit welchem Erfolg begehren Sie?
     Annette Ahme: Mit großem: Wir haben jetzt rund 15 000 Unterschriften gesammelt. So bekannte Leute wie der stellvertretende SPD-Vorsitzende Wolfgang Thierse, der Verleger Wolf Jobst Siedler, der Historiker Prof. Dr. Arnulf Baring haben unterschrieben. Doch das ist erst der Anfang. Wir werden die Aktion das ganze Jahr weiterlaufen lassen. Es gibt sicherlich noch viele Mitbürger, die sich für das Thema interessieren, die wir aber bislang nicht erreicht haben.

Welches sind die wichtigsten Punkte des Bürgerbegehrens ...?
     Annette Ahme: Wir wollen nicht länger mit ansehen, wie das Berliner Stadtzentrum durch schnelle Abrisse, häßliche Neubauten und unsinnige Projekte weiter in seiner Substanz getroffen wird. Berlin braucht eine behutsame Weiterentwicklung der historischen Mitte auf der Grundlage der Berliner Architekturtradition. Mit anderen Worten: Keine Hochhäuser in der historischen Innenstadt, keine kalten Büroburgen. Wir sind gegen eine monotone Bebauung der Straße Unter den Linden. Und gegen die Verunstaltung der Museumsinsel. Ebensowenig darf der Lustgartenriegel realisiert werden. Hier sollte sich die gartendenkmalpflegerische Gestaltung am historischen Vorbild orientieren.

Wie funktioniert ein Bürgerbegehren?
     Annette Ahme: Zunächst sammelt der dreiköpfige Aufruferkreis zwei Prozent der Stimmen der Wahlberechtigten im Bezirk. Diese Antragsphase ist zeitlich nicht befristet. Kommen die nötigen Stimmen zusammen, genehmigt das Bezirksamt das Hauptverfahren. In ihm müssen zehn Prozent der Wahlbürger innerhalb von zwei Monaten dem Anliegen zustimmen. Mit anderen Worten, noch acht Prozent Stimmen müssen gesammelt werden. Ist das der Fall, gilt das Begehren als zustande gekommen. In diesem Fall ist die BVV verpflichtet, den Bürgern Rederecht in den Sitzungen einzuräumen und sich mit dem Begehren auseinanderzusetzen. Wichtiger jedoch als der rechtliche Effekt ist der öffentliche ...

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Also ist das Bürgerbegehren die überzeugendste aller möglichen Antworten auf die allgegenwärtige Frage: Was kann der sogenannte kleine Mann tun?
     Annette Ahme: So ist es!

Jeden Tag wird irgendwo in Berlin wertvolle Bausubstanz zerstört. Wie erfahren Sie davon?
     Annette Ahme: Möglicherweise hören wir davon aus dem Amt. Oder Bürger rufen uns an. Manchmal lesen wir auch erst in der Zeitung davon, werden vor die vollendete Tatsache gestellt.

Was unternehmen Sie in einem solchen Fall?
     Annette Ahme: Da können wir gar nichts unternehmen. Wenn wir allerdings eine reale Chance sehen, nutzen wir sie. Stellen uns mit Transparenten vor das betroffene Haus, mobilisieren die Öffentlichkeit, versuchen Gespräche zu führen mit den Leuten, die das Sagen haben. Unter dem Strich gesehen, sind unsere Möglichkeiten eher bescheiden. Und so wird in Berlin immer weiter abgerissen, nichts hat sich geändert. Leider ist auch die Durchschlagskraft des Landeskonservators aus vielerlei Gründen nicht so, wie sie sein sollte. Ich meine, man müßte in Berlin etwas Ähnliches einführen wie es der National-Trust in England ist. Also eine breite Einbindung von ehrenamtlichen Kräften in die Arbeit des Denkmalschutzes.

So eine Art städtebaulicher Bürgerwehr?
     Annette Ahme: Ja, genau!

Warum sollen nicht Bürger ehrenamtlich eingeteilt werden für bestimmte, eng begrenzte Baublocks, die sie beschützen, sorgsam auf Bausubstanz, vor allem auf die denkmalgeschützte, historische achten. Dann gäbe es zumindest keine Nacht-und-Nebel-Aktionen mehr.

Angesichts dieses Vorschlags: Wie ist das Verhältnis der Gesellschaft Historisches Berlin zum Senat ... Wird Ihre Stimme gehört, werden Ihre Aktivitäten wahrgenommen?
     Annette Ahme: Unser Verhältnis ist auf jeden Fall verbesserungsbedürftig. Leider werden die Bürger manchmal schon von Amts wegen als Störenfriede einer Verwaltung betrachtet, die wunderbar funktioniert. Doch erstens sind wir keine Störenfriede. Und zweitens funktioniert auch die Verwaltung zuweilen nicht ganz so wunderbar. Uns liegt Berlin am Herzen. Deshalb werden wir darum kämpfen, zukünftig schon im Vorfeld an Entscheidungen beteiligt, um Rat gefragt zu werden.

Apropos Störenfriede ... Hat nicht die Gesellschaft Historisches Berlin gerade erst wieder für Ärger gesorgt in der Stadt? Ich meine den Streit um die historischen Straßenleuchten ...
     Annette Ahme: Ja, jedenfalls für den Protest. In der Friedrichstadt sollen ja jetzt diese, wie ich finde, unsäglichen Leuchten aufgestellt werden. Diese runden, gesichtslosen. Anstelle der alten, von Schinkel entworfenen. Und dagegen protestieren wir.

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Warum stellt die Senatsverwaltung nicht drei verschiedene Laternen dem Bürger zur Wahl? Der kommt, schaut sie sich an und macht sein Kreuzchen: Ich bin für diese Laterne, ich für jene, ich für die dritte ... Da bricht dem Senat doch kein Zacken aus der Krone! Der Bürger interessiert sich halt für die Straßenlaternen, die ihm heimleuchten. Und für die Pflasterformen. Und die Farbe der Häuser. Und für die Straßennamen. Die Sehnsucht nach ein wenig Alt-Berlin ist groß. Das wird völlig unterschätzt, schlimmer noch: einfach ignoriert.

Entspringt diese Haltung einem Desinteresse, oder steckt Ignoranz dahinter, Arroganz?
     Annette Ahme: Ich denke, wir haben es mit einer gehörigen Portion Arroganz dem Bürger gegenüber zu tun. Wenn ich nur an den Kampf um die für Kreuzberg typischen granitenen Bodenplatten denke ... Bis heute ist unklar, warum die ausgewechselt wurden, ausgetauscht gegen diese stumpfen Betondinger, an denen eigentlich nur die Betonfirma ihre Freude haben kann. Und wieder war eine Kleinigkeit verlorengegangen, ein Heimatwert, etwas, was das Sichwohlfühlen in der Stadt ausmacht. Wenn wir Bürger nicht aufpassen, stirbt unsere Stadt. Und zwar Baum für Baum, Haus für Haus.

Aber die Erhaltung dieser Kleinigkeiten kostet Geld. Einheitlichkeit ist pflegeleichter denn Vielfalt. Gegen diese Rechnung kommen Ihre Argumente nicht an ...

     Annette Ahme: Doch! Zumindest, wenn man eine Öko-Bilanz über Jahre und Jahrzehnte hinweg aufstellen würde. Mit den seelischen Werten als reale Größe. Und der Tatsache, daß die Leute immer mürrischer werden und aggressiver, weil ihnen ständig Lebensqualität weggenommen wird.

Zum Beispiel?
     Annette Ahme: Da sind zum Beispiel die Kinder, die früher über die Granitplatten gehüpft sind und sich ein witziges Spiel ausgedacht hatten, weil die Platten ja unterschiedlich groß waren. Irgendwie versuchten sie immer, auf dem linken Bein zu hüpfen oder ihre Schritte so zu setzen, daß die Granitplatten in der Mitte getroffen wurden. Kinderspielkram, zugegeben ... Aber in der Architektur sieht es doch nicht anders aus: In weiten Teilen bietet Berlin ein Bild der Ödnis, der Monotonie. Wenige Straßen nur haben Flair, Verweilqualität, bieten dem Auge etwas Schönes. Bürgersinn erfordert Identifikation. Doch womit will sich der Bürger identifizieren? Ich verstehe, daß die Leute sauer sind ...

Vielleicht liegt das einfach daran, daß es für den Bürger kaum Möglichkeiten der Mitsprache gibt?
     Annette Ahme: Dieses einem Stadtplaner zu erklären ist schwer. Der hält Mitspracherecht für völlig abwegig. Ausnahmen bestätigen nur die Regel.

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Mitsprache hat sicherlich auch etwas damit zu tun, ob und wie schnell die Bürger etwas für sie Neues annehmen, akzeptieren. Ein Haus, einen ganzen Stadtteil ... Häuser leben doch erst, wenn Menschen drin wohnen. Dann verändern sie sich, atmen, strahlen Wärme aus, Sympathie oder Feindlichkeit ...
     Annette Ahme: Richtig. Berlin leidet ja nicht nur darunter, daß es ein Stück weit häßlich ist. Ein großes Manko dieser Stadt ist ja auch die schlechte Laune. Auch die hat etwas mit dem Gesagten zu tun. Ebenso der hohe Krankenstand, er ist viel höher als im Bundesgebiet.

Kämpfen Sie nicht wie Don Quijote gegen Windmühlenflügel?
     Annette Ahme: Vielleicht war das am Anfang so, heute ist das nicht mehr der Fall. Immer mehr Menschen sind unserer Auffassung. Die Arbeit hat sich gelohnt. Beispielsweise wird der Wettbewerb zum Lustgarten nicht realisiert. Ein Erfolg, an dem wir maßgeblich beteiligt sind. Der Regierende Bürgermeister Diepgen setzt sich jetzt für seine historische Rekonstruktion ein. Auch der Werdersche Markt wird zumindest in seinen Strukturen wieder entstehen. Und was das Stadtschloß anbelangt, da bin ich wirklich optimistisch. Ich glaube schon, daß es wieder aufgebaut wird. Zumindestens kommt nichts anderes an diese Stelle.

Sie meinen, sollte der Palast der Republik eines Tages abgerissen werden, kommt nichts anderes dahin?
     Annette Ahme: Sollte der Palast tatsächlich abgerissen werden, kommt das Schloß. Oder es kommt gar nichts. Eine Mehrheit für einen Neubau irgendeines Architekten sehe ich nicht.

Und es macht auch nur dann Sinn, den Palast abzureißen, wenn das Schloß kommt. Das ist eigentlich allen klar. Selbst Sperlich, einst Direktor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, ist jetzt für das Stadtschloß. Er kann nicht erkennen, sagt er, daß irgendein Architekt in der Lage wäre, etwas für diesen Ort Angemessenes zu schaffen. Und Sperlich ist nun wirklich ein kritischer Geist. Insofern habe ich keine Bange. Entweder das Schloß kommt oder der Platz bleibt leer.

Aber er wird doch nicht auf Dauer leer bleiben ...
     Annette Ahme: Richtig. Auf Dauer kann man den politisch, historisch und städtebaulich wichtigsten Platz Berlins nicht zum Parkplatz machen.

Das Gespräch führte Bernd Siegmund

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 2/1996
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