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Abgeordnetenhaus Berlin.
13. Wahlperiode 1995-1999
Stand: November 1997, NDV Neue Darmstädter Verlagsanstalt, Rheinbreitbach 1997

Abgeordnetenhaus Berlin.
14. Wahlperiode 1999-2004
Stand: Februar 2000, NDV Neue Darmstädter Verlagsanstalt, Rheinbreitbach 2000

Handbücher der Parlamente sind wichtige Quellen parlaments- und verfassungsgeschichtlicher Art. Als amtliche Ausgaben geben sie gesicherte Auskunft über Zustandekommen, Zusammensetzung und Arbeitsweise der Volksvertretungen. Ein amtliches Handbuch, wie es der Deutsche Bundestag für jede Wahlperiode herausgibt, kennt das Berliner Landesparlament nicht. Bei den hier zu betrachtenden Titeln handelt es sich um Taschenbuchausgaben, die sich an die Bürgerinnen und Bürger mit den wichtigsten Daten und Informationen wenden.
     Mit Inkrafttreten des Einigungsvertrages am 3. Oktober 1990 bildeten das vormalige West- und Ost-Berlin das neue Land Berlin innerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Die Wahlen zum ersten gesamtberliner Abgeordnetenhaus fanden zeitgleich mit den Wahlen zum ersten gesamtdeutschen Bundestag am 2. Dezember 1990 statt. Als sich das erste Gesamtberliner Abgeordnetenhaus am 11. Januar 1991 konstituierte und eine revidierte Verfassung von Berlin in Kraft setzte, sah es sich in der 12. Wahlperiode. Mit anderen Worten: Die Wiedergewinnung der städtischen Einheit reflektierte sich als Beitritt Ost-Berlins, der früheren DDR-Hauptstadt, zum seit 1949/50 bestehenden BRD-Land West-Berlin. Demgemäß wurden die folgenden Wahlperioden von 1991, 1995 und 1999 einfach weitergezählt.
     Der Aufbau beider Taschenbücher gleicht sich: Nach einem Einführungsartikel über das Abgeordnetenhaus von Berlin werden alle Abgeordneten in Bild und Kurzbiografie vorgestellt.

Es schließen sich die personelle Zusammensetzung der Fraktionen, des Ältestenrates, der Ausschüsse und der Untersuchungsausschüsse sowie des Senats von Berlin an. Auch werden die Berliner Abgeordneten im Deutschen Bundestag und im Europäischen Parlament genannt. Die Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses und das Petitionsgesetz gehören zur Standardausstattung, ebenso die Wahlergebnisse zu jeder Wahlperiode, die Aufgliederung der Abgeordneten nach Wahlkreisen, Bezirks- und Landeslisten sowie wichtige Anschriften.
     Gerhard Keiderling

 
Ruth Glatzer:
Berlin zur Weimarer Zeit.

Panorama einer Metropole 1919-1933. Siedler Verlag Berlin, 2000

Allmählich scheint die im ersten Jahrzehnt nach der deutschen Vereinigung als modische Pflicht gehandhabte Diskriminierung und Delegitimierung der intellektuellen DDR-Elite - nun, da sie zum großen Teil ohnehin ins Rentenalter gelangt ist - einer nüchterneren Berechnung des damit versaubeutelten geistigen Potenzials Platz zu machen. Es ist ja nicht einmal mehr so einfach, aus Konkurrenzgründen neue IM-Debatten loszutreten, ohne auf Widerspruch zu treffen.
     Ohnehin gab es auch in diesem schlimmen Jahrzehnt der böswilligen Ausgrenzung und leichtfertigen Denunziation einzelne Leuchttürme im deutschen Geistesleben, die sich dem von der schwarz-gelben Bundesregierung durch deren seinerzeitigen Justizminister Kinkel offiziell vorgegebenen und von den bundesdeutschen Medien begierig aufgegriffenen Mainstream der Verteufelung widersetzten und aus der DDR vorliegende Leistungen nicht gerade nahtlos übernahmen, aber doch immerhin in das Geistesleben der größer gewordenen Bundesrepublik retteten.

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     Einer dieser Leuchttürme war und ist der Berliner Siedler Verlag, dessen Leiter Wolf Jobst Siedler (der unlängst seinen 75. Geburtstag begehen konnte) bewusst an eine auch in Westberliner Leserkreisen geschätzte Serie aus dem Ostberliner Verlag Rütten & Loening anknüpfte, nämlich an die dort seit 1954 in Abständen erscheinende Publikationsfolge unter dem Titel »Berliner Leben« - Auswahlbände mit authentischen jeweils zeitgenössischen Berichten, Eindrücken und Erinnerungen.
     Die Reihe begann noch vor der Mitte der fünfziger Jahre mit dem Band zum Zeitabschnitt 1806-1847, wurde 1956 mit »1648-1805«, 1963 mit »1870-1900«, nach langer Pause dann 1983 mit »1914-1918« und 1986 mit »1900-1914« (in zwei Bänden) fortgesetzt. Als Sammlerin der Zeitberichte und klug kommentierende Herausgeberin fungierte über die Jahrzehnte Ruth Glatzer (1954 noch als erst in der Mitte des dritten Lebensjahrzehnts stehende Ruth Köhler), und nach der deutschen Vereinigung trat Siedler an die Autorin mit dem Anliegen heran, aufbauend auf deren Erfahrung und Quellensammlung nun in seinem Verlag gleichgeartete Bände herauszubringen. Frucht der daraus entspringenden Zusammenarbeit waren bis dato »Berlin wird Kaiserstadt« (1993; vgl. BM 5/1995) und »Das Wilhelminische Berlin« (1997; vgl. BM 5/1997). Nun legt Siedler den obigen Titel vor.
     Schon 1957 hatte nach dem Erfolg von Rütten & Loening der Verlag Das Neue Berlin versucht, dem Lesepublikum einen Band für die Jahre von 1919 bis 1932 zukommen zu lassen mit Willy Manns »Berlin zur Zeit der Weimarer Republik«. Leider war das lobenswerte Vorhaben gründlich misslungen, da die Interessierten an den nun bereits vorliegenden Bänden von Ruth Glatzer maßen und angesichts dieses Maßstabes zu einem recht negativen Urteil hinsichtlich der Qualität der Mannschen Leistung gelangten, die sich ohnehin in Selbstbescheidung nur als »Ein Beitrag« kategorisiert hatte.
     Die Sammlerin und Autorin Glatzer (sie hat, das sei versichert, wirklich keinen Arbeitsstab zur Seite und recherchiert ganz allein!) war sich natürlich dessen bewusst, dass angesichts des Flops mit dem Werk von Willy Mann ihr Verlag früher oder später - Gesundheit und Schaffenskraft als bleibend vorausgesetzt - bei ihr auf einen Band zur Zeit der Weimarer Republik insistieren würde, und hatte diese künftige Aufgabe schon während der Sammlungsarbeit zu den vorhergehenden Bänden im Hinterkopf. Deshalb musste die Zeitspanne zwischen dem Erscheinen des »Wilhelminischen Berlin« und dem jetzt Vorgelegten auch nicht übermäßig lang angesetzt werden: Glatzers Kenntnis wesentlicher literarischer, journalistischer und biografischer Werke für die Zeit von 1919 bis 1933 begann nicht bei Null, und eine gewisse Grundausstattung an Quellensammlung lag im Glatzerschen Archiv bereits vor, als die Arbeit an dem Band begann. Andererseits durften die Augen nicht verschlossen werden vor der Tatsache, dass das Berlin der »goldenen Zwanziger« als Thema ein Tummelplatz für eine erkleckliche Anzahl von Sammelwerken geworden ist - als eines der jüngsten Beispiele sei nur Otto Friedrichs »Morgen ist Weltuntergang. Berlin in den zwanziger Jahren« (1998 bei Nicolai; vgl. BM 5/1999) genannt. Glatzers jüngstes Werk hat also vor bedeutend mehr Konkurrenz zu bestehen als frühere Veröffentlichungen aus ihrer Werkstatt.
     Diese Herausforderung hat Ruth Glatzer sehr gut gemeistert. Wenn Wolf Jobst Siedler in seinem einführenden Essay geschliffen kluge Gedanken zum Stellenwert der zwanziger Jahre (zu denen mit Recht immer 1919 und 1930-1932 hinzugerechnet werden) für die Bewertung der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert aneinanderreiht, dann ist die darin eingestreute Feststellung, diese Zeit sei der Bezugspunkt für alles Gegenwärtige, bei Glatzer in den Rang einer Art Richtschnur für die Abfolge der von ihr beurkundeten (sowie aus umfassendem Wissen erklärten und in Zusammenhang gebrachten)
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Momentaufnahmen Berliner Lebens und Berliner Probleme geworden:
     Wer Augen hat zu sehen, der sieht Parallelen zum Heute. Denn hinter der Fassade einer mit ihrer Wirtschaftskraft protzenden Metropole grinste die Rationalisierung mit ihrem Abbau von Arbeitskräften selbst in Zeiten guter Konjunktur; hinter der Fassade der üppig blühenden, ja geradezu wuchernden Kultur mit ihrer Vielfalt und ihren unzähligen Ereignissen (man sprach noch nicht von »Events«) und Voyeuren machte sich eine Trivialkultur breit, die den auf hoher Bühne propagierten hehren Anspruch auf Würde im Schlamm von Schund und Schmach begrub; hinter der vor Vielfalt zerklüfteten Presselandschaft (inklusive des neuen Mediums Rundfunk) stand das Übergewicht rechtsgedrallter billiger Massenblätter mit ihrer durch Skandale und Alltagssensationen genährten Ablenkung von den gravierenden politischen Problemen. Hinter der von offiziellen Stellen und der geistigen Oberschicht frenetisch gefeierten Weltoffenheit stand die Dumpfbackigkeit sozial Gedemütigter, die in der Fokussierung auf das Fremde (Juden, aus dem Osten zuwandernde in erster Linie; aber auch Schwarze mit ihrer »Negerkultur«) leicht einen Zielpunkt für ihr Unbehagen oder sogar ihren Hass auf das »System« ausmachten.
     Das alles ließ sich durch bedeutende soziale und infrastrukturelle Leistungen der Kommunalpolitik etliche Zeit verdecken, aber mit der zunehmenden Misere der öffentlichen Finanzen wurden die Probleme unübersehbar und schmerzlich sichtbar. Dazu kamen dann noch einige Skandale: Die aus dem Filz in der Stadtverwaltung resultierenden, festgemacht an dem in der Größenordnung gar nicht so übermäßigen Korruptionsfall Sklarek/Böss, der aber in der Öffentlichkeit ob der profilierten Stellung des Hauptbetroffenen höchste Empörung auslöste;
und die immer wieder erneut demonstrierte Machtlosigkeit der Justiz im Kampf gegen das Verbrechen, festgemacht an der Unmöglichkeit, die Chefs des mächtigsten Ringvereins oder z. B. die edelkriminellen Gebrüder Sass festzunageln. Das alles führte zu der Sehnsucht nach der »starken Kraft«, die Ordnung schaffen werde - und sei es mit dem Ergebnis, dass man nicht mehr bei jedem Schritt in Hundekot treten und nicht mehr jede Mauer mit Parolen und Symbolen (damals von mehr als 30 Parteien) beschmiert vorfinden müsse.
     Nicht jedes der eben angeführten Beispiele ist von Ruth Glatzer dokumentiert - die Brüder Sass und die Ringvereine z. B. tauchen gar nicht auf. Aber in der großen Linie der Betrachtung dieses im Nachhinein zu einem »goldenen« Zeitabschnitt Berliner Geschichte angerichteten Extrakt an Nostalgie (wohl zu einem erheblichen Teil zubereitet an Stammtischen deutscher Emigranten-Cafés in Palästina, Frankreich, den USA) folgt die Autorin in dankenswerter Weise mehr der Sicht der übergroßen Mehrheit der Berliner, denen der Einheitstarif bei der neu geschaffenen BVG - bzw. dessen Erhöhung - erheblich wichtiger war als das Schicksal der von den Konservativen zu Fall gebrachten, der Moderne verpflichteten Kroll-Oper.
     Vom blühenden Kulturleben bleiben in dem Buch nichtsdestoweniger noch genug Zeugnisse präsent. Dass Berlin in der Tat für die Architektur in dem behandelten reichlichen Jahrzehnt infolge des Zusammentreffens mehrerer Umstände (territoriale Größe, hohe Bevölkerungszahl, Nebeneinander von dichter Bewohnung und Einzelhaussiedlung, Konzentration von Unternehmensleitungen, Banken, Warenhäusern) zu einem wahren Exerzierfeld der Moderne werden konnte, ist unbestreitbar und in dem Buch auch gebührend gewürdigt.
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Es muss aber mit etwas Distanz hinzugefügt werden, dass trotz der Gebrüder Taut, trotz Salvisberg, Scharoun und aller anderen prominenten Architekten die Mehrzahl der in jener Zeit errichteten Wohnbauten keineswegs an der Moderne ausgerichtet war - was auch spektakuläre Bauensembles von z. T. beträchtlicher Ausdehnung bei einem Blick auf das gesamte Baugeschehen nicht vergessen machen können. Glatzer zeigt bei genauem Hinsehen recht gut, dass in dem Jahrzehnt nach dem verlorenen Krieg außerhalb der Schicht der neureichen Schieber und der zumeist recht versnobten und sich selbst genügenden Hautevolee der »Szene« nicht viel von goldenen Zeiten zu spüren war und ab Spätherbst 1929 sogar wieder der Abwärtstrend bestimmend wurde - verbunden mit dem Aufsteigen der Nazis.
     Ihre beiden letzten Kapitel »Weltstadt in der Krise« und »Berlin/ Weimar-Endstation« sind dann auch vorwiegend diesem letzteren Problem gewidmet. Dabei macht sie mit den nüchternen Zahlen des in Berlin insgesamt fast exakt gleich bleibenden Wähleranteils für die beiden Linksparteien (um 54,5 Prozent) deutlich, wo die Stimmen für die NSDAP herkamen: aus dem Lager der bürgerlichen Parteien, deren Wähler in Scharen zu den Nazis überliefen - 42,1 Prozent der Wähler im gut bürgerlichen Verwaltungsbezirk Steglitz und 36,4 Prozent im benachbarten Verwaltungsbezirk Zehlendorf stimmten bei den Reichstagswahlen im Juli 1932 für letztere.
     Die angesichts solcher Entwicklung geradezu katastrophale tief gehende Zerstrittenheit der beiden Linksparteien erklärt Glatzer sehr richtig aus der Erinnerung an die (von ihr auch dokumentierten) von SPD-Politikern anbefohlenen und gedeckten Freikorps- und Polizei-Mordorgien an Hunderten, wenn nicht gar Tausenden Berliner Arbeitern einerseits, aus der sozialdemokratischen Wut über das immer mal wieder feststellbare, aus gemeinsamem Hass gegen das »System« resultierende Zusammenwirken von KPD und NSDAP andererseits.
     Zum »Blutmai« 1929 dokumentiert sie ein Urteil aus bürgerlicher Sicht, das den nachgewiesenen absolut unprovozierten mörderischen Polizeiterror eindrucksvoll anprangert.
Gestandenen alten bzw. uralten Berliner SPD-Mitgliedern darf man damit allerdings auch nach mehr als 70 Jahren nicht kommen: Sie glauben noch immer an den vom damaligen sozialdemokratischen Polizeipräsidenten Zörrgiebel in die Welt gesetzten lügnerischen Unsinn, es habe am 1. Mai 1929 im Wedding und in Neukölln einen kommunistischen Aufstand gegeben, den die pflichtbewusste Berliner Polizei durch entschlossenes Durchgreifen (34 Tote!!!) im Keim erstickt habe. In einem Nachwort teilt die Autorin mit, was sie sich mit der Publikation vorgenommen hat: Sie wollte an Hand zeitgenössischer Texte das Schicksal Berlins und der Berliner in der Weimarer Republik in einem möglichst breiten Spektrum wieder lebendig werden lassen. Dabei sollten Politiker, Literaten, Journalisten, Künstler - kurz, Persönlichkeiten von Rang und Namen -, zu Worte kommen, aber auch Vertreter der »kleinen Leute«. Letztere sind in der Gesamtpalette eindeutig zu kurz gekommen - aber das liegt in der Natur der Sache, denn die schriftlichen Zeugnisse aus dieser Sphäre sind schwer zu sammeln, und mündlich vorgetragene Erinnerungen von damals jungen Leuten sind nach so langer Zeit eine höchst unzuverlässige Quelle. Man kann Ruth Glatzer schon bescheinigen, dass sie das für sich gesetzte Ziel erreicht hat. Natürlich werden immer Wünsche offen bleiben müssen: dem Rezensenten missfällt z. B. die Abwesenheit von Dokumenten, die die Diskrepanz zwischen der Großmäuligkeit auf preußischen Ministersesseln vor dem »Preußenschlag« vom 20. Juli 1932 und der dann folgenden schlappen Reaktion auf den Papen-Willkürakt belegen. Ausgesprochen dankbar ist der Rezensent hingegen für die Abwesenheit des »Eisernen Gustav«, der dank Heinz Rühmanns Schauspielkunst im Bewusstsein der bundesdeutschen Öffentlichkeit zu einem Friedensboten und einem Protagonisten der deutsch-französischen Aussöhnung mutierte, wo es ihm doch mit seiner Fahrt nach Paris um einen eklatanten Protest gegen die Autotaxis ging.
     Kurt Wernicke
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 7/2001
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