86   Geschichte und Geschichten Marzahn als Hafenstadt?  Nächstes Blatt
Günter Peters
Marzahn als Hafenstadt?

Die nordöstliche Stadterweiterung ist seit Beginn des 20. Jahrhunderts schon öfter Gegenstand von Ideen, Planung und Projekten gewesen, analog zu der südlichen mit dem Teltow-Kanal.
     Planungen für eine nordöstliche Stadterweiterung im Zusammenhang mit einem Nordkanal entstanden zur gleichen Zeit mit dem Teltowkanal Ende des 19. Jahrhunderts. Die Notwendigkeit für den Kanal ergab sich auch aus dem ständig steigenden Güterverkehr auf der Spree und der Erschließung einer besseren Vorflut für den Nordosten Berlins. Mit den Planungen für einen Nordkanal zwischen der Spree in Berlin-Köpenick und dem Tegeler See war auch der Bau von Hafenanlagen im Raum Biesdorf und Marzahn vorgesehen. 1882 hatte Gustav H. Schulze in einer kleinen Denkschrift, erschienen im Friedrich Luckhardt Verlag, erstmals auf die Wichtigkeit der Anlage eines Nordkanals hingewiesen. Er sollte eine Verbindung der Spree im Osten Berlins (Einmündung gegenüber dem Eierhäuschen/ Bezirk Treptow) mit dem Tegeler See bzw. mit der Havel unterhalb Nieder-Neuendorfs herstellen.

     Eine neue Anregung zum Bau eines Nordkanals geben die Grundbesitzervereine Nordberlins mit ihrer Druckschrift »Der Großschiffahrtsweg Stettin-Berlin und die Berliner Hafenfrage«, veröffentlicht 1898 in der lithographischen Anstalt von Bogdan Gisevius. Eine vom Königlichen Baurat Düsing im Auftrage des »Comité zur Schaffung eines Zentralhafens im Norden Berlins und für den Berliner Nord-Kanal« erarbeitete »Denkschrift Nord-Kanal Berlin« erschien im Jahre 1900.
     Der vorgeschlagene Nord-Kanal sollte zwischen Köpenick und Oberschöneweide gegenüber Spindlersfeld beginnen und südlich der Borsigwerke im Tegeler See enden. Er sollte durch die Wuhlheide führen und die Eisenbahnstrecke in der Nähe der Haltestelle Sadowa (heute S-Bahnhof Wuhlheide) unterqueren. Er führte weiter durch Biesdorf-Süd, an den Fuchsbergen vorbei. Nach der geplanten Unterquerung der Straße Altfriedrichsfelde-Biesdorf (heutige Bundesstraße 1/5) und der Eisenbahnstrecke nach den ehemaligen Ostgebieten Küstrin/Bromberg (ehemalige Ostbahn) zwischen Friedrichsfelde-Ost und Biesdorf sollten im heutigen Gebiet des Biesdorfer Kreuzes und der südlichen Spitze des Wohngebietes ein Schiffshebewerk und der Hafen entstehen.
BlattanfangNächstes Blatt

   87   Geschichte und Geschichten Marzahn als Hafenstadt?  Voriges BlattArtikelanfang
     In der Nähe der damaligen Mittel-Berge (heute S-Bahn Springpfuhl) sollte der Kanal die Eisenbahnstrecke nach Wriezen unterqueren und östlich des Evangelischen Krankenhauses Königin Elisabeth Herzberge bis zur heutigen Landsberger Allee vorbeiführen. Dann sollte er entlang der nördlichen Seite der Landsberger Allee verlaufen zum Ortsteil Wilhelmsberg. Gegenüber dem Wasserwerk Lichtenberg war ein weiterer Hafen geplant. Vom Wilhelmsberg bis zur Einmündung im Gebiet des Gänsewerder im Tegeler See sollten dann noch drei Häfen und zwei Schleusen folgen.
     Der Kostenanschlag für den Nordkanal ermittelte für Grunderwerb und Nutzungsentschädigungen, Erdarbeiten, 20 Straßen- und Eisenbahnbrücken, Kanalufermauern, sechs Häfen, Schleusen und Schiffshebewerke eine Summe von 42,5 Millionen Mark, davon reine Kosten für den Kanal in Höhe von 29 Millionen Mark. Die Planungen des Baurates Düsing wurden aufgrund fehlender Finanzierung und durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges nicht realisiert.
     Ende 1923 wurde vom Regierungs- und Baurat Herbst erneut ein Plan für den Berliner Nordkanal erarbeitet und im Zentralblatt der Bauverwaltung vom 12. März 1924 vorgestellt. Der neue Schiffahrtskanal war für einen Verkehr von Tausend-Tonnen-Schiffen geplant. Er sollte durch die Wuhlheide, Biesdorf, Lichtenberg, Weißensee, Hohenschönhausen, Pankow, Blankenburg, Reinickendorf, Rosenthal, Wittenau und Tegel in einer Länge von 31 Kilometern führen. Der Entwurf sah die Kreuzung von acht Eisenbahnlinien und zahlreichen Straßen vor.
Die Schätzungen besagten, daß ca. 2,5 bis 5 Millionen Tonnen Güter jährlich auf diesem Wasserweg transportiert werden könnten. Auch diese Planung wurde im Zusammenhang mit der Besiedlung im Nordostraum, der Ent- und Bewässerung sowie mit dem Verkehr gesehen und sollte als Notstandsarbeit ausgeführt werden. Das Projekt konnte aufgrund fehlender Mittel ebenfalls nicht realisiert werden.
     Mitte der 20er Jahre wurde eine Wohnbebauung ins Auge gefaßt, und um 1937/38 gibt es Ideen für eine »Nordstadt«. Die städtebaulichen Planungen von 1949 bis 1968 mit der Bestätigung des Generalbebauungsplanes sahen hier ursprünglich keine Stadterweiterungen vor. Der am 15. Februar 1968 bestätigte Generalbebauungsplan, der die städtebauliche Entwicklung bis 1980 darstellte, orientierte auf die Umgestaltung und den Neubau im kompakten Stadtgebiet. Die Flächennutzung registriert auf dem heutigen Wohngebiet »Marzahn 1968« landwirtschaftliche Ertrags- und Grünflächen. Bis 1980 ist nur das Industriegebiet Lichtenberg-Nordost entlang der Rhinstraße als Investitionsschwerpunkt ausgewiesen; Biesdorf und Marzahn sind nicht als Baugebiete vorgesehen. Trotzdem bleibt festzustellen, daß das Biesdorfer und Marzahner Gebiet auch schon vor der heutigen Bebauung Gegenstand von Bauplanungen war. Bereits vor dem Beschluß des »Wohnungsbauprogrammes der DDR bis 1990« am 2. Oktober 1973 beginnt die Untersuchung des Nordostraumes.
BlattanfangArtikelanfang

© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 1/1996
www.berlinische-monatsschrift.de