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Barras bleibt Barras!

Klaus-Peter Möller, Der wahre E. Ein Wörterbuch der DDR-Soldatensprache, Lukas Berlin 2000

Die Kürzel »E« sagt Westdeutschen wenig, selbst wenn sie »gedient« haben. »E« steht für »EK«, und das wiederum ist eine Abkürzung für »Entlassungskandidat«, worunter alle Soldaten der Nationalen Volksarmee im 3. Diensthalbjahr, insbesondere jene zu verstehen sind, deren Rückkehr ins bürgerliche Zivilleben unmittelbar bevorstand. Das galt auch für die zur Entlassung anstehenden Angehörigen der Grenztruppen, der Zivilverteidigung, des Innenministeriums, der Volks-, Transport- und Bereitschaftspolizei, (im Volksmund »sozialistische Rocker« genannt) und der kasernierten Einheiten sowie des Wachregiments des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Standesbewusstes Abzeichen des »EK« war ein Bandmaß, das mit Näherrücken des Entlassungstages alle 24 Stunden um eine Maßeinheit gekürzt wird - ein Stück gesamtdeutscher Alltagskultur. Vom stellvertretenden Ministerpräsidenten Baden-Württembergs, Walter Döring, ging durch die Presse, dass er in Erwartung der Landtagswahl am 25. März 2001 nach Reservistenmanier ein Maßband benutzte und Tag für Tag einen Zentimeter davon abschnitt.
     Darüber hinaus gibt es noch andere Riten, die vorwiegend der Nationalen Volksarmee eigen waren: der »EK-Schlag« etwa, ein dem Ritterschlag nachempfundenes Initiationsritual, dem sich die am Ende des 2. Diensthalbjahres stehenden Soldaten einer jeden Kaserne am Entlassungstag der »E« unterzogen. Oder der »EK-Schlitten«, ein Stubenhocker, dessen vier Beine in umgestülpte Stahlhelme gestellt wurden und auf dem ein bevorzugter »E« von seinen Kameraden durch die Kompaniegänge gezogen wurde. Es gab die »E«-Tradition, auf die die Aspiranten beim »EK-Schlag« verpflichtet wurden,

und die neben allerlei Brauchtum vor allem darin bestand, dass dem Entlassungskandidaten allerhand Vorrechte gegenüber den Kameraden des 1. und 2. Diensthalbjahres zustanden. Die konnten recht handfeste Formen annehmen und in regelrechte Schikanen einmünden. Das »Dachsduschen« zum Beispiel, bei dem die dienstjüngeren Kameraden in voller Montur 4 Minuten und 44 Sekunden lang unter die kalte Brause gestellt wurden.
     Untersuchungen zur Soldatensprache (der »Güllensprache«) und ihre Bestandsaufnahme sind recht zahlreich. Erinnert sei hier an Paul Horns 1899 erschienene Abhandlung über die deutsche Soldatensprache, an den 1981 entstandenen Forschungsbericht von Reinhard Olt oder an die Bücher von Heinz Küpper »Am A... der Welt, Landserdeutsch 1939-1945« (1970) und »ABC-Komiker bis Zwitschergemüse sowie Das Bundessoldatendeutsch« (1979). Schon 1643 lieferte Johann Michael Moscherosch, der unter dem Pseudonym »der Träumende« Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft gewesen ist, in seiner Satire »Wunderliche und wahrhafftige Gesichte Philanders von Sittewalt« ein Glossar der Soldatensprache aus dem Dreißigjährigen Krieg. Auch in Hans Jacob Christoph von Grimmelshausens »Abentheuerlichem Simplicissimus Teutsch« aus dem Jahre 1688 sind uns eine ganze Reihe soldatensprachlicher Ausdrücke aus jener Zeit überliefen. Bekannt sind auch Günther Wallraffs 1992 geschriebenes Tagebuch aus der Bundeswehr sowie zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema »Bürger in Uniform«. Der 1960 in Parchim geborene Autor und studierte Germanist Klaus-Peter Möller gibt dankenswerterweise eine reichhaltige Bibliografie zum gesamten Umfeld im Anhang seines Buches (Seite 319-333). Ein wegweisendes Literaturverzeichnis führt auch im Anhang zu »Die Sprache des deutschen Heeres«, die teilweise historisch angelegte Untersuchung von Kurt von Schweinitz.
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Abhandlungen zu Jargon, Standes- und Sondersprachen gibt es viele, zum Beispiel zur Handwerker- und Studentensprache oder zum Rotwelsch. Hierzu hat Friedrich Kluge 1901 ein Standardwerk verfasst, das bis jetzt gültig geblieben ist. Wir wissen heute (wer hätte das gedacht!), dass es zahlreiche Berührungspunkte zwischen Gauner- und Studentensprache gibt. Da kaum etwas die sozialen und kulturellen Eigenheiten eines gesellschaftlichen Teilbereiches besser widerspiegelt als die Sprache, hat ihre Erforschung einen hohen sozial- und kulturhistorischen Stellenwert. So wie einer Studie von Kurt von Schweinitz zufolge das westdeutsche »gehobene« (sprachlich zweifelhafte) Umgangsdeutsch in die bundesrepublikanischen Kasernen eingedrungen ist (Streifzug durch die Militärsprache von 1992), geben die Sprachgepflogenheiten in der Nationalen Volksarmee getreu die Wirklichkeit im »sozialistischen Vaterland« wieder. »Sprache«, sagt der Autor Klaus-Peter Möller, »ist der materialisierte Ausdruck der Lebensbedingungen ihrer Sprachträger.( ... )« Es kam also darauf an, mit Hilfe der Lexikographie zu zeigen, wie es wirklich war, was die Menschen dachten und taten, was sie bewegte. Das Wörterbuch stellt also den Versuch dar, »den auffälligsten und charakteristischsten Teil des Wortschatzes der DDR-Soldatensprache zu erfassen und zu dokumentieren und mit dem Sprachzustand den Charakter der Armee und der Epoche zu beschreiben« (Seite 19).
     Ob bei Soldaten in Ost oder West, der Militärjargon war überall fast gleich.

     Während im Militäralltag der Bundesrepublik unter »Thema 1« Sexualität verstanden wurde, war es in der DDR »der Sinn des Soldatseins im Sozialismus«. Was in der Bundesrepublik die NATO-Verbündeten sind, waren in der DDR die RGW-Staaten, vornehmlich die Sowjetunion und ihre Armee, in der NVA nur »Cirkus Aljoscha« genannt (nach der kyrillisch geschriebenen Abkürzung Sovetskaja Armija - CA). Natürlich muss man unterscheiden zwischen dem Sprachgebrauch der Wehrpflichtigen und den in der Regel »dienstgeilen« Vorgesetzten - auch ein Beleg für die gesamtdeutsche Soldatensprache. Diese Unterscheidung nimmt Möller vor und weist bei den einzelnen Stichworten darauf hin. So ist ein Saufgelage bei den Mannschaften eine »Verdichtung« oder eine »Kristallnacht« (die leeren Flaschen wurden aus dem Fenster geworfen), bei den Offizieren ein »Prasdnik« (das russische Wort für Feiertag) oder vornehmer eine »Dienstbesprechung« oder »Konferenz«. Auch gibt es, dass ein Ausdruck zwar auf allen Ebenen vorkommt, aber unterschiedlich gebraucht wird.

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   200   Berichte und Rezensionen   Voriges BlattNächstes Blatt
»Der Arsch ist ab« heißt bei Mannschaften so viel wie »jetzt ist Schluss« (auch gesamtdeutsch). Vorgesetzten dagegen ist folgendes Spielchen zuzuschreiben: »Achtung! Stillgestanden! Ganze Abteilung kehrt! Bücken! Morgen ihr Ärsche!«
     Natürlich gab es auch in der DDR-Armee Vorbehalte gegen Offiziere und Unteroffiziere, »Beutel(tiere bzw. -ratten)« und Broiler (DDR-typisches Wort für Brathähnchen) genannt, Möller weist eine Menge Ironismen gegen Ranghöhere, ihre Ursachen und Privilegien nach. Auch hier finden sich viele gesamtdeutsche Bezeichnungen wie z. B. das »Lametta« (Dienstgradabzeichen, Orden und Ehrenzeichen), die »Affenschaukel« (Schützenschnur), »Rostschüssel« (Geländewagen) und natürlich der »Anschiss« (Rüge, grobe Zurechtweisung), wobei in der NVA unterschieden wurde zwischen »dienstgradmäßigem« und ,,strukturellem«. Doch in überwiegender Zahl sind es DDR-typische Ausdrücke wie »Bananenschalen« für die Achselstücke der Maate, »Fraggel« »Fraggler« oder »Futzi« (auch in Westdeutschland üblich) für die angehenden Offiziere und die im Dritten Reich für die Parteibonzen verwendete Bezeichnung »Goldfasan« für einen General, der auch gerne als »Zirkusdirektor« ironisiert wird. Ein Leutnant war ein »Lolli« (auch in der Bundeswehr verbreitet) oder »Left-Hand« (im westeuropäischen Militär war die Bezeichnung »Lefty« gang und gäbe, nach dem angloamerikanischen Slangwort leftenant).
     Viele Wörter sind über ein Jahrhundert im Gebrauch, und wurden sowohl in der Bundeswehr als auch in der Nationalen Volksarmee »ererbt«, so der »Pissbogen« für die beim Antreten nicht eingehaltene gerade Linie oder die »tote Hose«(für langweilige Angelegenheit), der »Armleuchter« (euphemistisch für »Arschloch«), der »Blindgänger« für einen die Vorstellungen seines Vorgesetzten nicht erfüllenden Soldaten,
die »Mieze« (für jede x-beliebige weibliche Person), der »Muffengänger« (Angsthase), der »Maskenball« (für den Kleiderdrill) oder der »Zwölfender« (ein länger dienender Zeitsoldat). Fröhliche Auferstehung feierte auch der »Gefrierfleischorden«, 1941/42 für die Teilnahme am Russlandfeldzug verliehen, in der ehemaligen DDR die spöttische Bezeichnung für die Verdienstmedaille nach 5- bis 20-jähriger Zugehörigkeit zur NVA. In der Nazizeit übliche Redewendungen haben überlebt wie etwa »Was einen deutschen Soldaten nicht umbringt, macht ihn nur noch härter« (ebenso in der Bundeswehr) und der HJ-Slogan »Zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl und flink wie Windhunde« (ebenfalls beim westdeutschen Militär). In der Einleitung weist Klaus-Peter Möller nach, dass faschistischer und antisemitischer Sprachgebrauch relativ kritiklos hingenommen wurde, ja dass es sogar kaserneninterne Feierlichkeiten zu nationalsozialistischen Gedenktagen gegeben habe. Die im Dritten Reich übliche Bezeichnung »Kettenhunde« für Angehörige der Feldgendarmerie (so benannt nach einem vor der Brust verketteten Blechschild) hat sich nur vereinzelt in der Bundeswehr bezogen auf die Feldjäger erhalten; in der DDR-Armee galt sie den Soldaten der Panzereinheiten. Gar nicht leiden konnten es die militärischen Vorgesetzten, wenn traditionell von Wehrsold oder der Gasmaske die Rede war; der offizielle Ausdruck lautete »Dienstbezüge« und »Truppenschutzmaske«. Etwas üben »bis zur Vergasung« hat aber mit den Vernichtungsaktionen der Nazis nichts zu tun. Diese Redensart war schon in der kaiserlichen Armee üblich und bezog sich auf die Änderung des Aggregatzustandes von Flüssigkeiten.
     Möller hat seinem Wörterbuch ein Register beigefügt, das die offiziellen militärsprachlichen Begriffe und dahinter die in der Truppe üblichen Jargonbezeichnungen aufführt (Seite 235-291).
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   201   Berichte und Rezensionen   Voriges BlattNächstes Blatt
Somit kann man gut Übereinstimmungen mit dem Wehrmachtsdeutsch oder dem Sprachgebrauch in der Bundeswehr nachvollziehen. So hat sich der »Beutegermane« als Schimpfwort erhalten sowie der Ausdruck »die andere Feldpostnummer« (vorzugsweise verwendet zur Kennzeichnung der Bundeswehr). Enthalten sind auch als Beispiel das maschinenschriftliche »EK-Statut« aus einer Einheit von »Keßlers Trachtengruppe« (Heinz Keßler, ab 1985 der Nachfolger von Heinz Hoffmann im Amt des Verteidigungsministers der DDR; Seite 294-297) und die seinerzeit üblichen Liedtexte (nicht die offiziellen; Seite 302-310), wobei auffällt, dass sie sich häufig in Text und Melodie an westdeutsches Schlagergut anlehnen (Rolling Stones, Udo Jürgens, Peter Maffay, Jürgen Drews, Nina Hagen, Nena und manch andere). Auch witzige Bemerkungen des westdeutschen Komikers Otto Waalkes kursierten in der NVA. Bekanntlich konnte man überall im ehemaligen DDR-Gebiet, mit Ausnahme eines schmalen Landstriches um Dresden, die westlichen Rundfunk- und Fernsehstationen empfangen.
     Lesenswert sind auch die in der NVA kursierenden Sprüche und Witze, die auf den Seiten 311-314 bzw. 315-318 festgehalten sind. Viele waren nicht ganz ungefährlich, wie zum Beispiel der Ausruf »Hoch leben die Genossen, an jedem Baum einer!« oder der folgende Witz über den »großen Bruder«, die Sowjetunion: Ein Russe und ein DDR-Bürger finden an der BAM (Baikal-Amur-Magistrale) einen großen Klumpen Gold. »Was machen wir nun?« »Wir teilen brüderlich!«, schlägt der Russe vor. »Ich bin mehr für »fiftyfifty«, sagt der Deutsche. Als während der sechziger Jahre die sowjetische Erdgas-Pipeline im Rahmen der RGW-Arbeitsteilung von polnischen Geodäten vermessen wurde, fragte sie ein neugieriger ukrainischer Kolchosbauer, was sie denn Geheimnisvolles machten. »Wir vermessen die neue Grenze zwischen Polen und China«, war die Antwort.
Die polnischen Ingenieure mussten daraufhin das Land binnen 24 Stunden verlassen.
     Die Sarkasmen auf die DDRStaatsideologie sind zahlreich, angefangen von dem Spruch »Nur keine unsozialistische Hast!« und die Verwendung der Kürzel »ML« (Marxismus-Leninismus, auch als »Marxismus-Senilismus« bezeichnet) für den Ausspruch »Mach Latte!« (»Geh mir aus den Augen!«) über das Eingeständnis im drögen Polit-Unterricht, der »Rotlichtbestrahlung« oder bei den Schulungsfilmen (»Polit-Thriller«) weitgehend gedöst zu haben (»besser Politunterricht als gar keinen Schlaf«), bis zur Bezeichnung des stellvertretenden Kompaniechefs, des Polit-Offiziers als »roter Popen«, »Brigadepfarrer«, »Seelenmasseur« oder in Anlehnung an eine DDR-Radiosendung als »Wünsch-dirwas«. Das als Marschgesang beliebte Lied »Die Thälmann-Kolonne« (»Spaniens Himmel breitet seine Sterne ... ») nach der Melodie von Paul Dessau wurde als »Straßentango« verspottet. Karl Eduard von Schnitzler, der die Fernsehsendung »Der schwarze Kanal« moderierte - wie die tägliche »Aktuelle Kamera« ein Pflichtpensum für die Mannschaftsdienstgrade - wurde »Sudel-Ede« genannt. In Acht zu nehmen hatte man sich vor dem allgegenwärtigen MfS, das DDR-weit als »Firma GHG« (Guck, Horch und Greif - eine Umdeutung von GHG für Groß-Handels-Gesellschaft) und die in »Spezitex 2000«-Mäntel gehüllten Stasi-Spitzel (die in den Kasernen ansässige Abteilung 2000 gehörte zur Staatssicherheit) als »Rotkehlchen« bezeichnet wurden. In der NVA hatte man noch zusätzlich das Signalwort »kalt«, mit dem man sich gegenseitig vor Ausforschung warnte. Die Runde machte auch die folgende »EK«-Belustigung: Mitten in der Nachtruhe leuchtete der Stubenälteste einem Kameraden des 1. Diensthalbjahres ins Gesicht und weckte ihn mit der barschen Frage: »Wo ist Thälmann?« Die Antwort hatte zu lauten: »Teddy lebt!«
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   202   Berichte und Rezensionen   Voriges BlattNächstes Blatt
Dies war eine die »Ek's« (in der DDR regelmäßig mit Apostroph geschrieben) erheiternde Satire auf die Verhörmethoden der Staatssicherheit, auf die gängigen Polit-Parolen und den Personenkult.
     Wie der oben schon wiedergegebene Witz ausweist, erfreute sich auch der »Iwan« keiner ungeteilten Sympathie. Es war üblich, dass zwischen Truppeneinheiten der NVA und der Sowjetarmee Patenschaftsverträge abgeschlossen und im Rahmen dessen Soldaten ausgetauscht wurden. Wer sich dazu bereit erklärte, erhielt bei seiner Rückkehr als Belobigung eine so genannte »Qualispange«, auch »Kratzerspange« genannt, nach dem Ausdruck »kratzen«, d. h. sich bei Vorgesetzten durch Übereifer anbiedern. Im Umlauf war das Gerücht, dafür sei eine »Qualiprüfung« vonnöten. Sie bestehe darin, eine russische Truppentoilette im Wintermantel aufzusuchen. Wer sich die oberste Kategorie der »Qualispange« verdienen wolle, sei genötigt, zusätzlich noch Machorka-Tabak und die aktuelle »Prawda« mitzunehmen. Man muss wissen, dass eine russisches Truppentoilette dem mitteleuropäischen Hygiene-Standard so gut wie nicht entsprach.
     Doch Kommiss bleibt Kommiss und Barras bleibt Barras, oder, um mit Bert Brecht zu reden: »Soldaten sind sich alle gleich! / lebendig und als Leich!«, und es wäre nicht verwunderlich, wenn eine Untersuchung zum Sprachgebrauch unter den Taliban-Milizen ähnliche Belege zutage brächte wie Müllers Wörterbuch hinsichtlich der Ähnlichkeit zur westdeutschen Soldatensprache.
     Denn wenn es auch unleugbar typische DDR-Redewendungen gibt, wie beispielsweise »abgepiept« (für abgelehnt, nicht genehmigt, mit der markanten Geste der nach oben geöffneten Hand, die man energisch schließt), das Wort »Katalyt« für Schnaps (entstanden wohl aus Katalysator), »Befund« für einen Zwanzigmarkschein, »Kanten« oder »Linie« für die Grenze, insbesondere die zur Bundesrepublik und »Bulle« nicht nur die Funktionsträger meinte (»Küchenbulle«, »Kammerbulle«, »Schreibstubenbulle«), sondern vor allem die Vorgesetzten umfasste, so frappierend sind die Übereinstimmungen.
Angefangen von der »Hundemarke« (um den Hals getragenes Blechschild mit eingestanzter Personen-Kenn-Nummer) bis zum Ausdruck »affentittengeil« (höchste Bewunderung), »aufreißen« für etwas beschaffen, »sich verpissen« für sich vor etwas drücken oder »dicht« für betrunken sein. Auch die Redewendung »ich muss einem alten Frontkämpfer die Hand schütteln« als Ankündigung austreten zu gehen, ist in der Bundeswehr verbreitet. Bedenklich stimmt, dass viele Äußerungen soldatischer Zucht - trotz bundesrepublikanischer »inneren Führung« - hüben wie drüben exakt die gleichen sind: Schleiferei wird als »Gesellschaftsspiel« verbrämt, vom Unteroffizier angeordnete körperliche Ertüchtigung oder Bestrafung Einzelner als »Extravorstellung« bzw. »Einzelkämpferausbildung« bezeichnet, das versehentliche Fallenlassen eines Gewehrteiles beim Waffenreinigen mit Liegestützen geahndet. Offen stehende Knöpfe an den Brusttaschen wurden beim Appell wie folgt moniert: »Sie wollen sich wohl eine beidseitige Lungenentzündung holen?« Beliebt war in der NVA wie in der Bundeswehr die Kontrolle des Stegs, des Stiefelteils zwischen Absatz und Sohle. Auch die von Unteroffizieren und Offizieren gern gebrauchte Redewendung »Befehl ist Befehl. Befehle werden ausgeführt, beschweren können Sie sich hinterher!« taucht in Möllers »Wörterverzeichnis der DDR-Soldatensprache« (Seite 33-234) auf ebenso auf wie der folgende Dialog bei der Spindkontrolle: »Der Hauptfeldwebel streift mit dem Zeigefinger über eine Kante, pustet darüber hinweg und brüllt: Können Sie mich noch sehen? - Nein, aber Ihre Stimme kommt mir bekannt vor«. Bestimmte Vulgärausdrücke waren und sind nach wie vor gang und gäbe, so zum Beispiel, »Ich reiß Ihnen den Arsch auf bis zum Kragen!«.
     In der sich völkerfreundlich gebenden DDR existierten auch soldatensprachliche Redewendungen mit unüberhörbar rassistischem Unterton, so die Bezeichnung »Neger« für zu unangenehmen Dienstpflichten ständig herangezogene Soldaten, übrigens nicht nur auch innerhalb der zivilen DDR verbreitet, sondern im gesamten ehemaligen Ostblock (»Der Mann mit dem unsichtbaren N auf dem Rücken«).
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   203   Berichte und Rezensionen   Voriges BlattNächstes Blatt
Die Schimpfwörter »Kanake« (Südsee-Ureinwohner) und »Hannake«.(nach der in der Gegend Hanna wohnenden tschechischen Minderheit) gehören in dieselbe Kategorie. Nicht sehr beliebt waren die Sachsen, weil sie die Führungsriege in der SED stellten: »Siehst du einen Sachsen fliegen, schieß ihn ab und lass ihn liegen« und: »Allen Menschen LSD, nur den Sachsen Zyklon B«. Viel ist auch in der ach so antifaschistischen DDR aus dem Dritten Reich übernommen worden. Wurde eine Waffe zu stark eingeölt, so monierte der Aufsichtführende: »Das glänzt ja wie ein Judenei!«. Unteroffiziere wurden wie einst in den Konzentrationslagern die Häftlingsh Hilfskräfte mit dem Namen »Kapos« (Kurzwort für französisch caporal) belegt. Das war schon in der Wehrmacht üblich.
     Aufgeführt sind natürlich auch humorvolle Redewendungen. Die SED-Parteizeitung »Neues Deutschland« wurde nur die »Prawda« genannt, nach der Parteizeitung der KPdSU, das SED-Parteiabzeichen »Märchenauge«. Die in der NVA verwendete Maschinenpistole Kalaschnikow wurde »Völkerfreundschaftsmandoline« getauft. Die Schikane, einen marschierenden Zug im Laufschritt zu umkreisen und dabei laut »piep, piep« zu rufen, wurde »Sputnik laufen« geheißen. »Hipp hipp, hurra!« wurde in »Schipp schipp, hurra!« umgelautet und sich gegenseitig bei Erdarbeiten und beim Schneeräumen zugerufen. Unannehmlichkeiten, die einem im Laufe der Dienstzeit zustoßen konnten, erhielten fantasievolle Eigennamen (»Alfred«, »Beppo«, »Bertram«, »Bodo«, »Bruno«, »Egon«, »Franz«, »Hugo«, »Kuno«, »Oswin«). Ebenso nannte man das Arrestlokal (in der Bundeswehr nur relativ einfallslos »Bau« oder »Bunker« genannt): »Einzelzimmer«, »Hotel Hilton«, »Post«, »Teehaus«, »Vater Philipp«, ,»Haus, Hotel, Pension, Villa N. N. (hier ist der Name des Regimentskommandeurs oder des Kasernenkormmandanten einzusetzen)«.
     Überliefert sind auch etliche Kontrafakturen auf den militärischen Sprachgebrauch, so die Parodie auf eine Zielansprache »Kniende Ameise - halb links - 400!« und die ironisierenden und parodierenden Ausdrucksformen für das alltägliche militärische Gerät. Zielscheibe des Spotts ist natürlich die Kantine, und Möller verweist auf eine große Anzahl von in der Truppe üblichen Verpflegungsbezeichnungen, vornehmlich für die offensichtlich ungeliebte Blutwurst, Grütz- und Topfwurst (»toter Flieger«, »toter Leutnant und Major«, »tote Oma«, »toter Russe«, »toter Sachse« u. ä.) und den eigentümlich riechenden Harzer Roller (»Leichenfinger«). Für die Zubereitung des Tees vermittelt er das folgende Rezept: »Man nehme einen Topf kaltes Wasser, stelle ihn am Tage vor das Fenster, hänge einen Teebeutel ins Fensterkreuz und lasse den Schatten des Teebeutels 10 Stunden lang auf das Wasser einwirken. Das so entstandene Tee-Konzentrat verdünne man mit 40 Litern Wasser.«
     In beiden deutschen Militärorganisationen (NVA und Bundeswehr) geläufig war der Schlagertext von Monika Hauff und Klaus-Dieter Henkler »Auf die Bäume, ihr Affen, der Wald wird gefegt!« als Aufruf, eine Inspektion oder die Kompanieübergabe vorzubereiten. Auch jede Menge Schlüpfrigkeiten sind in dem Verzeichnis enthalten (wie lernt man auf der Universität: Die Wissenschaft kennt kein Schämen nicht!). So hat »aufreißen« nicht nur die oben genannte Bedeutung, sondern heißt auch ein Mädchen kennen lernen, unter Umständen ist man dabei so eifrig, dass man sie »aufreißt wie ein Westpaket«. Das in unseren Breiten übliche, auf das jeweils andere Geschlecht bezogene »anbaggern« gibt es in der NVA nur in dem Sinn, dass. man sich bei seinem Vorgesetzten beliebt machen will. Wer in diesem Ruf stand hieß »Zeckenknecht«. Eine auch in der Bundeswehr verbreitete Ermahnung lautet: »Beifahrer sind keine Beischläfer!«.
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   204   Berichte und Rezensionen   Voriges BlattArtikelanfang
Das »GKK«, sprich »Ganzkörperkondom« für den Schutzanzug ist hier wiederum DDR-typisch. In beiden Armeen dagegen geistert das »Hängulin« umher, das einem Ondit zufolge als Pulver in die Speisen eingerührt werde und ein berüchtigtes Potenz hemmendes Mittel sei. Der »Kavalierschnupfen« ist eine Geschlechtskrankheit. Die »Kriegsbemalung«, die bei uns auf das stark geschminkte Gesicht einer jungen Frau anspielt, hatte in der NVA aber eine andere Bedeutung. Dort bezeichnet sie die Paradeuniform mit den darauf angelegten Orden und Ehrenzeichen.
     Klaus-Peter Möllers Band ist ein Kulturdokument ersten Ranges, zumal da es die Nationale Volksarmee nicht mehr gibt. Umso mehr begrüßt man, dass das Buch auch Abbildungen enthält, die einen Einblick in den Alltag des ehemaligen DDR-Militärs geben. Nicht nur anschauliche Fotografien, sondern auch Papiere aus dem Kasernenalltag wie Dienst- und Revierpläne, Auszüge aus Dienstvorschriften, Verpflichtungserklärungen, den Text des Fahneneides und des Gelöbnisses der Bausoldaten (ein DDR-üblicher Wehrersatzdienst ohne Waffe gem. § 25 des Wehrpflichtgesetzes v. 24. 1. 1962) sowie regierungsoffizielle und inoffizielle Illustrationen, Briefauszüge, Schriftstücke und dergleichen aus dem Besitz von NVA-Angehörigen. »Die Abgeschlossenheit der auf engstem Raum konzentrierten Kommunikationsgemeinschaft, die durch den Dienstalltag, die Hierarchiestrukturen, die Anforderungen von außen ständig erzeugten und latent gehaltenen Spannungen, die externe Aufladung des gesamten Bereichs mit gesellschaftlicher Bedeutsamkeit bewirkten eine intensive sprachliche Auseinandersetzung mit einer Reihe zentraler Themen. In immer neuen Allegorien und Vergleichen wurde das Wesen des Militärs in seinen Erscheinungsformen von der Soldatensprache dekuvriert und mit ätzendem Hohn bedacht - die militärische Doktrin, das Gehabe von Vorgesetzten und Unterstellten, die Rangstufen und die offiziellen Rituale.« (Seite 19/20)
Jedoch: »Prinzipiell standen offizielles und inoffizielles System einander feindlich gegenüber, aber sie konkurrierten nicht miteinander, sondern waren ineinander verzahnt wie die Räder einer Maschine.« (Seite 15)
     Eine gut lesbare Einleitung über Soldatensprache im Allgemeinen sowie über die DDR-Soldatensprache im Besonderen mit einem kurzen Ausblick auf die sprachlichen Gepflogenheiten in der Bundeswehr (Seite 8-29) runden das Bild ab. In Anlehnung an das 1947 erschienene bedeutende Buch von Victor Klemperer »LTI - Notizbuch eines Philologen. Die Sprache des Dritten Reiches - Lingua Tertii Imperii« gibt Klaus-Peter Möller auch einen überzeugenden Abriss über Methoden und Probleme seiner Arbeit. Er schließt mit den Worten: »Die ausweglose Zwangssituation, in der sich die Wehrdienstleistenden in der DDR befanden, wird auch in ihrer zwiespältigen Haltung zur Soldatensprache deutlich. Und sie spiegelt sich in ihrer Sprache wieder. Der Wahrheit, die sich in ihrer Sprache offenbart, nachzuspüren, war der Sinn dieser Arbeit.«

     Reinhard Aulich

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/2001
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