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Maria Curter
9. November 1994:
Oberbaumbrücke wieder eröffnet

Bis in die späte Nacht hatte man noch an ihr gewerkelt. Zum 5. Jahrestag des Mauerfalls sollte sie unbedingt eröffnet werden, obwohl die markanten Türme sowie die U-Bahn noch fehlten. Um 11 Uhr nächsten Tags waren die Fahnen gehisst, eine Tribüne aufgebaut. Girlanden schmückten die Geländer, und die Musiker formierten sich. Es roch so stark nach frischem Teer, dass man befürchtete, an ihm kleben zu bleiben. Auch Straßenbahnschienen waren verlegt worden. Nur konnte noch keine Bahn fahren. Die Gleise hatten weder vorne noch hinten einen Anschluss. Und Strom gab es auch keinen. Mit Spannung wurde der Regierende Bürgermeister erwartet. Kommt er über Kreuzberg oder kommt er über Friedrichshain? Wem vertraut er mehr, seinem Verkehrs- oder seinem Innensenator?, tuschelte es in der Menge. Er kam auf der Spree - im Elektroboot. Nun konnte der Festakt beginnen - vor geladenem Publikum. Der Bürger aus Ost wie West war ausgeschlossen. Gitter blockierten die Zugänge der Oberbaumbrücke. Da war die Rede davon, »welch historischer Augenblick, dass nun endlich,

nach jahrzehntelanger Teilung, Berlin wieder vereinigt ist«, dass »zusammenwächst, was zusammengehört«, und der Innenstadtring mit insgesamt 18 km Länge als wichtige Verbindung endlich geschlossen wurde. Hier und da gab es eine Rangelei, und es flog auch ein blaues Ei gegen den Regierenden. Aber ansonsten verlief die Zeremonie zügig. Das Band wurde durchtrennt und damit die Brücke für Fußgänger und Autos freigegeben. Herr Diepgen eilte zum nächsten Termin - per Elektroboot. Am Brandenburger Tor harrte ein weiteres Objekt seiner Eröffnung. Es war ja der 5. Jahrestag des Mauerfalls!
     Sie soll die Schönste unter den Brücken Europas sein, meinen Architekten, und wurde im Stile märkischer Backsteingotik zeitgleich mit der Tower Bridge in London errichtet. Nur eine Nummer kleiner. Anlässlich der Schlusssteinlegung am 24. August 1895 waren bei strömendem Regen 400 Personen gekommen, wie die »Deutsche Bauzeitung« berichtete. Die »Berliner Illustrirte Zeitung« lobte das Bauwerk als »die Krone aller Neuschöpfungen auf dem Gebiete des reichshauptstädtischen Brückenbaus«. Ihr Architekt war Otto Stahn (1859-1930).
     Seit ihrer ersten Erwähnung im Jahre 1724 war die Oberbaumbrücke über Jahrhunderte immer Grenze (vgl. BM 11/1999): Zuerst zwischen Berlin und der Kurmark, ab 1920 zwischen den neu gebildeten Stadtbezirken Kreuzberg und Friedrichshain.
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Eröffnungszeremonie auf der Oberbaumbrücke
Am 23. April 1945 sprengte die Wehrmacht das Mittelstück der Brücke. Die Turmspitzen waren vorausgegangenen Bombenangriffen zum Opfer gefallen. Mit der Teilung der Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg in vier Sektoren wurde das behelfsmäßig wieder in Stand gesetzte Bauwerk Grenze zwischen dem amerikanischen und dem sowjetischen Sektor. Bis Mitte der fünfziger Jahre fuhren neben der U-Bahn auch Autos und Straßenbahnen trotz Sektorengrenze darüber. Dann konnten sie nur noch Fußgänger und die U-Bahn überqueren. Nach dem 13. August 1961 wurde sie gänzlich gesperrt. Hier verlief jetzt die befestigte Grenze zwischen Ost- und West-Berlin. Die U-Bahn endete am Bahnhof »Schlesisches Tor«. Seit Ende 1963 durften West- und Ostberliner mit besonderem Visum zu Fuß den Spreeübergang benutzen. Ansonsten war er 28 Jahre - bis 1989 - Niemandsland.
     Im Jahre 1991 wurde gutachterlich festgestellt, dass das Bauwerk trotz allem noch über 80 Prozent seiner ursprünglichen Substanz verfügt und denkmalgeschützt sanierbar ist. Mitte 1992 begann der Abbau der alten U-Bahn-Gleise, und im März 1993 wurde stromabwärts eine 150 Meter lange Behelfsbrücke für Fußgänger errichtet. Dann begann die Grundsanierung der Straße.
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Die neue U-Bahn-Brücke über die Stralauer Allee wurde im August 1994 eingesetzt

Die alte Holzpflasterung unter dem Asphalt ersetzte man durch Stein und Beton. Ein Jahr später erfolgte der Ersatz des provisorischen Mittelstücks. Das zerstörte Mittelfeld der Hochbahnbrücke wurde nach Plänen des spanischen Architekten Santiago Calatrava (geb. 1951) als Stahlfachwerkkonstruktion gebaut. Einen Teil der benötigten Ziegelsteine fischte man aus der Spree. Der andere Teil wurde handgefertigt. Seit Oktober 1995 - welch ein Zufall: es war der 5. Jahrestag der Wiedervereinigung - quietscht auch die U-Bahn über den sanierten Brückenschlag und endet wieder an der Warschauer Brücke. Auch die Türme erstrahlen seitdem in neuem Ziegelrot.
     Der offiziellen Übergabe der Brücke im November 1994 waren seit Beginn der Restaurierung jahrelange Proteste vorausgegangen.

Anwohner erstritten sogar einen Baustopp, der aber vom Oberverwaltungsgericht wieder aufgehoben wurde. Im Schatten der Mauer waren in Kreuzberg, abweichend vom übrigen westlichen Stadtteil, eigene soziokulturelle Strukturen entstanden. Auch gab es erhebliche Kritik am mangelnden Verkehrskonzept für die jetzt wiedervereinigte Stadt. Viele kämpften für die Straßenbahn und gegen den Autoverkehr. Als Kompromiss wurden die oben erwähnten Straßenbahnschienen gelegt, die bis heute weder vorne noch hinten einen Anschluss haben. Mit Mühe hat es die Straßenbahn im Jahr 2000 geschafft, von der Revaler Straße in südlicher Richtung über die Warschauer Brücke vorzudringen und endet heute zwischen beiden Brücken. Der 10. Jahrestag des Mauerfalls und der Wiedervereinigung sind inzwischen verstrichen. Aber vielleicht schafft es die Straßenbahn bis zum 15. Jahrestag über die Oberbaumbrücke, wenn nicht gerade finanzielle Enthaltsamkeit im öffentlichen Nahverkehr geboten ist oder jener im Zuge der Privatisierungswut vielleicht nicht mehr in öffentlicher Hand ist. Das wäre im Jahr 2004 oder 2005.

Bildquelle: M. Curter

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 7/2001
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