131   Novitäten Einweihung von Tegel Süd  Nächstes Blatt
Heiko Schützler
23. Oktober 1974:
Tegel Süd wird eingeweiht

Am 23. Oktober 1974 kann Klaus Schütz, Regierender Bürgermeister, den Neubau des internationalen Flughafens Berlin-Tegel einweihen. Für 550 Millionen Mark war ein sechseckiges Abfertigungsgebäude nach Entwürfen der Architekten Meinhard von Gerkan und Volkwin Marg entstanden. Das Prinzip ist einfach: innen Bodenverkehr, außen Flugverkehr. Im Inneren des Sechseckes kommt der Fluggast aus der Stadt oder fährt dorthin ab, am Außenkranz gibt es 15 Abflugpositionen.
     Die dezentrale Bauweise ohne Haupthalle sollte die Wege für den Fluggast auf maximal 30 Meter beschränken, ein durchdachtes Informationssystem die Orientierung erleichtern. In der Realität ließ sich dieser Anspruch allerdings nicht aufrechterhalten. Dennoch erregte das neuartige Konzept international Aufsehen und diente dem zur Olympiade 1980 errichteten Moskauer Flughafen Scheremetjewo II als Vorbild.
     Die Anfänge der Luftfahrt auf dem seit 1828 bestehenden Tegeler Artillerie-Schießplatz reichen weit zurück. Bereits am 29. August 1909 landete das Luftschiff »Z 3« mit dem Grafen Zeppelin an Bord.

Von September 1930 bis Anfang 1933 testeten Herrmann Oberth, Rudolf Nebel und Wernher von Braun in Tegel erste Flüssigkeitsraketen. Schon damals galt der Standort wegen der dichten Wohnbebauung im Berliner Norden als riskant.
     Dennoch war man während der Berlin-Blockade 1948 gezwungen, eine Start- und Landebahn auf dem 300 000 Quadratmeter großen Gelände zu bauen, mit 2 400 Metern die damals längste in Europa. 19 000 Berliner waren dafür in Schichten drei Monate lang rund um die Uhr im Einsatz. Später kam noch eine zweite Bahn hinzu. Noch vor der offiziellen Eröffnung am 1. Dezember 1948 landete am 5. November das erste Flugzeug, eine DC-4 »Skymaster« der US-Luftwaffe.
     Am 16. April 1949 wurden innerhalb von 24 Stunden 362 Luftbrückenflugzeuge mit insgesamt 3 200 Tonnen Fracht in Tegel entladen.
     Ende 1959 errichtete die Berliner Flughafen-Gesellschaft die ersten Abfertigungsanlagen für die Air France, die im Einvernehmen mit der zuständigen Besatzungsmacht Frankreich den Umzug von Tempelhof nach Tegel plante. Bei einer ersten Besichtigung des noch als Sperrgebiet ausgewiesenen Areals war der damalige Direktor der Flughafengesellschaft, Werner Loebermann, versehentlich in ein französisches Manöver geraten.
BlattanfangNächstes Blatt

   132   Novitäten Einweihung von Tegel Süd  Voriges BlattNächstes Blatt
Er wurde festgenommen und ins Quartier Napoléon verbracht, wo ihn seine Mitarbeiter auslösen mussten.
     Am 2. Januar 1960 schlug mit der Landung einer französischen »Super-Constellation« aus Düsseldorf die Geburtsstunde für den zivilen Flughafen, nun Tegel Nord genannt. Ab dem 24. Februar 1960 flog Air France im Planverkehr zwischen Berlin und Paris. Vier Jahre später, am 31. Mai 1964, eröffnete PanAm einen Direktflug nach New York. 1965 und 1967 erfolgten Erweiterungen und Modernisierungen. Am 13. Februar 1967 gab es einen Zwischenfall, als zwei Düsenjäger der Bundeswehr in Tegel landeten. Auf einem Patrouillenflug hatten die Piloten sich verflogen und befanden sich bereits mitten über DDR-Gebiet, als sie ihren Irrtum bemerkten. Auf Grund der kürzeren Wegstrecke steuerten sie West-Berlin an. In die Bundesrepublik zurück gelangten die Maschinen sorgfältig verpackt auf dem Landwege. Die Sache war vor allem deshalb so unangenehm, weil nicht einmal die Lufthansa West-Berlin anfliegen durfte. Die Anwesenheit zweier Bundeswehrmaschinen stand ganz klar im Widerspruch zum entmilitarisierten Status der Stadt.
     Ab April 1968 wurde der gesamte Charterverkehr von Tempelhof nach Tegel verlagert. Die neuen Strahlturbinenmaschinen kamen mit der Bahnlänge in Tempelhof nicht mehr aus. Mittlerweile stießen in Tegel Nord die Abfertigungsanlagen an ihre Kapazitätsgrenzen. So konzipierte die Flughafengesellschaft den Neubau in Tegel Süd.
Zunächst als Ergänzungsflughafen, später gleichwertig neben Tempelhof sollte dieser dem Linien- und Ferienflugverkehr dienen. Weil seitens des Senates eine notwendige Abstimmung mit den Alliierten zur Aufteilung des künftigen Flugverkehrs unterblieb, wurde mit der Grundsteinlegung für Tiegel Süd am 27. April 1969 auch die Grundlage für einen jahrelangen Konflikt mit den alliierten Fluggesellschaften geschaffen.
     Mit dem Flughafenausbau einher ging dessen verkehrstechnische Erschließung: Der Saatwinkler Damm musste kreuzungsfrei an den stark frequentierten Kurt-Schumacher-Damm angeschlossen werden. Südlich des Hohenzollernkanals wurde daher eine neue Verkehrsanlage in Form eines halben Kleeblattes mit direkter Anbindung der Flughafenzufahrt errichtet. Wegen der kreuzungsfreien Unterführung des Saatwinkler Dammes und der in Zukunft erforderlichen größeren Durchfahrtshöhe für Schiffe auf dem Hohenzollernkanal musste der Kurt-Schumacher-Damm höher gelegt werden, was einen Brückenneubau erforderte. Die Flughafenzufahrt machte eine weitere Kanalbrücke notwendig. Gleichzeitig erfolgte der Anschluss ans Autobahnnetz mit dem Bau eines Tunnels unter dem Flughafengelände.
     Das Richtfest für den Flughafen am 20. September 1972 stand unter keinem günstigen Stern. Die Berlin-Verträge vom Vorjahr, insbesondere das Transitabkommen, hatten die Verbindungen von und nach West-Berlin auf dem Landwege verbessert, weshalb die Fluggastzahlen deutlich zurückgingen.
BlattanfangNächstes Blatt

   133   Novitäten Einweihung von Tegel Süd  Voriges BlattArtikelanfang
Amerikaner und Briten hielten zudem an Tempelhof fest. Im Mai 1974 verkündete der Senat sein neues Konzept, mit einer Finanzspritze von 10 Millionen DM alle Fluggesellschaften zum Umzug nach Tegel zu bewegen. Die Flughafen-Gesellschaft versuchte zu bremsen: Der Neubau sei für solche Größenordnung weder geplant worden und noch gerüstet.
     So fand die Eröffnung am 23. Oktober 1974 in einer gespannten Atmosphäre statt. Von der Politik überrumpelt, musste die Flughafen-Gesellschaft bei laufendem Betrieb die neue Anlage so verändern, dass die Senatsplanungen sich verwirklichen ließen. Der geplante Umzugstermin aller Fluggesellschaften am 1. April 1975 war nicht zu halten. Der rückläufige Flugverkehr, der den Sinn des Projektes Tegel Süd kurzzeitig in Frage gestellt hatte, erwies sich nun plötzlich als Segen. British Airways und PanAm vereinbarten die Streckenaufteilung, und am 4. Juni 1975 wurden die Mietverträge für Tegel unterschrieben. Ab 1. September flogen alle Gesellschaften von Tegel.
     In den ersten zehn Jahren wurden 39 Millionen Fluggäste abgefertigt, es fanden 500 000 Flugbewegungen statt. Den Spitzenwert in dieser Zeit gab es am 11. September 1981, als binnen 24 Stunden 217 Flugbewegungen registriert und 20 343 Fluggäste abgefertigt wurden.
140 Millionen DM musste die Flughafengesellschaft für Lärmschutzmaßnahmen ausgeben, davon allein 134,5 Millionen für Lärmschutzfenster in den angrenzenden Wohngebieten.
     Am 7. Juni 1988 wurde der Flughafen nach dem Flugpionier Otto Lilienthal benannt. Im Sommer 1989 stoppte der rotgrüne Senat die 1988 beschlossenen Erweiterungspläne der Überbauung des Parkplatzes P42 und eines zweiten Flugsteigringes. Diese Entscheidung war Bestandteil der Koalitionsvereinbarung gewesen. Die AL (Alternative Liste) hatte Lärm- und Umweltschutzgründe geltend gemacht. Die Ereignisse vom Herbst 1989 veränderten schlagartig die Situation auch für Tegel.
     Bis zu der für 2007 geplanten Fertigstellung des Großflughafens Schönefeld bleibt Tegel in Betrieb und wird noch einmal ausgebaut, um einen reibungslosen Übergang nach Schönefeld auf hohem Niveau zu gewährleisten. Tegel Nord bleibt Regierungsflughafen.
BlattanfangArtikelanfang

© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/2001
www.berlinische-monatsschrift.de