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Irina Hundt
Helmina von Chézy - erste deutsche Auslandsjournalistin

Wem das schöne Lied: »Ach, wie wär's möglich dann« in den Sinn kommt, vermutet wohl nicht, daß ihm ein Gedicht einer heute vergessenen, damals aber sehr populären Frau zugrunde liegt. Helmina von Chézy gehörte zu den bekanntesten lyrischen Dichterinnen. Auch andere ihrer Gedichte wurden gesungen: als Volkslieder, als Romanzen von Johann Friedrich Reichardt, von Felix und Fanny Mendelssohn Bartholdy, als Libretto zu Karl Maria von Webers »Euryanthe« und als von Franz Schubert vertonte Arien und Chöre in ihrem Schauspiel »Rosamunde«. Im Laufe ihrer langen schriftstellerischen Laufbahn schrieb sie vielgelesene Novellen, darunter die von Jean Paul und Justinus Kerner hochgeschätzte »Emma«, verfaßte Reisebücher und Erinnerungen, übersetzte aus dem Französischen, Spanischen und Persischen und veröffentlichte viele Artikel zu den verschiedensten Themen und Problemen der Zeit. Helmina von Chézy war auch die erste deutsche Auslandskorrespondentin.

Ihre Tätigkeit als Schriftstellerin verband sie mit sozialem Engagement, was ihr Verbote ihrer Bücher, einen Gerichtsprozeß und die Gefahr eines weiteren, Verleumdungskampagnen in der Presse und polizeiliche Schikanen einbrachte. Das alles schreckte sie jedoch nicht ab, noch im hohen Alter zu den brennenden sozialen Problemen Stellung zu nehmen und sich in das Geschehen einzumischen. So begrüßte sie 1844, 61 Jahre alt, voller Begeisterung Bettina von Arnims »Günderode«-Buch und ihr »Königsbuch« (»Dies Buch gehört dem König«), die ihr etwas verspätet in die Hände kamen. Und sie begann, ein Buch unter dem Titel »Dies Buch gehört Bettinen« zu schreiben, in dem sie auf die Probleme der Armut und des Elends des Volkes in Bettinenschem Geiste einging, Bettina in eine Reihe der bedeutenden Frauen der Geschichte stellte und ihr ihre Hilfe beim Drucken ihres nächsten Buches - des »Armenbuches« - anbot: »... sollten sie vorziehn dies Jenseits des Rheins zu bewerkstelligen so lassen Sie mir das Manuskript zugelangen, ... ich werde es treu und schnell besorgen.«1)
     Vier Jahre später, im heißen April 1848, fuhr sie zu Georg Herwegh nach Straßburg (wo er damals mit seiner bewaffneten Freischar kampierte), um ihn zu überzeugen, daß die Einführung der Demokratie in Deutschland nicht durch blutige Auseinandersetzung, nicht durch Export der Revolution geschehen könne.
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     Aber der Beginn ihrer schriftstellerischen und publizistischen Tätigkeit lag mehr als vier Jahrzehnte früher, als sie zwischen ihrem 18. und 20. Lebensjahr als Journalistin und Redakteurin einer deutschen Zeitschrift in Paris über die Neuigkeiten in Kultur, Literatur, Politik, Theater, Mode usw. aus der französischen Hauptstadt Korrespondenzen schrieb.
     Helmina von Chézy wurde als Wilhelmine Christiane von Klencke am 26. Januar 1783 in Berlin geboren. Ihr Vater, Friedrich Carl von Klencke (1762-1826), Sohn eines ehemaligen Kommandanten von Bremen, war ein zuerst in preußischen, dann in dänischen Diensten stehender Offizier. Die Mutter, Caroline Louise von Klencke, geborene Karsch (1750-1802), eine Dichterin und Schriftstellerin. Helminas Mutter war die Tochter der berühmten »Karschin«, der Gedichte schreibenden preußischen Autodidaktin, die schon zu Lebzeiten als »deutsche Sappho« gefeiert wurde.
     Die junge Familie von Klencke existierte kaum ein Jahr, und Caroline, die schon mit ihrer ersten Ehe kein Glück hatte, mußte zusehen, wie ihre zweite Ehe unter Regie beider Mütter auseinandergetrieben wurde. Auf diese Weise verlor Helmina ihren Vater für die nächsten 20 Jahre. (Er meldete sich erst 1803 aus Hamburg auf ihre in einigen deutschen Zeitungen aufgegebene Annonce.) Helmina wuchs bis zu ihrem neunten Lebensjahr - die Karschin starb im Dezember 1791 - im Hause ihrer Großmutter, später unter Obhut ihrer ebenfalls alleinstehenden und ebenfalls schriftstellerisch tätigen Mutter auf.
Diese für die damalige Zeit besonderen familiären Verhältnisse, nach denen das Familienhaupt eine alleinstehende, über die ganze Familie herrschende Frau war, für die das Schreiben zum Beruf wurde und die durch Dichtungen, meistens Huldigungsgesänge auf Fürstlichkeiten und Gelegenheitsdichtungen für Reiche und Einflußreiche, für sich und für ihre Familie mühsam genug den Lebensunterhalt verdiente, prägten den Charakter Helminas, die später - wohl ungewollt - dieses Schicksal wiederholte.
     Aber noch etwas Besonderes erbte Helmina von ihrer »matriarchalischen« Familie: einen Kreis berühmter Freunde und Bekannter, darunter in erster Linie Gleim und Chodowiecki, von deren Umgang (in Verbindung mit einer ungezwungenen Erziehung, die mehr für einen Knaben, als für eine künftige Hausmutter und Ehefrau geeignet war) von ganz früh an geistige Impulse auf ein aufgewecktes Kind ausgehen konnten. Aus den Bücherregalen Chodowieckis, der eine gute Hausbibliothek hatte, durfte sie jedes Buch zum Lesen holen; sie tat das und las alles durcheinander, in deutscher und französischer Sprache, wie sie in ihren Memoiren mitteilt: Goldschmidts »Geschichte der Römer«, Raffs »Naturgeschichte«, »Karl und Karlsberg«, »Karl Pilger« von Karl Spazier, »Manon Lescaut«, den »Musenalmanach« von Schiller, »Les mille et un Jour,« Gedichte von Matthisson, Hippels »Lebensläufe«, Jean Pauls »Unsichtbare Loge« und vieles andere.
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Schon mit sieben Jahren entwarf sie Charakterschilderungen aus dem Kreis der Bekannten und versuchte, sie zu Papier zu bringen. Etwas später fing sie an, Lieder und Novellen zu schreiben.
     Es war daher nicht zufällig, daß sie sich mit Jean Paul, dem damals berühmten Autor des von ihr siebenmal gelesenen Romans »Die unsichtbare Loge« befreundete, und so lange sich Jean Paul in Berlin aufhielt, gehörte Helmina zu denen, die seinen Berliner Kreis bildeten und danach mit ihm im Briefwechsel standen. Er ermutigte sie zum Dichten und Schreiben, und als Beispiel gab er ihr »Agnes von Lilien« von Caroline von Wolzogen als den, wie er sagte, »meisterhaftesten Roman, den je eine Frau geschrieben«, zum Lesen. Auch über andere schreibende Frauen, die ihm als bedeutend vorkamen, so Emilie von Berlepsch und Amalie von Imhof (spätere Helvig), sprach er mit ihr. Er muß sie damals gut verstanden und zum Schreiben ermuntert haben, wenn sie noch viele Jahre danach schrieb: »So klar wie er hat wohl kein Dichter die Frauen verstanden und mit ihnen die ganze menschliche Gesellschaft.«2)
     Auch mit einer anderen Berliner Berühmtheit, der Gräfin Felicité de Genlis, einer französischen Schriftstellerin, die vor den Jakobinern aus Frankreich nach Deutschland geflüchtet war und in Berlin lebte, wurde Helmina damals bekannt.

Helmina von Chézy

Die junge Frau gefiel de Genlis so sehr, daß sie eine Art Patenschaft übernahm. Als ihr 1800 die Rückkehr in die Heimat ermöglicht wurde, lud sie Helmina nach Paris ein. Diese Einladung kam sehr gelegen, denn seit August 1799 war Helmina, auf Mutters Verlangen (die ebenso wie die Karschin zu ihrer Zeit hoffte, die materielle Lage ihrer Tochter abzusichern) mit einem 12 Jahre älteren Offizier, Karl Gustav Baron von Hastfer, verheiratet, und zwar sehr unglücklich.

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Die Ehe wurde nach 14 Monaten, im Oktober 1800, geschieden. Sobald die Scheidung im Mai 1801 bestätigt war, fuhr Helmina nach Paris. Die 18jährige Helmina kam in die französische Metropole, als die Schreckenszeit der Jakobinerdiktatur bereits vorbei, jedoch noch sehr frisch in Erinnerung war. Noch waren überall in der Stadt und in der Provinz die Spuren der Revolution zu sehen: die in die Mauern eingemeißelten revolutionären Parolen, an den Türen noch nicht abgekratzte Revolutionsinschriften, wie sie in ihrem Buch »Unvergessenes« erinnerte. Nach der Amnestie kehrte der Adel allmählich aus der Emigration zurück; auf der politischen Szene behauptete sich der Erste Konsul - Napoleon Bonaparte, damals jedoch noch als »Erretter und Erhalter einer Republik«, wie Helmina ihn in ihren ersten Pariser Korrespondenzen bezeichnete.3) Die Hauptstadt Frankreichs wurde wieder zu einer Weltmetropole. Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft blühten auf, am Hofe des Ersten Konsuls herrschten neue Sitten und neue Moden. Paris wurde wieder zum Mekka der uropäer.
     Das war genau der richtige Ort für die junge, vielseitig belesene, selbstsichere Helmina, die voller Pläne und Hoffnungen für die eigene Zukunft steckte, die sie mit Schreiben und Dichten verband.
     Journalistische Augenzeugenberichte einer Frau aus dem Paris der Revolutionszeit gab es in Europa nicht nur von Helmina. Ab 1790 und bis in die Jahre der Restaurationszeit hinein schrieb die Engländerin Helen Maria Williams ihre
»Letters From France«, 1794 veröffentlichte eine andere Engländerin, Mary Wollstonecraft, den ersten und einzigen Band von »An Historical and Moral of the Origine and Progress of the French Revolution and the Efffect It has Produced in Europe«.
     Durch Frau de Genlis verschaffte sich Helmina Eintritt nicht nur in die Salons, Literatur- und Theaterkreise, sondern auch zu den Kreisen um den Ersten Konsul: zu den Familien de Beauharnais und Lucien Bonaparte. Die junge Frau wurde überall gern gesehen, und so hatte sie reichlich Stoff für ihre Berichte für das deutsche Publikum. Ihren ersten literarischen Auftrag verschaffte ihr die Mutter 1802: das Angebot des ihr bekannten Berliner Verlegers Friedrich Mauer, für die von Fessler und Rhode herausgegebene Zeitschrift »Eunomia« Mitteilungen über Pariser Sitten, Lebensart und Mode zu schreiben.
     Unter dem Titel »Empfindungen und Erfahrungen einer jungen Deutschen in Paris« wurden sie im selben Jahr gedruckt. Ihren zweiten Auftrag bekam sie von Friedrich Schlegel, der im Sommer 1802 zusammen mit Dorothea Veit, Tochter Moses Mendelssohns, und ihrem neunjährigen Sohn Philipp nach Paris kam und neben vielen anderen Beschäftigungen die Zeitschrift »Europa« herausgab.
     Mit ihrer leicht und fröhlich entworfenen Arabeske »Aus dem Briefe einer Deutschen« gehörte Helmina zu den ersten Autoren der »Europa«. Nach Schlegels Plan sollte sie damit der Belebung der Zeitschrift dienen.
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Was Helmina auch tat, indem sie im Detail und mit Ironie einen Abend »im Hause einer Pariser Dame«, »Sammelplatz der hiesigen Gelehrten und Künstler« schilderte, an dem »die schönen Geister« die Unterhaltung nach vorher abgesprochenen und sogar vornotierten Texten sowie nach bestimmter Subordination führten.4) Damit wollte sie zeigen, daß nicht alles, was die Franzosen haben und machen, zu bewundern und zu übernehmen sei. Die »Salon«-Kultur, die sie aus ihrer Berliner Heimat kannte, war wesentlich ungezwungener und freier, kannte keine vorgeschriebenen Regeln.
     Helminas kritischer Blick auf die Dinge konnte sich entfalten, als sie die Redaktion einer ganzen Zeitschrift übernahm. In der Bibliothek des Arsenals in Versailles begegnete sie einem jungen Deutschen, Johann Gottfried Schweighäuser, ebenfalls Literat, der Verbindungen nach Tübingen zum namhaften schwäbischen Schiller- und Goethe-Verleger Johann Friedrich Cotta hatte. Cotta beabsichtigte zu dieser Zeit, ein zweites Auslands-Journal nach dem Muster der »Englischen Miscellen«, nämlich »Französische Miscellen«, herauszugeben. Dafür suchte er einen Redakteur und stand in Verhandlungen mit Schweighäuser. Da der schon eine besser bezahlte Anstellung hatte, schlug er Helmina vor. Die Absprache kam im Juli 1802 zustande: Helmina sollte ab Januar 1803 die Redaktion des neuen Journals für sechs Louisd'or im Jahr übernehmen.
(6 Louisd'or waren etwa 600 Taler; viele Jahre später wird Chézy vom preußischen König eine Pension von 200 Talern bekommen, die ihr kaum für das Leben reichten.)
     Die neue Zeitschrift eröffnete Helmina mit dem Ziel, »... die Fortschritte der schönen Künste und praktischen Wissenschaften in Frankreich anzuzeigen, und ein vollkommenes Gemälde des Zustandes der Sitten, Gebräuche und Lebensart der Nation darzustellen«. Diese Vielfalt der Beiträge zeigt sich in den vier Bändchen zu je drei Heften des Jahrgangs 1803, die meist von Helmina selbst geschrieben wurden. Ausgenommen sind nur einige Beiträge von Schweighäuser, vorwiegend über die Entwicklung der Wissenschaften in Frankreich, die große Novelle »Alois und Rose« von Achim von Arnim, der in Paris für kurze Zeit mit Helmina freundschaftlich verbunden war, und einige wenige andere von noch nicht ermittelten Korrespondenten. Helmina informierte ihre deutschen Leser über alle bedeutenden und weniger bedeutenden Ereignisse in Paris, über Kunstausstellungen und öffentliche Anstalten, über Literatur und Entwicklung der Industrie, über Mode und Sehenswürdigkeiten der französischen Hauptstadt und ihrer Umgebung, über Volksbildung und Theater, Wohltätigkeit und vieles mehr. Aber auch über die politische Lage in Frankreich und seiner Metropole. Und das konnte auf Dauer nicht gut gehen.
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   18   Probleme/Projekte/Prozesse Helmina von Chézy  Voriges BlattNächstes Blatt
     Man muß bedenken, daß Politik um 1800 für die meisten Menschen des Volkes, also für 90 Prozent der Deutschen, etwas völlig Fremdes war, zu dem sie keinerlei persönliche Beziehung hatten; Politik war eine Sache, die sich hoch über ihren Köpfen abspielte. Für die kleinere Gruppe der gebildeten Leute stellte sie eine reine Männer-Angelegenheit dar. Nun hatte eine Frau Politik nicht nur zur Kenntnis genommen, sie hatte es im Jahre 1803 auch noch gewagt, die preußische Armee zu kritisieren.
     Im ersten Heft des ersten Bandes, gleich nach dem ersten Artikel über die Gemäldeausstellung im Louvre, bringt Helmina ein »Gespräch einer jungen Preussin mit einem französischen General«. Ein naives junges Mädchen beobachtet das Exerzieren französischer Soldaten und vergleicht es mit dem, was sie als Tochter und Nichte preußischer Offiziere von zu Hause kennt. Sie wundert sich, daß die Soldaten nicht geprügelt werden, wie es ihr Onkel Fritz oft mit den »Taugenichtsen« in seiner Kompanie machen läßt, daß kein Offizier auf die Soldaten schimpft, daß die Soldaten sehr bunt gekleidet sind, daß sie fröhlich und munter den Kommandos gehorchen usw. - lauter Dinge, die in der Armee ihres Landes völlig unmöglich waren. Ein galanter General gibt auf ihre Fragen geduldig und oft pathetisch Antwort, erläutert, welche Vorteile eine bürgerliche Armee habe, die auf dem Prinzip der Anerkennung der menschlichen Würde der Soldaten aufgebaut ist, und warum die französische Armee der preußischen überlegen sei.
»Nicht die Liebe für Freyheit und Vaterland allein, auch das Ehrgefühl schwillt die Brust unsrer Krieger, und macht sie fähig zu kühnen Thaten, ... Wären unsre Krieger Sklaven der strengsten Disciplin, müßten sie, gleich Maschinen täglich einen regelmäßigen Kreis durchlaufen; würden sie, Lastthieren gleich, geschlagen, und wie Pudel dreßirt, so würde kein Ehrgefühl in ihrer Brust aufkeimen.«5) Und dieser Artikel erschien drei Jahre vor Jena und Auerstädt! Die kleine Helmina hatte es gewagt, auf brennende politische Probleme einzugehen, die zu dieser Zeit von den preußischen Reformern erst ganz behutsam angetastet wurden. Es bedurfte der militärischen Katastrophe von 1806, um die Forderungen nach grundlegenden Reformen im Staats- und Militärwesen durchzusetzen. Wie bekannt, enthielten die preußischen Armeereformen dann eine begrenzte Abschaffung der Prügelstrafe.
     Was jedoch Männern wie Scharnhorst und Gneisenau erlaubt war, durfte noch lange nicht von einem Weibe ausgesprochen werden, und schon gar nicht öffentlich.
     Unter dem Druck Cottas, dem ihre Selbständigkeit in der Beurteilung politischer Themen mißfiel, und nach Überredung durch Schlegel, der ihr eindringlich empfohlen hatte, nur unter Pseudonym zu dichten und keine Publizistik in den öffentlichen Blättern unter eigenem Namen (was Helmina sonst fast ausnahmslos praktizierte) zu schreiben, mußte sie die Redaktion niederlegen, blieb aber weiterhin für die Zeitschrift mit gelegentlichen Beiträgen tätig.
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     In Paris, wo sie bis Herbst 1810 blieb, schrieb sie auch einige Beiträge über deutsche Kultur für das französische Publikum in Millins »Magasin encyclopédique ...«, über französische Kultur für das »Journal des Luxus und der Moden«, für »London und Paris« von Bertuch. 1808 gab sie die Zeitschrift »Thalie et Melpomene« für Deutschland mit den aktuellsten französischen Stücken heraus, die auf den Pariser Bühnen aufgeführt wurden. Auch später blieb sie mit der französischen Literatur und Kultur und ihren Vertretern George Sand, Juliette Recamier, Josef-Maria Degérando, Sylvestre de Sacy u. a. verbunden.
     Auch mit ihrem zweiten Mann, dem damals berühmten französischen Orientalisten (Lehrer von Friedrich Schlegel, Wilhelm von Humboldt, Franz Bopp u. a.) AntoineLéonard de Chézy (1773-1832), den sie 1806 heiratete und 1810 in beiderseitiger Zustimmung mit zwei Söhnen verließ, blieb sie bis zu seinem Tode in freundschaftlicher Beziehung.
     Ab 1810 zog sie allein mit ihren zwei Söhnen durch Deutschland und Österreich, immer tätig, immer aktiv, viele FreundInnen und selbstverständlich auch FeindInnen um sich sammelnd, Triumphe und Niederlagen erlebend, bis sie in der Schweiz, wohin sie in der Hoffnung ging, ihre Blindheit zu heilen, am 28. Januar 1856 starb. Auf dem städtischen Friedhof Plain-Palais in Genf erinnert ein bescheidener, von treuen Freunden aufgestellter Grabstein an die Berlinerin und Weltbürgerin.
Quellen:
1 Lorely Franch/Irina Hundt: Die Günderode an Bettina (1844). Ein unveröffentlichtes Manuskript Helmina von Chézys zur Wirkungsgeschichte der Günderode, des »Königsbuches« und des »Armenbuches«-Projekt, In: Internationales Jahrbuch der Bettina von Arnim-Gesellschaft, Bd. 6, 1995, S. 20
2 Helmina von Chézy: Unvergessenes. Denkwürdigkeiten aus dem Leben. Von ihr selbst erzählt, Th. 1, Leipzig 1858, S. 172
3 Helmina von Hastfer: St. Cloud. Brief an meinen Neffen August und Adolf H. in Heidelberg, In: Französische Miscellen, Tübingen 1803, Bd. 4, H. 1, S. 39
4 H-a***r: Aus dem Briefe einer Deutschen. An Adelaide von B. geb. von H. in Berlin, In: Europa. Eine Zeitschrift. Hrsg. von Friedrich Schlegel, Bd. I, Frankfurt am Main 1803, S. 161
5 [Helmina von Hastfer]: Gespräch einer Preussin mit einem französischen General beym Anblicke des Exercirens der muntern Dragoner Brigade, vom Obrist Horaz Sebastiani kommandirt, In: Französische Miscellen, ebd., S. 22

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 1/1996
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