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Helmut Caspar
Aus dem Zwielicht geholte Bilderschätze

Potsdamer Forschungen: Mehr Gerechtigkeit für Glasmalereien des Historismus

Glasfenster des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts in Kirchen und Krankenhäusern, Rathäusern, Schlössern und Privathäusern waren lange Zeit für Kunsthistoriker, Denkmalpfleger und Restauratoren uninteressant. Die häufig mittelalterlichen Vorbildern nachempfundenen Scheiben mit Motiven aus dem Alten und dem Neuen Testament, mit Bildnissen von Heiligen und Stiftern, aber auch mit fürstlichen Wappen und frommen Sprüchen, mit Landschaften, Blumen, Tieren und einer reichen Palette von Mustern und Ornamenten galten als Zeugnisse des Historismus als kaum erhaltenswert. In Denkmalinventaren, etwa Georg Dehios »Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler«, nicht oder nur am Rande erwähnt, waren die Scheiben für die auf ältere und daher vermeintlich hochwertigere Kunst fixierten Konservatoren mehr Last als Lust. Verluste wurden hingenommen, ja gelegentlich waren Denkmalpfleger und Gemeindemitglieder als »Flurbereiniger« zur Stelle, wenn schadhafte Bildfenster durch blankes, pflegeleichtes Glas ausgewechselt wurden.

So fielen unzählige Scheiben der Fehleinschätzung zum Opfer, es handle sich um bloße Nachahmungen bewährter Vorbilder und bestenfalls um gediegene Handwerksarbeit, die in ihrer Serienmäßigkeit den Vergleich mit den von den Gläubigen als »heilige Lehrer« geschätzten lichtdurchströmten Monumentalmalereien des zwölften bis sechzehnten Jahrhunderts nicht aushält.

Erheblicher Nachholbedarf

Diese Auffassung hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Die in ihrem Wert verkannten »neuen« Fenster sind mittlerweile Gegenstand der Forschung und denkmalpflegerischer Mühen. »Während die Bestandserfassung bei den mittelalterlichen Fenstern deutschlandweit und international bereits weit vorangeschritten ist, besteht bei den erst hundert Jahre alten Scheiben noch erheblicher Nachholbedarf. Unsere Aufgabe ist es, die zum Teil nur fragmentarisch erhaltenen Kunstwerke zu dokumentieren, sie mit denkmalpflegerischer Sorgfalt wiederherzustellen und so für kommende Generationen zu bewahren«, sagt der Kunsthistoriker Erhard Drachenberg, Leiter der Potsdamer Arbeitsstelle für Glasmalereiforschung des Corpus Vitrearum Medii Aevi (CVMA- Corpus der Mittelalterlichen Glasmalerei) an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.

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Während das Forschungszentrum für mittelalterliche Glasmalerei in Freiburg im Breisgau, das zur Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz gehört, den Glasmalereibestand in den alten Bundesländern erforscht und publiziert, ist die seit 1992 am Neuen Markt in Potsdam untergebrachte Arbeitsstelle für die neuen Bundesländer zuständig. Mehrere CVMA-Bände zur mittelalterlichen Glasmalerei in Erfurt und Stendal wurden bereits zu DDR-Zeiten von einer Forschungsgruppe im damaligen Berliner Institut für Denkmalpflege erarbeitet. Nach der Wiedervereinigung kamen zunächst zwei weitere Bände über die Bestände im thüringischen Mühlhausen und in der Stendaler Jacobikirche hinzu.
     2001 erschien der Band über die rund 600 mittelalterlichen Glasscheiben des Halberstädter Doms, es folgen Sachsen-Anhalt, Brandenburg-Berlin, Mecklenburg-Vorpommern sowie Sachsen-Thüringen (ohne Erfurt und Mühlhausen). Behandelt werden darin nach internationalen Vorgaben Ikonographie, Technik und Farbigkeit der Fenster, frühere Restaurierungen und heutige Zustände. Dargestellt werden auch Baugeschichte der Kirchen sowie Stil und Datierungsfragen. Ein umfangreicher Abbildungsteil sorgt für notwendige Anschaulichkeit.
Schutz gegen Wetterunbilden

Die Untersuchungen sind kein Selbstzweck, versichert Drachenberg, sie geschehen stets auch mit Blick auf Restaurierungs- und Sicherungsarbeiten an den Fenstern, die von den Spezialisten der Potsdamer Arbeitsstelle beratend begleitet werden. In den vergangenen Jahren fanden als Forum für den Erfahrungsaustausch zwischen Wissenschaftlern und Praktikern in Berlin-Friedrichsfelde internationale Kolloquien statt. Jetzt trifft man sich in Potsdam zu Werkstattgesprächen mit dem Ziel, die Restaurierungsarbeiten weiter zu qualifizieren und Maßnahmen zu erörtern, wie die fragilen Kunstwerke auf Dauer gesichert werden können. Patentrezepte für die Festigung der Malschichten und die Bewahrung der in Bleistegen gefassten Scherben gibt es nicht. Das beste Mittel ist immer noch die Schutzverglasung, die die dahinter liegenden Originale vor den Unbilden der Witterung bewahrt und für sie gleichsam museale Bedingungen herstellt.
     Die Ostdeutsche Sparkassenstiftung hat sich bereit gefunden, die Publikation eines ersten Kurzinventars der Glasmalereien des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts, die sich trotz Krieg und Bilderstürmerei in den neuen Bundesländern erhalten haben, zu finanzieren.

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Jedes Bundesland wird gesondert bearbeitet. »Mit den Inventaren werden sehr qualitätvolle Verglasungen ans Licht geholt und ihnen ein Platz in der Kunstgeschichte zugewiesen«, fasst Drachenberg das Ziel zusammen. Erschlossen werde eine lange im Zwielicht befindliche Sparte der Kunst, und zugleich können sich Denkmalämter, Kirchgemeinden, Hochbauämter, Behörden und Privatleute einen Überblick darüber verschaffen, was noch vorhanden ist und wer die Urheber sind. Es zeigt sich, dass die Quantitäten zwischen den einzelnen Bundesländern unterschiedlich verteilt sind. Denn während im Land Brandenburg nur 219 Sakral- und Profanbauwerke ermittelt wurden, die über solche Fenster verfügen, gehen die Bestände in anderen Bundesländern in die 600 und mehr.
     Vertieft man sich in die Darstellungen, so lassen sich Traditionslinien zwischen den mittelalterlichen Fenstern und ähnlich gestalteten Scheiben des Historismus feststellen. Gelegentlich wurden Tafelbilder von Raffael, Dürer oder Cranach dem Älteren nachempfunden, doch hat man auch Kompositionen von Künstlern des 19. Jahrhunderts, etwa Holzschnitte von Julius Schnorr von Carolsfeld oder den »schmachtenden Christus« von Guido Reni (1575-1642), auf Verglasungen übertragen. Obwohl die in der von Friedrich Wilhelm IV. nach Münchner Vorbild im Jahr 1843 gegründeten Königlichen Glasmalereianstalt in Berlin und anderen Unternehmen geschaffenen Scheiben jünger sind als die aus dem Mittelalter, sind sie doch wie diese hochgefährdet.

Wappen des Staatskanzlers Hardenberg in Neuhardenberg, um 1823

Ideal wäre es auch, die neueren Scheiben durch Doppelverglasungen zu schützen. Doch das kostet viel Geld. Es aufzubringen wäre ein Dienst an der Kunst, Publikationen wie die erwähnten Kurzinventare sowie Ausstellungen wollen um Verständnis werben.

Brücke in die Gegenwart

Was im Land Brandenburg in den letzten 150 Jahren geschaffen wurde und trotz vieler Gefahren erhalten blieb, zeigt das 1998 erschienene Buch von Marina Flügge »Glasmalerei in Brandenburg vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert« (hrsg. vom Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege, Wernersche Verlagsgesellschaft Worms 1998, 240 S., zahlr. Farbabb.)

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Tanzende Mädchen - Jugendstil-Glasfenster in Potsdam, 1905
Der Band mit einleitenden Darlegungen über Glasherstellung und Glaskonservierung beziehungsweise Farbverglasungen als Kunst- und Zeitzeugen schlägt eine Brücke vom hohen Mittelalter bis fast in die Gegenwart. Er eröffnet eine Publikationsreihe des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege, die die bisherigen Denkmaltopographien und Arbeitshefte ergänzen soll. Erläutert werden Sujets, Künstler und Hersteller, darüber hinaus der augenblickliche Zustand der Scheiben. Das Buch zeigt Traditionslinien, wenn es Glasmalereien im Brandenburger Dom oder der Marienkirche in Herzberg mit ähnlich gearbeiteten Scheiben vor und nach 1900 etwa in Bernau und Heiligengrabe, ja selbst Glasfenster aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg vergleicht. So schuf der Maler Charles Crodel (1894-1979) bereits 1949 neue Fenster für die Kreuzkirche in Königs Wusterhausen. Dargestellt sind in Rundfenstern die biblischen Symbole Fisch und Schiff sowie der gekreuzigte Christus und Rosen, die aus der Krippe emporwachsen.
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Vorgestellt werden neben vielen Kirchenfenstern in allen Regionen des Landes Brandenburg - die Palette reicht von figürlichen Darstellungen bis zu bescheidenen Ornamenten - auch profanes Kunstgut wie eine prächtige Wappenscheibe des preußischen Staatskanzlers Karl August von Hardenberg (1750-1822) in der Dorfkirche zu Neuhardenberg sowie im Branitzer Schlossmuseum verwahrte Arbeiten aus dem späten 15. Jahrhundert als Beispiel, dass Glasmalereien im 19. Jahrhundert auch gesammelt wurden. Bisweilen sind die Fenster von hochstehenden Persönlichkeiten gestiftet worden. An Albrecht den Bären, König Friedrich Wilhelm IV. und Kaiser Wilhelm II. erinnern Scheiben in Klein Glienicke beziehungsweise in der Dorfkirche von Hohenfinow (Barnim). Auch in der Dorfkirche zu Bomdorf (Oder-Spree) blieb eine solche Stifterscheibe von 1876 mit einem Damenbildnis und zwei Kinderporträts erhalten, versehen mit dem für die Zeit so typischen Spruch »Wem ein tugendsames Weib bescheret ist, die viel edler, denn die köstlichsten Perlen, ihres Mannes Herz darf sich auf sie verlassen. Sie thut ihm Liebes, und kein Leides sein Leben lang«. Dass wohlhabende Privatleute um 1900 ihre Häuser mit leuchtenden Glasmalereien schmückten, kann man in z. B. Baruth, Eberswalde, Ganz, Potsdam und anderenorts erleben, wo sich hervorragende Zeugnisse »jugendstiliger« und neobarocker Glasfensterkunst sowie solche in den Formen des Art déco erhalten haben. Nur als Archivaufnahmen konnten die mittelalterlichen Glasfenster aus der Marienkirche in Frankfurt an der Oder gezeigt werden, die 1998 noch als »Beutekunst« in der Petersburger Ermitage lagerten, inzwischen aber z. T. zurückgegeben wurden.
     Ob sich die von der Kunsthistorikerin ausgesprochene Hoffnung erfüllt, die Scheiben mögen zurückkehren und zum Jubiläum 2003 in die Chorfenster der wieder aufgebauten Marienkirche eingefügt werden, wird von Entscheidungen in Russland abhängen.

Bildquelle: Marina Flügge: Glasmalerei in Brandenburg (1998)

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 7-2/2001
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