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Jüdische Orte in Berlin

Auf Spurensuche begibt sich eine bemerkenswerte Ausstellung, die bis Ende Januar in der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße zu besichtigen ist. Die Berliner Fotografin Elke Nord hat gemeinsam mit dem Intendanten der Berliner Festspiele, Ulrich Eckhardt, und dem künstlerischen Leiter der Jüdischen Kulturtage, Andreas Nachama, mehr als 800 Orte jüdischen Lebens in Berlin aufgesucht.
     40 dieser Orte - oder Nichtmehr-Orte - zeigen die eindrucksvollen Bilder von Elke Nord: eine Treppe, die ins Nichts führt, ein Grabstein, das Haus des berühmten Mosse-Verlages ... Im Repräsentantensaal der Synagoge, in dem einst stürmische Parlamentsdebatten stattfanden, wird vor allem die Geschichte derer erzählt, die nicht mehr da sind. Ein zu Jahresanfang erscheinendes Buch mit Essays von Heinz Knobloch wird vollständiger Auskunft geben können.
     Glanzstück der Ausstellung ist ein Toravorhang, der von Berlin bis nach New York kam und den Wissenschaftlern noch manches Rätsel aufgibt. In der Mitte des Vorhangs die prächtige Krone, Symbol Israels, die von zwei Löwen gehalten wird. In kunstvoller Stickerei sind die Namen der Stifter ausgeführt: der Berliner Aufklärungsphilosoph Moses Mendelssohn (1728-1786) und seine Frau Fromet, geb. Gugenheim (1737-1812). Gestiftet wurde der Vorhang im jüdischen Jahr 5535, also 1774/1775, vermutlich einer kleinen Synagoge, die sich in einem der Alten Synagoge in der Heidereutergasse vorgelagerten Haus befand.
     Experten nehmen an, daß dieser Vorhang einst aus der Schleppe des Brautkleides von Fromet Mendelssohn gefertigt und anläßlich der Geburt der Tochter Henriette gestiftet wurde. Vermutet wird, daß die Seide für das Brautkleid in der Manufaktur von Isaac Bernhard, in der Mendelssohn tätig war, hergestellt wurde.

Nach dem Tod von Moses Mendelssohn 1786 hat seine Witwe 1789 das Haus in Berlin verkauft und bei ihrer Tochter Recha in Neustrelitz gelebt. Dann ging sie nach Hamburg, wo sie 1812 starb. Für das Jahr 1805 ist die Existenz des Vorhangs in Hamburg belegt.
     Viele Jahrzehnte über war der Vorhang verschollen, bis er 1992 in einem Bündel mit anderen Textilien in New York auftauchte. William Gross, ein engagierter Sammler aus Tel Aviv, kaufte ihn und überließ ihn zuerst dem Erez-Museum in Tel Aviv. Dem Direktor der Stiftung »Centrum Judaicum«, Hermann Simon, ist es zu verdanken, daß William Gross den Vorhang als Leihgabe zur Verfügung stellte. Wie der Vorhang von Berlin nach Hamburg und von Hamburg nach New York kam, wird die Fachleute wohl noch eine Weile beschäftigen.
     Der Toravorhang wird in einer großen Vitrine ausgestellt, auf deren Rückseite ein überdimensionales Foto das Motto der Ausstellung unterstreicht: Eine leere Fläche, um die Autos parken - das ist heute der Ort, wo einst die Alte Synagoge Mittelpunkt jüdischen Lebens in Berlin war. Aus dem Gedächtnis der Stadt verschwunden, wenn es nicht solche Ausstellungen und - bald in den Buchhandlungen - Publikationen gäbe.
Jutta Arnold

Die erste weltliche Schule Preußens

Mit der feierlichen Verleihung des Namens „Anna Seghers" wurde im Dezember in der Aula der 2. Gesamtschule in der Radickestraße in Treptow eine interessante Ausstellung eröffnet. Sie gibt Auskunft über die erste weltliche Schule Preußens. Der Kampf um die demokratische Erneuerung des Schulwesens wurde von fortschrittlichen Lehrern unterschiedlichster Weltanschauung ausgetragen.

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Vorreiter waren dabei die im Ergebnis der Novemberrevolution in den Stadtparlamenten zahlenmäßig stark vertretenen Sozialdemokraten. Der wohl wichtigste und insbesondere für die künftige Schulpolitik bedeutsame Erlaß war der zur »Aufhebung des Religionszwanges in der Schule« vom November 1918. Er bestimmte die Aufhebung des obligatorischen Schulgebetes sowie des Religionsunterrichts. Er ebnete den Weg zur Gründung von weltlichen Schulen, war doch die Forderung nach einer völligen Trennung von Kirche und Schule das Grundanliegen der weltlichen Schulen.
     Nach Bekanntwerden dieses Erlasses stieg die Zahl der vom Religionsunterricht in Adlershof abgemeldeten Schüler rapide an. Durch den oftmals späteren Schulbeginn der sogenannten Gottlosen wurde der ordnungsgemäße Ablauf des Unterrichts in den Schulen gestört. Deshalb stellte Ernst Schmalz in der Sitzung der Gemeindevertretung Adlershof vom 3. Dezember 1919 im Namen der Schuldeputation den Antrag auf Errichtung einer weltlichen Schule. Die Gemeindevertreter beschäftigten sich im folgenden Zeitraum mit der beabsichtigten Umgestaltung der 3. Gemeindeschule, die in einer weiteren von der Fraktion der SPD eingereichten Vorlage die Zusammenführung der vom Religionsunterricht befreiten Kinder regeln sollte.
     Im Frühjahr 1920 war die Anzahl der in Adlershof vom Religionsunterricht abgemeldeten Schüler auf über 500 angestiegen. Die Gemeindevertretung faßte daraufhin in ihrer Sitzung vom 12. März 1920 den Beschluß zur Errichtung der weltlichen Schule und bestimmte eine dreigliedrige Kommission zur Berichterstattung an die Regierung.
     Fast ein halbes Jahr nahmen die Vorbereitungen in Anspruch, so zum Beispiel die Suche nach geeigneten freiwilligen Lehrern sowie die Beschaffung von Schulmaterialien.
     Am 15. Mai 1920 schließlich wurde die weltliche Schule in der Radickestraße gegründet, und am 17. Mai fing der reguläre Unterrichtsbetrieb an.
Die Leitung übernahm der Sozialdemokrat Ernst Schmalz, von seinen Schülern liebevoll Schmalli genannt. Er leitete das Lehrerkollegium als Gleicher unter Gleichen. Ein Antrag der Eltern auf Befreiung ihrer Kinder vom Religionsunterricht war jedoch notwendig, um ihre Kinder an der weltlichen Schule anmelden zu können. Von Verfechtern der weltlichen Schule in Adlershof wurde in einem Flugblatt in Form eines Aufrufes an die Eltern für die weltliche Schule geworben. Somit wurde erstmals praktisch erprobt, die Ideen bedeutender Berliner Schulreformer umzusetzen. An die Stelle der preußischen Pauk- und Drillschule sollte eine Einheitsschule treten, die allen Kindern, egal welcher Herkunft und Konfession, den Zutritt ermöglichte. Mit neuen Lehrkonzepten wurde sowohl die Hebung des wissenschaftlichen Niveaus des Unterrichts als auch die Beseitigung reaktionärer Bildungsinhalte angestrebt. Jegliche Zwänge, wie Prügelstrafe und autoritäre Lehr- und Erziehungsmethoden, wurden abgelehnt. Die geschlechtergemischte Sitzordnung in den Klassen, die Schulgeld- und Lehrmittelfreiheit, die Organisation von außerschulischen Veranstaltungen, beispielsweise Wanderfahrten und Jugendweihen, sowie ein vielfältiges zusätzliches Bildungsangebot wie Stenographie, Schreibmaschinenkurse und das Erlernen von Fremdsprachen dienten einzig und allein dem großen Ziel einer selbstbewußten, vielseitig ausgebildeten Schülerpersönlichkeit.
     Die gemeinschaftliche, gleichberechtigte und zwanglose Art des Lernens, das angestrebte kameradschaftliche Verhältnis von Lehrern und Schülern sowie das Miteinander von Lehrerschaft, Eltern und Schülern sind charakteristisch für die damals entstehenden weltlichen Schulen. Behördlicherseits wurden sie als Sammelschulen bezeichnet, weil dort alle Kinder »gesammelt« wurden, die nicht am Religionsunterricht teilnahmen. Die Ausstellung zeigt die Entwicklung der ersten weltlichen Schule anhand historisch wertvoller Exponate.
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     Sie wurde zusammengestellt von der Projektgruppe »Treptower Schulgeschichte« der AWOmbH in enger Zusammenarbeit mit dem Heimatmuseum Treptow und mit finanzieller Unterstützung der Abteilung Bildung und Kultur beim Bezirksamt Treptow.
     Sie ist bis zum 31. Januar täglich von 10.00 bis 15.00 Uhr zu sehen. Besucher melden sich bitte im Sekretariat der 2. Gesamtschule.
Christine Kupper

Konstantin Akinsha/ Grigori Koslow
Beutekunst - Auf Schatzsuche in russischen Geheimdepots

Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1995

Wenn alles nach Plan gegangen wäre, stünde in Moskau ein riesiger »Palast der Sowjets« mit einer 80 Meter hohen Leninstatue obenauf. Darin das Beste, was mittel- und osteuropäische Museen zu bieten haben - Gemälde von Raffael, Rubens und Dürer, van Dyck, Velasquez, Goya, Menzel, Cranach, der Pergamonaltar, der Schatz des Priamos, edelste Goldschmiedearbeiten und Möbel, wohlgeformte Plastiken, Gobelins, Glasmalereien, Porzellan, Zinn, Bronze, kurzum Pretiosen, wie sie sonst kaum ein Museum aufzuweisen hat. Darüber informieren die Kunsthistoriker Konstantin Akinsha und Grigori Koslow in ihrem aufsehenerregenden Buch, das sicher bei Interessierten zu einem Bestseller avanciert! Die Idee, an der Moskwa ein »Weltkunstmuseum« zu schaffen, bestückt durch Trophäen aus Deutschland und anderen mit der Sowjetunion im Krieg befindlichen Staaten, wurde nach dem Krieg nicht verwirklicht, und auch von dem im typischen Stalinstil gestalteten Hochhaus sprach nach dem Krieg niemand mehr.

Erhalten sind nur Entwürfe, und die reichen schon, um sich mit Grausen abzuwenden.
     Die ersten Pläne für Stalins Supermuseum wurden 1943, als die deutsche Niederlage abzusehen war, geschmiedet. Der Kunsthistoriker und Maler Igor Grabar, dessen Lenin-Bilder überall hingen, hatte einen direkten Draht zum Politbüro und durfte sogar Stalins Tochter Swetlana porträtieren. Das aus Beutestücken der »Achsenmächte« bestehende Weltkunstmuseum sollte den gleichen Rang wie der Louvre in Paris, der Prado in Madrid, das Britische Museum in London, das Berliner Kaiser-Friedrich-Museum oder die Ermitage in Leningrad (jetzt Sankt Petersburg) haben, berichten die Autoren. Die sowjetische Führung war begeistert. Kunsthistoriker wurden abgestellt, umfängliche Suchlisten anzufertigen. Grabar und andere Experten kannten deutsche Museen in- und auswendig, setzten ihre »Lieblinge« auf die Deportationstabellen.
     Die Kunstraubkommission sprach von »Kompensationen« für die von den Deutschen in der Sowjetunion angerichteten Schäden, aber auch von »Prämien«. Denn es sollte nicht nur das alttestamentarische Prinzip »Auge um Auge, Zahn um Zahn« gelten. Vielmehr wollte man noch eins draufsetzen und, da die Gelegenheit günstig war, Moskau, das Zentrum der kommunistischen Weltrevolution, mit einem Museum beglücken, das alle anderen Sammlungen in den Schatten stellt.
     In Expertenkreisen entspann sich eine Diskussion, wie solche Kompensation aussehen könnte, was man für einen verlorenen »Dürer« wohl berechnen könnte. Für Raffaels »Sixtinische Madonna« wurden zwei Millionen Dollar ausgerechnet. Das Schmuckstück der Dresdener Gemäldegalerie sollte einen Ehrenplatz in Stalins Supermuseum bekommen.
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Ein »Menzel« hätte 50 000 Mark gekostet, der Pergamonaltar, dem an der Spree ein spezielles Museum errichtet worden war, mehrere Millionen. Der russische Maler Repin aber galt als unbezahlbar. Auch archäologische Fundstücke, die russische Nationalisten und Panslawisten der altslawischen Kultur zurechnen, standen auf den Fahndungsdokumenten ganz oben - Schliemanns trojanisches Gold und der Pergamonaltar. Der marmorne Kampf der Götter und Giganten, 1945 im Zoobunker gefunden und sogleich abtransportiert, kehrte zurück und zieht Millionen Besucher an. Der dem Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte gehörende Schatz des Priamos, das Symbol der Beutekunst schlechthin, aber wird weiter im Moskauer Puschkinmuseum einbehalten. Erst in diesem Jahr durften deutsche Fachleute einen Blick auf die altgriechischen Fundstücke werfen, deren Existenz in den Moskauer Tresoren bisher standhaft geleugnet wurde. Daß Heinrich Schliemann, der als Kaufmann in Rußland reich geworden war, seine Fundstücke ursprünglich dem Gastland angeboten hatte, wurde bei der Begutachtung der Trophäe besonders hervorgehoben. Es blieb unerheblich, daß der Archäologe den Priamos-Schatz im Jahre 1881 dem deutschen Volk und in seiner Vertretung den Königlichen Museen in Berlin übereignet hatte. Schliemann wurde Berliner Ehrenbürger und beschrieb diese Auszeichnung als den höchsten Ehrenbeweis, den er je erlangen konnte.
     Akinsha und Koslow berichten, daß nach dem Krieg Sondereinheiten der Roten Armee mit detaillierten Suchlisten durch Bergwerke, Museen, Bibliotheken, Kirchen und Schlösser der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands zogen. Da drei Viertel Deutschlands von den Westmächten besetzt wurden, blieben Pläne, auch süd- und norddeutsche Sammlungen, etwa die Münchner Pinakothek, die Stuttgarter Staatsgalerie oder die Hamburger Kunsthalle, zu plündern, unausgeführt.
Die Suchtrupps sollten nicht nur »Äquivalente« für die von den Nazitruppen in Pskow, Nowgorod, Smolensk, Pawlowsk, Peterhof und anderenorts angerichteten furchtbaren Schäden auftreiben. Sie sollten auch Kunstwerke, Bücher und Dokumente sicherstellen, um staatliche Sammlungen aufzufüllen.
     Mutige russische Museumsleute haben vor geraumer Zeit damit begonnen, den Nebel rund um die Beutekunst fortzublasen. Eine Lawine wurde losgetreten. Offizielle Kreise in Rußland sind peinlich berührt. Sie lavieren und sprechen weiter von Kompensationen, als ob nicht mittlerweile bindende Verträge zwischen Moskau und Bonn abgeschlossen worden wären, die die Rückgabe der Kunstwerke vorsehen. Das nun vorgelegte Buch ist das Ergebnis achtjähriger Recherchen von Konstantin Akinsha und Grigori Koslow. Vorangegangen waren aufsehenerregende Veröffentlichungen der beiden jetzt in Köln lebenden Kunsthistoriker, spektakuläre Ausstellungen in Moskau und Sankt Petersburg sowie eine internationale Konferenz in New York, auf der auch Stalins Riesenmuseum beschrieben wurde. Nach Meinung der beiden Kunstfahnder hätte das von Hitler in Linz geplante »Führermuseum« geradezu provinziell ausgesehen, verglichen mit dem, was der sowjetische Diktator plante.
     Während Hitlers in halb Europa zusammengerafften »Linzer« Schätze und weitere Kulturgüter nach dem Krieg an ihre Ursprungsorte zurückgeschafft wurden, bewegte sich bei den von der Trophäenkommission der Roten Armee geraubten Werten zunächst nichts. Sie wurden in der Stalinzeit unter Verschluß gehalten. Nur wenige Auserwählte durften in die Geheimdepots. Der übergroße Teil der Kunstbeute kam unter Chruschtschow, als »Tauwetter« angesagt war, in die DDR zurück.
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Wie beide Autoren schildern, wurde von der ostdeutschen Presse das Märchen in den tollsten Variationen verbreitet, daß die dann in Ausstellungen gezeigten Kunstwerke buchstäblich in letzter Minute vor Nazitruppen gerettet worden seien, die bereits Feuer an die Lunte der Sprengsätze gelegt hatten. Rivalisierende Beutemacher verbreiteten unterschiedliche Versionen über ihre Arbeit nach dem Krieg. Offiziell wurde von der Rettung der Kunstwerke gesprochen, intern aber hießen sie nur »Trophäen«.
     Wie sich gegenwärtig zeigt, wartet ungeachtet zwischenstaatlicher Vereinbarungen und hoffnungsvoller Versprechen eine unbekannte Zahl von Gemälden, Plastiken, Büchern, archäologischen Fundstücken, Goldschmiedearbeiten, historischen Waffen und anderen Gegenständen immer noch auf die Rückkehr nach Deutschland und in andere Länder. Rückführungsansprüche von jetzt selbständigen Staaten, die zum Sowjetreich gehörten, werden von der Moskauer Führung ebenfalls ignoriert. Die politische Lage im heutigen Rußland sieht leider nicht so aus, als ob das Unrecht in absehbarer Zeit beseitigt würde. Dafür sorgen rabiate Politiker und uneinsichtige Museumsleute, die, wie die Direktorin des Puschkin-Museums, Irina Antonowa, behaupten, »nichts, nicht eine Ikone, nichts, gar nichts« sei von den Deutschen zurückgegeben worden.
     Die auf umfassenden Recherchen in in- und ausländischen Archiven beruhende Dokumentation von Akinsha und Koslow über das Schicksal der Berliner, Dresdener, Leipziger und vieler anderer Kunstwerke, Bücher und Dokumente und die internationale Diskussion über das hochbrisante Thema »Beutekunst« werden dafür sorgen, daß diejenigen, die sich für den Verbleib der Kunstbeute einsetzen, wenig Freude an ihr haben.
»Heute, da der Nationalismus im russischen Leben immer mehr an Einfluß gewinnt, werden sogar die Kunsttrophäen, deren Existenz mittlerweile zugegeben wurde, zu Geiseln der Politik gemacht«, heißt es in der Dokumentation. Alles fing vor Jahren im Moskauer Puschkin-Museum an. Dessen Mitarbeiter Grigori Koslow fielen zufällig jene Suchlisten und andere Dokumente - 80 über den Schatz des Priamos - in die Hände. Die vergilbten Papiere konnten vor dem Reißwolf bewahrt werden. Während die Geheimdepots mit Zehntausenden Bildern und Pretiosen von einem Schleier des Schweigens umgeben waren, lagerten merkwürdigerweise die dazugehörenden Dokumente »ziemlich offen« in den Archiven. Die Unterlagen erlauben es, minutiös die Visionen der sowjetischen Führung zu rekonstruieren und den Weg der Trophäen in die Sowjetunion zu verfolgen.
     Man muß angesichts der sensationellen Enthüllungen schon ein großer Ignorant sein, wenn man jetzt noch an das Märchen von der Rettungstat der Rotarmisten glaubt. Etwa an den angeblichen Fund der Dresdener Gemälde in einem feuchten Stollen. Wie sich zeigt, lagerten die Bilder in einem unterirdischen Depot sicher und trocken, und es hätte überhaupt nicht die Notwendigkeit bestanden, sie fortzuschaffen. Akinsha und Koslow räumen auch mit der immer wieder kolportierten Legende von der »zweiten Rettung« der deutschen Kunstschätze durch russische Restauratoren auf. Nach dieser Lesart habe die Rote Armee unschätzbare Werte vor fremdem Zugriff bewahrt, und im Nachgang seien sie, da unsachgemäß gelagert, vor dem materiellen Zerfall gesichert worden. Alles Lug und Trug, lautet das Fazit von Akinsha und Koslow.
Helmut Caspar
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   108   Berichte und Rezensionen   Voriges BlattNächstes Blatt
Giuseppe Orsi/ Kurt Seelmann/ Stefan Smid/ Ulrich Steinvorth (Hrsg.)
Nation, Nationalstaat, Nationalismus
Rechtsphilosophische Hefte III

Peter Lang Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt/ Main 1994

Die Herausgeber der Rechtsphilosophischen Hefte, Giuseppe Orsi, Kurt Seelmann, Stefan Smid und Ulrich Steinvorth, haben mit ihrem III. Band ein brisantes Thema unserer Tage ausgewählt. Während die Bände I (Recht und Moral, 1992) und II (Gerechtigkeit, 1993) mehr den »ewigen« Themen der Rechtswissenschaft, Philosophie und Politik gewidmet waren, steht hier nun das aktuelle Problem des Nationalismus auf dem Prüfstand.
     Das Spektrum der Beiträge im ersten Teil des Heftes ist recht breit. Es reicht von einer Betrachtung über Blochs Ansicht vom Patriotismus (Manfred Riedel, Universalismus mit Nationalsinn) über die Behandlung der Frage »Darf der König von Spanien Indianer unterwerfen?« (Rainer Specht) bis hin zur Charakterisierung des linken Umgangs mit dem Nationalen (Andrea Ludwig, Die »Neue Linke« und die Nation). Als eine Art Einführung oder Leitfaden zum Diskurs des ganzen Heftes könnte man Ulrich Steinvorths Artikel »Brauchen wir einen Nationalismus?« lesen. Er springt ohne lange Vorbemerkungen in die aktuelle Problematik hinein, wie sie sich vor allem seit 1989 entwickelt hat, und formuliert seine Ansicht dazu so: »Die deutschen Intellektuellen stehen in ihrer stummen oder beredten Verlegenheit vor den Revolutionen von 1989 und ihren Folgen nicht allein da.

Der Nationalismus, der sich in diesen Revolutionen und ihrer Folgezeit als wirksamste Strömung erwies, ist ein internationales intellektuelles Problem, und er war es seit seinem Beginn.« (S. 78) Auch die Artikel von Gerd Roellecke (Herrschaft und Nation. Zur Entstehung des Nationalismus) und Reinhold Schmücker /Rainer Hering (Identität und Nation. Über eine vermeintliche Zukunftsfrage der Deutschen) diskutieren ihre Fragestellung unter dem aktuellen Aspekt der grundlegenden Veränderungen im letzten Jahrzehnt.
     Im zweiten Teil des Heftes, dem Diskussionsforum mit Beiträgen zu Hegel, Habermas und Tugendhat, sowie den Rezensionen ist das Generalthema nicht mehr so zwingend.
     Auf die Themen der folgenden Rechtsphilosophischen Hefte darf man gespannt sein.
Eberhard Fromm

Naturschutz- und Grünflächenamt Köpenick (Hrsg.)
Naturschutz und Landschaftspflege in Köpenick, Band 1

Naturdenkmale in Köpenick - stumme Zeugen der Vergangenheit und wertvoller Lebensraum

Das Naturschutz- und Grünflächenamt Köpenick beginnt mit diesem interessanten, mit einer Vielzahl von Informationen und schönen Farbaufnahmen ausgestatteten Büchlein eine Schriftenreihe unter dem Titel »Naturschutz und Landschaftspflege in Köpenick«. Die Verantwortlichen möchten mit dieser Schriftenreihe die Natur des Bezirkes vorstellen.

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   109   Berichte und Rezensionen   Voriges BlattArtikelanfang
Bei dem Reichtum an Wäldern, Seen, Bergen, seltenen Bäumen und anderen Naturschönheiten ein sicher erfolgreiches Unternehmen, das sich aber bei dem vorgesehenen jährlichen Rhythmus über einen sehr langen Zeitraum hinziehen dürfte.
     Das erste Büchlein liegt vor, und es regt an, mit offenen Augen durch den Bezirk zu gehen. Um z. B. eine Pappel vor dem S-Bahnhof Köpenick zu betrachten, eine Stieleiche auf dem Brandenburger Platz, eine Stieleiche an der Friedrichshagener Straße 38 gegenüber dem Industriegelände, eine Flatterulme in Alt-Rahnsdorf, Dorfstraße 4, Maulbeerbäume in der Bölschestraße in Friedrichshagen oder eine Eibe am Cardinalsplatz.
     Kaum einer der Passanten, die durch die Bölschestraße hasten, denkt schon daran, daß einst auf Geheiß Friedrichs II. ausländische Spinner in Friedrichshagen angesiedelt wurden, um durch Seidenraupenzucht den Bedarf des Hofes an Seide zu decken. Entlang der damaligen Dorfstraße, der heutigen Bölschestraße, wurden 50 einstöckige Doppelhäuser gebaut und 2 000 Maulbeerbäume gepflanzt, deren Laub den Seidenraupen als Nahrung diente. Die Bäume, so berichten die Autoren, verkümmerten, ständig ihrer Blätter beraubt, trotz Pflege durch die Spinnerfamilien. 1780 gab es nur noch 676 von den ursprünglich 2 000 Maulbeerbäumen. Als die Seidenindustrie von der Baumwollspinnerei endgültig verdrängt wurde, gesundeten die Bäume. Als Attraktion für Friedrichshagen wurden ihre Bestände sogar wieder erweitert. 1882 zählte man wieder 1 100 Bäume. In dem von Weltkriegen gezeichneten 20. Jahrhundert fühlte sich allerdings niemand für die interessanten Bäume verantwortlich, und ein Baum nach dem anderen verschwand. Heute sind nur noch wenige Exemplare vorhanden. Drei im historischen Siedlungsraum unter schlechtesten Standortbedingungen. Der kurze und informative Bericht schließt mit dem Appell, daß es an der Zeit ist, diese Bäume durch geeignete Maßnahmen zu pflegen und Neuanpflanzungen vorzunehmen.
     Auf interessante Weise erfährt der Leser etwas über den Köpenicker Schloßpark und seine zu Naturdenkmalen erklärten besonderen Bäume, über die Eichen am Mühlenweg in Rahnsdorf, die letzten Vertreter des alten Eichenquastes im Bellevuepark, die Geschichte des Müggelparks und seiner Bäume, über die Eibe - den Baum des Jahres 1994, aber auch über einige geschützte Vögel, Insekten und Pilze.
     Das Ganze wird mit Informationen über die Geschichte des Begriffs »Naturdenkmal« und die Gesetze und Verordnungen zu deren Schutz eingeleitet. Informiert wird über die heute gültigen Regelungen des Berliner Naturschutzgesetzes, die seit dem 3. Oktober 1990 auch für Köpenick und die anderen Bezirke des Ostteils der Stadt gelten, und über die Ermittlung von Naturdenkmalen durch die Arbeitsgruppe Baumschutz des Naturschutz- und Grünflächenamtes. Sehr schön und informativ auch die Karten mit den Standorten der beantragten Naturdenkmale.
     Alles in allem eine wertvolle Arbeit, die hoffentlich von vielen Köpenickern und Köpenickbesuchern zur Kenntnis genommen wird. Nur eins bleibt noch zu sagen: Der Titel »Naturdenkmale in Köpenick« verspricht mehr, als dann gehalten wird. Auch wenn im Vorwort die Einschränkung auf die als Naturdenkmale vorgesehenen Bäume erfolgt, bleibt die Frage, was mit solchen Naturdenkmalen wie den Dünen, erratischen Blöcken, Pfuhlen und Söllen ist. Wünschenswert wäre dazu eine ebenso interessante und schöne Broschüre. Aber wieviel Jahre wird es dauern, bis die wichtigsten Gebiete von Naturschutz und Landschaftspflege in Köpenick abgearbeitet sind, wenn jährlich nur ein Büchlein mit 50 Seiten erscheinen soll? - Keine Kritik, nur eine bedauernde Feststellung.
Hainer Weißpflug
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 1/1996
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