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Barbara Keller
Ernst Litfaß, ein königstreuer Demokrat

Der Volksmund nannte ihn den »Reklamekönig«, den »Säulenheiligen«. In seiner Jugend floh er aus dem elterlichen Haus, um Schauspieler zu werden, und nannte sich »Herr Flodoardo aus Berlin«.
     Alles, was wir heute über Litfaß wissen, verengt sich auf die gleichnamige Säule und endet an diesem Punkt.
     Wenn wir in einschlägige Lexika einen Blick werfen, vom Bekanntheitsgrad der Reklamesäulen auf einen ähnlichen der Lebensdaten E. T. A. Litfaß schließend, werden wir uns in der Hoffnung enttäuscht sehen, auch nur die Eckdaten dieses namentlich berühmten Buchdruckers zu finden.
     Ernst Litfaß erging es in diesem Punkt nicht anders als anderen preußischen Pionieren der industriellen Revolution. Deren Erfindungen sind Allgemeingut geworden, im besten Fall ist der Name des Neuerers noch mit diesen verknüpft; dann sind wir mit unserem Latein auch schon am Ende.
     Dabei gibt es Material in Fülle, das uns über das Leben von Litfaß zu unterrichten in der Lage ist.

Mit selbstbewußter Eigenliebe hat er jedes Stück Papier gesammelt, das auch nur im entferntesten mit seinem Namen zusammenhing. Dabei hatte er soviel Humor, auch die ihm weniger geneigten, recht böswilligen Beiträge in sein Lebenskonvolut aufzunehmen. Er nannte es: »Mein industrielles und privates Wirken«.1) Bisher sind nur wenige, tendenziöse Arbeiten über Litfaß angefertigt worden. Sie konzentrieren sich meist auf die Installierung der Säulen 1855.

Nach seinem Tod schnell vergessen

1871 feierte Litfaß sein 25jähriges Geschäfts- und Bürgerjubiläum. Friedrich Tietz verfaßte aus diesem Anlaß eine Jubiläumsbroschüre und ehrte darin einen etablierten und verdienstvollen Patrioten und Bürger seiner Zeit.2)
     Mit dem Tod von Ernst Litfaß im Jahre 1874 beginnt die Geschichte des Vergessens. 1880 werden sämtliche originalen Litfaß-Säulen abgerissen zu Lasten der erfolglos klagenden Litfaß-Erben. Der Magistrat von Berlin beauftragt die Firma Nauck & Hartmann mit der Installierung neuer Säulen. Ein ernsthaftes wissenschaftliches Interesse an der Person E. T. A. Litfaß' zeigte erstmalig Knud Knudsen, der 1941 über ihn notpromovierte. Diese Arbeit ist leider nicht erhalten. Knudsen fertigte sie handschriftlich aus und ließ sie sich nach erfolgreicher Promotion wieder aushändigen.

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Knudsen lebte in den 50er Jahren, nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, im Osten Deutschlands und veröffentlichte im »Bär von Berlin« 1954 einen 44seitigen Aufsatz unter dem Titel »Hundert Jahre Berliner Litfaß-Säulen«.3)
     In seiner Arbeit über Litfaß transportiert er das Bild von einem berechnenden Geschäftsmann, den er als Pendant stilisiert zum amerikanischen Werbemogul. Litfaß' persönliches Streben verengt Knudsen auf seinen geschäftlichen Erfolg. Er sieht in Litfaß einen durch und durch werbepsychologisch motivierten Menschen, dem jede ernsthaftere Gesinnung fremd, dessen zur Schau getragener Patriotismus reine Staffage ist. Menschlich idealistische Regungen kann Knudsen Litfaß nur mit einiger Überwindung zugestehen.
     Ernst Theodor Amandus Litfaß wurde am 11. Februar 1816 als Sohn des Buchdruckers und Buchhändlers Ernst Gregorius Litfaß (1781-1816) und Johanna Sophie Caroline Litfaß (1792-n. 1867), Tochter eines Brauers und Branntweinbrenners, geboren. Kurze Zeit nach Litfaß' Geburt starb sein Vater.

Er träumte von einer Karriere als Schauspieler

Sein Stiefvater Leopold Wilhelm Krause, der das Litfaßsche Geschäft kaufte und erfolgreich weiterführte, gab mit dem später in Wien zur Berühmtheit gelangten Literatur- und Theaterkritiker Moritz Saphir (1795-1858)

das humoristische Kritikerblatt »Die Schnellpost« und den »Courier, ein Frühstücksblatt für Jedermann und jede Frau« heraus. E. T. A. Litfaß ging bei dem Buchdrucker Schlesinger (Unter den Linden) in die Lehre. Aber er träumte von einer Karriere als Schauspieler und überwarf sich mit seinem Stiefvater, der sein Vorhaben »einen wahnsinnigen Streich« nannte. Litfaß türmte und nahm die nächste Schnellpost nach Brandenburg, wo er, sich »Herr Flodoardo aus Berlin« nennend, eine Zeitlang mit durchschnittlichen Rollen schauspielerisch brillierte. Zwei Jahre trieb er als Bohemien durch deutsche Lande, bis er »zur Klärung seiner militärischen Verhältnisse nach Berlin zurückkehrte« und in die Geschäfte seines Stiefvaters eintrat.
     Im Jahre 1840, 24jährig, war Ernst Litfaß bereits verheiratet und Vater einer Tochter. Fünf Jahre später kaufte er von seinem schwer nervenkranken Stiefvater das Geschäft, um es ein Jahr darauf zu übernehmen. Seine erste Tat: Er modernisierte es vollständig nach neuestem Standard.4)
     Litfaß Engagement in der Märzrevolution 1848 war geprägt von seinem Wunsch nach einem »modernen Preußen«, worunter er ein Preußen der konstitutionellen Monarchie verstand.
     Litfaß engagierte sich als königstreuer Demokrat und war wie viele andere von der Unfähigkeit der gewählten Nationalversammlung und vom Ausgang der Revolution enttäuscht.5)
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Litfaselei - Der Berliner Magistrat in seinen unsterblichen Kämpfen

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     Er druckte eine Unzahl Anschläge politischen Inhalts und gab das bissig humoristische, politische Blatt »Krakehler« heraus. Der »Krakehler« wurde im November 1848 zusammen mit acht weiteren Blättern, darunter dem »Kladderadatsch«, verboten. Im Winter 1853/54 unternahm Litfaß u. a. eine Reise nach Paris, der damaligen »ersten Weltstadt« Europas.6) Zurück in Berlin, schloß er einen Vertrag mit dem Berliner Polizeipräsidenten Hinckeldey über die Aufstellung von 150 Anschlagsäulen. Dem Polizeipräsidenten kamen die Vorschläge des jetzt 38jährigen Litfaß gelegen; das öffentliche, unzensierte Plakatieren seit der 48er Revolution war ihm ein Dorn im Auge. Litfaß erhielt die Nutzungsrechte für diese Säulen über 15 Jahre.7)
     1856, ein Jahr nach der Installation der Säulen, gelang ihm ein weiterer Durchbruch in seiner beruflichen Karriere: Die Korvette »Danzig«, ein Schiff der jüngst geschaffenen preußischen Marine, hatte Feindberührung mit Riffpiraten an der Nordküste Afrikas. Das patriotische Preußen nahm Anteil an den Opfern dieses Zusammentreffens. Litfaß veranstaltete ein Benefiz zu diesem Ereignis und wurde prompt tags darauf vom Prinz-Admiral Adalbert von Preußen zur Audienz gebeten.8)
Zu Beginn des Preußisch-Österreichischen Krieges (1866) ist es Litfaß, der sich dem Polizeipräsidenten mit dem Anerbieten nähert, die Kriegsdepeschen vom Kriegsschauplatz kostenlos zu drucken und anzuschlagen. Ein Jahr darauf erfährt er die höchste öffentliche Würdigung seines Lebens: Innenminister Graf Eulenburg freut sich, Litfaß mitteilen zu dürfen, daß auf sein Betreiben hin der König ihn mit dem Titel »Geheimer Kommissionsrat« dekoriert hat, die Bearbeitungsgebühr beträgt 15 Silbergroschen.9)

Benefiz-Konzerte mit Volksfestcharakter

Es zeigt sich, daß Litfaß die Früchte seiner Bemühungen, die zwischen dem dreißigsten und vierzigsten Lebensjahr liegen, nun als dekorierter Fünfziger ernten kann. 1861 erwirbt er das Haus, in dem er arbeitet und gemeinsam mit den Familien seiner Töchter lebt: die Adlerstraße 6. Er trägt sich in das Firmenregister ein. Als Litfaß im Krieg 1870/71 wiederholt den Druck und die Plakatierung der Kriegsdepeschen übernahm, gehörte er bereits zu den Reichen der Stadt.
     Ohne sein ausgeprägt wohltätiges Wirken ist Litfaß nicht denkbar.

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Kariktur aus »Hamburger Wespen«, 27. 2. 1870
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Mit seinem begnadeten Organisationstalent war er in der Lage, amüsante Benefiz-Konzerte mit Volksfestcharakter zu organisieren, die 50 000 Menschen auf die Beine und Erträge von 1 000 Talern brachten. (Zum Vergleich: Die durchschnittlichen jährlichen Aufwendungen für einen Almosenempfänger betrugen im Jahre 1850 26 Taler!)
     Zeit seines Lebens blieb Litfaß interessiert an technischen Neuerungen. Er hatte 1846 die Schnellpresse eingeführt, installierte dann einen Telegrafen in seinem Betrieb, um mit den Mitarbeitern jeder Zeit in Verbindung bleiben zu können. Er stellte den Betrieb auf Dampfkraft um und ließ in seinem Haus nach dem neuesten Standard einen Fahrstuhl durch alle Etagen einbauen.
     Litfaß' öffentlich beruflicher Zenit wurde seit dem Jahre 1866 von privaten Tragödien überschattet. Allein in den Jahren 1866 bis 1872 war in der Adlerstraße 6 der Tod von fünf Enkelkindern zu beklagen.
     1873 stirbt sein Schwiegersohn (38 Jahre), drei Monate später Litfaß' Frau (56 Jahre). Im Jahr darauf, 1874, drei Tage nach Weihnachten, stirbt auch Ernst Litfaß 58jährig in Wiesbaden. Ein ruhiger Lebensabend war ihm nicht beschieden.

     Das Stadtmuseum (Märkisches Museum) widmet Leben und Werk von Litfaß eine Ausstellung, die am 16. Januar eröffnet wird und bis Mitte März besucht werden kann.

Quellen:
1 Konvolut, im Bestand des Stadtmuseums
2 Friedrich Tietz: Ernst Litfaß' industrielle und private Wirksamkeit, Berlin 1871
3 Knud Knudsen: Hundert Jahre Berliner LitfaßSäulen. Ernst Litfaß in seiner Zeit, In: Der Bär von Berlin. Jahrbuch des Vereins für die Ge schichte Berlins, 4. Folge, Berlin 1954
4 Konvolut, a. a. O.
5 diverse Anschläge aus dem Jahre 1848 aus der Druckerei E. Litfaß, im Bestand des Stadtmuseums
6 Friedrich Tietz, a. a. O., S. 9
7 Konvolut, a. a. O.
8 Brief des Prinz-Admirals an E. T. A. Litfaß im Konvolut, a. a. O.
9 Brief des Innenministers Eulenburg an E. T. A. Litfaß, a. a. O.

Bildquelle: Archiv Märkische Museum

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 1/1996
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