195   Geschichte und Geschichten Ende der Avus  Nächstes Blatt
Hans Aschenbrenner
»Mit einer Träne im Knopfloch«

Auf der Avus rasten 1998 die letzten Rennwagen durchs Ziel

Aus und vorbei! Unwiderruflich! Am 3. Mai 1998 wehte über der Berliner Avus zum letzten Male die schwarz-weiß karierte Zielflagge, heulten letztmals die Motoren der Rennwagen auf. An jenem Sonntag, um 17.02 Uhr, fand das letzte Rennwochenende in der 77-jährigen Geschichte der Strecke sein Ende. 27 000 Motorsportfans kamen an zwei Tagen, um der legendären Piste die letzte Ehre zu erweisen. Finanziell waren die Organisatoren mit einem blauen Auge davongekommen. Diesmal hatte es auch keine ernsthaften Unfälle gegeben. Noch immer haftete in der Erinnerung der tödliche Crash des Briten Keith Odor auf dieser Piste im September 1995. Stefan Kissling aus dem rheinischen Schuld gewann das allerletzte Avus-Rennen und wurde mit seinem roten Opel Calibra Sieger der Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft.
     Natürlich kam an den beiden Tagen auch Wehmut darüber auf, dass es auf der Avus fortan keine Rennen mehr geben würde. Rennleiter und ADAC-Vorstandsmitglied

Gerhard Gottlieb fand dafür die Worte: »Ich verabschiede mich mit einer Träne im Knopfloch. Doch nächstes Jahr steigt hier eine riesige Abschiedsparty.« Er und andere führende Vertreter des ADAC Berlin-Brandenburg erklärten in Interviews, dass es möglich sein könnte, die Traditionen der Avus auf dem entstehenden Lausitzring weiterzuführen.
     Für den zu eng gewordenen Stadtkurs unter dem Funkturm fiel dann definitiv der letzte Vorhang am 1. Mai 1999. An jenem Tag veranstaltete der ADAC die versprochene »Abschiedsparty« - mit Rennfahrern, Promis und rund 80 Oldtimern, die noch einmal die Avus-Renngeschichte Revue passieren ließen.

Gründung der Avus-GmbH

»Avus« heißt: »Automobil-Verkehrs- und Übungsstrecke«. Als solche wurde sie einstmals geplant und in einem recht lange währenden Zeitraum in die Tat umgesetzt. Autoindustrie und Automobilclubs hatten Anfang des vorigen Jahrhunderts großes Interesse am Bau einer Straße, die nur Kraftfahrzeugen vorbehalten sein sollte. Als die einheimischen Automobile ausländischer Konkurrenz beim 1907 erstmals durchgeführten Internationalen Kaiserpreis-Rennen in Taunus eklatant unterlegen waren, verstärkte sich der Ruf nach einer Spezial-Autostraße für Übungs-, Test- und Rennzwecke.

BlattanfangNächstes Blatt

   196   Geschichte und Geschichten Ende der Avus  Voriges BlattNächstes Blatt
Mit ihr sollte dem jungen Automobilismus - so wie in England und Amerika bereits geschehen - auch in Deutschland auf die Sprünge geholfen werden.
     Besonders heftig umstritten war die Frage nach dem günstigsten Areal für diese erste »Nur-Auto-Straße« Deutschlands. Vorschläge, die auf den Tisch kamen, betrafen Westfalen, Elsass-Lothringen, das Rheinland, die Eifel, die Mark Brandenburg, den Taunus, ja sogar Schlesien. Am Ende bleiben die Berliner Gegend und der Taunus übrig. Die jeweiligen Pläne unterschieden sich sehr. Das »Taunus-Projekt« sah eine Rundstrecke vor, die mehrere Dörfer umschließen sollte. Das Berliner Projekt votierte dagegen für eine Automobilbahn in langgestreckter Form, eine Parallelstraße mit nebeneinander herlaufenden getrennten Fahrbahnen für Hin- und Rückfahrt, mit einem Mittelstreifen und zwei Kurvenverbindungen.
     Die Entscheidung fiel zugunsten Berlins. In der Reichshauptstadt waren der kaiserliche Hof, die zentralen Autoclubs, zahlreiche Autofabriken angesiedelt, fanden inzwischen schon alljährliche Automobil-Ausstellungen statt. Die Stadt hatte die höchste Autodichte, auf sie entfielen zu jener Zeit knapp 7 000 von etwa 30 000 im gesamten Deutschen Reich zugelassenen Kraftfahrzeugen. Am 23. Januar 1909 wurden in den Räumen des Kaiserlichen Automobil-Clubs, Leipziger Platz 16, von einer kleinen Gruppe von Männern mit Beteiligung der Autoindustrie und privater Kreise die »Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße GmbH« gegründet.
     Die Avus wurde als möglichst unmittelbare und kurze Verbindungsstraße von Berlin in Richtung Potsdam, zu den westlichen Vororten Nikolassee, Wannsee, Babelsberg, usw. konzipiert. Wegen prekärer Finanzlage schrumpfte die Strecke in den Planungen von zunächst rund 17 auf 9,8 km. Beginnend an der Charlottenburger Stadtgrenze (Halensee), endeten die beiden voneinander getrennten Richtungsfahrbahn-Paare nun am Bahnhof Nikolassee und nicht in der Nähe des 1906 eröffneten Teltow-Kanals, bis wohin die Trasse in einem zweiten Bauabschnitt auch einmal angedacht war.
     Nach komplizierten Verhandlungen mit den zuständigen Instanzen war Anfang 1913 der Vertrag für den Bau der Avus in gerader Linie, parallel zur Eisenbahnstrecke, durch den Grunewald unter Dach und Fach. Unter dem Datum des 14. Juni gleichen Jahres wurde die Umwandlung der Avus-GmbH in eine Aktiengesellschaft vorgenommen (der bisherige Firmenname wurde beibehalten) und der Beginn der Arbeiten beschlossen. Sogar Gärtner und Landschaftsplaner wurden unter Vertrag genommen, um die Straße »harmonisch in die Landschaft einzufügen«. So sollten die Proteste erstickt werden, man würde den Grunewald verschandeln und Berlin seiner grünen Lunge berauben. Alles ging zügig voran. Je 8 m breit, 25 cm dick, wurde die Straßendecke in beiden Fahrtrichtungen kreuzungsfrei durch den Wald gezogen, Querwege und -straßen, auch die Zugänge zum S-Bahnhof Grunewald, wurden unterführt.
BlattanfangNächstes Blatt

   197   Geschichte und Geschichten Ende der Avus  Voriges BlattNächstes Blatt
Ein 8 m breiter Grünstreifen trennte die beiden Spuren, unaufhörlich ratterten Feldbahnen durch die freigeschlagene Grunewaldschneise und brachten die Baumaterialien für den Straßenunterbau und die notwendigen Brücken heran.
     Eigentlich sollte die Avus bereits im Herbst 1914 eröffnet werden, wäre da nicht der Erste Weltkrieg dazwischengekommen. Und nach dem verlorenen Krieg war auch nicht gleich an die Beseitigung der durch langes Brachliegen entstandenen Schäden und die Vollendung des Baues zu denken. Schließlich wurden dann doch neue Geldgeber aufgetrieben - u. a. der Großindustrielle Hugo Stinnes -, sodass die Teerung der Strecke zu Ende gebracht und ein Torgebäude, Tribünen und sonstige Betriebsanlagen fertiggestellt werden konnten.
»Berliner Morgenpost«, 24. September 1921
BlattanfangNächstes Blatt

   198   Geschichte und Geschichten Ende der Avus  Voriges BlattNächstes Blatt
Mit acht PS fing es an

Am 23. September 1921, 11 Uhr, wurde die Deutsche Automobil-Ausstellung eröffnet, in deren Rahmen auf der Avus die ersten richtigen Rennen gefahren wurden. Es war nicht verwunderlich, dass das für den 24./25. September angesetzte Rennwochenende die Autoschau in den Hallen am Kaiserdamm, am Bahnhof Witzleben, zunächst einmal in den Schatten stellte, aber sie würde ja noch bis zum 2. Oktober dauern. An den beiden Renntagen jedenfalls erlebten jeweils rund 300 000 Zuschauer - am Sonntag sollen es eher noch mehr gewesen sein - nie gesehene Autorennen.
     Eine Runde war 19,6 km lang. Die beiden langen Geraden waren durch eine flache Nordschleife (Radius 244 m) und eine engere Südschleife (Radius 166 m) zu einem in sich geschlossenen Kurs verbunden worden. Die ganze Bahn war eingezäumt; insgesamt waren 65 Kassen um die Rennstrecke verteilt. Zwischen 50 und 200 Mark kosteten die Tribünenplätze (acht große Tribünen fassten 7 700 Zuschauer), zwischen 10 und 25 Mark die Stehplätze, sinnigerweise »Promenadenplätze« genannt.
     An den Start kamen die Autos durch eine riesige, mautpflichtige Toreinfahrt. Die Wagen waren nach Pferdestärken in Klassen unterteilt (6, 8 und 10 PS). Jedes Fahrzeug war, so die Satzung, »mit zwei erwachsenen Personen zu besetzen«.

Internationale Konkurrenz war nicht vertreten; noch war der Boykott der Siegermächte des Ersten Weltkrieges gegenüber sportlichen und wirtschaftlichen Ereignissen in Deutschland wirksam.
     Als erster Sieger auf der Avus trug sich Fritz von Opel in die Chronik ein. Auf seiner Hausmarke, einem roten Opel mit Startnummer 14, durchfuhr der Rüsselsheimer in der Fahrzeuggruppe bis 800 Kilogramm mit Motoren bis zu 8-Steuer-PS und stehenden Ventilen acht Runden (ca. 160 km) in einer Zeit von 64 Minuten und 23 Sekunden. Sein Durchschnittstempo von fast 130 km in der Stunde (exakt 128,840 km/h) wurde von keinem seiner Konkurrenten erreicht. Zum Abschluss fanden an beiden Renntagen Rekordversuche statt, bei denen ein 200-PS-Benz eine Stundengeschwindigkeit von 185 km erreichte, während der »150-pferdige« Opel auf 183 km kam.
     Am 1. Oktober 1921 wurde die Autostraße im Grunewald für den allgemeinen Verkehr von Kraftfahrzeugen freigegeben. Die Fahrt auf der Avus gab es aber nicht gratis. Anfangs kostete die einmalige Benutzung der Straße zehn Reichsmark. An den beiden Eingangstoren konnten entsprechende Karten, die bei der Ausfahrt abzugeben waren, gelöst werden. In der Zeit der Inflation stiegen die Preise - abgestuft für Autos, Motorräder ohne und mit Beiwagen sowie Trainingsfahrten für Rennwagen - ins Unermessliche.
BlattanfangNächstes Blatt

   199   Geschichte und Geschichten Ende der Avus  Voriges BlattNächstes Blatt
Tabu blieb die Straße für Pferdefuhrwerke, Fußgänger, Radfahrer und Lastkraftwagen.
     Als Rennpiste musste die Avus zunächst einmal eine fünfjährige Flaute über sich ergehen lassen. Es gab Motorradrennen, das erste am 10./11. Juni 1922. Dafür hatte man die Strecke extra auf 8,5 km je Runde verkürzt, indem in Höhe des Großen Sterns (dort, wo die Avus den Hüttenweg überquert - nicht zu verwechseln mit dem Platz gleichen Namens im Tiergarten) mit einem Durchmesser von 60 m eine Südkurve als »Zwischenschleife« gebaut wurde. Kleinauto-Rennen, Avus-Rennen der deutschen Film- und Bühnendarsteller und ähnliche Veranstaltung wurden organisiert, um Aufmerksamkeit zu erregen und ins richtige Renngeschäft zu kommen.

»Regenmeister« Caracciola

Am 11. Juli 1926 war dann endlich mal wieder Großkampftag auf der Avus angesagt. Es bedeutete schon etwas, dass gerade auf dieser Strecke der erstmals ausgeschriebene »Große Preis von Deutschland« zur Austragung kommen sollte. Erstmals war auch internationale Konkurrenz aus Frankreich, Italien, der Tschechoslowakei und der Schweiz am Start. Vor geschätzten 230 000 Zuschauern stand dieses Rennen unter keinem guten Stern. Schon im Training kollidierte ein italienischer mit einem deutschen Fahrer, wonach der Beifahrer des italienischen Fahrzeugs

nur noch tot geborgen werden konnte. Dann rutschte in der siebenten Runde des Rennens Adolf Rosenberger auf Mercedes in eine Zeitnehmerbox, wobei drei Helfer der Rennleitung starben. Es kam bei dem Unglücksrennen noch zu weiteren Unfällen mit Verletzten unter Fahrern und Zuschauern.
     Einem jungen Fahrer sollte das Rennen ersten Ruhm und den Beinahmen »Regenmeister« einbringen: Rudolf Caracciola, von der Berlinern bald »Caratsch« genannt. Auf einem Mercedes jagte er mit bis zu 170 km/h über die regennasse Piste und erreichte, die beiden Schleifen eingeschlossen, eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 135 km/h. Mit einem Schnitt von 154,800 km/h markierte er im 13. Durchgang einen neuen Rundenrekord.
     So zufrieden man mit dem eigenen Abschneiden sein konnte - auch sämtliche Klassensiege wurden an diesem Tag von deutschen Fabrikaten errungen -, so traurig stimmte es, dass der Ruf der Avus hinsichtlich ihrer Renntauglichkeit einen mächtigen Dämpfer erhalten hatte. Warum musste erst ein solch »schwarzer Tag« her, so lautete eine oft gestellte Frage, um darüber nachzudenken, wie zum Beispiel für den Schutz von Fahrern, Funktionären und Publikum die Tribünen, Resultatstafeln und Beobachtungshäuschen von der Rennbahn zurückverlegt werden konnten. Der »Große Preis« jedenfalls ist in der Folgezeit auf dem Nürburgring (1927 eröffnet) ausgetragen worden.
BlattanfangNächstes Blatt

   200   Geschichte und Geschichten Ende der Avus  Voriges BlattNächstes Blatt
»Freiluftlaboratorium«

Für die Avus begann zunächst einmal eine Zeit, in der sie verstärkt die ihr auch zugedachte Rolle als »Freiluftlaboratorium« der Straßenbauer und Automobilindustrie spielte. Sie diente für Tests und Gebrauchswertprüfungen, die insbesondere den Straßen- und Autobahnbau sowie die Fahrzeugentwicklung, den Kraftfahrzeugschnellverkehr betrafen. Auf ihr wurden Verdichter, Walzen und Betonstraßenfertiger erprobt, die dann beim Bau der Autobahnen in der nationalsozialistischen Zeit verwendet werden konnten.
     Eine Rekordfahrt der ganz besonderen Art gab es vor exklusivem Publikum am 28. Mai 1928, als Fritz von Opel auf einem raketengetriebenen Auto (»Opel RAK 2«) mit über 200 Stundenkilometern über die Piste zwischen Funkturm - der im September 1926 eingeweihte »Lange Lulatsch« symbolisierte nun die Nordschleife der Avus - und Nikolassee flog. Am 25. September 1929 schickte die Firma Chrysler auf der Avus eines ihrer Fahrzeuge auf Langstrecken-Rekordfahrt. Ziel war es, ohne Stillstand des Motors eine maximale Distanz zu erreichen und gleichzeitig den Verbrauch an Betriebsstoff und Öl sowie die Bereifung zu erforschen (indirekt waren somit die Deutsche Gasolin-I. G. Farbenindustrie, die Gargyle-Mobilöl und die

Continental an dem Langstrecken-Dauertest beteiligt). Nach 87 000 zurückgelegten Kilometern wurde das Fahrzeug schließlich durch eine Nebelwand zum Stehen gebracht.
     Am 8. Januar 1931 war endlich einmal wieder ein Fight der besten Automarken angesagt. Das abschließende Rennen der großen Wagen wurde dabei zu einer grandiosen Rekordfahrt, die Caracciola auf einem Mercedes-Benz SSKL vor von Morgen auf Bugatti und Manfred von Brauchitsch auf Mercedes-Benz vorn sah. Im 190er-Tempo waren diese Fahrer um die Bahn gejagt. »Caratsch« konnte seinen eigenen Streckenrekord von 1926 auf den neuen, für damalige Verhältnisse fabelhaften Durchschnitt von 185,705 km/h hochschrauben.
     Bei den Avus-Rennen in den folgenden beiden Jahren gab es ausländische Siege durch den Italiener Varzi auf Bugatti und den Franzosen Guy Moll auf Alfa Romeo. Das war nicht gerade nach dem Geschmack der an die Macht gelangten Nationalsozialisten. Alles wurde darangesetzt, die einheimischen Marken und Fahrer an die Spitze zu bringen. 1935 siegte der Italiener Luigi Fagioli auf Mercedes-Benz mit neuem Streckenrekord von 238,500 km/h vor den Franzosen Louis Chiron (Alfa-Bimotore) und Achille Varzi (Auto Union), Hans Stuck (Auto Union) sowie von Brauchitsch (Mercedes-Benz). Stuck schaffte einen neuen Rundenrekord von 259,0 km/h.
BlattanfangNächstes Blatt

   201   Geschichte und Geschichten Ende der Avus  Voriges BlattNächstes Blatt
Steilkurve - Attraktion mit Risiken

Im Olympiajahr 1936 gab es kein Avus-Rennen. Nun wurde die steile Nordkurve gebaut, die fortan 30 Jahre lang das Gesicht der Rennbahn maßgeblich geprägt hat. Sie sollte künftige Rekordgeschwindigkeiten sicherstellen. Steilkurven waren in den dreißiger Jahren nichts Seltenes mehr, wie die Beispiele Monthlery-Kurs bei Paris, Monza und Indianapolis zeigten. Indem am Nordausgang der Bahn die Flachschleife durch eine engere Steilwandkurve (8 m hoch und 18 M breit, mit einem Neigungswinkel von 44 Grad, mit Klinkern belegt) ersetzt wurde, erhielt die Bahn eine neue Attraktion. Außerdem wurden Tribünen, ein Verwaltungsgebäude mit Beobachtungsturm und Gaststätte und eine Zugang zur S-Bahn gebaut.
     Nach vollendetem Umbau gab es am 30. Mai 1937 den nächsten Großkampftag auf der Avus. Über 300 000 Zuschauer, die dabei waren, konnten nicht wissen, dass es das letzte spektakuläre Rennen einer Zwischenkriegszeit sein würde. Mit ihren neuartigen Stromlinienwagen gingen Auto Union und Mercedes-Benz an den Start. In der Klasse der großen Rennwagen bestritt Hermann Lang das schnellste je auf der Avus gefahrene Rennen. Seine dabei erzielte Durchschnittsgeschwindigkeit von 261,648 km in der Stunde konnte erst 21 Jahre später auf der Piste in Monza übertroffen werden.

Bernd Rosemeyer, der im gleichen Rennen mit seinem Audi die schnellste Runde (276,400 km/h) fuhr, verunglückte ein halbes Jahr später tödlich beim Versuch, auf der Strecke zwischen Frankfurt/Main und Darmstadt einen neuen Geschwindigkeitsrekord aufzustellen. Solche Rekordfahrten auf noch nicht freigegebenen Teilstrecken der neuerbauten Reichsautobahn waren durchaus nichts Seltenes.
     Im Jahre 1939 wurde die Avus an das Deutsche Reich verkauft und 1940 als Teilstück der Reichsautobahnen über ein »Kleeblatt« in Nikolassee mit dem Berliner Ring verbunden. Die alte Südkehre in Nikolassee wurde abgebaut. Jetzt war die Rennstrecke in den normalen Straßen-, Zubringer- und Fernverkehr von und nach Berlin einbezogen. Im Zweiten Weltkrieg ist auch die Avus von Zerstörung nicht verschont geblieben. Davon zeugten Bombenkrater auf der Fahrbahn, zerstörte Brücken, ausgebrannte Tribünen.
     Nach 1945 bestimmten zunächst einmal Militärfahrzeuge der Alliierten, Lastautos, Pferdefuhrwerke, auch Fußgänger das Bild auf der einstigen Rennstrecke.
     Am 1. Juli 1951 konnte dann doch das erste Nachkriegsrennen auf der Avus gestartet werden. Die Haupttribüne war repariert, die Strecke notdürftig hergerichtet worden. An der Ausfahrt Hüttenweg am Großen Stern hatte man als neue Südkurve die alte Motorradkehre ausgebaut.
BlattanfangNächstes Blatt

   202   Geschichte und Geschichten Ende der Avus  Voriges BlattNächstes Blatt
300 000 DM aus »Garioa«-Mitteln (einem Hilfsfond der USA) und 139 000 von der deutschen Industrie aufgebrachte DM hatten geholfen, die schlimmsten Kriegsschäden zu beseitigen. Rund 350 000 Menschen, die sich an den Absperrungen, auf Dächern und Bäumen Platz verschafft hatten, verfolgten die sportlichen Kämpfe auf der nun doch erheblich geschrumpften Piste. Bei den Formel-2-Wagen fuhr mit Paul Greifzu ein Fahrer aus der DDR auf einem umgebauten Vorkriegs-BMW aus Eisenach als Sieger durchs Ziel und konnte für seine Leistungen die Glückwünsche vom Regierenden Bürgermeister Ernst Reuter entgegennehmen.
     Nach diesem Auftakt sind in den fünfziger Jahren auf der Avus regelmäßig Rennen ausgetragen worden. Die Namen derer, die hier siegten, sind manchen Fans dieses Sports noch heute ein Begriff, mögen sie nun Juan Manuel Fangio (Argentinien), Hans Herrmann, Karl Kling, Richard von Frankenberg, Graf Berghe von Trips (alle BRD) oder Arthur Rosenhammer (DDR) heißen. 1954 wurde die Avus von der neugeschaffenen Formel 1 dominiert. Für die Mercedes-»Silberpfeile« gab es in der Reihenfolge Kling, Fangio, Herrmann einen dreifachen Erfolg.

Der Anfang vom Ende

Der Tag, an dem auf der Avus zum zweiten Male nach dem »schwarzen« 11. Juli 1926 ein »Großer Preis von Deutschland« ausgetragen werden sollte, kam am 2. August 1959.

Dieses Formel-1-Rennen war der sechste von insgesamt neun Wertungsläufen um den Weltmeistertitel, und der Engländer Tony Brooks auf Ferrari siegte vor so bekannten Rivalen wie Stirling Moss, Graham Hill und Jack Brabham. Das Rennen fand statt, obwohl bei einem Wettkampf am Renntag zuvor der französische Fahrer Jean Behra aus der nördlichen Steilkurve herausschoss und den Tod fand. Diesem Schicksal war an gleicher Stelle drei Jahre zuvor glücklicherweise Richard von Frankenberg knapp entgangen.
     Der Todessturz von Jean Behra leitete eine öffentliche Debatte ein, in deren Verlauf die Avus nicht nur als Austragungsort des »Großen Preises« infrage gestellt wurde. Für die Formel 1 wurden seit Anfang der sechziger Jahre keine Rennstrecken mit Steilkurven mehr zugelassen. Dass am Ende städtebauliche Überlegungen und die Erfordernisse der Verkehrsplanung 1967 zum Abriss der Steilkurve geführt haben, besiegelte nur zufällig das ohnehin vorgezeichnete Schicksal der klassischen Berliner Piste.
     In der Tat, 1967 begann eine vierjährige Bauperiode, in deren Ergebnis die Avus, seit dem Mauerbau 1961 mehr als zuvor Hauptausfallstraße der Westberliner, an den Autobahn-Stadtring angeschlossen wurde. Die steile Nordkurve musste dem Autobahndreieck Funkturm weichen, das am 11. August 1971 für den Verkehr freigegeben wurden. Eine neue flache Nordkurve mit Parkplätzen im Innenraum wurde 1971 erstmals in einem Rennen befahren.
BlattanfangNächstes Blatt

   203   Geschichte und Geschichten Ende der Avus  Voriges BlattArtikelanfang
1972 wurde die Avus zwischen Autobahndreieck Funkturm und der Anschlussstelle Hüttenweg, also in ihrem damaligen Rennteil, sechsspurig ausgebaut und beleuchtet.
     In den folgenden Jahren sind die Möglichkeiten für Rennen auf der Grunewaldstrecke zunehmend beschnitten worden. Nur schwer anzukommen war gegen die Argumente des Lärm- und Umweltschutzes. Insbesondere die Bewohner der Siedlung Eichkamp klagten über Lärmbelästigungen. Nach gerichtlichen Auseinandersetzungen wurde die Zahl der Rennen auf zwei pro Jahr begrenzt, mussten die Fahrzeuge von nun an Schalldämpfer haben. Der gleichfalls geforderte Ausbau von Sicherheitsmaßnahmen erforderte beträchtliche Summen.
     Obwohl schon des öfteren totgesagt, fanden auf der Avus immer noch Rennen statt. Im Mai 1989 siegte hier in einem bis auf den letzten Meter spannenden Formel-III-Rennen Michael Schumacher, der bald in der Formel I auf sich aufmerksam machen und später ganz nach oben klettern sollte. Die letzten Avus-Höhepunkte brachte die Deutsche Tourenwagen-Meisterschaft, die seit 1984 regelmäßig in Berlin zu Gast war.
     Die Rennstrecke wurde indes weiter verkürzt: 1988 auf eine Rundenlänge von nur noch 4,88 km, 1992 von 2,64 km.
Die »Berliner Morgenpost« hat am 22. September 1991 in einem Beitrag unter dem Titel »70 Jahre Avus« die Situation drastisch so beschrieben: »Die Piste kippte gnadenlos ins Provinzielle. Autorennen fanden nur noch selten statt. Nur ein paar Raser ließen die Motoren aufheulen, bis sie vom Tempo 100 gnadenlos gebremst wurden.« Im Alltagsverkehr passierten z. B. 1995 in 24 Stunden durchschnittlich 78 000 Fahrzeuge in beiden Richtungen die Avus, das erste Teilstück der A 115 zum Berliner Ring.
     Das Ende der Avus als Rennstrecke ließ sich nun nicht mehr lange hinausschieben. »Die großen Rennställe«, so brachte es Richard Kitschigin in einer mit »Tschüß, Avus!« überschriebenen Sonderbeilage der »Berliner Morgenpost« (27. April 1999) auf den Punkt, »ließen sich nur noch mit sanftem Druck für Berlin begeistern, weil ihrer Meinung nach die Avus zu wenig Ansprüche an das fahrerische Können stellte, auf der anderen Seite Motoren und Reifen einer zu großen Belastung unterzog.« Auch wenn es nun vorbei ist mit der Avus als einer spannungsgeladenen Rennpiste, die Erinnerung an dieses interessante Stück Berliner Geschichte wird bleiben.

Bildquelle: »Berliner Morgenpost«, 24. Sept. 1921

BlattanfangArtikelanfang

© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 7/2001
www.berlinische-monatsschrift.de