55   Berlin im Detail Poststraße 16/ Ecke Molkenmarkt  Voriges BlattNächstes Blatt
Dagmar Claus
Poststraße 16/ Ecke Molkenmarkt

Hinter dem Roten Rathaus, dort, wo Spandauer und Stralauer Straße aufeinandertreffen, liegt der Molkenmarkt. Hier kreuzten sich im 13. Jahrhundert die Handelswege aus Magdeburg, Meißen, Brandenburg, Spandau, Hamburg, und Königsberg. Der Weg der Händler führte durch das Spandauer oder Stralauer Tor, die gleichnamigen Straßen entlang direkt auf den Molkenmarkt zu. Andere Kaufleute kamen über den Mühlendamm auf diesen ersten Marktplatz erlins. Hier stand das Rathaus, hier schlug manch armem Sünder das letzte Stündlein, denn der Platz diente der Militärjustiz bis 1686 als Galgenplatz.
     Wie die ersten Häuser aussahen und wer in ihnen wohnte, ist nicht überliefert. Von 1450 bis 1739 stand an der Ecke Molkenmarkt/ Poststraße - heute befindet sich an dieser Stelle das Ephraimpalais - Berlins erste Apotheke. Rechnungen aus den Jahren 1468/69 belegen das - der Hof kaufte Zuckerwerk beim Apotheker Johann. Diesem Apotheker - es handelte sich um Johannes Tempelhoff - stellte der Rat der Städte Berlin und Cölln 1481 das Apothekenprivileg aus.

Damit durfte nur er in Berlin/ Cölln Luxuswaren (Zucker, Konfekt, Branntwein), Gewürze und Arzneien vertreiben. 1488 wurde das Eckhaus als Ratsapotheke erwähnt, und ein Apotheker mit Namen Zehender erhielt das begehrte Privileg. Sein Nachfolger war Peter Hohenzweig, der die Witwe Zehenders heiratete und 1520 den Apothekereid leistete.
     Die Inhaber der ehemaligen Tempelhoffschen Apotheke waren gleichzeitig Hofapotheker, bis dieses Privileg 1585 auf die neugegründete Schloßapotheke überging. Apotheker waren im 16./17. Jahrhundert reiche Leute. Sie gehörten zu den Großkaufleuten und waren oft auch Ratsherren.
     Im Jahre 1610 kaufte Lorenz Bethel für 600 Taler die Apotheke. 1643 ging sie in den Besitz des Apothekers Joachim Tonnenbinder über. Dieser war ein vermögender Mann, der es selbst in den Notzeiten des Dreißigjährigen Krieges zu Wohlstand und Ansehen brachte und im Berliner Umland mehrere Güter erwerben konnte. Als er 1673 starb, übernahm sein Sohn Hans Heinrich die Apotheke und führte sie ebenfalls bis zu seinem Tode 1688. Das Haus, das er seinem Sohn Hans Joachim Tonnenbinder hinterließ, war nicht unterkellert und mit den Jahren baufällig geworden. Kurfürst Friedrich III. forderte ihn deshalb auf, einen repräsentativen Neubau zu errichten. Der neue Eckbau war dreigeschossig und ragte viel weiter in die Poststraße hinein als sein Vorgänger.
BlattanfangNächstes Blatt

   56   Berlin im Detail Poststraße 16/ Ecke Molkenmarkt  Voriges BlattNächstes Blatt
Der zusätzliche Baugrund gehörte aber gar nicht den Tonnenbinders, sondern einem Leutnant Covalsky, der Klage erhob. Ein Gericht verurteilte den Apotheker zu 35 000 Talern Schadensersatz. Das neue Haus wurde zwar nun nach seinem Besitzer das Tonnenbindersche Haus benannt, aber der Apotheker war ruiniert. In Berlin gab es damals außerdem zu viele Apotheken: 17 deutsche und vier französische. 1720 meldete Tonnenbinder Konkurs an, und das Gebäude Poststraße 16 wurde an den Rat Christian Köppen verkauft. Die Apotheke erwarb der Geselle der Schloßapotheke Johann Carl Faber. Bis 1739 bestand sie unter seinem Namen fort.

Der Mühlendamm mit dem Ephraim'schen Hause
BlattanfangNächstes Blatt

   57   Berlin im Detail Poststraße 16/ Ecke Molkenmarkt  Voriges BlattNächstes Blatt
Der Grundstücksbesitzer Köppen vermietete Teile des Hauses an unterschiedliche Unternehmen. So wurde z. B. 1727 im 3. Stock des Eckhauses Poststraße 16/ Molkenmarkt eine kommerzielle Zeitung gedruckt, die »Wöchentlichen Berlinischen Frage- und Anzeigungs- Nachrichten«. Nach Köppens Tod 1761 verkauften seine Erben das Gebäude für 16 500 Taler an den Bauern Lindemann, der es schon ein halbes Jahr später (Juni 1662) an die Firma Ephraim und Söhne veräußerte.
     Für einen Geschäftsmann befand sich das Haus in äußerst günstiger Lage. Das Gebäude, ein Eckhaus, schaute mit dem Eingang zum Molkenmarkt, während die Seiten in die Poststraße bzw. in Richtung Mühlendamm ragten. Der Mühlendamm, damals eine bebaute Brücke mit vielen Geschäften, führte direkt auf den Molkenmarkt, der ein wichtiger Marktplatz Berlins war.
     Von 1762 bis 1766 ließ der neue Besitzer das Haus umbauen und mit einer schönen Rokokofassade versehen. Veitel Heine Ephraim (1703—1775) war Pächter der preußischen Silber- und Gold- Manufaktur, Hofjuwelier und Bankier Friedrichs II. Als Lieferant der Berliner Münze bestimmte er den Silberpreis in der Stadt und wurde vor allem durch Kreditgeschäfte mit einträglichen Zinsen reich. Auch Friedrich II. lieh wiederholt Geld und Juwelen bei Ephraim. Berüchtigt wurde Ephraim, als er auf Anweisung Friedrichs den Edelmetallgehalt der Münzen herabsetzte (Münzverschlechterung) und Falschmünzerei betrieb, um für Friedrich den Siebenjährigen Krieg zu finanzieren.
Da auch er dabei nicht schlecht verdiente, konnte er das Haus Poststraße 16 zu einem prächtigen Bürgerpalais umbauen lassen. Baumeister war Friedrich Wilhelm Diterichs, damals bereits im 60. Lebensjahr. Der Umbau des Tonnenbinderschen Hauses ist sein Alterswerk und der bedeutendste Bau dieses Architekten, der in Berlin auch das Prinzessinnenpalais, die Böhmische Kirche und das Ermelerhaus baute bzw. umbaute.
     Auf seinen Rat kaufte Ephraim den Vorplatz vor seinem Haus noch dazu. Ursprünglich standen hier in der Verlängerung des Mühlendamms Verkaufsstände. Diterichs Umbau war ein Kleinod im Rokokostil, mit freistehenden Doppelsäulen, Doppelpilastern, zierlichen vergoldeten Balkongittern. Die pyramidenartig angeordneten Balkone sind zusätzlich durch Putten geschmückt. Die Säulen stammen angeblich von dem im Siebenjährigen Krieg verwüsteten Schloß des sächsischen Premierministers von Brühl. Um seinen Feind zu demütigen, ließ Friedrich die Säulen dort entfernen und schenkte sie seinem Münzjuden.
     Hinter seinem Haus Poststraße 16 errichtete Ephraim im Oktober 1764 eine Silberraffinerie. Das Palais in der Poststraße 16 benutzte er z. T. als Lager und als Verkaufsfläche für die Waren der Silberraffinerie und Seidenfabrik, die sich am Wilhelmsplatz befand. Als 1766 das Palais in der Poststraße 16 fertiggestellt worden war, wurden die Silberraffinerie und die Lager an den Schiffbauerdamm verlegt. Die frei gewordenen Räumlichkeiten wurden nun an die General- Tabak- Administration verpachtet.
BlattanfangNächstes Blatt

   58   Berlin im Detail Poststraße 16/ Ecke Molkenmarkt  Voriges BlattNächstes Blatt
In einem Inserat vom April 1767 bot Ephraim in seinem Palais Kaufleuten drei, vier und mehr Zimmer sowie Läden zur Miete an. Die Läden lagen an der Mühlendammseite im Erdgeschoßbereich.
     Warum diese scheinbar zweckentfremdete Benutzung? Das Haus war als Bürgerhaus außergewöhnlich geräumig und bot mehr Platz, als eine Familie benötigte. Deshalb war es nur natürlich, Teile des Palais als Verkaufs- und Geschäftsräume zu vermieten. Dem Palais in der Wilhelmstraße ging es nicht anders.
     Erwiesen ist, daß Ephraim mit seiner Familie im Haus gewohnt hat, denn es gab einen Rechtsstreit mit den Nachbarn, von denen er sich observiert und durch Lärm und Betriebsamkeit belästigt fühlte. Beide Prozesse gingen zu Ungunsten Ephraims aus.
     Knapp 50 Jahre nach seinem Tode war das Gebäude noch im Familienbesitz. Die Enkelgeneration verkaufte es 1823 an den Kaufmann Karl Heinrich Ulrici, der schon Teile der ehemaligen Tabak- Administration erworben hatte und im Hof des Hauses eine Tabakmühle errichtete. Er bezahlte für seinen neuen Besitz 58 500 Taler, konnte ihn aber schon 20 Jahre später für 185 000 Taler an den Staat weiterverkaufen. In das Gebäude selbst zogen Staatsbehörden ein, wie das »Bureau des Königlichen Policei- Präsidii« und das Einwohnermeldeamt.
Die höheren Polizeibeamten hatten hier ihre Dienstwohnungen. Das Erdgeschoß auf der Mühlendammseite war wie eh und je an Kaufleute vermietet. Als 1873 die Mühlengrundstücke an den Kaufmann Hermann Geber veräußert wurden, gehörten auch die Gebäude in der Poststraße 16 dazu. An der Mühlendammseite befanden sich noch vier Läden, die der Besitzer vermietete. Geber verkaufte 1880 das Palais an die Preußische Immobilien- Actienbank, die dem Staat gehörte. 1888 wurden die Straße für den anwachsenden Verkehr verbreitert und das Schleusensystem ausgebaut. Der Mühlendamm wurde um 1,20 Meter angehoben. Dadurch mußte der Ladenbereich des Ephraimpalais überbaut werden. Das Erdgeschoß in der Poststraße und das in der Mühlenstraße waren nun einander angeglichen. Durch die Anhebung des Straßenniveaus mußten die Länge und der Durchmesser der Säulen verändert werden.
     1930 erforderte der angewachsene Verkehr auf der Straße und dem Fluß erneut eine Vergrößerung der Schleuse und eine Verbreiterung des Molkenmarktes und der Mühlendammbrücke. Über die Brücke fuhren damals, neben den LKWs und Autos, 17 Straßenbahn- und zwei Buslinien. 1936 wurden das Ephraimpalais und das Gebäude Poststraße 15 abgebrochen.
BlattanfangNächstes Blatt

   59   Berlin im Detail Poststraße 16/ Ecke Molkenmarkt  Voriges BlattArtikelanfang
Säulen, Putten, Balkongitter, Schlußsteine, Balkonplatten, Gesimsteile, das Treppengeländer und die Wandtäfelung wurden numeriert - insgesamt waren das 2 493 Stücke. Diese wurden provisorisch auf dem Eckernförder Platz im Wedding gelagert. Bis 1956 waren sie hier deponiert, der Witterung ausgesetzt. Noch mehrmals wechselten sie ihren Standort innerhalb Berlins, bis sie 1980 in die Nähe des Berlin- Museums kamen, da der Wiederaufbau an dieser Stelle geplant war. An dem riesigen Kostenaufwand, 30 Millionen DM waren berechnet worden, scheiterte das Vorhaben. 1982 beschloß das Abgeordnetenhaus, die Teile des Ephraimpalais zum Wiederaufbau des Nikolaiviertels zur Verfügung zu stellen.
     Der historische Standort war durch die Veränderungen des Mühlendamms nicht mehr vorhanden. Deshalb wurde das Palais ca. 12 Meter in die Poststraße hineingesetzt, also auf den ehemaligen Baugrund des Hauses Poststraße 15.
     Für den Wiederaufbau beschränkte man sich auf den Kernbau von Diterichs, d. h. die Veränderungen des 19. Jahrhunderts fielen weg. Die Sandsteinteile mußten eingehend restauriert werden, viele bedurften sogar einer einfühlsamen Ergänzung bzw. Neuschöpfung.
     Das Treppenhaus und die ovalen Räume entstanden erneut in ihrer ursprünglichen Pracht und Harmonie.
Die Stuckdecke, die Schlüter einst für das Wartembergsche Palais Rathausstraße/ Ecke Burgstraße geschaffen hatte, fand hier ein neues Domizil. Die prachtvolle Täfelung des chinesischen Zimmers allerdings gehört zu den Kriegsverlusten und war nicht mehr zu rekonstruieren. Übergeben wurde das Haus 1987, aus Anlaß der 750-Jahr- Feier Berlins. Heute gehört es zum Märkischen Museum und zeigt in wechselnden Ausstellungen Werke Berliner Maler und Graphiker. Noch bis 1997 kann »Berliner Malerei von Blechen bis Hofer« angeschaut werden.

Bildquelle:
Max Ring, »Die deutsche Kaiserstadt Berlin und ihre Umgebung«, Leipzig 1883

BlattanfangArtikelanfang

© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 2/1996
www.berlinische-monatsschrift.de