97   Dokumentiert Dezember 1995  Nächstes Blatt
Es geschah gestern in Berlin:
Dezember 1995

Was gestern noch Schlagzeilen machte, ist heute fast schon wieder in Vergessenheit geraten. Wir dokumentieren deshalb Berliner Ereignisse aus der jüngsten Vergangenheit.

1. 12.
Die Senatsjustizverwaltung teilt mit, daß gemäß einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin die Oberbaumbrücke, die Friedrichshain mit Kreuzberg verbindet, zu Recht für den Autoverkehr ausgebaut wurde.
     Der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Burkhard von Walsleben, nennt die Forderung von SPD-Landeschef Dzembritzki, den Personalbestand der Berliner Polizei um 7 000 Stellen zu kürzen, absurd.

3. 12.
Die Finanzverwaltung Berlin kündigt für 1996 ein neues Finanzamt für Fahndung und Strafsachen an. Nach Schätzungen gingen dem Staat jährlich rund 140 Milliarden Mark durch Steuerhinterziehung verloren.
     Der Präsident des Landesrechnungshofes Berlin, Horst Grysczyk, erklärt in einem Interview über die desolate Haushaltslage der Hauptstadt, daß die Verschuldung Berlins die Fusion mit Brandenburg gefährde und den Spielraum der Politik einenge.
     Berliner Juniorenmeister im Querfeldeinfahren im Freizeitpark Lübars wird Florian Zanke (Zehlendorfer Eichhörnchen).

4. 12.
CDU-Wissenschaftssenator Manfred Erhard teilt mit, daß Berlin mit rund 15 000 ausländischen Studenten bundesweit eine Spitzenstellung einnimmt. Das entspricht einem Anteil von mehr als 10 Prozent an der Gesamtstudentenschaft.
     Der SPD-Landesausschuß stimmt Koalitionsverhandlungen mit der CDU zu. Die Mitglieder faßten diesen Beschluß mit 24 gegen 12 Stimmen.
     Die Industrie- und Handelskammer von Berlin stellt das Gutachten »Beschleunigung der Bauplanungs- und Baugenehmigungsverfahren« vor. Eine Verkürzung der Genehmigungsverfahren von zwei Monaten würde eine Ersparung von über 400 Millionen Mark bringen.

5. 12.
Das Welterbe-Komitee der UNESCO eröffnet seine Sitzung in Berlin. Mit der Sitzung vom 5. bis 9. Dezember tagt das Gremium erstmals in Deutschland.
     Die BVG schließt mit der schwedischen Firma »S & P« Verträge ab, denen zufolge als Pilotprojekt die U-Bahnhöfe Jannowitzbrücke, Lichtenberg und Rathaus Steglitz mit Ladenpassagen ausgestattet werden sollen.
     Ein Forschungsteam des Wissenschaftszentrums Berlin stellt das im Auftrag der Berliner Grundkreditbank erarbeitete neue Leitbild für den Wirtschaftsstandort Berlin »Berlin 2010 - Die >Venture Capital<« vor.

BlattanfangNächstes Blatt

   98   Dokumentiert Dezember 1995  Voriges BlattNächstes Blatt
6. 12.
In 23 Berliner und 13 brandenburgischen Krankenhäusern ermittelt die Wuppertaler Staatsanwaltschaft wegen des sogenannten Herzklappenskandals. Staatssekretär Detlef Orwat sagte, er wisse nicht, welche der 101 Krankenhäuser in Berlin betroffen sind.

8. 12.
Berlin verzeichnet einen leichten Anstieg seiner Bevölkerung. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes stieg die Einwohnerzahl im Erhebungsmonat Juni auf 3 470 245 an. Während die Zahl der Deutschen geringfügig zurückging, erhöhte sich die der Ausländer.
     Die Emmaus-Ölberggemeinde am Lausitzer Platz hat am 8. Dezember fast 500 Gäste zum Weihnachtsfest für Obdachlose unter ihr Kirchendach eingeladen.
     Die Preussen Devils besiegen in einer Eishockey-Bundesligabegegnung vor 3 975 Zuschauern in der Schöneberger Sporthalle die Füchse Sachsen mit 6:2 (0:0, 2:1, 4:1).

9. 12.
In Berlin gibt es rund 10 000 gemeldete Obdachlose. Schätzungen über die tatsächlichen Zahlen gehen von 10 000 bis 100 000 aus, sagte Frank Brose von der Senatsverwaltung für Soziales. Dadurch sei es auch schwierig, den Gesamtbettenbedarf zu ermitteln.
     Am Renntag in Karlshorst kommt Trainer Jorma Oikarinnen zu drei Tagessiegen. Mit der Stute Sisse Guy landete der Finne seinen 900. Sieg in Deutschland.
     Beim Eisschnellauf-Weltcup in Oslo kommt Claudia Pechstein, 5000-m-Olympiasiegerin, über 1 500 Meter auf einen dritten Platz. Nach dem Sieg über 3 000 Meter übernahm die 22jährige Athletin vom EC Berlin erstmals die Weltcupführung auf der Langstrecke.

10. 12.
Der Henschel Verlag, zu DDR-Zeiten führend bei Kunst- und Theaterpublikationen, feiert seinen 50. Geburtstag.
     Anläßlich des 150. Geburtstages des Kunsthistorikers und langjährigen Generaldirektors der Berliner Museen, Wilhelm von Bode, findet im Bodemuseum ein Festakt statt. Bundespräsident Herzog setzte sich für die Aufarbeitung des preußischen Erbes ein.

11. 12.
Bundespräsident Roman Herzog empfängt im Schloß Bellevue Vertreter muslimischer Organisationen in Deutschland zu einem Gespräch. Dies war die erste Begegnung eines Bundespräsidenten mit Vertretern der in Deutschland beheimateten Muslime.
     Das Grundbucharchiv Hohenschönhausen zieht nach Marienfelde (Tempelhof) um.
     Die »Pankgrafschaft von 1381 zu Berlin bei Wedding an der Panke«, ein wohltätiger Ritterorden, lädt 13 belorussische Kinder ein, für 300 Mark pro Kind Kleidung einzukaufen. Wolfgang Burbach, nach Rang ein »Oberritter«, verwaltet die Konten des Ordens.
     Im Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin in Dahlem wird eine Gedenktafel zur Erinnerung an die vom NS-Regime verfolgten und ermordeten Sinti und Roma enthüllt.

12. 12.
Für 200 freiwillige Blutspenden binnen 36 Jahren ehrt der Blutspendedienst des Roten Kreuzes den Weddinger Busfahrer Horst Hönow.
     Die ersten von insgesamt sechs Millionen Tonnen Erde, die für die Tiergartentunnel ausgebaggert werden müssen, werden auf Binnenschiffe verladen. So werden rund 300 000 Lkw-Fahrten in der Stadt vermieden.
     Die Siemens AG will in Berlin im laufenden Geschäftsjahr 1 200 Arbeitsplätze abbauen. Im Gegenzug sollen aber mittelfristig 500 neue Stellen auf zukunftsträchtigen Arbeitsgebieten entstehen, kündigte Siemens-Vorstand Wolfram O. Martinon an.

BlattanfangNächstes Blatt

   99   Dokumentiert Dezember 1995  Voriges BlattNächstes Blatt
13. 12.
Die diesjährige Reihe der einzigen privat initiierten Konzertreihe »Zeitklänge« im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt geht mit einem Konzert des Haba Quartetts aus Prag zu Ende. Um die Veranstaltungen im nächsten Jahr fortzusetzen, werden Sponsoren gesucht.
     In der Nacht zum Mittwoch ging im Briefverteilerzentrum Schönefeld erneut eine anonyme Bombendrohung ein. Die Nachtschicht stellt die Arbeit ein. Beamte des Bundesgrenzschutzes und des Zolls durchsuchen ohne Ergebnis die Räume.
     Die Polizei führt auf der Basis von 26 richterlichen Durchsuchungsbefehlen einen Großeinsatz durch. Betroffen war der mit Vietnamesen belegte Wohnheimkomplex in der Gehrenseestraße (Hohenschönhausen). Festgenommene leisteten keinen Widerstand.

14. 12.
Anläßlich des 70. Geburstages des Malers Walter Womacka wird im GEHAG-Forum eine Ausstellung mit Werken des Künstlers eröffnet. Womacka war von 1968 bis 1988 Rektor der Kunsthochschule Weißensee.
     Die ersten Mieter des Neubaugebietes Karow-Nord erhalten die Schlüssel. 5 200 Wohnungen sind geplant, von denen 38 fertiggestellt wurden. Die Planung sorgte anfangs für Aufregung, weil zunächst an keinerlei Verkehrsanbindung gedacht war.
     Das Deutsche Theater erinnert mit einer Ausstellung an Leopold Jessner (1878-1945), der vor 1933 Intendant des Preußischen Staatstheaters war. Gezeigt werden Fotodokumente, Programmzettel und Bühnenbildskizzen der wichtigsten Jessner-Inszenierungen.

15. 12.
Am Sachsendamm (Schöneberg) wird ein Teilstück der Stadtautobahn (A 100) von Bausenator Nagel dem Verkehr übergeben. Der Bau wurde im Streit zwischen DDR und Westberlin 30 Jahre lang verzögert und nach der Einheit in 34 Monaten fertiggestellt.
     Im Schloß Charlottenburg findet ein Festakt zu dessen 300jährigem Bestehen statt. Die Festansprache hält der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen.
     Gertrud Müller, die älteste Leierkastenfrau der Welt, feiert in aller Stille ihren 91. Geburtstag. Eine wächserne »Stellvertreterin« steht seit ihrem 90. Geburtstag im Panoptikum.

16. 12.
Die BVG setzt die ersten 12 dreitürigen Doppeldeckerbusse einer neuen Serie im Linienverkehr ein. Nach den Worten von Carmen Kirstein, Sprecherin der BVG, bieten sie mehr Komfort als die alten Doppeldecker.
     Im Hotel Excelsior erhält Bremens Ex-Bürgermeister Koschnik die Otto-Hahn-Friedensmedaille für seinen Einsatz als EU-Beauftragter in Mostar.
     Mit toten Ästen tragen 60 Gegner des Tiergarten-Tunnels vor dem Roten Rathaus symbolisch die Tiergarten-Bäume zu Grabe.

17. 12.
Der Schauspieler Armin Mueller-Stahl wird 65 Jahre alt. Nach seiner Ausreise aus der DDR 1980 folgten eine zweite deutsche und eine dritte internationale Karriere in Hollywood.

BlattanfangNächstes Blatt

   100   Dokumentiert Dezember 1995  Voriges BlattNächstes Blatt
18. 12.
Der neugestaltete Abschnitt der Stadtautobahn A 111 im Bereich der ehemaligen Grenzkontrollstelle Heiligensee wird übergeben. Damit wurde nach Mitteilung von Bernd Misch von der Senatsverkehrsverwaltung ein Unfallschwerpunkt beseitigt.
     Der Geschäftsführer der Berliner Marketinggesellschaft »Partner für Berlin GmbH«, von Boddin, stellt ein neues Konzept vor. Danach soll Berlin 1996 als »Stadt der Impulse« im Bewußtsein nationaler und internationaler Investoren verankert werden.
     Für die Ausstellung »Gewalt gegen Mädchen und junge Frauen und Wege des Ausbruchs« hat Senatorin Christine Bergmann (SPD) den Frauenpreis 1995 verliehen. Den Preis teilen sich Constance Schall, das autonome Mädchenhaus und der Verein »Bauen für Frauen«.

19. 12.
In der Schwartzschen Villa in der Grunewaldstraße 55 werden Drucke von Karl Schäfer ausgestellt.
     Im Grunewalder Senatsgästehaus in der Menzelstraße beginnen die Koalitionsverhandlungen zwischen den bisherigen Regierungsparteien CDU und SPD.
     Daniel Barenboim dirigiert in der Philharmonie Bruckners 3. Sinfonie d-Moll und Mozarts Klavierkonzert C-Dur (K 415).

20. 12.
Das »Berliner Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt« wird als bisher einmaliges Modell wegweisend für die gesamte Bundesrepublik vorgestellt.
     Eine Ausstellung mit Exponaten aus dem Märkischen Museum unter dem Titel »Vom Brandenburger Tor bis zum Alexanderplatz - Berlins Mitte in Handzeichnungen des 19. Jahrhunderts« wird von Museumsdirektor Reiner Güntzer im Ephraimpalais eröffnet.
     Die Oberfinanzdirektion Berlin übergibt 22 großformatige Bilder bekannter DDR-Künstler aus dem Palast der Republik als Dauerleihgabe an das Deutsche Historische Museum.
     Der Senat vergibt erstmals den Berliner Solarpreis »Solar City« an innovative Firmen und Entwickler der Stadt. Sechs Preisträger erhielten je 7 000 DM.

21. 12.
Zum 200. Geburtstag des Historikers Franz Leopold von Ranke legt Wissenschaftsstaatssekretär Erich Thies auf dem Kirchhof der Sophiengemeinde (Mitte) einen Kranz nieder.

22. 12.
Im Bundesbaumisterium erhält das Berliner Ingenieurbüro ATD Tepasse GmbH den Zuschlag für die Asbestsanierung des Palastes der Republik. Eine Entscheidung über den Abriß oder einen Neuausbau des Palastes wurde bisher nicht gefällt.
     Mieter der Künstlerkolonie in Wilmersdorf protestieren mit 180 Unterschriften in der Senatsbauverwaltung gegen den Verkauf der 669 Mietwohnungen an die VEBA.
     Carl Orffs »Carmina burana« erleben eine umjubelte Premiere an der Deutschen Oper. Die Inszenierung hatte Götz Friedrich übernommen.

BlattanfangNächstes Blatt

   101   Dokumentiert Dezember 1995  Voriges BlattArtikelanfang
23. 12.
Die Verwaltung des Botanischen Gartens in Dahlem gibt bekannt, daß ab 1. Januar 1996 die Eintrittspreise erhöht werden. Eine Tageskarte, die bisher 4,00 DM kostete, kostet 4,40 Mark. Für die Jahreskarte sind 60 statt bisher 50 Mark zu zahlen.

25. 12.
Die Berliner Feuerwehr meldet bis gegen 13 Uhr rund 500 Rettungseinsätze. Wie der Feuerwehr-Lagedienst mitteilte, waren es sonst am Ersten Feiertag bis zu diesem Zeitpunkt lediglich etwa 350 Einsätze.

26. 12.
In den frühen Morgenstunden stecken unbekannte Täter an der Lindenstraße/Ecke Müllerstraße (Lichterfelde) einen Pkw und einen Lkw in Brand.
     Bei einem Wohnungsbrand in der Schliemannstraße (Prenzlauer Berg) kommen zwei Menschen ums Leben. Die Opfer gehörten der Hausbesetzerszene an.

27. 12.
Der Schauspieler Erwin Geschonnek feiert seinen 89. Geburtstag. Aus diesem Anlaß zeigte das Kino Börse vom 14. Dezember bis zum 20. Dezember 1995 eine Reihe von DEFA-Filmen, in denen Erwin Geschonnek mitgewirkt hat.
     Das Hinterhaus der Schliemannstraße 10 wird im Auftrag des Bezirksamtes Prenzlauer Berg verbarrikadiert. Am Tage zuvor waren dort bei einem Brand zwei Menschen ums Leben gekommen.

28. 12.
Polizeipräsident Hagen Saberschinsky rechnet in den nächsten Jahren mit einem weiteren Anstieg der Kriminalität in Berlin.
     Finanzsenator Elmar Pieroth verteidigt den geplanten Verkauf von Bewag-Anteilen durch das Land Berlin.
     Die Schauspielerin und Chansonsängerin Hildegard Knef, die in den Nachkriegsjahren am Kurfürstendamm- und im Schloßpark-Theater auf der Bühne stand, feiert ihren 70. Geburtstag.

29. 12.
In der Ladengalerie am Kurfürstendamm (Charlottenburg) wird eine Ausstellung der Malerin Ingeborg Leuthold eröffnet. Diese Retrospektive aus nahezu 40 Jahren weist die 70jährige Berliner Künstlerin als Realistin aus, schreibt die »Berliner Zeitung«.
     Ein »Förderkreis der Freien Deutschen Jugend« wendet sich »an alle Freunde einer antifaschistischen, demokratischen und linksoppositionellen Jugendbewegung«. Zu den Erstunterzeichnern zählen unter anderen Hans Modrow und Radweltmeister Täve Schur.

30. 12.
Neun Mädchen werden verletzt, als beim Gedränge vor einem Pop-Konzert in Treptow ein Bauzaun umgestoßen wird. Alle Verletzten werden in Krankenhäuser gebracht, eine Schwerverletzte muß am Unfallort wiederbelebt werden.
     Berlin registriert den kältesten Tag des Jahres. Auf den Flughäfen wurden Temperaturen von -12 Grad (Tegel) und -18 Grad Celsius (Schönefeld) gemessen. Im Eiskeller bei Spandau registrierte man -18 Grad.
     Kurz vor Vollendung seines 67. Lebensjahres stirbt in Berlin der Dramatiker Heiner Müller.

31. 12.
Der Vertrag mit dem Chefregisseur und Direktor der Komischen Oper, Harry Kupfer, wird bis zum Jahr 2002 verlängert.
     Ulrich Misgeld, Vorstandssprecher der Berliner Volksbank, erklärt, daß er die Berliner Volksbank im richtigen Fahrwasser sehe. Mit dem Ergebnis von 1995 sei man zufrieden. Die B. V. beschäftigt mehr als 2 000 Mitarbeiter.

BlattanfangArtikelanfang

© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 2/1996
www.berlinische-monatsschrift.de