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Willi Schmelich
28. Februar 1881:
Bimmel-Bolle kommt

An jenem Morgen rollen die ersten drei Milchwagen der Meierei »Bolle« durch Berlins Straßen. Blaubebluste Jungen bimmeln vor den Häusern. Fortan fahren die Milchkutscher Tag für Tag von morgens um vier bis nachmittags etwa 30 Kilometer durch die Stadt und verkaufen frische Milch, Eier, Butter, Sahne. Diese Art Dienstleistung fand regen Zuspruch.
     Begründet hatte dieses Unternehmen der aus der Mark stammende Carl Bolle (1832-1910), der eigentlich Maurermeister und Pächter von Eisschuppen am Rummelsburger See war. 1879 eröffnete er am Lützowufer 31 einen Milchwirtschaftsbetrieb mit 30 Kühen. Hier verkaufte er im Garten seine »Kurmilch« und lieferte sie auch, in Flaschen abgefüllt, den Kunden ins Haus.
     Bald wurden die Räume am Lützowufer zu klein und Bolle baute eine neue, moderne Meierei in Alt-Moabit 99-103. Im März 1887 begann er mit 760 Beschäftigten den Meiereibetrieb. 130 Milchwagen fuhren jeden Morgen sämtliche Straßen und Plätze Berlins wie auch die Vororte nach einem festgelegten Tourenplan ab. Sieben Mitarbeiter kontrollierten die Fahrpläne der Wagen sowie die Einhaltung der Maße und Inhalte der Produkte vor Ort.

Es wurden regelmäßig Proben entnommen und diese in eigenen Laboratorien geprüft. Hier wurden auch neue Milchprodukte entwickelt. Bolle legte großen Wert darauf, daß seine Produkte unverfälscht zum Kunden gelangten.
     In der Meierei Alt-Moabit wurde zum größten Teil nur Milch aus eigenen Kuhställen verarbeitet, die außerhalb Berlins lagen. Es gab Räumlichkeiten für die verschiedensten Arbeitsgänge:
     Im Vollmilchausguß- und dem Sterilisationsraum wurden pro Tag ca. 60 000 Liter Milch in Kannen abgefüllt und versandfähig gemacht; in einer Milchzuckerfabrik wurde Molke zu Milchzucker verarbeitet und Kristallzucker zu Puderzucker gemahlen.
     Außerdem gab es die Käserei, den Zentrifugenraum, die Sahnekammer und Butterei, die Butterkammer, die Buttermilchkammer, den Kindermilchraum, die Milchausgabe, den Spülraum und die Kannenausgabe. Bolle legte besonderen Wert auf absolute Sauberkeit in der Produktion, so daß er auch eine eigene Wäscherei für die Berufsbekleidung seiner Mitarbeiter und sämtliche Wäsche der Meierei betrieb.
     1910 starb Carl Bolle im Alter von 78 Jahren als Geheimer Kommerzienrat, doch sein Unternehmen, die Meierei C. Bolle, wurde erfolgreich weitergeführt. Ab 1914 wurden die ersten Elektromobile als Lieferwagen eingesetzt - wurden Milchläden und Lebensmittelläden eröffnet.
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1923 errichtete das Unternehmen Bolle eine Margarinefabrik und nahm 1924 die Produktion von Eiscreme auf. 1925 folgte eine Schokoladenfabrik. 1926 kam bei Bolle die reine Buttermilch in Flaschen als Medizinalbuttermilch für Säuglinge auf den Markt. Da Milch als das Hauptnahrungsmittel für Säuglinge deklarierte, nahm dieSäuglingssterblichkeit rapide ab.
     1928 wurde zum ersten Mal die Bestrahlung der Milch durchgeführt und 1929 halbfeste Buttermilch hergestellt. Zur gleichen Zeit setzte das Unternehmen Bolle das erste Tankauto für Milch in Betrieb. 1931 wurde eine Lehrküche für Hausfrauen gegründet. 1937 wird die Dauererhitzung der Milch durch eine Kurzzeiterhitzung abgelöst und 1938 der Fruchtjoghurt eingeführt.

1939 hat das Unternehmen Bolle 2 900 Beschäftigte, und 1941 fahren in Berlin und Umgebung 320 Verkaufswagen mit der so typischen Bimmel. Heute gibt es Bolle-Verbrauchermärkte in Berlin, die schon lange nicht mehr in Familienbesitz sind. Ein Reihe von Bolle-Filialen wurden zum 1. Januar 1996 von der Spar Handels-AG übernommen, wogegen kurz vor Ausklingen des alten Jahres über 1 000 Mitarbeiter aus Furcht um ihren Arbeitsplatz demonstrierten. Die Meierei in Alt-Moabit existiert nicht mehr. Auf ihrem Gelände ist heute ein Bürozentrum.

Bildquelle:
P. Lindenberg,
»Berlin in Wort und Bild«, Berlin 1895

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 2/1996
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