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Eberhard Fromm
Ehrenbürger welcher Stadt?

Als Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg den mühsamen Weg des Wiederaufbaus gehen musste, als die politisch gespaltene Stadt von einer Krise in die andere taumelte, da machte man sich rar mit der Auswahl zu ehrender Bürger. In den 16 Jahren bis zum Bau der Mauer im August 1961 wurden in beiden Teilen der Stadt zusammen nur acht Ehrenbürger ernannt, davon allein sieben im Westteil der Stadt. Den achten, bereits im Dezember 1945 gewählten Ehrenbürger Wilhelm Pieck (1876-1960) hatte man dort bereits 1948 wieder gestrichen.
     In den 28 Jahren zwischen dem Bau und dem Fall der Mauer wurde diese Zurückhaltung in beiden Teilen der Stadt aufgegeben. Zwischen August 1961 und November 1989 erhielt Berlin insgesamt 45 Ehrenbürger, wobei im Westteil Senat und Abgeordnetenhaus 21 Persönlichkeiten auswählten, im Ostteil Magistrat und Stadtverordnetenversammlung 24 Personen zu Ehrenbürgern ernannten. In einem waren sich allerdings beide Verwaltungen einig: Ehrenbürger war männlich! Denn mit Nelly Sachs (in West-Berlin) und

Anna Seghers sowie Wilhelmine Schirmer-Pröscher (in Ost-Berlin) wurden lediglich drei Frauen geehrt. Es war also eine Zeit der regelrechten Ehrenbürgerflut. Selbst wenn man die heute gültige Liste der Berliner Ehrenbürger zugrunde legt, die real jetzt 103 Persönlichkeiten umfasst, bleiben immerhin 28 Ehrenbürger aus dieser Zeit übrig. Seit 1813 Conrad Gottlieb Ribbeck (1757-1826) zum ersten Ehrenbürger ernannt wurde, gab es keinen Zeitabschnitt mit so vielen Geehrten.
     Aber bleiben wir noch ein wenig bei den beiden getrennten Ehrenbürgerlisten, die zwischen 1961 und 1989 geführt wurden. Da fällt auf, dass in beiden Teilen der Stadt die jeweilige bestimmende Schutzmacht gewürdigt wurde: In West-Berlin waren es der frühere US-Militärgouverneur in Deutschland Lucius D. Clay (1897-1978), der Historiker und langjährige Leiter des Berliner Aspen-Instituts Shepard Stone (1908-1990) und der frühere US-Hochkommissar für Deutschland John J. McCloy (1895-1989). In Ost-Berlin gab man sich nicht mit so wenigen zufrieden, sondern ernannte aus Anlass des 20. Jahrestages der Befreiung im Mai 1965 gleich elf sowjetische Marschälle, Generale, Soldaten und Diplomaten zu Ehrenbürgern. Mit Pjotr Abrassimow (geb. 1912) und Nikolai Bersarin (1904-1945) kamen später noch zwei Repräsentanten der Sowjetunion hinzu.
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Von ihnen ist heute keiner mehr in der gültigen Liste enthalten, nicht der erste Berliner Stadtkommandant Nikolai Bersarin, aber auch nicht die beiden Soldaten Michail Jegorow (1923-1975) und Meliton Kantarija (1920-1992), die 1945 die Siegesfahne auf dem Reichstag hissten, oder jener Nikolai Mossalow, (geb. 1920) der zum Vorbild für die Figur auf dem Treptower Ehrenmal wurde, weil er in den Kriegswirren der Stadt 1945 ein kleines Mädchen rettete. In einer zweiten Gruppe von Ehrenbürgern dieser Zeit zeichnet sich ebenfalls eine Übereinstimmung zwischen beiden Stadtteilen ab: Deutsche Politiker wurden sowohl im Westen - hier waren es zehn - als auch im Osten - hier waren es vier - ausgezeichnet. Das waren auf der einen Seite alle Bundespräsidenten dieser Jahre, nämlich Heinrich Lübke (1894-1972), Gustav Heinemann (1899-1976), Walter Scheel und Karl Carstens (1914-1992), die beiden Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876-1967) und Willy Brandt (1913-1992) sowie die Partei- und Kommunalpolitiker Ferdinand Friedensburg (1886-1972), Franz Neumann (1904-1974), Hans Reif (1899-1984) und Johann Baptist Gradl (1904-1988). Auf der anderen Seite waren es neben Walter Ulbricht (1893-1973) und Erich Honecker (1912-1994) der langjährige Oberbürgermeister von Ost-Berlin Friedrich Ebert (1894-1979) und die liberale Politikerin Wilhelmine Schirmer-Pröscher (1889-1992), viele Jahre Stellvertreterin des Oberbürgermeisters. Dass die beiden Kommunalpolitiker nicht in die neue Gesamtberliner Liste übernommen worden sind, kann man nur damit erklären, dass aus der Ostberliner Zeit keine einzige politisch wirkende Persönlichkeit übrig bleiben sollte. In den übrigen Bereichen besteht eine gewisse Parität, wenn man davon absieht, dass Heinrich Grüber (1891-1975) und Heinz Galinski (1912-1992), den beiden Repräsentanten des religiösen Lebens im Westen, natürlich kein Ostberliner vergleichbarer Vertreter gegenüber stand. Aus dem wissenschaftlichen und technischen Gebiet kamen in West-Berlin die beiden Nobelpreisträger Otto Heinrich Warburg (1883-1970) und Otto Hahn (1879-1968) sowie der Architekt Hans Bernhard Scharoun (1893-1972) zu Ehrenbürger-Ehren; in Ost-Berlin waren es die beiden Kosmonauten Waleri Bykowski und Sigmund Jähn. Auf dem Gebiet der Kunst und Literatur zeichneten Senat und Abgeordnetenhaus die Dichterin und Nobelpreisträgerin Nelly Sachs (1891-1970), den Maler Karl Schmidt-Rottluff (1884-1976) und den Dirigenten Herbert von Karajan (1908-1989) aus; Magistrat und Stadtverordnetenversammlung taten dies mit den Malern Otto Nagel (1894-1967) und Heinrich Zille (1858-1929), der Schriftstellerin Anna Seghers (1900-1983), dem Schauspieler Wolfgang Heinz (1900-1984) und dem Schriftsteller und Verleger Wieland Herzfelde (1896-1988).
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Es sind diese sieben Ostberliner Vertreter aus Wissenschaft, Technik, Kunst und Literatur, die alle in die heute gültige Ehrenbürgerliste aufgenommen worden sind, wohl mit dem vordergründigen Hintergedanken, damit nur politisch weniger aktive und so auch weniger diskreditierte Persönlichkeiten zu übernehmen.
     Dabei wurde stillschweigend übersehen, dass so auch zwei Männer unter die Ehrenbürger Berlins gerieten, die nach den geltenden Bestimmungen für die Ehrung gar nicht aufgenommen werden durften. Denn zum Ehrenbürger können nur lebende Persönlichkeiten ernannt werden. In Ost-Berlin waren aber mit den Malern Otto Nagel, Heinrich Zille und dem ersten Stadtkommandanten Nikolai Bersarin drei Personen postum geehrt worden. Wäre man bei der Zusammenstellung der Gesamtberliner Ehrenbürgerliste konsequent gewesen, hätten sie also alle drei nicht übernommen werden dürfen.
     Wenn man nun von der heute gültigen Liste der Berliner Ehrenbürger ausgeht, dann bleiben für die Jahre von 1961 bis 1989 insgesamt 28 Persönlichkeiten aus Politik (13), Kunst und Kultur (8), Wissenschaft und Technik (5) und religiösem Leben (2). Erinnert man sich an das doch wohl wichtigste Kriterium für eine Ehrenbürgerschaft, nämlich Verdienste um Berlin, dann erscheint die Politik wohl deutlich überrepräsentiert, während andere Lebensbereiche der Stadt kaum oder gar
nicht mit einem Ehrenbürger gewürdigt wurden. Ob die seit Hindenburg eingeführte Tradition, jedes Staatsoberhaupt faktisch automatisch zum Ehrenbürger Berlins zu erheben, unbedingt für immer fortgesetzt werden muss, bleibt bis in die Gegenwart durchaus diskussionswürdig. Erstaunlich ist dagegen das Fehlen von Persönlichkeiten aus der Wirtschaft, aus dem universitären Leben oder aus dem für Berlin so bedeutsamen Bereich der Medien.
     Natürlich geht es bei der Ernennung zum Ehrenbürger nicht um irgendwelche Quoten, sondern immer um eine einzelne Persönlichkeit, deren Verdienste um die Stadt anerkannt und öffentlich gewürdigt werden sollen. Gleichzeitig ist aber auch erkennbar, dass der Ehrenbürger neben dieser Auszeichnung, die durch die Stadt vorgenommen wird, stets auch ein wenig Schmuck für die Stadt sein soll. Auch unter den Persönlichkeiten, die zwischen 1961 und 1989 als Berliner Ehrenbürger ausgezeichnet wurden, gibt es solche, mit denen sich die Stadt vor allem schmücken wollte. Zu nennen wären hier die Bundespräsidenten oder die Kosmonauten und solche, bei denen die ganz persönlichen Verdienste um die Stadt im Vordergrund standen. So erhielt mit Hans Scharoun (1893-1972) ein Architekt die Ehrenbürgerwürde Berlins, der mit seinem Schaffen deutliche Spuren in der Stadt hinterlassen hat.
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Er schuf Wohnhäuser, entwickelte die Planung für Siemensstadt, war zwischen 1933 und 1945 auf den Bau privater Einfamilienhäuser beschränkt und konnte nach Kriegsende wesentlichen Einfluss auf den notwendigen Neubau Berlins nehmen. Bis zur Spaltung der Stadt entwickelte er Planungen für die ganze Stadt, musste sich dann aber auf den Westteil beschränken, wo bis heute Wohnsiedlungen wie Charlottenburg-Nord und repräsentative Bauten wie die Staatsbibliothek oder die Philharmonie von seinem Können zeugen. Viele Jahre lehrte er an der Technischen Universität und wirkte als Präsident bzw. Ehrenpräsident der Berliner Akademie der Künste. In der Ehrenbürger-Urkunde wurde besonders hervorgehoben, dass er nach 1945 den geistigen und materiellen Aufbaus Berlins mitbestimmt habe.
     Hans Scharoun war erst der zweite Stadtarchitekt, den Berlin in dieser Weise ehrte. Vor ihm hatte 1924 der langjährige Stadtbaurat Ludwig Hoffmann (1852—1932) diese Auszeichnung erhalten.
     Bisher nur einmal wurde mit Wolfgang Heinz 1983 ein Schauspieler als Ehrenbürger ausgewählt. Er kam 1918 nach Berlin, wo er ohne vorherige Ausbildung Engagements fand, zuerst unter Max Reinhardt (1873—1943) am Deutschen Theater, dann am Schauspielhaus. Wegen seiner Zugehörigkeit zur KPD 1933 entlassen, ging er zuerst nach Wien, dann nach Zürich.
Über Wien, wo er einige Jahre die »Scala« leitete, kam er 1956 wieder nach Berlin, wo er am Deutschen Theater und an der Schauspielschule wirkte. Zu seinen berühmtesten Rollen gehörte hier der Nathan in »Nathan der Weise«. 1983 erhielt er für seine beispielhafte Theaterarbeit die Ehrenbürgerschaft.
     Die Ehrenbürger zwischen den Jahren des Mauerbaus und des Mauerfalls repräsentieren mit ihrer Persönlichkeit ein Stück Geschichte der Stadt, wie sie einzigartiger nicht sein kann.
     Man sollte deshalb, auch wenn es heute nur noch eine gültige Ehrenbürgerliste Berlins gibt, nicht ganz vergessen, wen und warum man auf beiden Seiten der Mauer dieser Ehre für würdig befand.
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/2001
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