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Bernhard Meyer
Apotheker und Chemiker

Martin Heinrich Klaproth (1743-1817)

Er besuchte keine Universität oder Akademie, hörte keine Vorlesungen, absolvierte keine Seminare, promovierte und habilitierte sich nicht - und dennoch war er der bedeutendste Chemiker seiner Zeit in deutschen Landen, wurde Professor und Akademiemitglied. Martin Heinrich Klaproth bereicherte die Chemie mit zahlreichen Entdeckungen und erwies sich als chemischer Analytiker mit neuen methodischen Ansätzen.
     Klaproths Karriere führte vom Kurrendaner in seiner Geburtsstadt Wernigerode über die ordentliche Mitgliedschaft in der Königlichen Preußischen Akademie der Wissenschaften (1788) zum ersten ordentlichen Professor für Chemie (1810) an der neugegründeten Berliner Universität. Die höhere Schulbildung blieb ihm als Sohn eines armen Schneidermeisters des Harzstädtchens versagt. Über seine Lehre in der Rats-Apotheke zu Quedlinburg von 1759 bis 1764 berichtete er: »Ich mußte mich nach damaliger Sitte mit demjenigen begnügen, was ich von dem handwerksmäßigen Verfahren

meiner älteren Mitgenossen absah und durch sparsames Lesen eines oder des anderen veralteten Apothekerbuchs« erfuhr. An die Lehre schloß sich eine zweijährige Gesellenzeit ebendort an. Die dann folgenden elf Jahre verbrachte er als Apothekengehilfe in Hannover, Danzig und in Berlin. Hier rezeptierte er in der Mohren-Apotheke und schließlich in der renommierten »Apotheke zum weißen Schwan« in der Spandauer Straße/Ecke Heidereuthergasse, welche die Familie Rose über Generationen führte und die über ein halbes Jahrhundert später auch eine der pharmazeutischen Lehrstätten von Theodor Fontane (1819-1898) war. Nach dem Tode von Valentin Rose d. Ä. (1736-1771) wurde er zum Provisor der Schwan-Apotheke bestellt. Dies schloß traditionell die Sorge um die hinterbliebenen Kinder des Apothekenbesitzers ein, in diesem Fall immerhin vier an der Zahl.
     Für 9 500 Taler erwarb Klaproth 1780 von dem Chemiker und Onkel seiner Frau Andreas Sigismund Marggraf die »Apotheke zum Bären«, gelegen in der Spandauer Straße 17 (Ecke Propststraße). Als er sie 20 Jahre später verkaufte, erzielte er einen Preis von 28 500 Talern. Eine derartige Wertsteigerung spricht für sein umsichtiges Wirken als Apotheker. Wichtiger allerdings war ihm das Laboratorium, über das die Bären-Apotheke verfügte.
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Gewissenhaft und korrekt sich um die Apotheke sorgend, gelangte der inzwischen fast 40jährige Klaproth immer stärker in chemische Gefilde und entfernte sich unmerklich von den Arzneimitteln. Obwohl seine spektakulären Entdeckungen erst Ende der 80er Jahre erfolgten, berief man ihn schon 1782 zum Assessor (Beisitzer) beim Ober-Collegium medicum (höchste preußische Medizinalbehörde) und zum Privatdozenten am Collegium medicochirurgicum sowie fünf Jahre danach zum Professor an der Artillerie-Akademie.
     Die autodidaktische Entwicklung zur Wissenschaft aus einem Handwerksberuf heraus stellte für die damalige Zeit durchaus keinen Einzelfall dar. Approbierte Apotheker um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert durchliefen die Lehrlings- und Gesellenzeit in einer Apotheke, ehe sie eine Universität aufsuchen konnten. Das änderte sich erst nach und nach mit dem Medizinaledikt von 1825. Klaproth verfügte zweifellos über die sprichwörtliche Besessenheit jener Menschen, die erst relativ spät verwirklichen können, wozu sie sich eigentlich berufen fühlen. Er entwickelte die analytische Chemie zum zuverlässigen Fundament der Forschung. Gegenüber bisherigen Gepflogenheiten legte er protokollarisch Einzelheiten seiner Versuchsanordnung offen und teilt das tatsächliche Ergebnis korrekt mit. So sind seine Schlußfolgerungen überprüfbar und nachvollziehbar. Damit rückte er die Tatsachen in den Vordergrund und nicht die subjektiven Schlußfolgerungen des jeweiligen Akteurs.
     Vorerst hantierte Klaproth in seinem Labor für sich, ohne Auftrag und ohne jemandem Rechenschaft schuldig zu sein. Mit außergewöhnlichem Erfolg: 1789 entdeckte und beschrieb er das Element Uran sowie das Zirkon, 1792 entdeckte und beschrieb er das Element Titan sowie 1793 das Strontium (gleichzeitig, aber unabhängig von Thomas Charles Hope), 1797 entdeckte und beschrieb er das Element Chrom (gleichzeitig, aber unabhängig von Louis Nicolas Vauquelin), 1798 klärte er die Eigenschaften des von Vauquelin entdeckten Berylliums (Glycinium) auf und bestätigt das von Franz Müller von Reichenstein vermutete Element Tellur, 1803 entdeckte und charakterisierte er (gleichzeitig mit Jöns Jacob Berzelius und Wilhelm Hisinger) das Cer, später Cererium genannt.
     Zwischendurch beschäftigte er sich ständig mit weiteren Mineral-Analysen, von denen er insgesamt 300 anfertigte. Klaproth erwarb Autorität, er wurde berühmt.
     Seinen Lebensunterhalt und die Kosten seiner Forschungen bestritt er aus den Einnahmen seiner Apotheke. Im Gegensatz zu manchem seiner Apothekerkollegen versuchte er sich nicht an Rezepturen für neue einträgliche Arzneimittel. Als Apotheker trat er auf den Plan, als er in Wort und Schrift ganz im Sinne der zeitgenössischen Aufklärung gegen das verbreitete Geheimmittelwesen, jene undurchsichtigen, ohne wissenschaftliche Grundlagen von Quacksalbern und Scharlatanen hergestellten Mixturen, vorging.
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Der Alchimie, dem tierischen Magnetismus und dem Rosenkreuzertum, kurzum pseudowissenschaftlichen Auffassungen unterschiedlicher Couleur, setzte er seinen naturwissenschaftlichen Objektivismus entgegen, auch als Freimaurer und Großmeister seiner Loge. Ein Ergebnis ist die erste nach wissenschaftlichen Grundsätzen gestaltete preußische Pharmakopöe 1799, die unter Federführung von Klaproth und durch Mitwirkung von Hermbstaedt, Valentin Rose d. J. (1762-1807) und Johann Ludwig Formey (1766-1823) vorgelegt wurde. Nun gab es endlich ein amtliches Verzeichnis der offiziell zugelassenen Arzneimittel einschließlich der Vorschriften über ihre Zubereitung, Beschaffenheit und Anwendung. Es machte Geheimmitteln zwar noch nicht den Garaus, stellte aber immerhin einen wissenschaftlichen Schritt nach vorn dar. Ganz in diesem Sinne wirkte auch die damalige »Berlinische Monatsschrift«, die mehrere Beiträge gegen die Quacksalberei veröffentlichte.
     Schließlich bekannte sich Klaproth 1792 zu der von Antoine Laurent Lavoisier (1743-1794) bereits 1772 entwickelten antiphlogistischen Theorie, mit der dieser eine chemische Revolution eingeleitet hatte. Die Phlogisten des 18. Jahrhunderts vertraten eine lange akzeptierte, vom deutschen Chemiker Georg Ernst Stahl (1660-1734) aufgestellte Theorie,
nach der aus allen brennbaren Körpern beim Verbrennungsvorgang ein Stoff, das Phlogiston, entweichen sollte. Sie übersahen jedoch, daß beim Verbrennen und Oxydieren gleichzeitig ein Stoff aus der Luft aufgenommen wird. Die Oxydationstheorie ebnete der Chemie neue Wege. Klaproth zögerte, ehe er sich dieser Theorie anschloß, empfahl 1792 der Akademie die Überprüfung der Ansichten von Lavoisier und bekannte sich nach der Bestätigung als Antiphlogist. Die dann mit seiner inzwischen beträchtlichen Autorität verkündete Entscheidung für Lavoisier verhalf den fortgeschrittenen Ansichten im deutschen Sprachgebiet schnell voran.
     Die Bären-Apotheke wurde Klaproth immer mehr zu einer Belastung bei seiner wissenschaftlichen Arbeit. Er verkaufte sie, als er 1800 die besoldete Stelle eines ordentlichen Chemikers der Akademie im »Haus hinter der Sternwarte« antreten konnte. Seine Erfolge sprachen für ihn. Das von ihm propagierte Experiment als alleinige und entscheidende Grundlage für neue chemische Erkenntnisse im Gegensatz zu bisher üblichen Spekulationen, seine wissenschaftliche und methodisch exakte Arbeitsweise als Analytiker profilierten ihn als den führenden Kopf unter den deutschen Chemikern. Er konnte sich nun noch mehr der von ihm über alles geliebten Forschung und der Lehre widmen.
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Davon profitierte zunächst Valentin Rose d. J., sein Schüler und Pflegesohn, mit dem er zusammen 1802 das Bariumnitrat zur Aufschließung von Silikaten ermittelte.
     Und doch erreichte Klaproth im Akademie-Labor nicht mehr jene Produktivität des einstigen Bären-Laboratoriums. Er begab sich unmerklich in jenen Abschnitt des Wissenschaftlerlebens, der die literarische Zusammenfassung der angesammelten Erkenntnisse in den Mittelpunkt stellt. Auch das kann sich sehen lassen: sechs Bände »Beiträge zur chemischen Kenntnis der Mineralkörper« und das fünfbändige »Chemische Wörterbuch« sind der Hauptertrag dieses Lebensabschnitts. Sein vielseitiges Interesse verdeutlicht sich z. B. auch darin, daß er gemeinsam mit Christoph Wilhelm Hufeland (1762-1836), Karl Ferdinand von Graefe (1787-1840), Ernst Ludwig Heim (1747-1834) und Albrecht Daniel von Thaer (1752—1828) zu den Gründungsmitgliedern der »Medicinisch-Chirurgischen Gesellschaft zu Berlin« gehörte, die sich 1810 konstituierte und das wissenschaftliche Leben der Stadt außergewöhnlich bereicherte. Maßgeblich wirkte er um die Jahrhundertwende an veränderten Gesetzen für die Apotheker mit, die 1801 ihren Niederschlag in der »Revidierten Apotheker-Ordnung« fanden.
Die Universität Erlangen promovierte ihn 1806 zum Dr. phil. h. c., Preußen verlieh ihm den Titel »Obermedizinal-Rat« und dekorierte ihn 1811 mit dem Roten Adlerorden III. Klasse. Über 30 wissenschaftliche Gesellschaften des In- und Auslands erfreuten sich seiner Mitgliedschaft.
     Geheiratet hat Martin Heinrich Klaproth erst relativ spät - am 13. Februar 1780. Aus der Ehe mit Christiane Sophie Lehmann (1748-1803) gingen sechs Kinder hervor. Seine Schwiegermutter war die Schwester von Andreas Sigismund Marggraf. Von diesem seinem Apotheker- und Chemiker-Oheim, unverheiratet und kinderlos, hatte er in seinem Hochzeitsjahr die Bären-Apotheke erworben. Verwandt war er auch mit der Familie Rose, mit dem Astronomen Johann Elert Bode (1747-1826) und mit dem Chemiker Hermbstaedt.
     1814 erlitt er einen ersten Schlaganfall, dem weitere folgten. Am 1. Januar 1817 ereilte ihn in seiner Akademie-Dienstwohnung Letzte Straße 7 (später Dorotheenstraße) der Tod. Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Friedhof vor dem Oranienburger Tor (heute Chausseestraße 126). Die Grabstätte ist nicht mehr vorhanden.
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 1/1996
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