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Zur Ausbürgerung von Wolf Biermann

Wie aus obenstehender Mitteilung hervorgeht, ist Wolf Biermann die Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik aberkannt worden. Er befindet sich gegenwärtig in der BRD, und die Tore zur DDR werden für ihn in Zukunft verschlossen sein.
     Weshalb wurde diese Maßnahme notwendig? Am 13. November trat er in einer Massenveranstaltung in der Kölner Sporthalle auf, die vom Fernsehen und Rundfunk der BRD verbreitet wurde.

Er hat den Abend ganz allein bestritten und ein Programm gestaltet, das sich ganz bewußt und gezielt gegen die DDR und gegen den Sozialismus richtete. Was er dort, noch als DDR-Bürger und in einem kapitalistischen Land, an Haß, an Verleumdungen und Beleidigungen gegen unseren sozialistischen Staat und seine Bürger losgelassen hat, macht das Maß voll. Schon jahrelang hat er unter dem Beifall unserer Feinde sein Gift gegen die DDR verspritzt. Dabei wurde er von den gehässigen Gegnern der DDR noch angestachelt und hochgejubelt. Unser sozialistischer Staat hat mit diesem Treiben viel Geduld gehabt, eher zuviel als zuwenig.
Ausriss einer Meldung in »Neues Deutschland« vom 17. November 1976
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Die Szene, die sich in Köln abgespielt hat, verlangte eine angemessene Antwort.
     Was er dort sang, rezitierte und zusammenredete, das waren massive Angriffe gegen unseren sozialistischen Staat, gegen unsere sozialistische Gesellschaftsordnung. Es enthielt die Aufforderung, diese Ordnung in der DDR zu beseitigen. Er beleidigte aufs gröbste die Bürger der DDR, von den Arbeitern in den Betrieben bis zur Führung der Partei und des Staates. Er verstieg sich dort zu der Erklärung: »Ich bin zu jeder Schandtat bereit«. Sein Auftritt hat das in der Tat bestätigt ...
     Biermann, der links zu fahren vorgibt, steht in Wahrheit rechts. Er diffamierte, wie das Organ der Deutschen Kommunistischen Partei schrieb, nicht nur den realen Sozialismus, sondern auch seine Erbauer. Wörtlich erklärte er in Köln: »In der DDR gibt es eine hochentwickelte Form der Selbsthilfe der Arbeiter, nämlich daß sie sich persönlich bereichern, daß sie klauen, dort, wo sie arbeiten.« Was wir geschafft haben, das ist in erster Linie das Werk der Arbeiter. Biermann hat dazu jedenfalls nicht beigetragen. Dafür bringt er es fertig, die Arbeiterklasse, deren Leistungen bei uns hoch geehrt werden, zu beschimpfen. Die Arbeiter in der DDR brauchen keinen »Dichter«, der ihnen andichtet, sie wären Gauner und Diebe.
     Um den Grad der Unverschämtheit dieses sogenannten Liedermachers zu ermessen, muß man sich vergegenwärtigen, auf welcher Bühne sich das alles abgespielt hat, nämlich in einem kapitalistischen Land, in der BRD. Daß dort die kapitalistische Ausbeutung noch immer fortdauert, daß Unsicherheit, Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Inflation die werktätigen Menschen quält, daß jede progressive Betätigung bespitzelt und mit Repressalien belegt wird, das alles stört Biermann nicht.
     Er befindet sich in der Front derer, die ihre Hetzkampagne, ihre psychologische Kriegführung gegen die DDR wieder auf eine Höhe getrieben haben, die hinter der Zeit des kalten Krieges kaum noch zurücksteht. In dieser Front ist er einer unter vielen, ganz konform und kaum zu unterscheiden. Er verschwindet in der dunklen Masse der antikommunistischen Krakeeler.
     Zur Staatsbürgerschaft gehört eine Treuepflicht gegenüber dem Staat. Das ist nicht nur in der DDR so. Biermann hat diese Treuepflicht bewußt und ständig grob verletzt. Die Konsequenzen daraus wurden entsprechend dem Staatsbürgerschaftsgesetz der DDR gezogen. Biermann hatte einst, aus der BRD kommend, die Staatsbürgerschaft der DDR erhalten, nun hat er sie durch seine eigene Schuld, durch sein feindliches Auftreten gegen unseren sozialistischen Staat, wieder verloren.
     Die Arbeiterbewegung hat es immer wieder mit Leuten zu tun gehabt, die innen ganz schwarz waren, sich aber eine rote Mütze aufgesetzt hatten. Für die Betreffenden ging das meistens nicht lange gut, den Sozialismus hat es nicht aufgehalten.
     Günter Kertzscher: Angemessene Antwort auf feindseliges Auftreten gegen die DDR, in »Neues Deutschland« vom 17. November 1976

Protest der Schriftsteller

Wolf Biermann war und ist ein unbequemer Dichter - das hat er mit vielen Dichtern der Vergangenheit gemein.
     Unser sozialistischer Staat, eingedenk des Wortes aus Marxens »18. Brumaire«, demzufolge die proletarische Revolution sich unablässig selber kritisiert, müßte im Gegensatz zu anachronistischen Gesellschaftsformen eine solche Unbequemlichkeit gelassen nachdenkend ertragen können.

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   177   Dokumentiert Zur Ausbürgerung Biermanns  Voriges BlattNächstes Blatt
     Wir identifizieren uns nicht mit jedem Wort und jeder Handlung Biermanns und distanzieren uns von Versuchen, die Vorgänge um Biermann gegen die DDR zu mißbrauchen. Biermann selbst hat nie, auch nicht in Köln, Zweifel daran gelassen, für welchen der beiden deutschen Staaten er bei aller Kritik eintritt.
     Wir protestieren gegen seine Ausbürgerung und bitten darum, die beschlossene Maßnahme zu überdenken.
     Sarah Kirsch, Christa Wolf, Volker Braun, Franz Fühmann, Stephan Hermlin, Stefan Heym, Günter Kunert, Heiner Müller, Rolf Schneider, Gerhard Wolf, Jurek Becker, Erich Arendt:
     Offener Brief vom 17. November 1976, in »Frankfurter Rundschau« vom 23. November 1976

Protest des Philosophen Wolfgang Heise

Zur Biermannaffäre und ihren voraussagbaren Folgen Stellung zu nehmen, wähle ich diesen Weg - nicht ohne ein Gefühl der Vergeblichkeit. Es geht dabei nicht nur um Biermann.
     Ich halte die Maßnahme seiner Ausbürgerung in Inhalt und Form für schädlich. Sie hat nach innen Vertrauen zerstört, eine Kluft aufgerissen, die zu überwinden wir uns doch bemühten, und dieser eine Tiefe und Breite gegeben, die sie in ihrer gewiß vorhandenen Latenz nicht hatte. Konfrontationen wurden provoziert, die im Grunde - gerade weil die Machtverteilung so eindeutig - nicht austragbar sind.
     Nach außen hin - abgesehen vom Festessen für die Propaganda des Westens - wurde politisch-moralische Glaubwürdigkeit abgebaut, dafür entstand der Eindruck, ein Konformismus polizeistaatlicher Prägung sei in unserer Republik Zwangsnorm.
     Biermann selbst, den ich nicht überschätze, in der Versteinerung seiner

Anfänge vor 14 Jahren, mit den damaligen Illusionen und Erwartungen, unfreiwillig tragikomisch mit dem verzweifelten, doch ehrlich gemeinten Gestus des »Ich lasse Dich nicht, Du segnest mich denn« - er ist ein Produkt unserer Republik und Behandlungen. Aber ein Feind, der auszubürgern? Sind wir so schwach? So argumentslos? Zumal die positiven Argumente, die Dr. K. im ND-Kommentar für unsere Republik vortrug, auch von Biermann auf seiner Veranstaltung vorgetragen wurden.
     Daß die Situation, in der Biermann war, ihn in alle möglichen Intrigen etc. verwickeln mußte - ja, was erwarten wir denn für eine schweigende, übermenschliche Frömmigkeit von einem, der seine Lieder singen wollte, dafür Publikum suchte und fand?
     Hat nun Biermanns Auftreten oder das Verbot seiner Rückkehr die DDR mehr Sympathien gekostet? Das Auftreten, meine ich, keine. Die öffentlichen Proteste, eine neue Erscheinung bei uns, resultieren sie nicht aus dem Mangel an öffentlichem Leben, Diskussion, Auseinandersetzung, die in unseren Ritualen zwischen Feier und Belehrung nicht vorhanden sind? Unser Ideal ist doch kein brav singender heiterer Chor - oder die Gemütsbedürfnisse derjenigen, die in pur exekutiver Existenz zufrieden sind.
     Die jetzt für Biermann eintreten, treten nicht für sein Programm in dessen Verworrenheit ein. Ihre Sorge gilt der möglichen Dominanz polizeilich-militärischen Denkens. Sie ist nicht unbegründet. Ich halte ihre Stellungnahme für den Ausdruck einer Solidarität, die eine positive und produktive moralisch-politische Erscheinung ist: Ausdruck eines gereiften Bewußtseins der Mitverantwortung für politische Entscheidungen der Partei- und Staatsführung. Das gilt auch dann, wenn die Westpresse Kapital daraus zu schlagen sucht, manch falscher Freund sich anschließt oder Beifall klatscht.
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     Mir scheint es nötig, damit die Situation sich nicht weiter zuspitzt oder zum lähmenden Stau wird, zu einem offenen kollektiven Gespräch zu kommen - innerhalb der Partei und der Öffentlichkeit, nicht unter dem Aspekt der Belehrung von oben, sondern des Weckens und der Entwicklung bewußter gesellschaftlicher Aktivität - etwa im Sinne der Intentionen des leider in Vergessenheit geratenen Jugendkommuniqués. Das löst keine Probleme, öffnet aber den Raum dafür.
     Ich sehe ein Zunehmen der Kluft zwischen Oben und Unten, zunehmenden Widerspruch zwischen Ideologie und Wirklichkeit, öffentlichem Rollenspiel und privatem Verhalten, zwischen dem, was alle wissen, und dem, was sie sagen, Müdigkeit und Subjektivismus in kulturellgeistigen Bereichen, was nicht aus diesen selbst zu erklären ist.
     Ich sehe Konflikte zunehmen, die aus dem Bewußtsein und der Erfahrung eines bloßen Objektseins - »derer da oben«, der Institutionen, Verhältnisse etc. - erwachsen und die gekontert werden mit jenem Subjektivismus, der die Spontaneität der Wirkung objektiver Bedingungen, Lebensumstände etc. auf bösen Willen oder ideologische Unklarheiten zurückführt. Wie sprechend sind nicht in dieser Hinsicht die verschiedenen Nostalgien, privaten Glücksurrogate etc., die melancholische Gestimmtheit der jungen Poetengeneration! Die Sinngebungen, die wir gesellschaftlich und offiziell proklamieren, erscheinen als bloßes Wort älterer Leute, die es geschafft haben.

Bei allen objektiven Zwangsläufigkeiten unserer Entwicklung - aus Ökonomie, geschichtlicher Konstellation etc. stammend, trotz der relativen Kleinheit des Spielraumes - scheint mir doch dieser im politischen wie kulturellen Bereich weder ausgeprobt noch erschöpft.

Wie anders als durch kollektiv bewußte, d. h. nicht administrierte, gemeinsam gewollte Anstrengung ist die Produktion von Widersprüchen, von denen ich einige genannt, zu bemeistern: Ich sehe nicht, wie wir sonst mit der langsam wachsenden Akkumulation ideologischer Aushöhlung fertig werden können. Ideologie lebt ja nicht als gelernter Bewußtseinsinhalt, nicht als parates Bekenntnis, sondern nur als praktizierte Beziehung und Tätigkeit.
     Da das Wirkliche nicht das Mögliche, da wir auch nicht in einer vom Weltgeist gesteuerten Geschichtsmaschine sitzen, schrieb ich diesen Brief, mit dem Risiko, als Narr meiner Vernunftromantik dastehen zu können.
     Brief des Philosophen Wolfgang Heise an Kurt Hager, 18. November 1976, In: Humboldt Universität zu Berlin, Archiv Wolfgang Heise, Sign. II-1.1./3

Alles zitiert nach Matthias Judt (Hg), DDR-Geschichte in Dokumenten. Beschlüsse, Berichte, interne Materialien und Alltagszeugnisse, Ch. Links Verlag, Berlin 1997

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/2001
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