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Kurt Laser
Mauer-, Himmel- und Berlinfilme

Kinoblicke auf beide Stadthälften

Bis zum Bau der Mauer kommen jährlich immerhin rund 12 Millionen Kinobesucher aus dem Osten in die Westberliner Kinos. Am 18. August 1961 berichtet dann die Zeitung »Der Tag«, dass die entlang der Sektorengrenze liegenden Kinos schlagartig ihre Kunden verloren haben. Alle sogenannten Ost-Vorstellungen, die um 9.30, 11.30 und 13.30 Uhr begannen, sind abgesagt. Zu den Abendveranstaltungen fehlen fast 90 Prozent der Besucher. Subventionierte Kinokarten im Preis 1:1 Ost zu West werden überhaupt nicht mehr verlangt. Der Besucherrückgang betrifft auch die Uraufführungstheater am Kurfürstendamm. Zwischen 30 und 50 Prozent weniger Besucher werden hier verzeichnet.
     Bis zum Januar 1962 schließen 22 Westberliner Kinos mit fast 10 000 Plätzen. Die Ufa-Wochenschau weist im November 1961 darauf hin, dass auch die Ladenbesitzer an der Sektorengrenze vor dem Ruin stehen.
     Über den Bau der Mauer und die Folgen informieren der »DEFA-Augenzeuge« und die in den Westberliner Kinos laufenden Wochenschauen zunächst umfangreich aus der jeweiligen Perspektive.

     Die »Neue Deutsche Wochenschau«, »Blick in die Welt«, »Fox Tönende Wochenschau« und die »Ufa-Wochenschau« berichten über den gewaltigen Flüchtlingsstrom aus der Zone, den Panzeraufmarsch an der Sektorengrenze, die chinesische Mauer um Ost-Berlin, Beton und Stacheldraht, die die Berliner trennen und den Weg in die Freiheit versperren. Gezeigt wird, wie ein Volkspolizist die Sperre in die Freiheit durchbricht, dass 500 000 vor dem Schöneberger Rathaus protestieren. Doch bei »Blick in die Welt« und bei »Fox« steht der Empfang für den zweiten sowjetischen Kosmonauten German Titow (1935-2000) in Moskau sogar in diesem Moment an erster Stelle der Berichterstattung.
     Es gibt Informationen über die Verstärkung der Garnison durch Amerikaner und Engländer. Der US-Vizepräsident Lyndon B. Johnson ( 1908-1973) wird in West-Berlin mit Jubel begrüßt, ebenso General Lucius D. Clay (1897-1978), Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876-1967) und Bundespräsident Heinrich Lübke (1894-1972). Dann folgen Hinweise auf die Zerstörung von Häusern an der Grenze und die »Deportation von Laubenpiepern«. Walter Ulbricht (1893-1973) wird als Hauptverantwortlicher für die Berliner Tragödie bezeichnet. Es wird auch gezeigt, wie er seine Staatsjugend bewaffnet und nach jahrelanger Erziehung zum Hass die kommunistische Saat aufgeht.
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Ufa Film Hansa: »Zwei unter Millionen«, BRD 1961, Regie Wieland Liebske, Victor Vicas, mit den Darstellern Hardy Krüger, Loni von Friedl, Walter Giller
     Als Ulbricht aber dann im Januar 1963 auf dem Schlesischen Bahnhof, wie er bei »Blick in die Welt« immer noch heißt, Nikita Chruschtschow (1894-1971) empfängt, gilt der sowjetische Partei- und Regierungschef als Bauherr der Mauer.
     Schon kurze Zeit später wird aber nur noch ab und zu über die Mauer berichtet. Bald schwenken die Kameras in andere Bereiche, zum Polizeisportfest im Olympiastadion, zu einer Premiere in der Staatsoper Unter den Linden, zum Beginn der Berliner Eislaufsaison oder zur Eröffnung des traditionellen Weihnachtsmarktes am Funkturm. Im Juni 1962 ist die Wahl der Miss Germany bereits wichtiger als der Besuch des Außenministers der USA in Berlin.
Mauerfilme

Sowohl im Westen als auch im Osten wird der Mauerbau alsbald auch zum Thema von Spielfilmen. Schon im Oktober 1961 hat die Georg-Richter-Produktion der Progefa-UFH »Zwei unter Millionen«, Premiere, scheint direkt auf die Mauer zu reagieren. Doch der Film ist bereits vorher fertiggestellt worden. Im Mittelpunkt stehen Berlin und zwei junge Berliner. Hardy Krüger (geb. 1928) spielt den LKW-Fahrer Kalle, der für einen Ostberliner Gemüsehof fährt und in seiner Freizeit als Kellner in einer Westberliner Kneipe arbeitet. Er will so viel Geld damit verdienen, dass er das Lokal einmal übernehmen kann. Eines Tages hilft er Christine, die in Rostock zu Hause war, bei der Flucht nach West-Berlin.

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Er sorgt für Unterkunft in der Kneipe, in der er arbeitet. Christine findet Arbeit als Stenotypistin. Kalle zieht nach West-Berlin und arbeitet nun ganztags in der Kneipe. Sie heiraten und wohnen in einem unansehnlichen Mansardenzimmer mit schmutziger Tapete. Die Ehe gerät in die Krise. Doch die beiden finden wieder zusammen, als der Lebenstraum von Kalle zerbricht. Der Besitzer von zahlreichen Hähnchenbratereien sticht Kalle und seine mühsam ersparten viereinhalbtausend Mark aus. Dieser erinnert sich nun an die Bemerkung seines Ostberliner Kollegen Paul: »Bei euch ist auch nicht alles Gold. Das wirst du schon sehen.«
     Die geteilte Stadt liefert nur den realen Hintergrund für eine Alltagsgeschichte. Um diesen Alltag wirklichkeitsgetreu ins Bild zu bringen, werden 80 Prozent des Films draußen oder in Originaldekorationen gedreht, so in einer typischen Destille in Berlin-Südost, fünf Minuten von der Sektorengrenze entfernt. U-Bahn, Gemüsehallen, der Bahnhof Zoo garantieren echtes Milieu. Ein Ostberliner Bahnhof muss allerdings in Hamburg aufgenommen werden.
     Ein echter Anti-Mauer-Film ist dagegen die Walter-Wood-Produktion im MGM-Verleih »Tunnel 28« (Escape From East Berlin), bei der Robert Siodmak (1900-1973) Regie führt. Die Uraufführung ist am 22. Oktober 1962 in der Westberliner Kongreßhalle.
     Den Stoff liefert die Flucht von 28 Ostberlinern durch einen selbstgebauten, dreißig Meter langen Tunnel nach West-Berlin.
Der Film versucht, ohne Sensationshascherei auszukommen. In den »filmblättern« (Nr. 24 vom 17. 10. 1962) wird trotzdem darauf hingewiesen, dass »nach allein künstlerischen Maßstäben einige Passagen konstruiert oder dick aufgetragen« erscheinen, der amerikanische Hauptdarsteller sei »um Nummern zu amerikanisch gewesen«, Christine Kaufmann (geb. 1945), die die Tochter eines SED-Professors darstellt, wird bescheinigt, »ein unbedarftes Großstadtpflänzchen« zu spielen. Allerdings würden alle kritischen Aspekte diesem Film nicht gerecht. Robert Siodmak erklärte am 26. Oktober der »Zeit«: »Dieser Film ist für Analphabeten gemacht, die nicht wissen, was die Mauer ist.« Der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, Ernst Lemmer (1898-1970), lobt den Film. Es sei kein Hollywood-Kitsch, er werde in der Welt eine große Wirkung haben. So erhält er natürlich auch das »Prädikat wertvoll«.
     Die DEFA reagiert relativ rasch auf den Mauerbau. Mit Kathi Szekely (geb. 1941), Armin Mueller-Stahl (geb. 1930) und Ulrich Thein (1930-1995) entsteht »... und deine Liebe auch«. Regisseur Frank Vogel (geb. 1929) bringt die geteilte Stadt Berlin in Dokumentaraufnahmen ins Bild. Dabei wird auch mit der versteckten Kamera gearbeitet. Im Film muss sich das Mädchen Eva zwischen den Brüdern Willi und Klaus entscheiden. Klaus arbeitet als Taxifahrer im Westen und will ein sorgloses Leben führen.
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Am 13. August ist ihm plötzlich der Weg nach West-Berlin versperrt, und sein Bruder Ulli steht als Kampfgruppenangehöriger an der Grenze. Bei Eva ist Klaus zunächst erfolgreich. Aber als sie schwanger wird, will er sich der Verantwortung entziehen. Eva spürt, dass ihre Gefühle für Klaus nicht auf wahrer Liebe beruhen. Sie muss sich entscheiden, zumal Klaus bei einem Fluchtversuch festgenommen wird und ins Gefängnis kommt. - Premiere ist am 17. September 1962.
     Schon wenige Wochen später, am 30. November 1962, wird »Der Kinnhaken« uraufgeführt. Manfred Krug (geb. 1937) hat am Drehbuch mitgeschrieben und spielt die Hauptrolle, den Kampfgruppenmann Georg. Die hübsche Carolin will diesen dazu bringen, sie über die Grenze zu lassen. Sie möchte zu ihrem Arbeitsplatz, einer Bar in West-Berlin. Georg tut so, als ob er ihr helfen will, denkt aber gar nicht daran, sie in den Westen gehen zu lassen. Er hat sich verliebt. Auch sie beginnt ihn gern zu haben, obwohl er sie getäuscht hat. Da taucht der Zuhälter Bubi aus der Westberliner Bar auf und erpresst sie. Georg klärt die Sache mit einem Kinnhaken, bringt Bubi hinter Gitter und wird mit Carolin glücklich.

Filmkulisse Inselstadt

Für die Westberliner taucht Berlin als Filmort in den fast drei Jahrzehnten der vollständigen Teilung nur noch relativ selten auf.

Es sind meistens Außenseiterfilme, die sich auf die Stadt einlassen. In Peter Lilienthals (geb. 1929) Film »Seraphine oder die wundersame Geschichte der Tante Flora« (1964) wird der Atlantik nach Spandau verlegt. Die Umgebung der Atlantik-Villa, Schauplatz des Films, sind die Berliner Gewässer. Seraphine ist ein Seeungeheuer, das von einem schrulligen Männchen verhätschelt wird.
     Ein Jahr später dreht Lilienzahl den Fernsehfilm »Abschied«. Es sind skurrile Geschichten um die ältere Berlinerin Klara Paschke und Herrn Schober, ihren Lebensgefährten. »Liebe Mutter, mir geht es gut«, ist ein Autorenfilm von 1971/72, bei dem Christian Ziewer Regie führt. Das Buch schreibt er zusammen mit Klaus Wiese. Produzent ist die Berliner Basis-Film Verleih GmbH. Der junge Arbeiter Alfred Schefczyk kommt während der Bergbaukrise im Ruhrgebiet 1967 nach West-Berlin. Dort findet er als Transportarbeiter Beschäftigung in einem Großbetrieb, gerät aber rasch in Konflikt mit den neuen Kollegen. Er erlebt auch, wie ein organisierter Protest gegen die Mieterhöhung in einem Wohnheim des Senats scheitert. Ebenso erfolglos sind die Aktionen gegen die Verlegung eines Betriebszweiges nach Westdeutschland, gegen die Kürzung der Akkordzeiten und für die Wiedereinstellung eines gekündigten Wortführers. »Es ist noch ein weiter Weg, bis die Arbeiter den Klassenkampf bewusst führen! Na ja, jeder fängt mal klein an«, lautet Alfreds Resümee am Schluss.
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Ebenfalls bei der Basis-Film Berlin dreht Helke Sander (geb. 1950) in Koproduktion mit dem ZDF »Die allseitig reduzierte Persönlichkeit - Redupers«. Edda ist in dem Film als freie Fotografin in West-Berlin tätig. Sie muß den Lebensunterhalt für sich und ihre Tochter aus dem Verkauf von Fotos verdienen, für die sie pro Stück 35 DM bekommt. Edda arbeitet mit einer Gruppe von Frauen an dem Projekt, Berlin zu fotografieren und diese Fotos an Werbeflächen unterzubringen. Die Auftraggeber erwarten eine den Tourismus fördernde Darstellung von West-Berlin. Die Fotografinnen beobachten an drei Tagen die Stadt und machen Fotos von dem, was sie sehen. Das sind andere Bilder, als ihre Geldgeber sehen wollen. Die Frauen versuchen, ihr Anliegen trotzdem durchzusetzen ...
     Die Uraufführung des Streifens findet am 25. Februar 1978 auf dem »Forum des jungen Films« zur Berlinale in West-Berlin statt. Bekannt wurden auch die filmischen Adaptionen des Musicals »Linie Eins« und des Erlebnisberichts »Wir Kinder vom Bahnhof Zoo«.
     In Rainer Werner Fassbinders (1945-1982) »Berlin Alexanderplatz« nach dem berühmten Roman Alfred Döblins (1878-1957) von 1930 ist vom Alex lediglich die U-Bahn-Station zu sehen.
     Das bringt Fassbinder Kritik ein. Er erklärt dazu: »Es gibt da zwei Möglichkeiten, weil es den Alexanderplatz nicht mehr gibt: ihn zu rekonstruieren,
ihn wiederaufzubauen. Das wäre halt in jedem Fall eine Kulisse, und das, was der Alexanderplatz wirklich gewesen ist, ließe sich auf so einer dokumentarischen Ebene erst recht nicht mehr herstellen.
     Ich habe mir gesagt, das, was der Alexanderplatz ist, lässt sich eigentlich genauso gut zeigen durch die Orte, in die sich die Menschen, die sonst auf dem Alexanderplatz oder auf den Straßen Berlins sind, flüchten, wie sie sich verkriechen, wie sie vor dieser einfach zu schnell gewachsenen Großstadt Schutz suchen. Ich finde, dass der Platz, auch wenn er nicht zu sehen ist, sehr präsent ist.«1)
     Fassbinder führt Regie und schreibt auch das Drehbuch. Es ist eine Produktion der Bavaria Atelier GmbH zusammen mit dem Italienischen Fernsehen (RAI) im Auftrag des Westdeutschen Rundfunks (WDR). Der Film kostet 13 Millionen DM. Die Uraufführung findet auf der Biennale in Venedig 1980 statt.
     Im gleichen Jahr, am 1. November 1980, hat während der Internationalen Hofer Filmtage auch Rudolf Thomes (geb. 1937) Film »Berlin Chamissoplatz« Premiere. Es ist eine kleine Liebesgeschichte. Ein Vierzigjähriger verliebt sich in die viel jüngere Anna. Von einer Mieterparty verschwindet er und fährt beleidigt mit seinem Auto ab. Anna leiht sich einen Wagen und fährt ihm nach. Der Zuschauer weiß, sie wird ihn finden.
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1982 entsteht als Produktion der Ombra Film (Italien) zusammen mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst und dem SFB Berlin im 16-mm-Format der Dokumentarfilm »Das Schlesische Tor«. Für Regie, Kamera und Buch zeichnet Clemens Klopfenstein (geb. 1944) verantwortlich. Der Schweizer lebt einige Zeit als Stipendiat in Berlin und nutzt die Zeit, diesen Film über die Stadt und ihre Menschen zu drehen. Es sind Bilder und Töne aus Berlin, vom Schlesischen Tor, der U-Bahn-Endstation vor der Mauer, von Hochbahnen, Märkten und stillen Straßen im Lichte des frühen Morgens, außerdem Aufnahmen aus Tokio und Hongkong. Die deutsche Erstaufführung ist am 20. Februar 1982.
     In Wim Wenders (geb. 1945) Film »Der Himmel über Berlin« (1988) ist die Stadt der Landeplatz für Engel. Den Engel Daniel führt sein Weg durch Berlin. Dabei begegnet er der Trapezkünstlerin Marion, und beide beginnen, sich zu lieben.
     In diese Hauptlinie verflechten sich verschiedene Nebenepisoden, in denen gegenwärtige und vergangene Berlin-Motive ins Bild gesetzt werden. Am Wannsee und am Landwehrkanal führt Daniel mit einem der Filmhelden einen Dialog über den Beginn der Weltgeschichte. Bereits in der vierten Einstellung erscheint die Stadt aus der Vogelperspektive. Der Blick des Engels ermöglicht es der Kamera, sich wie auf Flügeln der Stadt zu nähern.
Berlin um die Ecke

Für die DEFA ist Berlin, zumindest der östliche Teil, wesentlich häufiger Schauplatz des Geschehens. West-Berlin, das in der DDR auf damaligen Berlin- oder Potsdam-Stadtplänen nur als weiße oder grüne Fläche erscheint, ist auch in den Filmen weitgehend eine Terra incognita. Eine Ausnahme findet sich bei Konrad Wolfs » Der geteilte Himmel« nach dem Roman von Christa Wolf. Gedreht 1963/64, zeigt er in einer Schlüsselszene, die noch vor dem Mauerbau spielt, den Besuch der Heldin Rita Seidel (Renate Blume), einer Lehrerin aus der DDR-Provinz, bei ihrem nach West-Berlin geflohenen Geliebten, dem Chemiker Manfred Herrfurth (Eberhard Esche). Sie folgt ihm nicht.
     »Berlin um die Ecke« von Gerhard Klein (1920-1970) und Wolfgang Kohlhaase (geb. 1931) sollte an die drei Berlin-Filme der beiden Autoren in den fünfziger Jahren anknüpfen. Der Arbeitstitel ist daher auch »Berlin Kapitel IV«. Der Streifen gehört zu jener fast kompletten DEFA-Jahresproduktion vor allem von Gegenwartsfilmen, die in einem rabiaten Kahlschlag nach dem 11. Plenum des ZK der SED (Dezember 1965) verboten wurde. Viel später wird er lediglich 1987 in einer Rohschnittfassung vom Staatlichen Filmarchiv der DDR im Kino Camera aufgeführt. Im Zentrum des Films stehen Olaf und Horst.

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DEFA-Film »Der geteilte Himmel«,1963/64 DDR, Regie Konrad Wolf, mit den Darstellern Renate Blume und Eberhard Esche
Beide arbeiten in einer Jugendbrigade eines großen Metallbetriebes. Vieles stört sie. Die Maschinen sind veraltet, und es fehlt an Ersatzteilen. Es kommt zu Auseinandersetzungen. Für die Forderungen der Jungen hat nur der alte Arbeiter Karl Krautmann, gespielt von Erwin Geschonneck (geb. 1906) Verständnis, der sich im Kampf um Produktionsverbesserungen aufreibt. Sein plötzlicher Tod geht ihnen sehr nahe. Als die beiden in der Betriebszeitung kritisiert werden, greift Olaf den Redakteur tätlich an. Auch im Privatleben hat er Probleme. Er verliebt sich in Karin, die am Tag in einer Großküche arbeitet und abends in einem Tanzcafé als Sängerin auftritt. Erst als sie nach längerem Sträuben erkennt, dass er es ernst meint, kommt es zum Happy End. Horst geht nach der Auflösung der Jugendbrigade auf eine Großbaustelle.      1967 spielt Erwin Geschonneck im »Lord am Alexanderplatz« einen ehemaligen Heiratsschwindler. Angelika Domröse (geb. 1941) ist seine Tochter Ina, zu der er nach Berlin zurückkommt, um hier seinen Lebensabend zu verbringen. Ina wandelt auf den Pfaden ihres Vaters und bestreitet ihren Lebensunterhalt mit Hilfe älterer Herren. Der Vater versucht das zu verhindern, gerät aber selbst wieder in Versuchung. Aber nach einigen Verwicklungen löst sich alles harmonisch auf.
     Der Kriminalfilm »Leichensache Zernick« aus dem Jahre 1972 behandelt vor allem politische Vorgänge im Berlin des Jahres 1948. Ein mehrfacher Frauenmörder (Darsteller: Gerd Gütschow) treibt sein Unwesen in Berlin-Buch und zieht sich dann nach West-Berlin zurück.
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Die Arbeit der Ermittler (Polizeianwärter: Alexander Lang) aus dem sowjetischen Sektor stößt an ihre Grenzen, da eine Zusammenarbeit mit dem neugebildeten Polizeipräsidium West nicht zu Stande kommt. So können zwei weitere Morde nicht verhindert werden.
     Am 29. April 1973 hat im Kosmos »Die Legende von Paul und Paula« Premiere. Paul und Paula, gespielt von Winfried Glatzeder (geb. 1945) und Angelika Domröse (geb.1941) kennen sich schon lange vom Sehen. Paul hat beruflich Karriere gemacht, führt aber eine unglückliche, zur Routine erstarrte Ehe; Paula lebt mit ihren Kindern allein. Bei ihrer ersten Begegnung werden beide von einer leidenschaftlichen Liebe erfasst. Paula gibt sich dem Glücksgefühl kompromisslos hin. Paul dagegen ist nicht bereit, seine gesellschaftliche Stellung im Ministerium für Außenhandel aufs Spiel zu setzen. Nach dem Unfalltod ihres jüngeren Kindes trennt sich Paula von Paul. Nun erst erkennt er, was er zu verlieren hat und dass Paula ihn braucht. Ohne Rücksicht auf die zu erwartenden Konsequenzen belagert er nun tagelang Paulas Wohnungstür, die er schließlich - in Kampfgruppenuniform - mit einer Axt einschlägt. Doch das gemeinsame Kind, Paulas drittes, bringt ihr den Tod.
     Der heute zum Kultfilm avancierte Streifen ist mit seiner Mischung aus Realismus und Märchen bereits 1973 ein
spontaner Kassenerfolg und erreicht hinter dem Indianerfilm »Apachen« den zweiten Platz in der DEFA-Erfolgsliste von Progress-Filmvertrieb.
     Der bei den Zuschauern zu Beginn der 80er Jahre erfolgreichste DEFA-Gegenwartsfilm ist »Solo Sunny«. Er erzählt die Geschichte der Schlagersängerin Sunny, gespielt von Renate Krößner (geb. 1945). Sie hat das Fließband in den EAW Treptow verlassen und landet, künstlerisch nur mittelmäßig begabt, beim Tingeltangel. Sie ist selbstbewusst. Ihre Liebe zu dem lethargischen Philosophen Ralf (Alexander Lang) scheitert. Auch mit dem Taxichauffeur Harry (Dieter Montag), der glaubt, nicht dumm zu sein, »weil er so viel Kohle macht«, geht es nicht. Das Milieu ist sorgfältig gezeichnet, der Blick richtet sich auf trostlose Berliner Hinterhöfe und abrissreife Altbauten.
     Auch 1989 spielt in zwei DEFA-Filmen Berlin eine wesentliche Rolle. »Der Bruch«, eine vergnügliche Geschichte nach einem authentischen Fall aus dem Jahre 1948, hat am 26. Januar im International Premiere. Die Handlung ist in den Winter 1946 verlegt worden. Drei Männer planen einen Millionencoup. Der Kriminelle Erwin Lubowitz und der Kellner Walter Graf wollen an die Lohngelder im Hauptkassentresor der Reichsbahn. Sie reaktivieren Bruno Markward, den Fachmann, der sich bereits zur Ruhe gesetzt hatte.
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Die Sache klappt, und auf die Spur des Verbrechens setzen sich Kollmorgen, ein erfahrener, von den Nazis aus dem Dienst gejagter Kriminalist, der im Dienst unerfahrene Kommunist Lutz, der aber während der Nazizeit zusammen mit Bruno Markward im Zuchthaus saß, und der junge, für die Kriminalpolizei geworbene Julian, den die Ganoven eigentlich für ihre Zwecke einspannen wollten. Das Gangstertrio wird schließlich gefasst. Als »Jungpolizist« Julian am Ende zu Lubowitz sagt: »Wir dachten, Sie sind längst über alle Berge«, antwortet dieser: »Was soll ich da, ich bin doch ein Berliner.« Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase fängt die Atmosphäre jener Jahre mit saloppen Sprüchen ein, Regisseur Frank Beyer (geb. 1932) wird von der Zeitschrift »Film-Echo/ Filmwoche« bescheinigt, er habe das Ganze ausgesprochen kurzweilig in Szene gesetzt.
     Die Besetzung der Hauptrollen ist ein Ost-West-Gemisch. Von der Kritik wird vermerkt, dass hervorragende Schauspieler wie Rolf Hoppe (geb. 1930) und Otto Sander (geb. 1941) »dem Film den Saft geben, den die spröde Art Beyers, seine Geschichte zu entwickeln, braucht«. Götz George (geb. 1938) sei »alles andere als ein Schimanski«, als der er in den Fernsehkrimis agierte. »Er hält sich bemerkenswert zurück. Doch bleibt seine Figur überwiegend klischeehaft. Ihm fehlte wohl doch die >action< «.2)
     Auf diesen Film müssen auch die Westberliner nicht verzichten.
Er läuft am 15. Februar 1989 um 23.00 Uhr im Wettbewerbsprogramm der Berlinale, ohne allerdings einen Preis zu gewinnen. Doch bereits im Vorfeld werden die Karten für den Film, den »Jugendfilm« in West-Berlin und in der Bundesrepublik Deutschland verleiht, heiß gehandelt.
     So lernt West-Berlin auch DDR-Verhältnisse kennen. Ebenso begehrt ist aber auch die Féte, zu der vor der Premiere ins Restaurant »Fofi« eingeladen wird. Dazu erscheinen neben anderen der Autor Wolfgang Kohlhaase, die Darsteller Wolfgang Hoppe und Otto Sander. »Ein köstlicher Vorspeisenteller mit griechischen Spezialitäten, leckere Hammelkoteletts auf Spinat, Wein und Bier sorgten dafür, dass die Kräfte nicht schwanden. Solchermaßen gestärkt, von Diskussionen und Gesprächen erfüllt, brachten die Busse die Gäste zum Zoo-Palast, wo dann vor ausverkauftem Haus eine Premiere ablief, die mit viel Applaus und spontanem Lachen die gute Stimmung zum Höhepunkt brachte ...«3)
     Am Abend des 9. November 1989 hat Heiner Carows (1929-1997) »Coming out« im Kino International Premiere. Im ersten DDR-Film, der das Thema Homosexualität aufgreift, kommt der Lehrer Philipp in Konflikte zwischen seiner Neigung zu Kollegin Tanja, die ein Kind von ihm erwartet, und seiner Liebe zu dem jungen Mathias. Dieser unternimmt einen Selbstmordversuch, wird aber gerettet. Jetzt erst bekennt sich Philipp ohne Angst vor der Öffentlichkeit zu seinem Anderssein.
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Im Fernsehen sieht man schon am gleichen Abend die aktuellen Berichte von der Maueröffnung. Die Westberliner Filmtheater reagieren auf den Besucherstrom aus der DDR mit einer freiwilligen Vergünstigung. Sie gewähren einen Vorzugspreis von 5 DM auf allen Plätzen. Allerdings interessieren die Besucher aus dem Osten vorerst andere Dinge als Kino.

Quellen:
1 Zitiert nach Hanna Möbius/ Guntram Vogt, Drehort Stadt. Das Thema »Großstadt« im deutschen Film, Marburg 1990, S. 122
2 Film-Echo/ Filmwoche, Nr. 11 vom 24. 1. 1989, S. 6 f.
3 Ebenda

Literatur:
- filmblätter, Fachzeitschrift für Film, Fono, Foto, Fernsehen, Funk, Jg. 1961-1963
- Film-Echo/ Filmwoche, Jg. 1989
- Filmwoche, Zeitschrift für das deutsche Filmwesen, Jg. 1961
- Berlin außen und innen. 53 Filme aus 90 Jahren. Materialien zu einer Retrospektive. Herausgegeben von Uta Berg-Ganschow, Stiftung Deutsche Kinemathek, Berlin 1984
- Berlin und das Kino. Herausgeber: Freunde der Deutschen Kinemathek, Berlin 1997
- Film ... Stadt ... Kino ... Berlin ... Herausgegeben von Uta Berg-Ganschow, Wolfgang Jacobsen, Berlin 1987

- Filmgeschichte in Bildern. Auswahl und Kommentar von Horst Knietzsch, Berlin 1984
- Achim Haag, »Deine Sehnsucht kann keiner stillen«. Rainer Fassbinders Berlin Alexanderplatz, München 1992
- Wolfgang Jacobsen, Die Stadt. Die Menschen. Berlin im Film, Berlin 1998
- Hanna Möbius/ Guntram Vogt, Drehort Stadt. Das Thema »Großstadt« im deutschen Film, Marburg 1990
- Wolfgang Ruf, Acht Stunden sind ein langer Tag. Proletarischer Film in der BRD und West-Berlin. In: Prisma. Kino- und Fernseh-Almanach, Nr. 7, Berlin 1976, S. 186 - 198
- Ralf Schenk (Hrsg.), Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. DEFA-Spielfilme 1946-1992, Berlin 1994
- Robert Siodmak, Zwischen Berlin und Hollywood. Erinnerungen eines großen Filmregisseurs. Herausgegeben von Hans C. Blumenberg, München 1980
- Volker Trauth, Daniel Calls »Solo Sunny« in Rostock. »Es geht nicht«. In: Neues Deutschland v. 20. 01. 2001, S. 12
- Karl-Heinz Wegner, Berlin in Spielfilmen. Redaktion und Mitarbeit: Edith Wäscher. Katalog. Staatliches Filmarchiv der DDR, Berlin 1987
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/2001
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