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Jutta Schneider
20. Februar 1831:
Gründung der Universitätsbibliothek

Durch eine Kabinettsorder genehmigte König Friedrich Wilhelm III. (1770-1840) am 20. Februar 1831, 21 Jahre nach Gründung der Universität, die Anträge des preußischen Staatsministers Altenstein zur Errichtung einer ausschließlich für die Dozenten und Studierenden der Berliner Universität bestimmten Universitäts- Bibliothek. Besonders begeistert war der König von diesem Projekt allerdings nicht. In seiner Antwort an Altenstein, die als Stiftungsurkunde gilt, heißt es: »Die in Ihrem Berichte vom 19ten v. M. angeführten Gründe scheinen zwar die Anlegung einer besonderen Universitäts- Bibliothek bei der Benutzung der großen Bibliothek als nothwendig nicht zu motivieren, wenn sie indeß ohne besondre Inconvenienzien und ohne Belästigung der Staatsfonds eingerichtet werden kann, so will ich solche ... genehmigen ...« Er verfügte, daß der zur Erhaltung und zur Vermehrung der Bibliothek notwendige Fonds von 500 Talern jährlich aus den Überschüssen des von den Studierenden zu entrichtenden Holz- und Lichtgeldes zu erbringen ist.

Außerdem sollte von jedem Doktor bei seiner Promotion, von jedem Privatdozenten bei seiner Habilitation, von jedem neuernannten Professor bei seiner Anstellung oder Beförderung ein Beitrag von fünf Talern zu leisten sein.
     Die altehrwürdige große Königliche Bibliothek, seit 1780 im Barockbau am Opernplatz, der »Kommode«, untergebracht, hatte bis dahin auch als Universitäts- Bibliothek gedient und mehr oder weniger ihren Zweck erfüllt. Zum Zeitpunkt der Gründung der Universität galt sie schon als eine der bedeutendsten Bibliotheken Deutschlands. Sie war für Wilhelm von Humboldt, damals Chef der Sektion Kultus und Unterricht im preußischen Ministerium, schon 1810 bei der Wahl des neuen Universitätsortes Berlin besonders ausschlaggebend. Nachdem sich die Universität rasch entwickelte und in ihrer wissenschaftlichen Bedeutung wie in ihrem Umfange bald an der Spitze aller Hochschulen in Deutschland stand, zeigte sich, daß die Königliche Bibliothek den gewachsenen Ansprüchen nicht mehr gerecht werden konnte und auch nicht wollte. Ihrer Bestimmung nach war sie in erster Linie preußische National- oder Landesbibliothek. An der Universität aber hatte sich die Zahl der Lehrkräfte in 20 Jahren beinahe verdreifacht, und die Zahl der Studierenden verdoppelte sich allein zwischen 1817 und 1827 auf 1 800. Auch die Zahl der sonstigen Benutzer der Bibliothek wuchs an, denn es wurde auch außerhalb der Universität eine rege wissenschaftliche Tätigkeit betrieben.
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So mehrten sich die Klagen, daß die verlangten Bücher so selten greifbar wären. Es reifte der Plan für die Gründung einer eigenen Universitäts- Bibliothek. Im Februar 1829 wurde mit einem offiziellen Antrag von Rektor, Senat und Oberbibliothekar der Königlichen Bibliothek an das Preußische Kultusministerium dazu der entscheidende Schritt getan. Der Antrag wurde positiv aufgenommen.
     Ganz praktisch hatte auch ein anderer Umstand diesen Plan befördert. Mit einer Kabinettsorder vom 28. Dezember 1824 wurde das Pflichtexemplarwesen in Preußen geregelt. Jeder Verleger hatte ab 1. Januar 1825 je ein Pflichtexemplar an die Königliche Bibliothek und an die »einheimische« Universität unentgeltlich abzuliefern. Angesichts der Bedeutung von Berlin als Verlagsort schon im 19. Jahrhundert hatten sich so im Laufe der Jahre eine große Anzahl von Büchern Berliner und brandenburgischer Verlage in der Universität angesammelt, und man mußte sich mit ihrer Verwendung, Ordnung und Lagerung beschäftigen. Einige Vorschläge dazu, z. B. diese Bücher zu verauktionieren, kamen zum Glück nicht zum Tragen. Die angesammelten Pflichtexemplare bildeten zusammen mit einer Dublettensammlung der Königlichen Universität den Grundstock der neuen Universitäts- Bibliothek. Untergebracht war sie im sogenannten Dublettenzimmer der Königlichen Bibliothek, weil sich im Universitätsgebäude kein geeignetes Zimmer finden ließ.
Die Leitung wurde dem Oberbibliothekar der Königlichen Bibliothek und Geheimen Regierungsrat Prof. Dr. Friedrich August Wilken übertragen. Das Amt des Kustos übernahm der in der Königlichen Bibliothek tätige Dr. Moritz Eduard Pinder. Es galten die gleichen Bestimmungen wie für die Königliche Bibliothek. Das Recht, Bücher ohne besondere Erlaubnis auszuleihen, stand nur sieben Klassen »vorzüglich berechtigter Personen« zu. Studenten brauchten eine Bürgschaft der Professoren.
     Bereits am 27. Januar 1832 konnte Wilken dem Rektor und Senat berichten, daß die neugeschaffene Universitäts- Bibliothek betriebsfertig sei. Allerdings war der Bücherbestand mit 1 668 Bänden für eine Universitäts- Bibliothek mehr als kümmerlich. Dank der gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Verbindungen von Wilken und Pinder wuchs sie jedoch sehr schnell an durch Nachlässe, zahlreiche Geschenke und Legate namhafter Gelehrter, durch Überführung aus Klösteraufhebungen, durch Ankäufe ganzer Bibliotheken und auch durch akademischen Tauschverkehr. 1835 gingen die sprachwissenschaftlichen Werke aus dem Vermächtnis der wertvollen Bibliothek Wilhelm von Humboldts ein. 1838 legte das preußische Kultusministerium fest, daß von allen preußischen Universitäts- und Schulschriften ein Exemplar abzuliefern sei.
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Die Hochschulschriften der Berliner Universität wurden ab 1832 gesammelt. 1839 erschien erstmals ein gedruckter systematischer Katalog, der 1842 mit einem Supplement ergänzt worden ist. Im sogenannten Adlerschen Saal Unter den Linden Nr. 76 fand die Bibliothek von 1839-1854 eine neue größere Unterkunft. 1842 war der Bestand auf 15 000 Bände angewachsen. Als auch hier der Raum nicht mehr ausreichte und sich andere Mängel auswirkten, wurden Räume im ehemaligen Gebäude der Hauptverwaltung der Staatsschulden, Taubenstraße 29, bezogen, wo die Bibliothek 20 Jahren verbleiben sollte. Ein Neubau in der Dorotheenstraße 9, der bereits vor dem Deutsch- Französischen Krieg geplant war, konnte erst nach dem Krieg in den Jahren 1871 bis 1873 nach den Plänen des Baudirektors Spieker realisiert werden. 1902 mußte das Nebengebäude Dorotheenstraße 10 noch hinzugenommen werden. Einige Jahre später begann die Errichtung eines gemeinsamen Gebäudes für die Königliche Bibliothek und die Universitäts- Bibliothek in der Universitätsstraße, in dem sie sich noch jetzt befindet.
     Bis 1879 hatte die Bibliothek keinen festen Etat. Immer wieder wurde ihre Existenz aus finanziellen Gründen von preußischen Staatsbeamten in Frage gestellt. Professoren und Dozenten benutzten nach wie vor hauptsächlich die Königliche Bibliothek, die 1839 einen Jahresetat von 8 000 Talern hatte. So ist die Universitäts- Bibliothek bis 1870 über die Funktion einer Studienbibliothek nicht wesentlich hinausgegangen.
Ein Grund dafür war auch, daß sie in den ersten vier Jahrzehnten ihres Bestehens durch ihre Unterstellung unter die Königliche Bibliothek immer nur ein Anhängsel derselben war. Erst 1873 bekam die Universitäts- Bibliothek eine selbständige Leitung, wurde aber immer noch nicht der Aufsicht der Universität, sondern des Ministeriums unterstellt. Vor allem von 1871 bis 1918 entwickelte sich die Universitäts- Bibliothek zu einer modernen, rationell organisierten und leistungsstarken Bibliothek.
     Adolf von Harnack, Generaldirektor der Königlichen Bibliothek (siehe BM 2/1992), konnte 1906 in einer Denkschrift zur Lage des Berliner Bibliothekswesens feststellen, die Universitäts- Bibliothek sei »nach einem Vorstadium, in welchem sie nichts war als eine studentische Handbibliothek ..., erst vor wenig mehr als dreißig Jahren zu einer größeren Bibliothek ausgestaltet worden«.
     Heute beträgt der Bestand der Universitäts- Bibliothek mit der Zentralbibliothek und ihren 22 Zweigbibliotheken über 5,6 Millionen Einheiten. Mit über 1,2 Millionen Dissertationen, gesammelt von Anfang an, besitzt sie die größte Sammlung in Deutschland. 51 850 aktive Benutzer, 893 696 ausgeliehene und 566 342 im Lesesaal genutzte Bände (1994) sind Zeugnis für die große Resonanz und Leistungsfähigkeit dieser traditionsreichen Bibliothek.
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 2/1996
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