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Peter Spahn
100 Jahre Berliner Sängerbund

Voraussetzungen und Wege zur Gründung

Berliner Musikgeschichte ist mehr als nur die Geschichte von Staatsoper und Philharmonie, von bedeutenden Komponisten, Dirigenten und SängerInnen, wertvollen Sammlungen und Bibliotheken. Berliner Musikgeschichte ist auch die Geschichte der vielen Instrumentalmusik- und Chorvereinigungen, in denen sich Laien regelmäßig mit Musik beschäftigen, dafür Probenzeiten aufwenden und Konzertveranstaltungen bestreiten.
     Vor einhundert Jahren, am 25. September 1901, gründeten Vertreter von neun Berliner Sängervereinen den Berliner Sängerbund (BSB). Es waren dies: Caecilia-Melodia, Berliner Lehrer-Gesangverein, Berliner Liederkranz, Berliner Männergesangverein, Charlottenburger Lehrer-Gesangverein und Charlottenburger Männergesangverein (beide vereinigten sich 1904), Coepenicker Liedertafel, Erk'scher Männer-Gesangverein und der Potsdamer Männer-Gesangverein.
     Der Sängerbund vertrat insgesamt 909 Mitglieder.

Dennoch waren es zunächst nur neun von ca. 450 Chorvereinigungen, die zu dieser Zeit in der Provinz Brandenburg (einschließlich Berlins) existierten. Vorsitzender wurde Paul Mahling, der Vorsitzende von Caecilia-Melodia, und er blieb es bis zum Herbst 1904. In den Gründungsdokumenten hieß es, dass Mitglieder »gesanglich leistungsfähige Chöre« werden können. Ziel sei es, die gemeinsamen Interessen der Chöre in der Öffentlichkeit und gegenüber den Behörden wirkungsvoll zu vertreten, ihre künstlerische Position im Musikleben zu stärken und bei Konzertveranstaltungen sowie in der Pressearbeit organisatorisch rationeller zu arbeiten. Im Wesentlichen gilt dies auch noch bis zum heutigen Tage.
     Das war insofern bemerkenswert, als es noch beispielsweise in einer Vereinssatzung des im Jahre 1860 gegründeten Männe-Gesangsverein (MGV) »Liedertafel« hieß: »Zweck des Vereins: Er soll den ausgelassenen Straßenschreiereien möglichst Einhalt tun und ein zarteres moralisches Gefühl erwecken. Er soll in jeder Beziehung eine Schule für Bildung, Geselligkeit, Benehmen und Ordnung für in und außer der Arbeit sein.« Unter anderem konnte nur der aufgenommen werden, der eine Stimme zum Singen hatte und kein Trinker war. Versäumte ein Mitglied eine Probestunde und es wurde ermittelt, dass es diese Zeit im Wirtshause zugebracht hatte, wurde es mit fünf Silbergroschen bestraft; kam dies öfter vor, so wurde das Mitglied ausgestoßen.
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     Im Jahr seiner Gründung trat der BSB dem bereits 1862 von den bedeutenden Männergesangvereinen in Coburg gegründeten Deutschen Sängerbund (DSB) bei. Heute zählt der Berliner Sängerbund über 10 000 aktive und passive Mitglieder in Berlin.

Gemeinsam sind wir stärker

Die Geschichte des BSB umfasst mehrere Entwicklungslinien: Zum einen ist es die des Berliner Sängerbundes selbst seit seiner Gründung im Jahre 1901. Zum anderen gehört dazu die Entwicklung der seit 1892 existierenden Liedergemeinschaft deutscher Arbeitersänger und damit des 1908 gegründeten Arbeiter- später Allgemeinen Sängerbundes Berlin (ASB) und schließlich die der Bezirksarbeitsgemeinschaft Chor des Berliner Hauses für Kulturarbeit, die seit 1950 im Ostteil der Stadt agierte und aus der 1990 der Chorverband Berlin hervorgegangen ist.
     Alle ehemals selbstständigen Vereinigungen haben sich zu verschiedenen Zeiten mit dem BSB vereinigt: Zum 1. Januar 1969 erfolgte der Zusammenschluss des BSB mit der Landesgruppe Berlin des Deutschen Allgemeinen Sängerbundes; im Dezember 1991 beschloss der Chorverband Berlin (Ost) den Zusammenschluss mit dem Berliner Sängerbund. Gemeinsam bilden sie nun die Traditionslinien des BSB, wenn er auf sein 100-jähriges Jubiläum blickt.

Nicht unbeachtet bleiben darf die eigene Entwicklung der Mitgliedsvereine, denn ohne die über 215 Chöre und Ensembles, deren Geschichte - aber auch die Geschichte vieler Vereine, die es heute gar nicht mehr gibt - ist die Geschichte des BSB nicht denkbar. Und schließlich ist Aufmerksamkeit der Tatsache zu zollen, dass der Berliner Sängerbund e.V. Mitglied im Deutschen Sängerbund ist und insofern als Bund wie durch einzelne Berliner Mitglieder einen wichtigen Beitrag leistet für die Stärkung der nationalen und internationalen Ausstrahlungskraft dieser größten deutschen musikkulturellen Vereinigung.
     Aber wer erinnert sich heute noch der Gründungsväter? Da ist zum Beispiel der Amtsrat Ernst Schlicht. Er wohnte in der Wegenerstr. 1-2 in Berlin-Wilmersdorf. Ende April 1901 nach Berlin gekommen, wirkte er gemeinsam mit seinem Bruder Oskar unmittelbar bei der Gründung des BSB mit. Er sang u. a. in der Cäcilia-Melodia, in der Berliner Liedertafel und im Erk'schen Männergesangsverein, dessen Ehrenmitglied er später wurde. Seit 1906 wurde Ernst Schlicht auch immer wieder zum Mitglied bzw. Beisitzer in den Geschäftsführenden Ausschuss des BSB gewählt.
     Ebenfalls war er viele Jahre Mitglied des Presseausschusses des DSB. Seit 1909 war Schlicht auch Abgeordneter für die Deutschen Sängertage.
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Aus der Arbeit in all diesen Gremien wird er als weitblickender, zielbewusster, ausdauernder und beharrlicher Vertreter des Berliner Sängerlebens geschildert, der aber auch immer zugleich die Bundesbelange des DSB vertrat. Nicht immer wurde ihm das leicht gemacht, wie aus Berichten früher Jahren hervorgeht, weil sich Mitglieder der ehrenamtlichen Gremien nicht genügend einbezogen fühlten und die Einzelinteressen der Vereine die Gesamtinteressen der deutschen Sängerschaft überlagerten.
     Aus drei Jahrzehnten - von 1911 bis 1940 - sind von Ernst Schlicht eine Vielzahl von Publikationen sehr unterschiedlichen Umfanges zur Entwicklung des BSB und einzelner Mitgliedschöre nachweisbar. Eine Publikationsliste, ohne deren inhaltliche Akkuratesse eine fundierte Recherche zur Geschichte des Berliner Sängerbundes sehr mager ausfallen dürfte.
     Erinnert sei auch an Carl Ludwig Susen, der auf der Grundlage gezielter eigener Sammlungen manches zur Geschichte des Berliner Sängerbundes publizieren konnte. Geboren am 26. Juli 1901, also in den Tagen der Gründung des BSB, kommt er selbst 65 Jahre später an die Spitze des BSB und organisiert das 17. Deutsche Chorfest 1976 in dieser Stadt und kann dann noch im hohen Alter miterleben (er starb am 29. Oktober 1992), wie die durch den Mauerbau über Jahrzehnte geteilte Berliner Sängerschaft unter dem traditionsreichen Namen des Berliner Sängerbundes wieder zusammenfindet.
Wurzeln im 19. Jahrhundert

Notwendig ist - mit aller gebotenen Kürze - ein Blick ins 19. Jahrhundert, in jenes Jahrhundert, das die entscheidenden Voraussetzungen für die Gründung des BSB schuf. Man kann davon ausgehen, dass Berlin eine der entscheidenden Quellen des Gesangvereinswesens ist. Hier wirkte Carl Friedrich Zelter (1758-1832), der als Begründer und Anreger der Liedertafel- und Singakademiebewegung gelten kann. Hier in Berlin entstanden wesentliche Chorvereinigungen, die diese Tradition begründeten.
     1820 machte ein gewisser Adam Öhlenschäger aus Altona eine Reise durch Deutschland und Frankreich, von der er Briefe in die Heimat schrieb. So traf er den damals 62-jährigen Carl Friedrich Zelter, und er berichtet darüber: »Er ist einer von Goethes besten Freunden, achtet nicht sehr den konventionellen polierten Ton und wird für mürrisch gehalten; gegen mich war er sehr freundlich. Auf Veranlassung der Frau Alberti sandte er mir zuerst ein Billet zu seiner Singakademie, später lud er mich selbst zu seiner Liedertafel ein. In der Singakademie wurden mehrere lateinische Chöre von verschiedenen Komponisten, so eine Art Requiem, aufgeführt. Über sechzig Damen und dreißig Herren sangen mit Präzision, Klarheit und Kraft, nur von einem einzigen von Zelter gespielten Klaviere begleitet. So muß man die Chöre hören, wenn man sich einen Begriff von demjenigen machen will, was Menschenstimmen vermögen ...

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     Zelters Liedertafel war mir eine noch unerwartetere und willkommenere Erscheinung als seine Singakademie. Denke Dir einen Klub in einem hübschen Lokal: einen Gabeltisch ..., um welchen sich die Mitglieder herumsetzten, von denen, wie bei uns auf der Schützenbahn, ein jeder die Erlaubnis hat, einen Gast mitzubringen. Zelter ist Meister von diesem Klub und sitzt obenan; gerade vor ihm auf dem Tisch steht eine kleine, mit Purpursamt bekleidete Erhöhung, mit einem großen vergoldeten silbernen Becher geziert; rund umher liegen nicht wie bei uns, nur Lieder, sondern auch Notenbücher. Nun wählte Zelter ein Lied und klopfte mit seinem Hammer. Ein leises vorangehendes Trällern, um den rechten Ton zu finden, folgte; und denke Dir nun meine frohe Verwunderung, als darauf plötzlich die ganze Gesellschaft vierstimmig, in der schönsten Harmonie, den herrlichsten fugierten Chor mit der größten Leichtigkeit zu singen begann. Bald hörte man einzelne Stimmen, bald wechselten sie von einer Tischreihe zur anderen. Alle waren geübte Sänger, Kaufleute und so weiter. Zelter hatte einen Teil dieser Lieder komponiert.«
     Und Ludwig Rellstab (1799-1860) schrieb dazu: »Zelters glücklicher, eifrig durchgeführter Gedanke, die Liedertafel zu gründen, hat die schönsten Früchte für die Kunst getragen.
Er hat den Anstoß gegeben und wacker gearbeitet; treffliche Nachfolger schlossen sich ihm an; aus seiner Stammliedertafel hat sich ein blühender Baum reicher Abzweigungen gebildet, der seinen Schmuck jetzt fast schon im ganzen Deutschland, wenigstens in Norddeutschland, prangen lässt. Durch diese Gattung von Liedern ist die Geselligkeit, insbesondere das Mahl veredelt; es ist eine echt deutsche Seite des Herzens dadurch angeschlagen worden, die lange wiedertönt. Das Lied für Männerstimmen ist vielleicht unser eigentümlichster Schatz; was andere Völker in dieser Form der Musik lieferten, ist so vereinzelt oder liegt auf so völlig anderem Gebiet, dass es gar nicht hierher zu rechnen ist. Wir können diesen Gewinn dem alten Meister nicht genugsam danken.«
     So entstanden an vielen Orten - nicht nur in Berlin und sicherlich nicht allein von Berlin aus (es sei nur an das englische Musikleben erinnert, wo Vereinigungen dieser Art bereits seit Händels Wirken im 18. Jahrhundert zum festen Bestand gehörten) - jene Chorvereinigungen der Laien und Liebhaber, die entweder der Liedertafel entsprachen, also eine gesellige Vereinigung zur Pflege des Volksliedgesanges darstellten, oder mehr die Singakademie repräsentierten, sich also das Ziel setzten, größere Chorwerke in öffentlichen Konzertaufführungen darzubieten.
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     Man kann sich heute kaum noch eine Vorstellung davon machen, mit welchem Enthusiasmus viele Menschen aus allen Schichten der Bevölkerung im 19. Jahrhundert der Chormusik bis hin zur großen Form des Oratoriums begegneten. Gerade in der Zeit des Vormärz und des Biedermeier repräsentierte das Oratorium die Bildungsidee des sich emanzipierenden Bürgertums. So wurden überall große Chor- bzw. Oratorienvereine auf der Basis demokratischer Statuten und egalitärer Prinzipien gegründet, Musikfeste ins Leben gerufen, wo sowohl in den Konzertsälen wie auch in Freiluftveranstaltungen Massenchöre interessierter und engagierter Laien öffentlich in Erscheinung traten.

Chorkultur und Bildung

Auch wenn in Berlin und im Berliner Sängerbund heute veränderte Gegebenheiten bestimmend sind, lohnt es sich doch, sich einige Aspekte zu vergegenwärtigen, die die gesellschaftliche Bedeutung der Laienchorbewegung ermöglichten, beförderten und sie dann aber auch wieder abklingen ließen.
     Zu den substanziellen Prämissen dieser Chorkultur gehörten elementare Bildungsvoraussetzungen auf Seiten der SängerInnen und HörerInnen. Literarische, mythologische, historische Kenntnisse und assoziatives Denken in entsprechenden Bildern waren in jenen Jahrzehnten in größerem Umfange verbreitet. Das sind Bildungsvoraussetzungen, die es ermöglichten, antike, mythische, biblische

und weltliterarische Stoffe in Oratorien und Kantaten zu verarbeiten, da alle Beteiligten wussten, was da verhandelt wurde. Hier wurde von einem Kulturniveau partizipiert, das eben auch diese chormusikalischen Gattungen und Lebensweisen begünstigt. Dabei ist nicht zu übersehen, dass Bildungs- und Unterhaltungsfunktionen der Kunst und Kunstausübung noch nicht in dem Maße getrennt waren, wie das dann in den kommenden eineinhalb Jahrhunderten immer mehr Platz griff.
     Ein weiterer Aspekt: Seit Beginn des 19. Jahrhunderts tragen Chorvereine die große Vokalmusik außerhalb des Musiktheaters. Diese Chorvereine haben sich über die verschiedenen historischen, musikalisch-stilistischen und internen soziologischen Wandlungen als bemerkenswert stabile Institutionen bewährt. Die rasche Ausbreitung in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts hätte ja auch ein kurzes, modisches Aufflackern mit entsprechender kultureller Leuchtkraft sein können. Aber vieles ist doch von Dauer geblieben. Das meint nicht etwa nur die äußere Form. Auch nicht, dass es im Laufe der über zweihundertjährigen Entwicklung - wenn wir für Berlin den 24. Mai 1791 mit der Gründung der Singakademie im Hause der Frau General Chirurgus Voitus Unter den Linden 42 unter der Leitung von Carl Friedrich Christian Fasch (1736-1800) als eine Art Geburtsstunde ansehen - neben Bleibendem auch eine Vielzahl von Vereinigungen gegeben hat, die nur eine begrenzte historische Zeit gesanglich wirksam war.
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Aber die Idee des Chorvereins als einer Institution, die sich auf freiwilliger Basis mit dem Ziel zusammenfindet, verbunden durch das Ineinandergreifen von Geselligkeit, Kultur, Bildung und Repräsentanz, auf der Basis des gemeinsamen Singens, hat ihre Anziehungskraft bis heute bewahren können. Dabei soll nicht unkritisch gesehen werden, dass die einzelnen Elemente Geselligkeit, Kultur und Bildung sicherlich von Verein zu Verein, wie auch in den verschiedenen Entwicklungsphasen der Vereine unterschiedlich akzentuiert wurden und werden. Nicht unberechtigt wird oft in den Vereinen wie auch im Sängerbund über eine Verflachung von Geselligkeit, Schrumpfung des Bildungseifers, kulturelle Genügsamkeit, aber auch erlahmende Repräsentanz der so genannten Honoratioren in den Vereinen diskutiert.
     Und schließlich: Ohne hier nostalgisch etwas verklären zu wollen und unzulässiger Vereinfachung sich schuldig zu machen, ist die Formel von der Musik als Teil einer Lebensform, wo Bildung nach Geselligkeit und Geselligkeit nach Bildung strebte, für das 19. Jahrhundert und die die Musikkultur tragenden bürgerlichen Schichten durchaus signifikant. Es ist sicher unbestritten, wenn man von dem Berliner Chorwesen im 19. Jahrhundert als von einem Massenphänomen spricht. Liedertafeln, Singakademien, Liederkränze und andere Gesangvereine ebenso wie Streichquartette
und andere kammermusikalische Musizierformen, Liebhaberorchester und nicht zuletzt das sich auf nahezu professionellem Niveau bewegende fachlich-fundierte Gespräch über Musik bildeten eine alternative Kulturszene zur ebenfalls noch in dieser Stadt täglich präsenten etablierten Hofmusikkultur. Insbesondere wurde dies in der Hofoper Unter den Linden mit ihrer zunächst noch strikten Trennung in Logen für die Adelsgesellschaft und dem Parkett, wo das Bürgertum sich versammeln durfte, sichtbar.
     Und letztlich kam ein weiterer Impuls im 19. Jahrhundert aus dem aufkommenden Volkslied-Enthusiasmus. Volksliedsammler wie Ludwig Erk (1807-1883), Komponisten, die im Volkston schrieben, von Anton von Zuccalmaglio (1803-1869; »Kein schöner Land in dieser Zeit«) bis zu Friedrich Silcher (1789-1860; »Ännchen von Tharau«) beförderten eine Ästhetik, die jene Musik favorisierte, die entweder vom Volke selbst ausging oder durch das Volk aufgenommen und lange Zeit in ihm bewahrt wurde. Zu den chormusikalischen Inhalten und Emotionen, die dieses Jahrhundert hervorbrachte, gehören die intensive Sicht auf die unberührte Natur, insbesondere den Wald, auf majestätische Berge, Seen, Wiesen, Blumen, auf Sonnenglanz und fahles Mondenlicht, auf Vögel, Bäume, geheimnisumwitterte Geister, Nixen und Mythen, idyllische Dörfer und Katen, alte Burgen und Ruinen, aber auch Jäger, Wanderer, Zigeuner.
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All das, was wir heutzutage mit dem Begriff der Romantik verbinden, wurde bis in die letzten Verästelungen segmentiert und bildete eigene musikkulturelle Bereiche. Das Schlichte, Bekannte kam nicht nur dem romantischen Zeitgeist entgegen und forderte ständig neuen Nachschub, sondern entsprach auch dem weithin vorhandenen gesanglichen Leistungsvermögen der sich in den Vereinen regelmäßig treffenden Sänger. Und schließlich entsprach das Volkslied auch dem nach dem politischen Zusammenbruch des preußischen Staates 1806 und dem 1813 folgenden Sieg der Truppen der russisch-preußisch-österreichisch-schwedischen Koalition in der Völkerschlacht bei Leipzig crescendierendem Nationalgefühl. In einem wechselvollen Wandlungsprozess wurde aus dem Volk eine Nation, aus einigen Volksliedern wurden Nationallieder, die dann zu Hymnen avancierten. Und viele patriotische Lieder und Gesänge, die zunächst ins Repertoire »arglos« einflossen, waren durch historische Ereignisse so beschwert, dass eine einstmals vielleicht unbefangene chorische Interpretation kaum noch möglich wurde.

Sängerbünde entstehen

In der Berlin-Brandenburgischen Region entstand 1860 der von Rudolf Tschirch gegründete Märkische Zentralsängerbund mit einer starken Berliner Abteilung, dem zeitweise bis zu 58 Berliner Vereine angehörten.

1861 gründete Franz Mücke den Märkischen Sängerbund, der aber kaum in Berlin wirksam war. 1862 folgt die Gründung des Neuen Berliner Sängerbundes, dem bis 1867 u. a. auch der Erk'sche Männergesangverein angehörte. Nach der Reichsgründung löste sich dieser Sängerbund wieder auf. Am 20. Februar 1876 erfolgte die Gründung des Berliner Arbeiter Sängerbundes (ASB) durch elf Vereine mit ca. 180 Mitgliedern. Er musste infolge des Sozialistengesetzes 1878 wieder aufgelöst werden. Als 1890 das Sozialistengesetz wieder aufgehoben wurde, trafen sich im Restaurant Moewes, Fichtestr. 29, am 14. September des gleichen Jahres 100 Delegierte aus 45 Gesangvereinen zur Vorbereitung der Gründung des ASB Berlin und Umgebung. Am 25. Dezember 1892 wurde in Berlin die Liedergemeinschaft der Arbei-terSängervereinigungen Deutschlands gegründet, Vorläufer des am 7. und 8. Juni 1908 in Köln gegründeten DAS. Und schließlich trafen sich am 22. Juni 1901 Vertreter von Chorvereinen in Vorbereitung der Gründung des Berliner Sängerbundes im Eberlbräu, dem späteren Fürstenbergbräu in der Rosenthaler Str. 38, der dann im September gegründet wurde und nun seit einhundert Jahren - eng verbunden mit der politischen und kulturellen Geschichte Berlins - tausenden von SängerInnen Heimstatt sinnvoller musikkultureller Freizeitbeschäftigung ist.
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 7-2/2001
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