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Maria Curter
Wie Berlins Müllverbrennung entstand

... zigmal hatten es die Regierenden den Berlinern gesagt: Sie sollen die Straße fegen, den Müll von Unflat und Schutt trennen und die Nachteimer nicht tagsüber ausgießen. Jahrhunderte ging das so. Bis Friedrich Wilhelm I. ein Machtwort sprach - per Kabinettsorder und dem Gassen-Reglement vom 3. September 1735, »wie es in denen Königl. Residentzien wegen Reinigung derer Straßen und mit den Gassen-Karren gehalten werden soll«. Entgegen bisherigen Appellen wurde er konkret: »Wenn gefeget, und der Kehricht ... durch die Karren weggebracht worden, muß sich niemand bey Vermeidung 6. Gr. Straffe gelüsten lassen, das geringste aus seinem Hause zu tragen, noch solches vors Haus und auf die Strasse zu schütten, sondern soll es damit solange anstehen lassen, ... da durch die Gassen-Unter-Officiers das Kehren wieder angesaget wird; und soll zwar erlaubet seyn, das Müll und Kehricht aus den Häusern auch auf die Karren zu werfen, keineswegs aber wird hierunter Unflath oder Schutt verstanden, welches die Eigenthümer selbst wegschaffen müssen ...«

Für das leidige Problem der Nachtgeschirre befahl er: »damit kein heßlicher Gestanck in den Gassen, auf den Märckten und dergleichen Orten, durch Ausgiessung der Nacht-Stühle und Töpfe verursacht werden möge, so wird dem Magistrat anbefohlen, ... ansagen zu lassen, daß die Nachtstühle zu Nacht-Zeit und zwar vom 1. April bis den 1. September nach 11 Uhr, die übrigen Monate aber durch nach 10 Uhr, und nicht eher, oder des Morgens, wann es noch finster ist, ausgetragen werden müssen ... Zu Ausgiessung der Nachtstühle aber werden folgende Örter angewiesen, nemlich in Berlin bey dem Bauhof vorbey durch den Bogen nach der Spree; In Cölln, durch die Fischer-, Roß-, Grün- und Lapp-Strassen, und soll sonst bey Vermeidung schwerer Bestrafung sich niemand unterstehen, dergleichen in der Gegend des Königlichen Schlosses ... oder von den Brücken ins Wasser zu tragen und auszugiessen, bey Straffe von 6. Gr.«
     Und Artikel 16 forderte auf: »Das zerbrochene Glas aber soll ein jeder in seinem Hause sammeln, und solches an die Glashütten Factors verkauffen.«1)
     Sr. Majestät teilte höchstselbst »die eigentlichen Residentzien, Berlin, Alt- und Neu-Cölln, Friedrichs-Werder, Fridrichs- und Dorotheen-Stadt in 8. Haupt Numern« - in acht Reinigungsreviere - ein, »deren jede Numer ihre zu Reinigung der Strassen und Plätze angewiesene Karren hat.«
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Die »Gassen-Unter-Officiers« erhielten insgesamt 28 Karren sowie genaue Order, an welchen Tagen die einzelnen Reviere abgefahren werden sollten.
     Damit wußten nun die Berliner, wann sie was wohin bringen durften. Von organisierter Müllbeseitigung konnte zwar noch keine Rede sein, aber eine gewisse Regelmäßigkeit war gegeben. Der Müll kam vor die Tore der Stadt.

Bakterien-Zuchtanlage

Sehr lange schien das Reglement nicht vorgehalten zu haben, denn 1771 sah sich Polizeidirektor Philippi genötigt, bekanntzumachen: »Da denen bisherigen Verordnungen zuwider sich viele Leute unterstehen, die Strassen durch Ausgiessung derer Nachteymer und Hinwerfung des Mülles zu verunreinigen; So machet das Policeydirectorium zu jedermanns Achtung und Warnung hierdurch bekannt, daß dergleichen Personen künftig statt 2 Rthlr. mit 5 Rthlr. oder proportionirlicher Leibesstrafe belegt, überdem aber ohne Ansehen der Person an den Ort, wo sie betroffen werden, öffentlich mit einem Zettel vor der Brust ausgestellet werden sollen.«2)
     Etwa ab Mitte des 19. Jahrhunderts sammelten die Berliner ihre Abfälle in sogenannten Müllgruben. Ein Zeitgenosse berichtet darüber: »Heutzutage wird der Müll ... zu 99 Prozent in besonders großen Gruben gesammelt, in denen er wochen- und monatelang liegen bleibt

... mit den feuchten Küchenabfällen in Fäulnis übergeht und so die beste Reinzucht von Bakterien aller Art abgibt, wie sie sich kein bakteriologisches Institut besser anlegen könnte.«3) Für die Leerung rief man einen Fuhrunternehmer. Dieser schaufelte den Müll in einen Weidenkorb, trug ihn durchs Haus und kippte ihn in einen offenen Wagen. Was dann damit geschah, war Sache der Fuhrmänner. Abgeladen wurde überall.
     Um 1870 ließ die Stadt drei Müllabladeplätze anlegen - auf dem Stralauer Anger, in der Landsberger Allee und der Müllerstraße. Zwar war das die billigste Methode, da außer für Sammlung und Abfuhr keine weiteren Kosten entstanden, aber es war absehbar, daß diese Plätze früher oder später beräumt werden mußten. So entschlossen sich die Stadtväter zum Kauf eines 90 Hektar großen Grundstücks in Spreenhagen - 37 Kilometer von Berlin entfernt, am Oder-Spree-Kanal gelegen. Und ab 1894 gelangte der Müll vom Stralauer Anger per Schiff nach Spreenhagen.
     »An maßgebender Stelle ist man nach wie vor der Meinung, daß diese Art der Beseitigung der Hausabgangsstoffe das zweckmäßigste Verfahren ist und die Methode der Zukunft bleiben wird«, freute sich Schlosky, Direktor der Stadtreinigung.4)
     »Die Anhäufung des Mülls auf sogenannten Abladeplätzen ... kann als eine Methode zur Beseitigung des Mülls selbstverständlich nicht bezeichnet werden.
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Ein Abladeplatz ist vielmehr eigentlich nichts anderes als ein behördlich konzessionierter Fäulnisherd...«,5) konterte der Stadtverordnete Theodor Weyl.
     Als Mediziner und Hygieniker prüfte er die gesundheitlichen Auswirkungen der Stadtreinigung eingehend und studierte die englischen Erfahrungen. Denn dort hatte man bereits mit der Verbrennung des Kehrichts »in passend konstruierten Öfen« begonnen. Man erzielte dabei nicht nur die Beseitigung der schädlichen organischen Bestandteile unter Produktion eines unschädlichen Asche- und Schlackerückstandes, sondern erhielt noch einen Überschuß an Wärme, der sich zur Kesselbeheizung und zur Erzeugung von Dampf und Strom verwenden ließ. Warum sollte das, was in London und Hamburg so erfolgreich schien, nicht auch der kaiserlichen Metropole gelingen?

Das englische Muster

Am 16. Juni 1893 bewilligte die Stadtverordnetenversammlung 100 000 Mark »zur Vornahme von Versuchen zur Verbrennung des Hausmülls nach englischem Muster«. Eine Subkommission bei der Straßenreinigungs-Deputation wurde gebildet, Stadtrat Bohm und Regierungs-Baumeister Grohn wurden im September auf Reisen nach England geschickt.

Nachdem ihr Bericht vorlag, den Segen der Stadtoberen hatte und die baupolizeiliche Genehmigung erwirkt worden war, konnten zwei verschiedene englische Öfen installiert und ab Ende November 1894 betrieben werden.
     »Die Baulichkeiten wurden ausgeführt auf dem Grundstück der im Jahre 1893 außer Betrieb gesetzten Wasserwerke, vor dem Stralauer Thor 38. Es steht hier ein hoher Schornstein zur Verfügung ... und in deren unmittelbarer Nähe wenige bewohnte Gebäude liegen, ein Umstand, welcher für den Fall mit zu berücksichtigen war, daß vielleicht durch die Versuche zeitweilige Belästigungen der Nachbarschaft hervorgerufen werden sollten. Außerdem liegt das gewählte Grundstück an einer Straße, durch welche die zu dem städtischen Abbezw. Einladeplatz gehenden Müllwagen fahren, so daß hier ... jede erforderliche Menge Müll aus den verschiedensten Stadtgegenden nach Wunsch beschafft werden konnte.«6)
     Mit Beginn des Jahres 1895 mußte der Betrieb wegen Reparatur des Schornsteins unterbrochen werden. Erst ab 8. Februar 1895 brannten die »Müllöfen« wieder.
     »Seitdem werden die Versuche ununterbrochen, d. h. auch während der Nacht, fortgesetzt ... Es sind zur Zeit beschäftigt: 2 Aufseher, 4 Feuerleute, 2 Heizer, 8 Arbeiter.«
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     Welche Resultate erbrachten nun die Versuche? »Wir haben ... angestrebt, das Müll nach englischer Art, d. h. so wie es aus den Häusern kommt zu verbrennen. Diese Versuche ... ergaben aber kein positives Resultat. In beiden Ofen-Systemen erlosch das Feuer, trotzdem die Zellen vor Ausschüttung des Mülls zur Weißbezw. Rothglut angeheizt wurden, meist kurze Zeit, nachdem die Brennstoffe sich verzehrt hatten. Wenn auch ... die später angewandte Schüttelung der Roste ... die Brenndauer verlängert hat, so ist es doch nicht gelungen, das Feuer andauernd in gutem Zustande zu halten. Es wurde darnach der Versuch gemacht, das Müll dadurch brennbar zu machen, daß es vor der Einschüttung in den Ofen mit Brennstoffen gemischt wurde. Ein nennenswerther Vortheil hat sich daraus nicht ergeben.«
     Im März und April erfolgten eingehende mechanische und chemische Analysen. In der Asche fanden sich noch organische Stoffe - die Verbrennung war nicht vollständig.
     Von den bewilligten 100 000 Mark waren im Mai 1895 67 000 Mark verbraucht. Nach dem Zwischenbericht stimmten die Stadtverordneten zu, für das noch verbliebene Geld die Versuche weiterzuführen. Alles in allem kosteten sie insgesamt etwa 130 000 Mark und bedeuteten ein völliges Fiasko. Denn Londoner und Berliner Müll erwiesen sich als ganz verschieden. Ersterer brennt leicht und fast ohne Zusätze, da er eine Menge unverbrannter Kohleteilchen besitzt - Hamburg heizte mit Steinkohle; letzterer war durch seinen Gehalt an Braunkohlenasche - ganz Berlin befeuerte die Stubenöfen fast nur mit Briketts - nahezu unverbrennlich.
Das Fiasko

Im Juni 1899 aber wird vermeldet, daß »der neue Berliner Müll-Schmelzofen« am 8. März des Jahres in Betrieb gegangen sei. Inzwischen hatte sich auf privater Initiative die Gesellschaft »Müllschmelze«, Inhaberin eines Patents des Civil-Ingenieurs Wegener, gegründet, Versuche nach einem mit diesem Patent erbauten Ofen angestellt und angeblich völlig befriedigende Resultate erzielt. »Der Ofen arbeitet bis jetzt geruch-, rauch- und staublos, völlig tadelfrei. Augenblicklich werden bei Tag- und Nachtbetrieb 1 000 Centner Müll täglich geschmolzen. Die überschüssige Wärme ... ist leicht auszunutzen und würde bei Schmelzung des Berliner Gesamtmülls eine sehr erhebliche Anzahl von Pferdestärken ergeben. Die Schlacke hat man versucht zu zerstampfen und als Schmirgelmaterial zu verwenden. Dem Asphalt zugesetzt, soll sie diesem die Glätte nehmen.«7)
     Stadtrat Bohm und Regierungs-Baumeister Grohn begleiteten die Versuche dieser privaten Gesellschaft kritisch und kamen zu dem Schluß, daß »die Schmelzung in hygienischer Beziehung die beste Art der Beseitigung des Mülls« sei, die Kosten mit 17 Mark je Tonne aber zu hoch seien und »das Mauerwerk des Ofens voraussichtlich einer häufigen Reparatur«8) bedürfe.
     Nun, ein halbes Jahr später wurde es still um die erste Müllverbrennungsanlage Berlins, die sich in der Gitschiner Straße 15 befand. Die »Müllschmelze« GmbH hatte die Versuche mit einem Kostenaufwand von 600 000 Mark durchgeführt und gehofft,

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eine Konzession zur alleinigen Beseitigung des Mülls für 30 Jahre sowie einen Zuschuß von der Stadt zu erhalten, bis entsprechende Abnehmer der anfallenden Energie gefunden wären. Dazu war die Stadt entweder nicht bereit oder auch nicht in der Lage.
     In den 20er Jahren versuchte man erneut die Müllverbrennung - diesmal in Schöneberg -, die sich aber wiederum nicht »rechnete«. Innerhalb der drei Betriebsjahre stand die Anlage fast zwei Jahre wegen ständig anfallender Reparaturen am Ofen still. Und so gelangte der Berliner Müll weiterhin auf »behördlich konzessionierte Fäulnisherde«wie Wannsee, Schwanebeck, Schildow und ins weitere Umland.
     Das ließen sich aber die Naturschützer nicht gefallen. So warnten sie im Juni 1926, »daß wiederholt reizvolle und für den Wanderverkehr unentbehrliche märkische Landschaften durch massenhafte Anhäufung des reichshauptstädtischen Mülls in rücksichtsloser Weise zerstört und verpestet worden sind«. Mit aller Entschiedenheit forderten sie, »daß Berlin Mittel und Wege finde, um seinen Müll in hygienisch und ästhetisch völlig einwandfreier Weise zu beseitigen«, und, »daß die Frage, ob nicht verlassene Braunkohlentagebaue mit Müll zugeschüttet, hernach mit Erde bedeckt und aufgeforstet werden könnten, geprüft werde«.9)
     Dr. Hans Klose, Geschäftsführer der brandenburgischen Kommission für Naturdenkmalpflege, ergänzte: »Müllverbrennung bewährt sich wohl nur dort, wo infolge Steinkohlenfeuerung der Müll einen bestimmten Prozentsatz an Kohlenstoff noch enthält. Dieses Vorteils entbehrt aber der Berliner Müll, weil der Hausbrand mit Braunkohle unterhalten wird, deren Verbrennung kaum Kohlenstoff hinterläßt. Es würde daher zwecklos sein, hier die kostspielige Müllverbrennung vorzuschlagen, vielmehr handelt es sich um die Frage, wohin der Müll gebracht werden könnte, ohne größeren Schaden anzurichten. Die Beseitigung des reichshauptstädtischen Mülls, dessen tägliche Gesamtmenge im Sommer über 2 500, im Winter über 3 000 cbm beträgt, obliegt der >Berliner Müllabfuhr Aktiengesellschaft<. Da die Stadt jedoch über die Hälfte der Aktien dieses Unternehmens besitzt, kann man sie, bzw. den Magistrat, von der Verantwortung für die Maßnahmen besagter Gesellschaft nicht entbinden.« 10)
     »Der Schildower Müllberg wird einmal sein Ende erreichen«, führt er in einem Aufsatz aus. »Dann wird man ihn oben und an den Flanken mit Erde zu bedecken und mit passenden Bäumen aufzuforsten versuchen ... Was aber nie wieder gutgemacht werden kann, ist der Verlust der Landschaft.
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Und hierüber werden Oberbürgermeister, Magistrat und Stadtverordnete des Jahres 1960 oder 2000 ein Urteil fällen, bei dem ihre Vorgänger sich im Grabe herumdrehen werden.« 11)
     Nun, die Verantwortlichen der Stadt taten etwas anderes in den 60er Jahren: Sie nahmen in Ruhleben die erste rentabel arbeitende Müllverbrennungsanlage Berlins in Betrieb. Die Mängel waren inzwischen behoben. In Berlin wurde weit weniger mit Braunkohle geheizt als um die Jahrhundertwende und, was das entscheidende ist, der Heizwert des Berliner Mülls stieg um ein Vielfaches - dank der Verpackungsindustrie! Aber das enthebt die Verantwortlichen der Stadt nicht der Verpflichtung, weiterhin nach Lösungen zu suchen, den Müll umweltfreundlich zu entsorgen.

Quellen:
1 Ch. Mylius: Corpus Constitutionum Marchicarum, Berlin, 1740, 5. Theil, Abt. I, Cap. III, Nr. XVI
2 Vossische Zeitung, Berlin 1771, Nr. 60
3 E. Richter: Straßenhygiene. Handbuch der Hygiene, Verlag Gustav Fischer, Jena 1894, S. 195-196

4 Berlin und seine Bauten, Berlin 1896, Bd. I, S. 484
5 Th. Weyl: Bemerkungen über den Stand der Müllbeseitigung, mit besonderer Rücksicht auf Sortieranstalten, In: Fortschritte der Straßenhygiene, 1. Heft, Verlag von Gustav Fischer, Jena, 1901, S. 59-60
6 Vorlage Nr. 309 vom 11. Mai 1895, S. 312-314, In: LAB, Rep. 00/02, Nr. 282
7 W. Berdrow: Der neue Berliner Müll-Schmelzofen, In: Die Gartenlaube, 1899, S. 500
8 Bohm, Grohn: Bericht über die Versuche der Müllschmelze (Patent Wegener) GmbH, Berlin 1900, S. 1-22
9 Märkische Natur und Berliner Müll, In: Natur schutz, Jg. 7, 1926, S. 234-235, S. 238-240
10Ebenda
11Ebenda
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 2/1996
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