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Gerhard Keiderling
Die Periode 1961-1990 im Berlin-Schrifttum

In der Periode zwischen Mauerbau und Mauerfall schien die deutsche Zweistaatlichkeit auf historisch lange Zeit unüberwindbar zu sein. »Finis Germaniae?« titelte der Völkerrechtler Ingo von München 1977 eine Betrachtung »zur Lage Deutschlands nach den Ostverträgen und Helsinki«. Selbst Willy Brandt nannte noch im Mai 1989 die Forderung nach Wiedervereinigung »eine Lebenslüge der Bundesrepublik«.
     Nach der Überwindung der Berlin- und Kubakrise (1961 und 1962) zeigten die NATO und die Warschauer Vertragsorganisation ein wachsendes Interesse an einer Entspannung in Europa auf der Grundlage der in Europa bestehenden Grenzen und der Systemunterschiede. Nachdem die BRD und die Sowjetunion im Dezember 1970 in Moskau einen entsprechenden Vertrag besiegelt hatten, war der Weg frei für den Grundlagenvertrag zwischen der BRD und der DDR vom Dezember 1971. Zuvor war mit der Aushandelung des Vierseitigen Abkommens vom 3. September 1971 die schwierigste Hürde, nämlich das (West-)Berlinproblem, genommen worden. Mit der Inkraftsetzung des gesamten Vertragspaketes im Sommer 1972 entkrampfte sich spürbar die Situation. Der Weg zum Abschluss der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) am 1. August 1975 in Helsinki war frei.
     Nach Jahren der Spannungen und Krisen brachte das Vierseitige Abkommen West-Berlin die vertragliche Absicherung seiner Lebensfähigkeit, die Bestätigung seiner Zugehörigkeit zur BRD und die Chance zu einer Regelung seiner Beziehungen zur DDR.

Wenn auch die Interpretation der Formelkompromisse des Abkommens wiederholt zu Streitigkeiten führte, so bewährte sich insgesamt die Vertragspolitik. Erstmals trafen sich der Regierende Bürgermeister von Berlin Richard von Weizsäcker und der Vorsitzende des Staatsrates der DDR Erich Honecker am 15. September 1983 in Ost-Berlin. Andererseits brachten die siebziger und achtziger Jahre West-Berlin innenpolitische Schwierigkeiten, die sich in Senatskrisen, Skandalen und »Filzokratie«, Ausländerproblematik und Formierung neuer demokratischer Kräfte (Alternative Liste/Grüne, Bürgerbewegung) äußerten.
     Der DDR brachte die Entspannung die so lange angestrebte internationale Anerkennung, doch waren Souveränitätsdefizite hinsichtlich ihrer Ansprüche gegenüber West-Berlin unübersehbar. Auch vermochte sie nicht, die veränderten Rahmenbedingungen zu einer dauerhaften Stabilisierung ihres Systems umzusetzen. Allein Ost-Berlin erhielt als Hauptstadt eine bevorzugte Förderung, was in der mit großem Aufwand begangenen 750-Jahr-Feier Berlins 1987 seinen Ausdruck fand. Der Zusammenbruch der DDR vollzog sich 1989/90 mit revolutionärer Dynamik. Zeitgleich mit dem Einigungsvertrag zwischen der BRD und der DDR, der auch die »Staatsgrenze« zwischen beiden Teilen Berlins aufhob, einigten sich die Vier Mächte über das Ende ihrer Verantwortlichkeiten in Bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes. Damit erlosch der Sonderstatus von Berlin, der 45 Jahre lang ein Zankapfel zwischen Ost und West gewesen war.

Quellen und Dokumentationen

Die Nähe dieser zeitgeschichtlichen Periode zur Gegenwart bringt es mit sich, dass noch keine wissenschaftliche Quellenedition und auch keine auf solcher Basis aufbauende Gesamtdarstellung vorliegen.

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   206   Literatur Bibliographie  Voriges BlattNächstes Blatt
Die Forschung hat es mit einer »asymetrischen Quellenlage« (Hermann Weber) zu tun: Während die Archive der früheren DDR seit 1990 frei zugänglich sind, unterliegen die Archivalien der früheren Westberliner Verwaltung einschließlich der Berlin-Akten der Bonner Bundesregierung einer 30-jährigen Sperrfrist. Auf Quelleneditionen, wie es sie für die Nachkriegszeit gibt, wird man wohl noch lange warten müssen.
     In der Periode 1961-1990 nahmen unverändert die diplomatischen und politisch-rechtlichen Auseinandersetzungen um den so genannten Berlin-Status einen zentralen Platz ein. Während bis zum Vierseitigen Abkommen von 1971 noch alle Rechtsfragen umstritten waren, ging es danach vor allem um Interpretation und Realisierung der Abmachungen. Als Standardwerke für Status- und Rechtsfragen gelten die vom Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e. V. Bonn in Zusammenarbeit mit dem Senat von Berlin herausgegebenen »Dokumente zur Berlin-Frage 1944-1966« (1967) und »Dokumente zur Berlin-Frage 1967-1986« (1987). Im Vorwort des letzten Bandes wurde hervorgehoben, »daß Status-Probleme in erster Linie Rechtsfragen sind und daß Rechtsstandpunkte eben auch politische Realitäten darstellen. Die rechtliche Argumentation ist im Bereich der Deutschland- und Berlin-Politik ein wertvolles und unverzichtbares Instrument, unabhängig von ihrer Durchsetzbarkeit.«
     Nicht anders wurden die Dinge im Osten gesehen. Einen Unterschied gab es: Während die westlichen Dokumentationen um Vollständigkeit bemüht waren, wurde in Ost-Berlin bewusst selektiert, sodass es nur für Broschüren reichte, wie die vom DDR-Außenministerium herausgegebene »Dokumentation zur Westberlinfrage« (1964) und »Die Westberlinfrage. Dokumentation« (1971). Seit 1963 enthielten die offiziellen »Dokumente zur Außenpolitik der Deutschen Demokratischen Republik« den speziellen Teil: »Die Bemühungen der DDR zur friedlichen Regelung der Westberlinfrage und um die Normalisierung der Beziehungen zum Senat von Westberlin.«
Eine Dokumentation »Das Vierseitige Abkommen über Westberlin und seine Realisierung. Dokumente 1971-1977« (1977) wurde von den Außenministerien der UdSSR und der DDR gemeinsam herausgegeben. Erst in der »Wendezeit« entschloss sich das DDR-Außenministerium, »erstmalig in der DDR eine umfassende Darstellung der wichtigsten zwischen der DDR und der BRD sowie zwischen der DDR und Berlin (West) geschlossenen Vereinbarungen« auf 223 Seiten in broschürter Form herauszubringen: »Beziehungen der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland und zu Berlin (West). Dokumente 1971-1988 (einschließlich des Gemeinsamen Kommuniqués DDR-BRD vom 19. Dezember 1989)« (1990).

Das (West-) Berlin-Problem

Wie der aufmerksame Leser bemerkt, gab es seinerzeit unterschiedliche Betrachtungs- und Bezeichnungsweisen für den Krisenherd. Unter Bezugnahme auf den Viermächtestatus nach 1945 sprach man im Westen von einer »Berlin-Frage«, die Ost-Berlin involvierte, wohingegen der Osten nur ein »Westberlin-Problem« kannte.
     Die Debatte über die Auswirkungen des 13. August 1961 spielte sich vornehmlich in der Publizistik der BRD und West-Berlins ab. Hier wurden Überlegungen über politische Konsequenzen und Perspektiven vorgetragen, bevor sich »Amtsstellen« zu Worte meldeten. Es sind u. a. zu nennen Hans Werner Richter (Hrsg.): »Die Mauer oder 13. August« (1961), Ansgar Skriver (Hrsg.): »Berlin und keine Illusion« (1962), Heinrich Albertz/ Dietrich Goldschmidt (Hrsg.): »Konsequenzen. Thesen, Analysen, Dokumente zur Deutschlandpolitik« (1969). Ein Bekenntnis zum Engagement der Schutzmacht USA gab die langjährige Berlin-Beauftragte des State Department Eleanor Lansing Dulles in »Berlin und die Amerikaner« (1967).
     Das Vierseitige Abkommen von 1971 war in besonderem Maße Gegenstand rechtlicher und politischer Erörterungen in Ost und West.

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Neben der komplizierten Genesis des Abkommens ging es um seine Interpretation und Einordnung in die so genannten Ostverträge, die die BRD zwischen 1970 und 1973 mit der UdSSR, DDR, Polen und CSSR abgeschlossen hatte und die eine Voraussetzung für das In-Gang-Kommen des KSZE-Prozesses bildeten. Aus der Fülle der Literatur seien hier genannt: Karl Doehring/Georg Ress: »Staats- und völkerrechtliche Aspekte der Berlin-Regelung« (1972); Dieter Baumeister/ Ernst Zivier: »Die Status-Bestimmungen des Viermächte-Abkommens und die Zukunft Berlins« (1973); Dennis Bark: »Agreement on Berlin. A Study of the 1970-72 Quadripartite Negotiations« (1974); Hartmut Schiedermair: »Der völkerrechtliche Status Berlins nach dem Viermächte-Abkommen vom 3. September 1971« (1975); Rainer Schenk: »Die Viermächteverantwortung für Deutschland als Ganzes insbesondere deren Entwicklung seit 1969« (1976); Honoré M. Catudal: »The Diplomacy of the Quadripartite Agreement on Berlin« (1978); Benno Zündorf: »Die Ostverträge« (1979); Gerhard Wettig: »Das Vier-Mächte-Abkommen in der Bewährungsprobe« (1981); Peter Bender: »Neue Ostpolitik. Vom Mauerbau bis zum Moskauer Vertrag« (1986).
     Über die Rechtslage West-Berlins nach 1971 und über spezielle politisch-rechtliche Fragen gaben Auskunft Ernst R. Zivier: »Der Rechtsstatus des Landes Berlin. Eine Untersuchung nach dem Viermächte-Abkommen vom 3. September 1991« (1973); Ottfried Hennig: »Die Bundespräsenz in West-Berlin. Entwicklung und Rechtscharakter« (1976); Dieter Schröder: »Die ausländischen Vertretungen in Berlin. Ein Leitfaden der Immunitäten und Privilegien unter dem Vier-Mächte-Status im Westen und Osten der Stadt« (1983); Hartmut Schramm: »Die Einbeziehung Berlins in die Europäischen Gemeinschaften« (1986).
Die im Vierseitigen Abkommen bekräftigte westalliierte Präsenz in West-Berlin einschließlich der Handhabung des westalliierten Besatzungsrechts behandelte Udo Wetzlaugk: »Die Alliierten in Berlin« (1988). Einen Überblick über die politisch-rechtliche Entwicklung West-Berlins bis 1972 sowie über besondere Probleme des Zugangs, der »innerstädtischen Verbindungen«, der Wirtschaft und der Sicherheitsgarantien bot Dieter Mahncke: »Berlin im geteilten Deutschland« (1973). Der Journalist Peter Bender stellte in der kleinen Schrift »Wenn es West-Berlin nicht gäbe« (1987) eine scharfsinnige Analyse des (West-)Berlin-Problems an, die jedem Interessierten noch immer zu empfehlen ist.
     Im Vierseitigen Abkommen garantierte die Sowjetunion erstmals seit 1945 den unbehinderten Transitverkehr zwischen der BRD und West-Berlin. Mit den Entwicklungen auf diesem Sektor beschäftigten sich Gerhard Wettig: »Das Problem des Transits nach West-Berlin« (1978); Uwe Prell: »Grenzüberschreitung in Berlin. Der Reise- und Besucherverkehr und die westlichen politischen Entscheidungen« (1986) und Friedrich Ch. Delius/ Peter J. Lapp: »Transit Westberlin (199). Auch der Besucherverkehr zwischen beiden Teilstädten wurde dauerhaft geregelt. Zwischen Dezember 1963 und Oktober 1966 hatte es schon einmal Passierscheinabkommen zwischen dem Senat und der DDR-Regierung gegeben. Zu dieser Frage wie überhaupt zum Komplex der beiderseitigen Beziehungen liegt eine umfangreiche Arbeit des »Besuchbeauftragten des Senats« von 1973 bis 1989, Gerhard Kunze, vor: »Grenzerfahrungen. Kontakte und Verhandlungen zwischen dem Land Berlin und der DDR 1949-1989« (1999).
     Nach dem Vierseitigen Abkommen befand sich West-Berlin in einer gesicherten Situation, Bedrohungen und Krisen wie zuvor waren nicht mehr zu erwarten.
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   208   Literatur Bibliographie  Voriges BlattNächstes Blatt
Welche Chancen boten sich? Die Diskussion fand ihren Niederschlag in Schriften wie Rolf Heyen (Hrsg.): »Die Entkrampfung Berlins oder Eine Stadt geht zur Tagesordnung über« (1972); Ernst Schmacke (Hrsg.): »Berlin auf dem Weg ins Jahr 2000. Prognosen« (1974); Martin J. Hillenbrand (Hrsg.): »Die Zukunft Berlins« (1981); Knut Nevermann (Hrsg,): »Lokal 2000. Berlin als Testfall« (1983); »Berlin translokal« (1983) und Erich G. Pohl (Hrsg.): »Berlin und die Zukunft Europas« 1986).
     Die Irritationen zwischen Moskau und Ost-Berlin, die es während der Verhandlungen der vier Botschafter gegeben und die zum Sturz Walter Ulbrichts im April/Mai 1971 beigetragen hatten, wirkten sich auf Forschung und Publikation in der DDR aus. 1) Zum - wie es offiziell hieß - Westberlinproblem konnten nur noch sowjetische Arbeiten erscheinen. Allen voran das hochgepriesene Buch »Westberlin - gestern und heute« (1981) des sowjetischen Botschafters in der DDR und Unterhändlers in den Botschaftergesprächen, Pjotr A. Abrassimow, der wenige Jahre später in Ungnade fiel. Aus der Feder des Sowjetdiplomaten Viktor N. Belezki erschienen unter dem Pseudonym V. N. Boldyrew: »West-Berlin und die europäische Sicherheit« (1973) und »Westberlin« (1974, nur in West-Berlin vertrieben) sowie unter seinem richtigen Namen »Die Politik der Sowjetunion in den deutschen Angelegenheiten in der Nachkriegszeit 1945-1976« (1977).

Geschichtsdarstellungen

Obwohl für die Periode 1961-1990 an Berlin-Literatur kein Mangel herrscht, gibt es noch immer keine umfassenden Monographien für die Gesamtstadt wie auch für die beiden Teilstädte. Die 750-Jahr-Feier von 1987, die getrennt begangen wurde, hatte Impulse ausgelöst. Zu nennen sind Sammelwerke wie Wolfgang Ribbe (Hrsg.): »Geschichte Berlins« (Bd. 2, 1987); Georg Kotowski/Hans J. Reichhardt: »Berlin als Hauptstadt im Nachkriegsdeutschland und

Land Berlin 1945-1985« (1987); »Berlin und seine Wirtschaft« (1987) und Otto Büsch (Hrsg.): »Beiträge zur Geschichte der Berliner Demokratie« (1988). Als »ein Anti-Geschichtsbuch zum offiziellen Berlin-Jubiläum« verstand der Schriftsteller Bernt Engelmann seine Chronik »Berlin. Eine Stadt wie keine andere« (1986), in der die »kleenen Leute« nicht zu kurz kommen sollten. Hier ordnet sich auch der Band der Journalistinnen Sylvia Conradt/Kirsten Heckmann-Janz: »Berlin halb und halb. Von Frontstädtern, Grenzgängern und Mauerspechten« (1990) ein, der ihren früheren Titel »Reichstrümmerstadt. Nachkriegsleben in Berlin« (1987) bis zum Mauerfall 1989 fortführte.

West-Berlin

Die innere Entwicklung West-Berlins stand in den sechziger Jahren weiterhin im Zeichen der Berlin-Krise, die zwischen Mauerbau und Kubakrise im Herbst 1963 und noch einmal mit den Auseinandersetzungen um die Bundesversammlung Anfang 1969 eskalierte. Für die erste Phase ist die umfangreiche Studie von Kurt L. Shell: »Bedrohung und Bewährung. Führung und Bevölkerung in der Berlin-Krise« (1965) noch immer grundlegend. Ausgehend von der Lage nach dem 13. August 1961 analysierte der US-Historiker den Verlauf der Krise, das außenpolitische Bezugssystem, die Auswirkungen auf innere Sicherheit, Wirtschaft und Kultur und den politischen Entscheidungsprozeß der Führung West-Berlins. Zur Wirtschaftsentwicklung in der isolierten und von Bundeshilfe abhängigen Stadt liegen für 1961-1964 Reden und Aufsätze des damaligen Wirtschaftssenators Karl Schiller: »Berliner Wirtschaft und deutsche Politik« (1964) vor.
     Für die siebziger Jahre ist Dirk Rotenberg: »Berliner Demokratie zwischen Existenzsicherung und Machtwechsel. Die Transformation der Berlin-Problematik 1971 bis 1981« (1995) dem »Syndrom einer >normalen Stadt< « nachgegangen.

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   209   Literatur Bibliographie  Voriges BlattNächstes Blatt
West-Berlin - so seine These - erlebte in diesem Jahrzehnt einen jähen Fall von der »Front- und Mauerstadt«, die jahrelang in aller Munde war, in den »Windschatten der Weltpolitik« und vermochte selbst die Alltagsaufgaben einer Großstadt nur schwer zu verkraften. Als Kulminationspunkt wird das »Drei-Bürgermeister-Jahr« 1981 angesehen, als der sozialliberale Senat unter Dietrich Stobbe (SPD) stürzte, sein Nachfolger Hans-Jochen-Vogel (SPD) nach 100 Tagen scheiterte und ein CDU-Senat unter Richard v. Weizsäcker aus Neuwahlen hervorging. Mit dieser Thematik beschäftigten sich auch Klaus Riebschläger: »Vor Ort. Blicke in die Berliner Politik« (1983); Karl Heinz Gehm: »Der Machtzerfall der sozialliberalen Koalition in Berlin« (1984) und Hans-Jürgen Heß: »Innerparteiliche Gruppenbildung. Macht- und Demokratieverlust einer politischen Partei am Beispiel der Berliner SPD in den Jahren von 1963 bis 1981« (1984). Wie die Führungselite mit Bauskandalen und »Filzokratie« bis in die neunziger Jahre zur demokratischen Deformierung beitrug, enthüllten Heinz Schindler: »Berlin und seine Kommanditisten« (1978) und Mathew D. Rose: »Berlin. Hauptstadt von Filz und Korruption« (1997).
     Grundlegend für die staatsrechtliche Lage, für Verfassung und Verwaltungsaufbau West-Berlins waren die Arbeiten von Ernst R. Zivier: »Der Rechtsstatus des Landes Berlin« (4. erw. Aufl., 1987) und »Verfassung und Verwaltung von Berlin« (1990, 3. erw. Auflage nach der Wiedervereinigung 1998). Über Rechte, Verantwortlichkeiten und Praktiken der Drei Westmächte gab Udo Wetzlaugk: »Die Alliierten in Berlin« (1988) Auskunft.
     Zu den Rathaus-Parteien SPD, CDU und FDP liegen profunde Studien nicht vor. Über »Die Sozialistische Einheitspartei Westberlins und die sowjetische Berlinpolitik« (1972) schrieb der US-Historiker Eric Waldmann.
Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus 1981 gelang der 1979 gegründeten Alternativen Liste für Demokratie und Umweltschutz (AL) auf Anhieb der Einzug ins Parlament; nachdem sich die Grünen 1990 angeschlossen hatten, nannte sie sich nunmehr die »Die Grünen/AL«. Über die Anfänge dieser Partei informieren Michael Bühnemann u. a.: »AL - Die Alternative Liste Berlin. Entstehung, Entwicklung, Positionen« (1984) und Elkebarbara Mayer u. a.: »Zehn Jahre Alternative Liste Berlin« (1988).
     In den späten sechziger Jahren war die Freie Universität ein Ausgangspunkt der Studentenbewegung, der so genannten Außerparlamentarischen Opposition (APO). Was zunächst als Hochschulreformbestrebung begann, eskalierte mit dem Tod des Studenten Benno Ohnesorg, der während einer Anti-Schah-Demonstration vor der Deutschen Oper am 2. Juni 1967 von dem Polizisten Karl-Heinz Karras erschossen wurde. Der studentische Protest entzündete sich des weiteren an der USA-Aggression in Vietnam, an der Bonner Notstandsgesetzgebung von 1968, an der Medienmanipulation des Springer-Konzerns und allgemein an der Forderung nach Demokratisierung des restaurativen Adenauer-Staates. Aus der relevanten Literatur seien hier genannt »Die Rebellen von Berlin. Studentenpolitik an der Freien Universität« (1967) und Heinz Bude/ Martin Kohli (Hrsg.): »Radikalisierte Aufklärung. Studentenbewegung und Soziologie in Berlin 1965 bis 1970« (1989). Wichtig in diesem Zusammenhang sind auch die Arbeiten zur Geschichte der Freien Universität wie James F. Tent: »Freie Universität Berlin 1948-1988« (1988), Bernd Rabehl: »Am Ende der Utopie. Die politische Geschichte der Freien Universität Berlin« (1988); und Uwe Prell/ Lothar Wilker (Hrsg.): »Die Freie Universität Berlin 1948-1968-1988. Ansichten und Einsichten« (1989).
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   210   Literatur Bibliographie  Voriges BlattNächstes Blatt
Neben verschiedenen Biographien zum Studentenführer Rudi Dutschke, der am 11. April 1968 auf dem Kurfürstendamm lebensgefährlich niedergeschossen wurde und an diesen Verletzungen 1979 verstarb, sind die Bücher seiner Frau Gretchen Dutschke zu nennen: »Rudi Dutschke. Mein langer Marsch« (1980) und »Rudi Dutschke. Wir hatten ein barbarisches, schönes Leben« (1998).
     Aus der zerfallenden Studentenbewegung bildeten sich in den siebziger Jahren linkspolitische, so genannte K-Gruppen und auch die terroristische RAF, die durch spektakuläre Gewalttaten wie die Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz 1975 Aufsehen erregte. Kreuzberg entwickelte sich zu einem bundesweit bekannten Zentrum der »alternativen Szene.« Zu den Hausbesetzungen, die zwischen 1979 und 1984 ihren Höhepunkt hatten und streckenweise in Häuserkämpfen und Straßenschlachten mit der Polizei eskalierten, findet man Auskunft bei Rainer Nitsche (Hrsg.): »Häuserkämpfe 1872-1920-1945-1982« (1981) und Bernd Sonnewald/ Jürgen Raabe-Zimmermann: »Die >Berliner Linie< und die Hausbesetzer-Szene« (1983). Nicht nur in diesem Kontext sei auf die subtile Arbeit von Norbert Steinborn/ Hilmar Krüger: »Die Berliner Polizei 1945-1992« (1993) verwiesen.
     Zur Geschichte der Kirche diesseits und jenseits der Mauer geben Auskunft Werner Radatz/Friedrich Winter: »Geteilte Einheit. Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg 1961 bis 1990« (2000).

Ost-Berlin

Wenn zur Geschichte der DDR-Hauptstadt in der hier zu betrachtenden Periode vor 1989 nur in beschränktem Maße geforscht und publiziert wurde, so lag es vor allem am Fehlen eines Berlingeschichtlichen Zentrums. Bemühungen, ein solches zu schaffen, stießen auf Desinteresse offizieller Stellen. Einen Impuls löste erst die 750-Jahr-Feier der urkundlichen Ersterwähnung der Berliner Schwesterstadt Cölln 1987 aus. Die SED-Führung hatte hierfür Thesen in Auftrag gegeben, die unter dem Titel »750 Jahre Berlin. Thesen« (1986) veröffentlicht wurden.

In dem für einen weiten Leserkreis gedachten Buch »Berlin 1945-1986. Geschichte der Hauptstadt der DDR« (1987) gab Gerhard Keiderling einen Überblick.
     Im Februar 1976 hatte die SED ein »Berlin-Programm« beschlossen, das bis 1990 »die materiellen und kulturellen Lebensbedingungen der Bevölkerung und das städtebaulich-architektonische Bild der Hauptstadt« verändern sollte. In Publikationen zur 750-Jahr-Feier wurde eine Zwischenbilanz gezogen, z. B. von Berthold Fege u. a.: »Die Hauptstadt Berlin und ihre Wirtschaft« (1987) und Dieter Reichelt (Hrsg.): »Richtkronen. Die Jugend baut Berlin« (1987). Chef-Architekt in jenen Jahren war Erhardt Gißke, der in »Bauen - mein Leben« (1987) schildert, wie unter seiner Regie der Palast der Republik, der neue Friedrichstadtpalast, das Grand-Hotel und das Nikolaiviertel entstanden.
     Das Bauwerk, das Ost-Berlin nach 1961 weltweit bekannt machte - nämlich die »Mauer« -, fand in der DDR weder in Wort noch in Bild eine Behandlung; ebenso wurden Fluchtversuche und Schießbefehl tabuisiert. Nach der Maueröffnung am 9. November 1989 erschien eine Flut von Publikationen verschiedenster Art - Dokumentationen, Zeitzeugenberichte, »Mauerkunst«, Fotobände. Zu ihnen gehören u. a. Jürgen Petschull: »Vom Anfang und vom Ende eines deutschen Bauwerks. August 1961 - November 1989« (1989); Peter Möbius/ Helmut Trotnow: »Mauern sind nicht für ewig gebaut. Zur Geschichte der Berliner Mauer« (1991); Kai-Axel Aanderud: »Die eingemauerte Stadt. Geschichte der Berliner Mauer« (1991); Peter Wyden: »Die Mauer war unser Schicksal« (1995); Thomas Flemming: »Die Berliner Mauer. Grenze durch eine Stadt« (1999).

»Wendezeit«

Die dramatischen Ereignisse, die im Oktober/ November 1989 die DDR erschütterten und im Jahr darauf zu ihrem Verschwinden von der politischen Landkarte Europas führten, sind in vielen Dokumentationen, Zeitzeugenberichten und Darstellungen beschrieben worden.

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   211   Literatur Bibliographie  Voriges BlattNächstes Blatt
Zu den ersten Bild-/ Textbänden über Berlin im November 1989 zählen: »Vier Tage im November« (1989), »Freiheit schöner Götterfunken. Die glücklichen Tage von Berlin« (1990), »Berlin im November« (1990) und »9. November 1989« (1990). Eine detaillierte Schilderung der Ereignisse zwischen dem 9. November 1989 und dem 3. Oktober 1990, dem Tag der deutschen Einheit, geben folgende Chroniken: Frank Schumann (Hrsg.): »100 Tage, die die DDR erschütterten« (1990); Zeno und Sabine Zimmerling: »Neue Chronik DDR« (1.-8. Folge, 1990/91); Hannes Bahrmann/Christoph Links: »Chronik der Wende« (2 Bde, 1994/95) und Hans-Hermann Hertle: »Chronik des Mauerfalls« (1996).
     Unter den zahlreichen Erinnerungen von politischen Akteuren der früheren DDR, die wie immer in Umbruchzeiten als Rechtfertigung wie Pilze aus dem Boden schießen, sind für die Berliner Ereignisse erwähnenswert: Günter Schabowski: »Das Politbüro« (1990) und »Der Absturz« (1991); Günter Mittag: »Um jeden Preis« (1991); Manfred Gerlach: »Mitverantwortlich. Als Liberaler im SED-Staat« (1991); Kurt Hager »Erinnerungen« (1996) und Erich Honecker: »Ich bin am Ende meiner Erklärung« (1992). Über die letzte SED-Regierung von November 1989 bis März 1990 schrieb Hans Modrow politische Erinnerungen: »Ich wollte ein neues Deutschland« (1998).
     Aus nächster Nähe erlebte Walter Momper, Regierender Bürgermeister von 1989-1991, die großen Veränderungen zwischen Maueröffnung, »Magisenat« und Vereinigung der beiden Teile Berlins im Oktober 1990. Er hat sie in »Grenzfall. Berlin im Brennpunkt deutscher Geschichte« (1991) eindrucksvoll beschrieben. Primärquellen für diese Zeit sind auch Wolfgang Schäuble: »Der Vertrag. Wie ich über die deutsche Einheit verhandelte« (1993) und Horst Teltschik: »329 Tage. Innenansichten der Einigung« (1991).
     Spannend wie spannungsreich verliefen 1989/90 die so genannten Zweiplus-Vier-Verhandlungen, an denen neben den Vier Mächten auch die beiden deutschen Staaten beteiligt waren. Sie endeten am 12. September 1990 in Moskau mit der Unterzeichnung eines Vertrages, der die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands im Einvernehmen mit allen europäischen Nachbarn regelte und in diesem Zusammenhang den seit 1944/45 bestehenden Sonderstatus für Berlin beendete.
     Von den zahlreichen Publikationen zu diesem Thema sei hier die umfangreiche Arbeit von Rafael Biermann: »Zwischen Kreml und Kanzleramt. Wie Moskau mit der deutschen Einheit rang« (1997) hervorgehoben. Lesenswert sind auch hierfür die Erinnerungen der damaligen Akteure: Valentin Falin: »Politische Erinnerungen« (1993) und »Konflikte im Kreml« (1997); Julij A. Kwizinskij: »Vor dem Sturm. Erinnerungen eines Diplomaten« (1993); Vernon A. Walters: »Die Vereinigung war voraussehbar« (1994); Hans-Dietrich Genscher: »Erinnerungen« (1995); James A. Baker: »Drei Jahre, die die Welt veränderten« (1996) und Michail Gorbatschow: »Wie es war - Die deutsche Wiedervereinigung« (1999). Die Erinnerungsliteratur zu dem jüngsten Abschnitt der Geschichte leitet zum abschließenden Teil dieses Berichtes über.

Biographisches

Gerade in letzter Zeit hat sich die Erinnerungsliteratur außerordentlich vermehrt. Sie ist sowohl für den Rollenwandel Berlins in den internationalen Beziehungen als auch für die eigentliche Stadtgeschichte in dem hier zu betrachtenden Zeitraum von Wert. Für die Entwicklung der (West-)Berlin-Frage 1961-1990 sind weitere Erinnerungen von Politikern und Diplomaten aufschlussreich.

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Eine unentbehrliche Quelle sind Henry Kissingers »Memoiren 1968-1973« (1979) sowie sein von Lebenserfahrungen diktiertes Werk »Die Vernunft der Nationen. Über das Wesen der Außenpolitik« (1994). Neben den noch zu nennenden Erinnerungen Willy Brandts ist der Rückblick seines Intimus und »Architekten der Ostverträge« Egon Bahr: »Zu meiner Zeit« (1996) hervorzuheben. Helmut Schmidt veranschaulicht in »Menschen und Mächte« (1987) den hohen Stellenwert West-Berlins in der sowjetischen Deutschland- und Westeuropapolitik während der Ära Breshnew. Hans-Dietrich Genscher, der die Bonner Außenpolitik von 1974 bis 1992 verantwortete, beschrieb in seinen schon erwähnten »Erinnerungen« (1995) die Schlussphase des (West-)Berlin-Problems von der KSZE-Konferenz in Helsinki 1975 bis zum Zweiplus-Vier-Vertrag 1990. Zeugniswert haben auch Erinnerungen von Bonner Diplomaten, die an der »neuen Ostpolitik« und am Zustandekommen des Vierseitigen Abkommens mitwirkten, wie Helmut Allardt: »Moskauer Tagebuch« (1973) und Kurt Birrenbach: »Meine Sondermissionen« (1984).
     Es fällt auf, dass fast alle Regierenden Bürgermeister von West-Berlin Erinnerungen vorgelegt haben. An erster Stelle steht Willy Brandt mit »Begegnungen und Einsichten. Die Jahre 1960 bis 1975« (1976) und »Erinnerungen« (1989). Dokumentarischen Wert für die von ihm und seinem Mitarbeiter Egon Bahr 1962/63 kreierte Politik des »Wandels durch Annäherung«, einer Grundsäule der späteren »neuen Ostpolitik«, sind Brandts Reden und Schriften: »Plädoyer für die Zukunft« (1961), »Koexistenz - Zwang zum Wagnis« (1963) und »Der Wille zum Frieden. Perspektiven der Politik« (1973).
     Als Willy Brandt 1966 als Außenminister der Großen Koalition nach Bonn ging, übergab er Heinrich Albertz die Führung des Senats für gerade 285 Tage; der Senat stürzte über den Tod Benno Ohnesorgs. Neben »Blumen für Stukenbrock. Biographie« (1981) hinterließ Albertz Selbstzeugnisse wie »Dagegen gelebt - von den Schwierigkeiten, ein politischer Christ zu sein« (1976), »Die Reise. Vier Tage und siebzig Jahre« (1985), »Am Ende des Weges« (1989) und »Der Wind hat sich gedreht. Gedanken über uns Deutsche« (1991).
Unter Verwendung seines Nachlasses verfasste Jacques Schuster eine lesenswerte Biographie: »Heinrich Albertz. Der Mann, der mehrere Leben lebte« (1997).
     Klaus Schütz geht in seinen Erinnerungen »Logenplatz und Schleudersitz« (1992) nur knapp auf seine Amtszeit als Regierender Bürgermeister von 1967-1977 ein. Über seine Jahre im Rathaus Schöneberg von 1981 bis 1984 und danach als Bundespräsident im Schloss Bellevue schrieb Richard von Weizsäcker in »Vier Zeiten. Erinnerungen« (1997). Am Ende dieser Reihe stehen die schon erwähnten Erinnerungen »Grenzfall« von Walter Momper.
     Als Quellen für die Geschichte West-Berlins zwischen 1961 und 1990 sind des weiteren die Erinnerungen von Akteuren erwähnenswert. Harry Ristock hat in »Neben dem roten Teppich« (1991) Erinnerungen an seine Jahre als SPD-Politiker, Bausenator und Gesprächspartner der SED hinterlassen. In »Einsatz« (1997) berichtet Klaus Hübner über seine Tätigkeit als Westberliner Polizeipräsident zwischen 1969 und 1987.
     Aus alledem wird deutlich: Längst sind nicht alle relevanten Themen zur Geschichte des geteilten Berlin zwischen 1945 und 1990 behandelt, nur ein Bruchteil der verfügbaren Quellen ausgeschöpft. Die Erforschung dieses einmaligen Abschnitts Berliner Geschichte hat erst begonnen.

Anmerkung:
1 Vgl. Gerhard Keiderling: Die West-Berlin-Frage in der historischen Forschung der DDR, in: Die DDR - Erinnerung an einen untergegangenen Staat, hrsg. von Heiner Timmermann. (Dokumente und Schriften der Europäischen Akademie Otzenhausen, Bd. 88), Berlin 1999, S. 413-427

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/2001
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