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Hans-Peter Doege
Knabenerziehung im christlichen Geiste

Das Paulinum in der Genthiner Straße

Graf Leopold von Sedlnitzky (1787-1871), Gründer des Paulinums, war seit 1835 katholischer Weihbischof von Breslau. Im Streit zwischen der katholischen Kirche und dem Staat, in dem es darum ging, Mischehen nur zu gestatten, wenn die Kindererziehung eine katholische ist, war er der einzige, der es nicht zum Bruch mit dem Staat kommen lassen wollte. Dadurch verlor er das Vertrauen der Kurie und musste 1840 auf seinen bischöflichen Stuhl verzichten. 1862 trat er sogar der evangelischen Kirche bei.
     1853 besuchte ihn Johann Heinrich Wichern (1808-1881) in Breslau und erfuhr, dass der Graf sich mit dem Gedanken trug, ein Seminar ähnlich dem Priesterseminar der katholischen Kirche zu gründen, um hier Knaben mit der Neigung zu einem Kirchen- oder höheren Lehramt zu versammeln und sie im Internat darauf vorzubereiten. Er war der Meinung, dass viele junge Leute wegen fehlender finanzieller Mittel dem geistlichen und höheren Lehramte verloren gehen. 1860 begann Sedlnitzky, seinen Plan in die Tat umzusetzen.

Diese Anstalt sollte dazu dienen, die Knaben im christlichen Geiste zu erziehen. Den Unterricht sollten sie an einem benachbarten Gymnasium erhalten.
     Sedlnitzky kaufte zwei Grundstücke in der Nähe der Heydt-Brücke in Tiergarten, wobei eines für die Errichtung, das andere zur finanziellen Sicherung der Anstalt gedacht war. Mit dem Erlös aus diesem Grundstück sollte das Paulinum mitfinanziert werden. Die Aktion war so vorbereitet, dass die beiden den Bauern Mette und Willmann gehörenden Wiesen an den Zentral-Ausschuss (Z-A) verkauft werden sollten.
     Um die Benennung der Anstalt gab es einige Diskussionen. Beim Entwurf zu einem Statut hatte sie noch keinen Namen, man sprach von der »Erziehungsanstalt im Lützower Felde«, was dann in »Schöneberger Feld« umgeändert wurde. Vermutlich war es dann Wichern, der den Vorschlag machte, dem Institut einen Namen zu geben. Man dachte an Melanchthon, und auch der Name Sedlnitzkys wurde genannt, doch dieser hatte sich schon für Paulinum entschieden, nach dem Apostel, der vom Saulus zum Paulus wurde. 1864 wurde die bevorstehende Eröffnung der Anstalt schon mit diesem Namen bekannt gegeben.}
     Am 22. Juni 1860 wurden dem Z-A durch Allerhöchste Kabinettsorder die Annahme der Sedlnitzkyschen Schenkung und die unter dem Namen Paulinum zu errichtende Stiftung genehmigt.
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Das künftige Aussehen des Paulinums, wie es in der Bauakte vorgesehen war
Am 26. Juli 1861 erfolgte die Genehmigung des Statuts vom 29. Juni 1861, die sich der Minister für geistliche Angelegenheiten, von Bethmann-Hollweg, der auch Mitglied im Zentral-Ausschuss war, vorbehalten hatte.
     Am 1. April 1864 wurde das Paulinum dann eröffnet. Der Graf begnügte sich nicht damit, die Anstalt gegründet zu haben, er ließ ihr im Laufe der Zeit umfangreiche Zuwendungen zukommen, ohne die das Institut die erste Zeit wohl nicht überstanden hätte.
     1866 hat er dem Paulinum eine so große Summe übergeben, dass die Zinsen dazu verwendet werden konnten, den Eltern besonders begabter Knaben die Pension zu ermäßigen, in besonderen Fällen sogar zu erlassen. Als Sedlnitzky 1871 starb, erbte die Anstalt 40 000 Taler und einen großen Teil seiner Bibliothek.
Ausbau und die Errichtung eines zweiten Gebäudes

1873 wurde das etwas zu klein geratene Paulinum um- und ausgebaut und bei dieser Gelegenheit auch gleich renoviert. Im gleichen Jahr wurde auf dem Grundstück auch ein zweites Gebäude errichtet, in dem sich Mietwohnungen befanden. Dies entsprach durchaus dem Willen des Stifters, denn dieser hatte ja das zweite Grundstück eigens dazu erworben, dass es dem Unterhalt der Anstalt dient. Zu den Mietern des Hauses gehörte u. a. der Z-A selbst, der im dritten Stockwerk zwei Zimmer zu einem Büro eingerichtet hatte. Außerdem befanden sich die Dienstwohnungen des geschäftsführenden Sekretärs sowie die des Reisepredigers in dem Gebäude.

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     1895 wurde die Dienstwohnung frei, und man entschloss sich, sie nicht wieder zu vermieten, sondern Unterbringungsmöglichkeiten für weitere Zöglinge zu schaffen. Darüber kam es zu einer kontroversen Debatte: Ein Mitglied des Z-A, Rechtsanwalt Staemmler, wähnte sich als letzten lebenden Zeugen des Willens des Stifters und meinte, dass eine Erhöhung der Anzahl der Zöglinge nicht in dessen Sinne sei. Das Kuratorium entschied sich gegen Staemmler und erhöhte die Anzahl auf 40 bis 50 Zöglinge. Hierzu war allerdings eine Statutenänderung notwendig, die vom Kultusministerium am 25. Januar 1895 genehmigt wurde.
     Zu einer nochmaligen Änderung des Statuts kam es bei Gründung eines Paulinums in Posen 1898. Dieses revidierte Statut galt bis zu seiner Auflösung im Jahre 1907.
     1886 dachte man zum ersten Mal über den Verkauf des Paulinum-Grundstückes nach, denn es lag nun nicht mehr an der Weichbildgrenze der Stadt, sondern durch die stürmische Entwicklung mittendrin. Als Sedlnitzky es 1860 kaufte, herrschte hier noch ländliche Idylle. Inzwischen hatte das Terrain des Paulinums gewaltig an Wert gewonnen, und auch die Abgeschiedenheit, in der es eigentlich liegen sollte, war nicht mehr gegeben. Nach eingehender Prüfung des Statuts kam man überein, dass eine Verlegung der Anstalt und somit eine Veräußerung des Grundstückes diesem nicht widerspräche, nahm aber sicherheitshalber doch eine Änderung des Statuts vor.
Am 24. Januar 1887 schrieb man an den Kultusminister und begründete diese Maßnahme, die einen Monat später, am 28. Februar, ministeriell bestätigt wurde.
     1907 endlich verkaufte man das Grundstück an den Bankprokuristen Carl Steinhardt für 910 000 Mark mit der Maßgabe, dass die Übergabe und Auflassung des Grundstückes erst 1909 erfolgen sollte. Von der Königlichen Kommission für die Aufteilung der Domäne Dahlem wurde am 26. Mai 1907 das noch heute im Besitz des Diakonischen Werkes befindliche Grundstück für 146 000 Mark erworben. Durch den Verkauf des alten und den günstigen Kauf des neuen Grundstücks erhöhte sich das Kapital der Paulinum-Stiftung um fast 350 000 Mark.
     Am 1.  Mai 1909 fand die Einweihung des neuen Paulinums statt, und damit endet die Geschichte der Anstalt in der Genthiner Straße 38. Auf den Grundstücken befand sich später das Verwaltungsgebäude der Rütgers-Werke Aktiengesellschaft in der Lützowstr. 33/36, auf dem Grundstück in der Genthiner Straße war und ist der Walther de Gruyter Verlag beheimatet.

Bildquelle: Sammlung Doege

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 7-2/2001
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