198   Geschichte und Geschichten Brand von Havelberg  Nächstes Blatt
Heinz Gläser
Der Brand Havelbergs und die Hilfe der Berliner Feuerwehr

Seit 1685, so kann man in den Annalen nachlesen, ist Havelberg Garnisonsstadt. Die Soldaten waren allerdings nicht in Kasernen untergebracht, sie wohnten in den Häusern der Bürger. Diese nicht kasernierte Unterbringung der Truppen wurde der Stadt im Winter 1870 zum Verhängnis. Ohne die aktive Hilfe der Berliner Feuerwehr - sie war mit 159 Mann Personal und Spritzen sowie anderem Löschgerät angerückt - wäre die Stadt völlig abgebrannt.
     Am 6. Februar 1870, mittags 12 Uhr, wurden die Havelberger durch Sturmgeläut aller Kirchenglocken aus ihrer sonntäglichen Ruhe gerissen. Das Gebäude eines Schlächtermeisters in der Schulstraße 149 stand in hellen Flammen. Die im Hinterhaus einquartierten Soldaten hatten wegen der strengen Kälte einen Ofen zu kräftig geheizt. Das auf dem Boden liegende Stroh war durch das glühende Eisen des Ofens in Brand gesteckt worden.
     Die Einwohner eilten zu Hilfe. Es wehte jedoch ein derart starker Nordostwind,

dass die Flammen schnell auf die Nachbarhäuser übergriffen. Die eisige Kälte ließ die Schläuche am Boden an- und die Pumpen einfrieren. So konnte sich das Feuer wie ein Flammenmeer auf den ganzen Stadtteil ausbreiten. Das Havelberger Löschaufgebot, gebildet aus den Handwerkergilden der Stadt und der Umgebung, konnte dem Feuer kein Paroli mehr bieten. Die zahlreichen kleinen Handdruckspritzen besaßen noch keinen Druckwindkessel und keine Saugvorrichtung. Hinzu kam, dass in der damals zu Brandenburg gehörenden Kreis Westprignitz noch keine organisierten Feuerwehren bestanden. Die Havelberger Feuerwehr wurde erst 1877 im Ergebnis dieses und anderer Brände gebildet.
     In Erlebnisberichten wurde die Feuersbrunst so beschrieben: »Vom Domberg übersah ich die brennende Stadt. Ein schauerlich großartiger Anblick. Von dem ersten Brandherde bis zum Ende der Fischerstraße eine Flamme. Die Kirche war so hell, daß man die Mauersteine nachzeichnen konnte.«
     Die Löschkräfte Havelbergs beschränkten sich nun darauf, das Mobiliar aus den bedrohten Häusern zu bergen. Bald rannten sie zu ihren eigenen Wohnungen, um auch hier zu retten, was noch zu retten war. Nachmittags gegen vier Uhr - so berichten Chronisten - gaben die letzten Mutigen die Spritzen auf, und Havelberg war den Flammen ausgeliefert.
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Blick auf die Ruinen Havelbergs nach dem Brand von 1870
»Stadt in größter Gefahr«

In ihrer Verzweiflung schickte die Stadtverwaltung durch Bürgermeister Grindt einen Hilferuf an das Kommando der Berliner Feuerwehr mit den Worten: »Bitten dringend um Abordnung einer starken Feuerwehrabteilung mittels Extrazuges, da die ganze Stadt in größter Gefahr! Der Magistrat.«
     Der Innenminister setzte sich unverzüglich mit Wilhelm I. (1797-1888, König ab 1861, Kaiser ab 1871) in Verbindung.

Zusammen mit Branddirektor Carl Ludwig Scabell (1811-1885, BM 2/97) wurde beraten, ob dem Hilferuf stattgegeben werden könne. Wenige Stunden später traf aus Havelberg ein zweites Telegramm der Polizeiverwaltung mit folgendem Text ein: »Wenn die Hilfe nicht sofort kommt, ist alles verloren!«
     Kurze Zeit später erhielt Scabell vom Innenminister den Auftrag, »auf königlichem Befehl Hilfstruppen der Berliner Feuerwehr nach Havelberg« zu entsenden.
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Carl Ludwig Scabell, seit 1. Februar 1851 Königlicher Branddirektor

Bei der Hamburger Bahn wurde ein Sonderzug nach Glöwen bestellt, der zehn Kilometer von Havelberg entfernten nächstgelegenen Eisenbahnstation. Noch bevor die Verhandlungen mit der Berlin-Hamburger Bahnverwaltung und dem Berliner

Polizeipräsidenten für die Bereitstellung des Sonderzuges abgeschlossen waren, hatte Branddirektor Scabell bereits auf dem alten Hamburger Bahnhof einen Extrazug bereitstellen lassen, auf den eiligst drei Löschzüge verladen wurden. Jeder Löschzug bestand (unter Zurücklassung des Wasserwagens) aus einer Zubringerspritze mit 140 mm Zylinderbohrung, einer Handdruckspritze mit 110 mm Zylinderbohrung, einem Schlauch- und Gerätewagen mit teilweise innen gummierten Schläuchen und einem Personenwagen für die Beförderung der Mannschaften. (Die erste Dampfspritze wurde bei der Berliner Feuerwehr erst 1882 in Dienst gestellt.)

Nachts trafen 159 Feuerwehrleute ein

Als Scabell am 7. Februar nachts um drei Uhr mit 159 Berliner Berufsfeuerwehrleuten in Glöwen eintraf, standen dort alle verfügbaren Fahrzeuge aus dem Umland bereit. Dann begann der strapazenreiche Anmarsch der Löschtruppen in Richtung Havelberg. Bei dichtem Schneetreiben auf sehr holpriger Landstraße mussten die 10 km bis Havelberg in kürzester Zeit zurückgelegt werden. Da die Spritzen wegen der starken Vereisung erst aufgetaut werden mussten, ließ Scabell kurzerhand ganze Häuserblocks niederreißen, um das weitere Ausbreiten des Feuers zu unterbinden.

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Havelberger und Berliner Feuerwehrmänner (knieend) vor dem Feuermelder und der Erinnerungstafel
Noch vor dem Abmarsch aus Berlin hatte Scabell nach Havelberg telegrafieren lassen, »große Kessel mit heißem Wasser und Strohbündel bereitzustellen, um die Pumpwerke der Spritzen vor dem Einfrieren zu schützen und notwendiges Auftauen an anderen Stellen laufend durchführen zu können«. So wurde unter schwierigen Bedingungen die Löschwasserversorgung gemeistert. Wenige Stunden später setzte er die drei Berliner Spritzen zur Brandbekämpfung ein. Die Kommandogewalt an den Brandstellen ging an Berliner Feuerwehrmänner über. Es gelang Scabell auch, das in Havelberg stationierte 24. Infanterie-Regiment in die Löscharbeiten einzubeziehen, sodass in relativ kurzer Zeit genügend Löschkräfte mobilisiert waren.
     Gegen Mittag des 7. Februar war das Feuer so weit unter Kontrolle, dass es sich nicht mehr ausbreiten konnte. Allerdings war nicht zu verhindern, dass fast die Hälfte der Unterstadt bis auf die Grundmauern niederbrannte. Nur das Rathaus, die Kirche und die Apotheke konnten gerettet werden. Den angerichtete Schaden bezifferten Versicherungsgesellschaften mit 2,2 Millionen Goldmark.
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Zum Ehrenbürger ernannt

Die Stadt Havelberg zeigte sich dankbar für diesen Einsatz in letzter Minute. Die bisherige Marktstraße erhielt kurze Zeit später den Namen Scabellstraße. Für die Berliner Feuerwehrmannschaft wurden 1 201 Taler, 17 Groschen und 6 Pfennige gesammelt. Scabell und der Berliner Polizeipräsident Wurmb wurden Ehrenbürger der Stadt. Eine Gedenktafel an der Giebelwand eines Hauses wurde genau an jener Stelle enthüllt, wo das Feuer zum Stehen gebracht werden konnte.
     Der größte Teil des Brandschutts von 1870 wurde drei Jahre später dazu verwandt, die Havelufer um die Unterstadt zu erhöhen, mit Bäumen zu bepflanzen und befahrbar zu machen. Im November 1871 wurde - auf Grund der Erfahrungen beim großen Brand - ein neues Feuerlösch-Reglement aufgestellt, durch das die Leitung des Feuerlöschwesens verbessert wurde. Aber erst 1877, also nach sieben Jahren und zwei weiteren - allerdings nicht solche Ausmaße annehmenden Großbränden - sah man sich in Havelberg veranlasst, dem Beispiel anderer Kleinstädte folgend eine freiwillige Feuerwehr zu gründen. Sie ging aus dem Männerturnverein hervor. Viele Bürger, überwiegend Handwerker und Gewerbetreibende, folgten dem Aufruf, sodass die Wehr bald 70 Mitglieder umfasste. Unter der Leitung des damaligen Wehrleiters O. Hallefreund wurde wöchentlich eine Übung abgehalten. Am 25. Juli 1877 wurde das Statut der Wehr vom Magistrat genehmigt.

Charlottenburger Melder in Havelberg

Zur Erinnerung an den Brand und die Berliner Löschhilfe übergab der Förderverein Feuerwehrmuseum Berlin e. V. im 150. Jahr des Bestehens der Berliner Feuerwehr, am 10. Februar 2001, in Havelberg einen historischen Feuermelder (Charlottenburger Melder).
     Eine Abordnung des Berliner Fördervereins sowie die Kameraden der städtischen FFw mit ihrem Fahrzeugpark sowie zahlreiche Bürger der Stadt gaben dem Ereignis einen festlichen Rahmen.

Literatur:
Stadtchronik von A. Zoellner 1897
Havelberger Wochenblatt vom 9. und 12. Februar 1870
Kreisblatt für die West-Prignitz vom 11. Februar 1870
Tagebuchauszug von Stürmer als Augenzeuge des Brandes
100 Jahre Freiwillige Feuerwehr Havelberg 1877-1977
Prignitz-Museum Havelberg; Ausstellungsteil zum Stadtbrand 1870

Bildquelle: Repros und Fotos Gläser

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 7-2/2001
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