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Der Streit um einen Nebel und seine Folgen

Die Archenhold-Sternwarte wird 100 Jahre alt

Dieter B. Herrmann, seit 1976 im Amt, ist der sechste Direktor der heute ältesten Volkssternwarte Europas, die seit 1946 den Namen ihres Begründers trägt. Sie verdankt ihre Existenz der Berliner Gewerbeausstellung, die vor hundert Jahren in Treptow stattfand. Wir sprachen mit dem Physiker über die Geschichte der Astronomie in Berlin, in der die Archenhold-Sternwarte keinen unwesentlichen Platz hat.

Vielleicht gäbe es heute die Sternwarte in Treptow nicht, hätte da nicht der junge Astronom Friedrich Simon Archenhold einen Nebel entdeckt.
     Dieter B. Herrmann: Archenhold war damals Mitarbeiter der von Wilhelm Foerster geleiteten Universitätssternwarte und hatte im Grunewald eine Außenstelle dieser Sternwarte eingerichtet. Am 27. Oktober 1891 entdeckte er mittels einer amera einen ausgedehnten Nebel im Sternbild Perseus. In der Nähe war ein von einem merikaner entdeckter Nebel bekannt, mit dem neu gefundenen aber nicht identisch.

Als Archenhold darüber in einer Fachzeitschrift berichten wollte, ließ der Herausgeber den neu entdeckten Nebel nicht gelten und meinte, es handele sich um den längst bekannten. Dann ging der Streit los, ob es sich nun um einen neuen Nebel handelte. Das ließ sich in Deutschland nämlich wegen fehlender großer Fernrohre nicht überprüfen. Verständlich, daß sich Archenhold darüber mächtig ärgerte, zumal Deutschland ja als Wiege der Optik und Feinmechanik galt.

Als Archenhold seinen Wunsch nach einem großen, leistungsfähigen Fernrohr verwirklichen wollte, stieß er auf ein heute noch bekanntes Hindernis: Es fehlte Geld. Wie hat Archenhold die Mittel aufgetrieben?
     Dieter B. Herrmann: Zum 25jährigen Jubiläum Berlins als Reichshauptstadt war für 1896 eine große Gewerbeausstellung in Treptow geplant. Da Archenhold nach einem negativen Gutachten durch die Akademie der Wissenschaften von der Stadt kein Geld erwarten konnte, setzte er auf die Idee, das Fernrohr auf der Gewerbeausstellung aufzustellen und mit den dort erzielten Einnahmen die Kosten zurückzuerstatten. Nach der Gewerbeausstellung sollte es von Treptow in den Grunewald kommen. Archenhold hat also nicht daran gedacht, hier in Treptow eine neue Sternwarte zu errichten, zumal es ja auch schon die Urania-Sternwarte in Berlin gab.

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Archenhold konnte die Mittel von Privatpersonen auftreiben, im Juli 1895 erging an Schott & Genossen in Jena der Auftrag zur Herstellung von zwei Glasblöcken mit 65-75 cm Durchmesser, die dann an die Firma Steinheil zum Schleifen und zur Herstellung des Objektivs kamen.

Als der Kaiser am 1. Mai 1896 die Gewerbeausstellung feierlich eröffnete, war das Riesenfernrohr noch nicht fertig. Die Inbetriebnahme verzögerte sich bis zum September. War das nicht eine Katastrophe für Archenhold?
     Dieter B. Herrmann: Was die finanzielle Seite betraf, bestimmt. Als die Gewerbeausstellung schloß, hatte Archenhold keinen Pfennig in der Kasse. Aber das Interesse für die Himmelskanone, wie das große Fernrohr von den Berlinern bald genannt wurde, war immens. Schon als das den Refraktor umgebende Holzgebäude nebst Ausstellungsräumen und Vortragssaal fertig war, strömten viele zu den Vorträgen, die Archenhold quasi zur Überbrückung hielt. Und er erlebte hier erneut, was in Berlin seit den Kosmos-Vorlesungen von Alexander von Humboldt in den Jahren 1827/28 bekannt war: ein riesengroßes Interesse für Astronomie. Von den Himmelskörpern mehr zu erfahren, als das bloße Auge erkennen läßt, beflügelte die Phantasie und regte zum Nachdenken an. Nicht umsonst trug die 1888 gegründete Gesellschaft, die wissenschaftliche Erkenntnisse der Öffentlichkeit zugänglich machen sollte, den Namen der Muse der Sternenkunde, Urania.

     Eines großen Interesses sicher, bat Archenhold um die Genehmigung, das Fernrohr auch nach Schließen der Gewerbeausstellung noch in Treptow stehen lassen zu dürfen, statt es, wie er es eigentlich geplant hatte, nach dem Grunewald zu bringen. Der Magistrat erteilte sie ihm, wörtliches Zitat, »bis auf weiteres«. Dieses Genehmigungsschreiben gilt heute als Gründungsurkunde der Sternwarte, die sich dann vor allem der öffentlichen Vermittlung von Wissen verpflichtet fühlte.


Die Königliche Sternwarte an der Nordseite

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Der Riesenrefraktor mit dem Holzbau aus den Anfangsjahren.
Aufnahme von 1898
Die erste Volkssternwarte Europas entstand knapp 200 Jahre nach Gründung der ersten Berliner Sternwarte, die ja nach Greenwich in London und Paris die dritte in Europa war. Was hatte 1700 zu dieser Gründung geführt?
     Dieter B. Herrmann: Um diese Zeit entwickelte sich die Hochseeschiffahrt in Europa. Und die Schiffahrt war nur sicher zu betreiben, wenn man sich auf See orientieren konnte, was damals ausschließlich nach astronomischen Beobachtungen geschehen konnte. In England hatte man für die Orientierung der Schiffe auf See sogar einen Preis ausgesetzt, weil es natürlich auch ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor war, wenn wertvolle Schiffsladungen verlorengingen. Kalender, die aufgrund astronomischer Beobachtungen entstanden, waren also eine wichtige Angelegenheit, mit der sich auch Geld verdienen ließ. Die Berliner Sternwarte ist mit der Akademie der Wissenschaften gegründet worden. Die Sternwarte hatte das Kalendermonopol. Und der Verkauf der Kalender war als finanzielle Grundlage der Akademie gedacht.
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1700 gab es die Institution Sternwarte, sie hatte aber noch kein Gebäude. Wie konnte sie dennoch arbeiten?
     Dieter B. Herrmann: Zuerst war eine Sternwarte nicht mehr als ein Fernrohr mit einem Mann dahinter. Gottfried Kirch, der von 1639 bis 1710 lebte und der erste Akademie-Astronom war, hat den Jupiter noch durch die Wäsche beobachtet, die auf dem Dachboden hing. Dann konnte er das Haus Bernhard von Krosigks in der Wallstraße nutzen, das durch spezielle Baugestaltung bessere Bedingungen bot und so zur ersten Sternwarte wurde. Das erste Observatorium der Akademie wurde erst 1711 in Betrieb genommen, es lag in der Dorotheenstraße.
Was die instrumentelle Ausstattung betraf, konnte Berlin lange nicht mit London und Paris mithalten. Das änderte sich, nachdem 1835 ein Neubau bezogen werden konnte, der auch durch Unterstützung Alexander von Humboldts zustande gekommen war. Von dieser Sternwarte erfuhr dann die ganze Welt.
     Dieter B. Herrmann: Weil am 23. September 1846 hier der Planet Neptun entdeckt wurde. Eine Geschichte übrigens, die zeigt, daß bei solchen Entdeckungen auch der Zufall eine Rolle spielt. Den Zufall sehe ich darin, daß an diesem Tag Johann Franz Encke, Leiter der Sternwarte und ein anerkannter Fachmann, seinen 55. Geburtstag feierte.
Die Sternwarte nach dem Umbau.
Aufnahme von 1915
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     Zur Vorgeschichte: Der 1781 in England entdeckte Planet Uranus verhielt sich merkwürdig, er taumelte, bewegte sich nicht so, wie er es theoretisch hätte tun sollen. Daraus schloß der junge Astronom Leverrier, der an der Pariser Sternwarte wirkte, daß es einen Planeten geben muß, der diese Störungen verursacht. Und er hat die Stellung dieses noch unentdeckten Planeten berechnet. Natürlich entbrannte ein Streit, und viele sogenannte seriöse Astronomen lehnten das als völligen Quatsch ab. Leverrier stand im Briefwechsel mit einem jungen Berliner Astronomen namens Galle. Dem schrieb er, wann der Planet vermutlich am Himmel zu entdecken wäre, dessen Stellung er berechnet hätte. Normalerweise hätte Galle von Encke nicht die Genehmigung zur Beobachtung erhalten, aber sein 55. Geburtstag stimmte ihn wohl milde. Galle durfte durchs Fernrohr schauen und hat ganz in der Nähe von Leverriers Berechnungen den Neptun gefunden. Seit der Antike sind übrigens nur drei große Planeten entdeckt worden, 1781 Uranus, 1846 Neptun und 1930 Pluto.

Mit zunehmender Industrialisierung und der damit einhergehenden Luftverschmutzung wurde Berlin ein immer weniger geeigneter Standort für die Himmelsbetrachtung. Das tat der Liebe der Berliner zur Treptower Sternwarte allerdings keinen Abbruch.

Da sich die Stadt Berlin an einer Übernahme nicht interessiert zeigte, plagten Archenhold ständig finanzielle Sorgen.
     Dieter B. Herrmann: Vor allem, als es um den Bau eines massiven Hauses ging. Der Holzbau um das längste Linsenfernrohr der Welt war ja nur für den Sommer der Gewerbeausstellung gedacht. Die Besucherzahlen stiegen von 23 000 im Jahre 1897 auf 62 000 1899. Das ermunterte Archenhold, der die Leute auch mit seinen interessanten Vorträgen ins Haus holte, an einen Neubau zu denken. Er sammelte Geld und übergab im Juli 1907 dem Magistrat den Lageplan. Die Preußische Pfandbriefbank war bereit, ein 100 000-Mark-Darlehen zu geben, wenn sich der Magistrat zu den jährlichen Zinszahlungen verpflichten würde. In dem dann zustande gekommenen Mietvertrag wurde als Bedingung gestellt, daß Schulklassen der städtischen Lehranstalten die Sternwarte kostenlos besuchen können. Zur Grundsteinlegung am 17. Mai 1908 erklärte Archenhold, die Sternwarte möge ein Haus sein, »von dem immer neues Licht hinausstrahlen und immer neue Erkenntnisse ihren Weg zu jedem einzelnen im Volke finden mögen«. Als dann am 4. April 1909 mit vielen in- und ausländischen Ehrengästen die Einweihung stattfand, konnte er sich auch bei den Berliner Gewerkschaften bedanken. Für die Finanzierung der Bauarbeiten hatten sie 100 000 Eintrittskarten im voraus gekauft.
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Am 2. Juni 1915 hielt Albert Einstein in der Treptower Sternwarte seinen ersten öffentlichen Berliner Vortrag über die Relativitätstheorie. War es ein Zufall, daß dies vor einem Laienpublikum geschah?
     Dieter B. Herrmann: Durchaus nicht. Obwohl Archenhold große Teile des öffentlichen Vortragsprogramms selbst bestritt, gewann er auch erstrangige in- und ausländische Forscher als Referenten. Hier standen der berühmte Astronom Wilhem Foerster, der Geologe Alfred Wegener, die Polarforscher Roald Amundsen und Fridtjof Nansen, der Raumfahrtpionier Hermann Oberth und eben auch Albert Einstein am Vortragspult.

Nachdem die Sternwarte eine gründliche Instandsetzung hinter sich hat, ist sie für ihr 100jähriges Bestehen gerüstet. Was bietet das Programm?
     Dieter B. Herrmann: Hundert Jahre Sternwarte - das soll ein Fest für alle Freunde der Astronomie in Berlin werden. Entsprechend vielfältig sind die vorgesehenen Veranstaltungen. Die »Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften«, deren Vizepräsident ich bin, wird ihre Jahrestagung in der Sternwarte abhalten. Da gibt es spannende Kommentare der Wissenschaft zu allen Gebieten der Esoterik, besonders jedoch zur Sterndeutung. Junge Sternfreunde und Astroamateure treffen sich zum 20. Herbstkolloquium, um ihre neuesten Ergebnisse der Himmelsbeobachtung vorzutragen und damit auch neue Sternfreunde zu gewinnen.

Höhepunkt wird die Festveranstaltung zum Geburtstag der Sternwarte am 12. Oktober. An diesem Tag erfreuen uns Sonne und Mond durch ihre »himmlische Begegnung«. Die Folge: eine Sonnenfinsternis. Zum festlichen Rückblick über hundert Jahre Treptower Himmelsgucken erwarten wir übrigens viele Mitglieder der Familie Archenhold, die von weither anreisen wollen, um dabeizusein, wenn das Lebenswerk ihres Ahnen gewürdigt wird. Wer sich zu den Freunden verständlich präsentierter Wissenschaft zählt, sollte sich den Oktober 1996 jetzt schon freihalten.

Welchem Erbe fühlt sich der sechste Direktor der Sternwarte verpflichtet?
     Dieter B. Herrmann: Vernunft unter die Leute zu bringen durch Verbreitung des Gedankenguts der Wissenschaft, der Ergebnisse der Wissenschaft, der Methoden der Wissenschaft, der Geschichte der Wissenschaft.

Aufklärung ist also für Sie kein abgeschlossenes Kapitel Geistesgeschichte?
     Dieter B. Herrmann: Manche finden ja Aufklärung in unserer Zeit altmodisch. Aber wenn ich diesen Gedanken aufgeben würde, wüßte ich eigentlich nicht mehr, wozu ich hier Direktor bin.
     Das Gespräch führte Jutta Arnold

Bildquelle: Archiv Sternwarte

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 1/1996
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