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Fußtouren durch Berlin

Von der Oberbaumbrücke zum Abgeordnetenhaus

Die etwa 5 Kilometer lange Route folgt dem Verlauf der ehemaligen Mauer, die das Herz der Stadt durchschnitt. Hier ist nachvollziehbar, wie die Grenze als Trennungslinie zwischen Menschen und Systemen funktionierte.
     Zu sehen sind auf diesem Spaziergang Bauwerke aller Stile von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Postmoderne. Die markantesten Sehenswürdigkeiten sind: Oberbaumbrücke (1), East-Side-Gallery (2), Osthafen, Hauptbahnhof, Schillingbrücke, Bethanien (3), Michaelkirche (4), Engelbecken, Gedenkstätten für Maueropfer (5), Checkpoint Charly (6), Topographie des Terrors (7), Abgeordnetenhaus und Gropius-Bau (8).
     Die Oberbaumbrücke (1) als Ausgangspunkt dieser Mauerwanderung hat symbolischen Charakter sie verbindet die zwei traditionellen Berliner Bezirke Friedrichshain und Kreuzberg.
     Erbaut wurde sie 1894 -1896 nach Entwürfen von Otto Stahn im Hinblick auf die vorgesehene U-Bahnlinie. Von allen Berliner Brücken weist sie das markanteste Profil auf:

Die sieben Bögen bei einer Spannweite von 150 Metern und die Warttürme betonen in Anspielung auf die einstige Zollbrücke die mittelalterliche, märkische Torbauweise.
     1902 fuhr die erste U-Bahn ab Bahnhof »Warschauer Brücke« über die Oberbaumbrücke. Mit dem 13. August 1961 wurde der U-Bahnverkehr eingestellt und der Brückenteil über die Stralauer Allee abgetragen. Seit dem 9. November 1994 ist sie nach umfassender Sanierung wieder für den Fußgänger- und Autoverkehr frei; seit dem 14. Oktober 1995 fährt die U1 wieder über die Oberbaumbrücke.
     Die Bezeichnung »Oberbaum« geht auf die Spree als Bestandteil der Befestigungsanlage um Berlin und Cölln zurück. Oberhalb und unterhalb der Städte war der Fluß durch Pfähle und quer liegende Baumstämme gesperrt - daher Oberbaum und Unterbaum (in der Nähe der Charité).
     An der heutigen Oberbaumbrücke stieß die 1734 errichtete Stadtmauer auf die Spree. Zur Erhebung und Einziehung der Akzise auf die ein- und ausgeführten Waren entstand das Stralauer Tor an der Oberbaumbrücke (Stralauer Allee, nicht mehr vorhanden).
     Einige Schritte weiter eine Einmaligkeit die »East-Side-Gallery« (Mauergalerie) (2). Mit 1,3 km präsentiert sich die längste Open-Air-Galerie der Welt, von 118 Künstlern aus 21 Ländern seit 1990 direkt an der »Mauer« gestaltet.
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Die Anregung stammt von Chris MacLean. Die einzigartige Galerie offeriert die künstlerische Umsetzung von tatsächlichen oder fiktiven Geschehnissen aus der DDR, vor allem im Zusammenhang mit dem Denken und Fühlen der Menschen hinsichtlich der Mauer. Bekannteste Bilder sind »Trabbi go west« und »Der Bruderkuß« (Honecker und Breshnew).
     Vorbei an Gebäuden des Osthafens, dem Hauptbahnhof und über die Schillingbrücke kommt man zum Mariannenplatz mit dem Haus Bethanien (3), heute das Künstlerhaus Kreuzberg (Bezirk Kreuzberg, Luisenstadt). 1847 als »Diakonissenkrankenhaus Bethanien« eingeweiht, genoß es seinerzeit im medizinischen Berlin einen ausgezeichneten Ruf. Als große symmetrische Dreiflügelanlage im Flurgangsystem mit einem rückwärtigen Kirchenanbau in der Hauptachse, so wurde Bethanien gebaut zu einer Zeit, da die Krankenpflege noch eine Angelegenheit der Kirche war oder anderen barmherzigen Helfern überlassen blieb. Der maßvolle Rundbogenstil war als altchristliches Merkmal damals allein dem kirchlichen Bauen vorbehalten. Der Aufgabe gemäß und als Stiftung der Sparsamkeit verpflichtet, gibt sich das Äußere schlicht, nur der Mittelrisalit mit zwei schlanken Türmen, die ausdrücklich von Friedrich Wilhelm IV. gefordert wurden, hebt sich aus der Front zum Mariannenplatz ab. Über 400 Betten verfügte das Krankenhaus, immer 10 bis 14 in einem Saal, zwischen den Sälen abwechselnd Teeküchen oder Doppelzimmer für die Schwestern und Toiletten.
So war immer eine Schwester für einen Saal zuständig, wohnte bei ihren Kranken. Theodor Fontane wirkte hier 1848/49 als Apotheker.
     Von der Schillingbrücke an folgt die Tour dem früheren Luisenstädtischen Kanal, der zum Urbanhafen führte. Der Fall der Mauer 1989 ermöglicht es, den innerstädtischen Grünzug als Parkanlage durchgängig wiederherzustellen.
     Im früheren Grenzbereich auch die Michaelkirche (4). Sie entstand 1861 als erste katholische Garnisonkirche Berlins. Der mehrfarbige Backsteinbau in Anlehnung an den Rundbogenstil der oberitalienischen Renaissance gilt als das bedeutendste Werk der direkten Schinkelnachfolge. Das Innere der Kirche wurde auf Wunsch König Friedrich Wilhelms IV., der regen Anteil an der Bauausführung nahm, im Stil San Salvatore, der berühmtesten Hochrenaissancekirche von Venedig, nachempfunden. Für Theodor Fontane war sie die schönste Kirche der Stadt überhaupt.
     Auf dem Weg in das frühere Berliner Zeitungsviertel geht es an der ehemaligen Grenzübergangsstelle Heinrich-Heine-Straße und dem Spittelmarkt vorbei in die Zimmerstraße. In der Nr. 95 wohnte von 1826 bis 1836 Willibald Alexis, der hier seinen sechsbändigen Roman »Cabanis« (1832) schrieb. Die Zimmerstraße 4 (Ecke Friedrichstraße) beherbergte 1839 bis 1845 den Maler Adolf Menzel.
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     Die Gegend um die alte Jerusalemer Kirche wurde vor dem Zweiten Weltkrieg als Berliner Zeitungsviertel mit den Verlagshäusern Scherl, Ullstein und Mosse bekannt. Heute verweist vor allem das Springer-Hochhaus auf die Zeitungstradition in dieser Gegend.
     Und immer wieder bringt sich die Mauer in Erinnerung: In der Schützenstraße (5) (ursprünglicher Name wieder seit 1991, zwischenzeitlich Reinhold-Huhn-Straße) befindet sich ein Gedenkstein für den dort am 18. Juni 1962 erschossenen DDR-
Grenzsoldaten Reinhold Huhn. Nur wenig weiter das Gedenkkreuz für Peter Fechter, der am 17. August 1962 beim Versuch, in der Zimmerstraße/ Ecke Charlottenstraße die Grenze zu durchbrechen, angeschossen im Grenzstreifen verblutete.
     Nun ist man angelangt am Checkpoint Charlie (6), einer der berühmtesten Grenzpassagen der Welt. Hier in der Friedrichstraße lag der dritte alliierte Kontrollpunkt nach Helmstedt und Dreilinden.
1 Oberbaumbrücke3 Thomaskirche, Bethanien5 Gedenkstätten für Maueropfer7 Topographie des Terrors
2 Mauergalerie4 Michaelkirche, Engelbecken6 Mauermuseum, Checkpoint Charly8 Abgeordnetenhaus, Gropius-Bau
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Daher erhielt er von der für den angrenzenden Sektor zuständigen amerikanischen Armee den Buchstaben C wie Charlie. Im Sommer 1990 wurde der Grenzübergang der Alliierten in der Friedrichstraße mit einem feierlichen Zeremoniell geschlossen.
     Geblieben ist das »Haus am Checkpoint Charlie«, Mauermuseum und Gedenkstätte zugleich, das bereits am 14. Juni 1963 öffnete. Zu sehen dort im Umfeld unverkennbare Reliquien der Berliner Mauer als Mahnung.
     Durch die Zimmerstraße jenseits der Friedrichstraße an modernen Wohn- und Geschäftshäusern und den Überresten der Berliner Markthalle III (Ruine) vorbei, gelangt man zur »Gedenkstätte Topographie des Terrors« (7) (Gestapo, SS und Reichssicherheitshauptamt auf dem Prinz-Albrecht-Gelände). Hinter dem Gropius-Bau sind noch die gefliesten Keller und Fundamentreste der berüchtigten Häuser an der Prinz-Albrecht-Straße (heute Niederkirchnerstraße) zu sehen. Im Haus Nr. 8, der früheren Kunstgewerbeschule, hatte die aus der Politischen Polizei hervorgegangene Geheime Staatspolizei (Gestapo) ihren Sitz.
     Auf dem Nachbargrundstück, im ehemaligen Hotel »Prinz Albrecht«, war ab 1934 Heinrich Himmler, der Reichsführer SS, mit seinem Stab untergebracht. Im Prinz-Albrecht-Palais in der Wilhelmstraße (Einmündung Kochstraße), das 1830 von Karl-Friedrich Schinkel für Prinz Albrecht von Preußen hergerichtet worden war, hatte in der Nazizeit der Sicherheitsdienst des Reichsführer SS sein Hauptquartier.
     In der Niederkirchnerstraße befindet sich im Gebäude des ehemaligen Preußischen Landtags Berlins Landesparlament (Abgeordnetenhaus) (8). Dieser ausgedehnte Komplex wurde 1892-1897 in historisierendem Stil von Friedrich Schulz erbaut. Im Krieg weitgehend zerstört, zu DDR-Zeiten Bestandteil des Hauses der Ministerien, beherbergt das Gebäude in zentraler Berliner Lage nach der Wiedervereinigung das höchste parlamentarische Gremium der Stadt.
     Gegenüber der Martin-Gropius-Bau (8), in dem sich von 1881 bis 1921 das Kunstgewerbemuseum befand. Erbaut vom Schinkelschüler Martin Gropius und von Heino Schmieden, im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, erfolgte die Restaurierung ab 1978 und die Wiedereröffnung 1981. Durch den Verlauf der Mauer mußte übrigens seinerzeit der Eingang an die Querseite verlegt werden. Heute dient das Haus vorrangig wechselnden Ausstellungen.

Karte LVB

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 1/1996
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