82   Geschichte und Geschichten Elise von Hohenhausen  Nächstes Blatt
Irina Hundt
Heinrich Heine war ständiger Gast

Im Salon von Elise von Hohenhausen wurde Byron verehrt

Die in der Rubrik »Nachrichten aus dem alten Berlin« auf den vorstehenden Seiten veröffentlichten Erinnerungen - bisher nur einmal vor 150 Jahren anonym erschienen - stehen hier erstmals unter dem Namen der Autorin und bergen außerdem eine kleine literaturhistorische Perle in sich: Sie berichten über genau jene Zeit, in der Elise von Hohenhausen und ihr damaliger Schützling Heinrich Heine Berichte aus der preußischen Hauptstadt für westdeutsche Provinzblätter schrieben. Nur eben, daß Heines Briefe aus Berlin in die Weltliteratur eingingen, Elises Briefe aus der Residenz dagegen kaum in den wenigen kleinen Arbeiten über sie erwähnt sind.
     Aus dieser Zeit, dem Berlin um 1822, an die Elise (eigentlich: Elisabeth Philippine Amalie) Freifrau von Hohenhausen, geb. von Ochs (1789-1857), erinnert, ist auch ihr Porträt überliefert, zu besichtigen im Kupferstichkabinett. Auf der etwa Ende 1822 entstandenen Zeichnung von Wilhelm Hensel schaut uns eine junge hübsche Frau mit lustigem koketten Blick aus großen, ausdrucksvollen Augen an.

Ganz so jung wie auf dem Bild war sie damals schon nicht mehr, aber schön auf alle Fälle, wie die Erinnerungen anderer Zeitgenossen bezeugen. Die Zeichnung entstand in Berlin, Jerusalemer Straße 35, in der Wohnung ihrer Freundin Helmina von Chézy (BM 1/96), einer damals berühmten Dichterin, und in Anwesenheit eines anderen Dichters und Freundes, des damals noch jungen Friedrich von Üchtritz. Und da Wilhelm Hensel in dieser Zeit auch zu den Dichtern zählte, kann man sagen, die Zeichnung entstand in der heiteren Atmosphäre von vier Dichtern - denn auch Elise war eine Dichterin und Schriftstellerin.
     Die gebürtige Kurhessin kam im Sommer 1820 mit ihrer Familie aus Minden nach Berlin. Ihr Mann, Regierungsrat Leopold von Hohenhausen, der in preußischen Diensten stand, hoffte, durch den befreundeten Kanzler Hardenberg eine bessere Anstellung als zuvor in Westfalen zu erlangen. Das Ehepaar von Hohenhausen war in den Berliner intellektuellen Kreisen nicht ganz unbekannt: Er als Autor einiger politischer und ökonomischer Schriften, Mitarbeiter mehrerer Zeitschriften, Mitbegründer und Redakteur des populären Mindener Sonntagsblatts; sie als die am Hofe des 1807 bis 1813 regierenden Königs von Westfalen, Jérôme, gefeierte »deutsche Recamier« und als Verfasserin des von der Jenaer Allgemeinen Litteratur-Zeitung gelobten Gedichtbandes Frühlingsblumen (1816) sowie anderer, in verschiedenen Zeitschriften erschienener Gedichte und Balladen.
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Auch ihre starke Beteiligung an der Herausgabe des Sonntagsblatts blieb nicht im Verborgenen. Jedoch am meisten bewunderten die Berliner Elises Verehrung des berühmten englischen Dichters Lord Byron und ihre nach damaligen Einschätzungen meisterhafte Übersetzung seiner Werke. Daher war es kein Zufall, daß es ihr in sehr kurzer Zeit gelang, einen der interessantesten Berliner Salons zu führen. Neben zahlreichen Literaten, Schauspielern, Gelehrten usw., die sich jeden Dienstag in ihrem Hause Unter den Linden 59, später in der Krausenstraße 10 versammelten, zog sie gerade solche begeisterten Verehrer des englischen Poeten wie Adelbert Chamisso, Fürst Pückler-Muskau oder Wilhelm Müllers Freund Georg von Blankensee an sich. Wenn Rahels Salon in die Geschichte der Berliner Geselligkeit als Ort einging, an dem der Goethe-»Kult« gepflegt wurde, so war Elises Salon ein Zentrum des Kults um Byron.
     Mit dem Fall der von Napoleon gegen England errichteten Kontinentalsperre im Jahre 1813 kamen verstreut, mit dem Siege der antifranzösischen Koalition verstärkt ab 1815 Nachrichten über die unerhört eigentümliche poetische Begabung eines neuen faszinierenden und schon von allerlei Legenden umwobenen englischen Dichters und seine bewunderten wie auch umstrittenen Werke. Elise, die die englische Sprache von Kindheit an wie eine echte Engländerin beherrschte, lernte seine Poesie als eine der ersten Deutschen
im Original kennen und begann sie sogleich eifrig zu übersetzen, vor bzw. zeitgleich mit der damals einsetzenden Byron-Übersetzungswelle. Die Poesie Byrons fiel in Deutschland auf einen von den Frühromantikern vorbereiteten fruchtbaren Boden und fand daher eine wesentlich positivere Aufnahme beim Publikum als in Frankreich und sogar in England selbst.
     In der Geschichte der literarischen Anerkennung Byrons in Deutschland als dem nach Shakespeare größten anglosprachigen Dichter spielte eine im Jahre 1820 von Hamburger Juristen und Literaten herausgegebene Anthologie englischer Dichter aus mehreren Jahrhunderten, darunter z. B. Thomas Morus', eine Pionierrolle. Diese Anthologie entstand unter der unmittelbaren Mitarbeit Elises und wurde an sie als Briefe an eine deutsche Edelfrau über die neuesten englischen Dichter gerichtet. Für ihren Wert spricht die Tatsache, daß Goethe nach ihrem gründlichen Studium die Ausnahmestellung Byrons erkannte und wie Elise zu einem von temporären Schwankungen freien Verehrer des britischen Lyrikers wurde. Die in Elises Erinnerungen geäußerte Meinung, Goethe habe Byron nicht verstanden, scheint erst später entstanden zu sein, denn noch 1825 stellte sie Goethes Aufsatz über Byrons Dichtung als Vorwort zu ihrer Übersetzung des Cain, die in die erste Gesamtausgabe, Lord Byrons Poesien, aufgenommen wurde.
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     Elise lebte nur vier Jahre in Berlin, hat aber in der kulturellen Geschichte der Stadt eine unvergeßliche Spur hinterlassen, nicht nur, weil sie einen »Byron«-Salon führte, sondern weil sie neben Rahel diejenige war, die den jungen Heinrich Heine in seinen Berliner Jahren unterstützte. Mehr noch, sie proklamierte zum ersten Mal den damals noch ganz unbekannten schüchternen »blassen Studenten« zum »deutschen Erben« des Lord Byron.
     Der Beginn der Freundschaft zwischen beiden geht auf Heines Hamburger Lehrjahre zurück, als Elise ihn erstmals im Mai 1818 in der Familie seines Onkels Salomon Heine in Hamburg sah. Sie war von seinem dichterischen Talent sogleich eingenommen und erkannte seine innere Verwandtschaft mit Byron. Heine hatte zwar dessen 1817 erschienenen Manfred schon gelesen, aber aller Wahrscheinlichkeit nach war es Elise, die sein Interesse an der Dichtkunst des Engländers und seine Übertragungen von Byron unterstützte, und sie tat das am stärksten während ihrer gemeinsamen Berliner Zeit. In ihrem Salon, den er regelmäßig besuchte, ermunterte sie ihn, seine Gedichte und die von starkem Einfluß Byrons zeugenden Tragödien Almansor und Ratcliff vorzutragen, und sie bescherte ihn mit ihrem »uneingeschränkten Lob« im Kreise vieler namhafter dichterischer Größen (zu den in den Erinnerungen genannten Persönlichkeiten muß
man noch Friedrich de la Motte Fouqué und seine ebenfalls schreibende Frau Caroline hinzufügen). Erst mit dem Erscheinen des ersten Gedichtbandes Heines (Ende Dezember 1821, datiert 1822), der auch einige Übertragungen Byronscher Gedichte enthielt, wurde vielen klar, wie recht Elise gehabt hatte. Und der Vergleich seiner Dichtkunst mit der des großen Engländers, die vorher bei vielen nur Spott weckte, bestätigte kein anderer als Karl Immermann in einer Rezension von Heines Gedichten im Rheinisch-Westfälischen Anzeiger. Auch sie selbst veröffentlichte als eine der ersten eine empfehlende Rezension in der Zeitschrift Westphalen und Rheinland.
     Die Freundschaft zu Heine bewahrte Elise bis zu seinem Tode, und er erwiderte diese Freundschaft mit seltener Innigkeit. Elise gehörte zu den wenigen, die er im Mai 1852, schon totkrank, gern bei sich in der rue d' Amsterdam 50 in Paris sehen wollte, und wir verdanken ihr und ihrer Tochter, ebenfalls eine Schriftstellerin und berühmte Berliner Salonniere der 1870er Jahre, eine der letzten zeitgenössischen Beschreibungen Heines. Beim Abschied schenkte er Elise zur Erinnerung sein Porträt, und sie verabschiedete sich auf ihre Art, mit dem Sonett: Ich stand an Deinem Lager Schmerz durchdrungen. Im Juni 1854 übersandte er zum letzten Mal »der schönen und geistvollen F. v. H. ... die poetischsten Abschiedsgrüße«.
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     Elises Gönnerschaft genossen auch weitere deutsche DichterInnen: Friedrich von Üchtritz, Ferdinand Freiligrath, Karl Immermann, Christian Grabbe, Annette Droste-Hülshoff u. a., indem sie sie mit Ankündigungen und wohlwollenden Rezensionen in der Presse, mit der Öffnung des Sonntagsblatts für ihre Publikationen, mit Empfehlungen an andere Herausgeber und Verleger oder mit einfacher menschlicher Ermunterung unterstützte.
     Die Bemühungen von Elises Gatten um eine Anstellung in Berlin zerschlugen sich mit dem unerwarteten Tod des Fürsten Hardenberg, und die Familie mußte nach Minden zurückkehren. In dieser Stadt ebenso wie in anderen, in die ihr Mann später versetzt wurde, bildete ihr Haus stets einen Mittelpunkt des geistigen Lebens. Sie blieb weiterhin dichterisch und publizistisch tätig, beendete die von Heine im Zweiten Brief aus Berlin erwähnte Übersetzung des Ivanhoe von Walter Scott und übertrug weiter aus Byron, Scott, Young, Tennyson und anderen englischen und nordamerikanischen Dichtern, beteiligte sich aktiv an der Herausgabe des Sonntagsblatts, schrieb Reisebücher und widmete sich der Erziehung und der Ausbildung ihrer zwei Töchter und des hochbegabten Sohnes.
     Ein schreckliches Ereignis, der Selbstmord des Sohnes im Jahre 1834, bald darauf der Tod ihrer ältesten Tochter und des Enkelsohnes, erschütterten sie in einem solchen Maße, daß sie in religiösmystischen Gedanken und Büchern Trost suchte, was auch in den vorstehenden Erinnerungen einen gewissen Anklang fand.
     Seit dem Tod ihres Mannes (1848) lebte sie in der Familie ihrer gleichnamigen und ebenso begabten Tochter, Elise von Rüdiger.
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 2/1996
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