168   Dokumentiert Reaktionen auf Mauerbau  Nächstes Blatt
In alten Zeitungen geblättert

Stimmen aus Ost und West zum Mauerbau

Am 15. Juni 1961 fand in Ost-Berlin eine Pressekonferenz mit Walter Ulbricht statt. Aus dem Frage- und Antwortspiel druckte »Neues Deutschland« am nächsten Tag auch folgende Passage: Doherr (»Frankfurter Rundschau«): Ich möchte eine Zusatzfrage stellen: Herr Vorsitzender! Bedeutet die Bildung einer Freien Stadt Ihrer Meinung nach, daß die Staatsgrenze am Brandenburger Tor errichtet wird? Und sind Sie entschlossen, dieser Tatsache mit allen Konsequenzen Rechnung zu tragen?
     Walter Ulbricht: Ich verstehe Ihre Frage so, daß es in Westdeutschland Menschen gibt, die wünschen, daß wir die Bauarbeiter der DDR dazu mobilisieren eine Mauer aufzurichten. Mir ist nicht bekannt, daß eine solche Absicht besteht. Die Bauarbeiter unserer Hauptstadt beschäftigen sich hauptsächlich mit Wohnungsbau, und ihre Arbeitskraft wird dafür voll eingesetzt. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten. Ich habe vorhin schon gesagt: Wir sind für vertragliche Regelungen der Beziehungen zwischen Westberlin und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik. Das ist der einfachste und normalste Weg zur Regelung dieser Fragen.

150 000 Flüchtlinge

»Berliner Morgenpost«,
Sonnabend, 12. August 1961:

Heute wird im Lager Marienfelde der 150 000. Zonenbewohner erwartet, der in diesem Jahr aus Mitteldeutschland geflüchtet ist. Von Donnerstagnachmittag bis gestern Nachmittag haben sich 1 573 Flüchtlinge in Marienfelde gemeldet. Damit sind in diesem Jahr bisher 159 796 Mitteldeutsche geflohen.

Allein in der letzten Woche kamen 12 448 Flüchtlinge. Der Anteil von Grenzgängern, Jugendlichen, Lehrern, Ärzten und ehemaligen »Volkspolizisten« ist unvermindert stark. Auch mehrere Wissenschaftler aus der Zone meldeten sich in Marienfelde. Unter ihnen befinden sich zwei Dozenten und ein Lektor der Leipziger Universität.

Stacheldraht und Beton

»Der Tagesspiegel«,
Dienstag, 15. August 1961:

Diesen 13. August 1961, an dem Ulbricht im Schutze der Nacht den Eisernen Vorhang durch die alte Reichshauptstadt herunterrasseln ließ und seinen Herrschaftsbereich in ein hermetisch abgeriegeltes Gefängnis verwandelte, werden die Berliner und die Menschen in der Zone so bald nicht vergessen. Dieser 13. August 1961, an dem die Spaltung Deutschlands von den Zonen-Machthabern bis zu einem Grade selbstzerstörerischer Schande vertieft wurde, gehört wie der 17. Juni 1953 von heute an zu den schicksalhaften Daten der deutschen Nachkriegsgeschichte ...
     Wie ein Lauffeuer gingen die Nachrichten am Sonntagvormittag durch beide Teile der Stadt. Innerhalb weniger Stunden gab es wohl keinen Berliner mehr, hüben wie drüben, der nicht mit Freunden und Bekannten, mit den Nachbarn oder auf der Straße mit Fremden, diskutierte, teils fassungslos weil es viele Berliner, trotz aller Absperrungsmaßnahmen der letzten Tage, doch nicht für möglich gehalten hatten, daß Ulbricht zu diesem letzten Mittel der Gewalt greifen und mitten durch die Stadt Barrikaden und Stacheldrahtverhaue ziehen lassen würde um die Menschen an der Flucht zu hindern. Die Berliner in Ost und West strömten zu Tausenden und Zehntausenden an die Sektorengrenzen. Endlose Wagenkolonnen zogen sich schon in den Vormittagsstunden durch die Zoogegend und über die Straße des 17. Juni zum Brandenburger Tor und Potsdamer Platz.

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»Neues Deutschland«,
Montag 14. August 1961:

Seit dem Anbruch des Sonntags herrschen Ordnung und klare Verhältnisse an den Grenzen der Deutschen Demokratischen Republik, besonders an der Grenze zu den Westsektoren von Groß-Berlin. Auf Vorschlag der Regierungen der Warschauer Vertragsstaaten und entsprechend dem einmütigen Beschluß der Volkskammer, hat der Ministerrat jetzt jene Maßnahmen ergriffen, die von der Bevölkerung der DDR seit langem gefordert worden sind: eine Kontrolle und Bewachung unserer Grenzen wie sie an den Grenzen jedes souveränen Staates üblich ist ...

»Telegraf«,
Sonnabend, 19. August 1961:

Ulbrichts »Chinesische Mauer« wurde von FDJlern und Ostberliner Baukolonnen in den frühen Morgenstunden des Freitags im Schutze der Dunkelheit auch über den Potsdamer Platz gezogen. Nachdem fünf Lastwagen die Arbeitskräfte herangefahren hatten, wurden mit sechs Kranwagen die Betonplatten aufgestellt. Die Mauer zieht sich vom südlichen Gehweg der Potsdamer Straße in Höhe Linkstraße quer über den Potsdamer Platz bis zum nördlichen Gehweg der Bellevue-Straße. Auf diese Mauer setzten die Arbeiter noch zwei Schichten Hohlblocksteine, in die Eisenstäbe eingelassen wurden, um mit Stacheldraht verbunden zu werden. Die massive Sperre ist 1,70 m hoch. Der Potsdamer Platz, einst mit seinem Verkehrsturm ein Wahrzeichen Berlins und vor der Spaltung Berlins ein Brennpunkt des Verkehrs, wirkt jetzt wie ein Frontabschnitt. Diesseits der Mauer gehen Westberliner Polizeiposten auf und ab, jenseits stehen waffenstarrende Söldner des Ulbricht-Regimes ... Auch die Ostberliner Feuerwehr ist jetzt in die Befestigungsarbeiten eingeschaltet worden. An der S-Bahnstrecke nach Wilhelmsruh sägten Feuerwehrmänner an sieben Brücken die Baumreihen ab, um Sicht- und Schußfeld zu schaffen. Sie errichteten auch Masten mit Scheinwerfern.

Schlagabtausch

»Telegraf«,
Mittwoch, 16. August 1961:

Als erste Reaktion des Westens auf die Absperrmaßnahmen in Berlin haben die drei westlichen Stadtkommandanten bei den Sowjets in Karlshorst scharfen Protest eingelegt. In den Noten, die gestern Mittag überreicht wurden, werden die Sperren als flagranteste Verletzung des Viermächtestatus seit der Blockade Westberlins bezeichnet. Außerdem sei durch die Absperrmaßnahmen der Sowjetzonenbehörden die Vereinbarung vom 20. Juni 1949 verletzt worden, in der sich die Sowjetunion nach der Aufhebung der Blockade Berlins verpflichtet hatte, die Freizügigkeit zwischen Berlin und dem übrigen Deutschland zu sichern. Bei Ausführung der ungesetzlichen Absperrmaßnahmen hätten militärische und halbmilitärische Verbände, deren Anwesenheit in Ostberlin illegal sei, Ostberlin in ein Heerlager verwandelt. Ein Sprecher des Senats sagte zu den Protestnoten der Stadtkommandanten: Es ist nicht anzunehmen, daß dies das letzte Wort ist.

»Neue Zeit«, Organ der Ost-CDU,
Dienstag, 15. August 1961:

Hilflosigkeit im westlichen Lager nach der Einführung der Schutzmaßnahmen der DDR - das ist das Kennzeichen aller in Bonn, Westberlin, Washington und London abgegebenen offiziellen Erklärungen. Frontstadtbürgermeister Willy Brandt flehte die Westmächte förmlich um aggressive Aktionen gegen die DDR an. Auch Adenauer kraftmeierte in Bonn mit »Gegenmaßnahmen des Westens« ... Und jetzt spielt Brandt eitel Unschuld und entrüstet sich, beruft sich auf Menschlichkeit und Menschenrechte, als ob diese von uns angetastet würden. Wo blieb denn die Menschlichkeit, als man drüben den Menschenhandel organisierte, als man Tausende zum Verrat an ihrem Staat verleitete, als man durch Verlockungen und Erpressungen ungezählte Menschen missbrauchte und dadurch unglücklich machte?

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... Der Londoner »Daily Express« stellte gestern fest: »Im Allgemeinen hat eine Nation das Recht, ihre Grenzen gegenüber ihren eigenen Staatsangehörigen zu schließen.« Das Blatt betont, der Schritt der DDR sei kein Grund zur Panik und fährt fort: »Die ostdeutsche Entscheidung ändert nichts an der Argumentation zugunsten von Verhandlungen.«

»Berliner Zeitung«,
Mittwoch, 16. August 1961:

Am Dienstag hat der Westberliner Verwaltungschef Brandt eine Senats-Sondersitzung fluchtartig verlassen. Er wollte dort scharfmacherische »Maßnahmen« gegen die DDR beschließen lassen. Zweieinhalb Stunden nach Sitzungsbeginn erhielt er den Text einer Äußerung vom Vortag, die Brandt völlige Unfähigkeit bescheinigt. Der Frontstadtchef, der dieser Tage die Niederlage seiner Störpolitik hinnehmen muß, verlor die Nerven, schrie CDU-Bürgermeister Amrehn an: »Ich bin nicht in der Lage die Sitzung weiter zu führen« und stürzte aus dem Zimmer. Adenauer hatte erklärt, wenn Brandt behauptete, die Bundesregierung habe es an Initiative fehlen lassen, um der Isolierung (West-)Berlins entgegenzuwirken, so sei das starker Tobak. Wenn einer von seinen politischen Gegnern mit der größten Rücksicht behandelt worden sei, dann sei dies Herr Brandt, alias Frahm. Diesen Schuß aus dem Hinterhalt hatte Brandt sofort richtig verstanden. Adenauer will die Niederlage von Westberlin nicht mittragen ...

»Der Tagesspiegel«,
Sonntag, 20. August 1961:

Eine 1 500 Mann starke amerikanische Kampfgruppe wird heute zur Verstärkung der Berliner Garnison in Berlin eintreffen. Sie wird auf ihrer Fahrt die Autobahn Berlin-Helmstedt benutzen.

Der Beschluß zur Truppenverlegung wurde in der Nacht zum Sonnabend im Weißen Haus auf einer Konferenz gefasst, an der neben Präsident Kennedy, sein Militärberater General Taylor sowie General Clay, der Rußlandsachverständige Bohlen und Unterstaatssekretär Kohler teilnahmen ... Auch die britische Garnison in Berlin soll eine größere Kampfkraft erhalten. Ein britischer Armeesprecher teilte mit, daß noch am Sonnabend eine Eisenbahnladung von Kampffahrzeugen nach Berlin abgehe und am Sonntagmorgen auf dem Bahnhof Spandau-West entladen werden soll.

»Telegraf«,
Dienstag, 22. August 1961:

Der vom Vorstand des Berliner DGB ausgerufene Boykott gegen die S-Bahn zeigt von Tag zu Tag mehr Erfolg. Der Berliner DGB-Vorsitzende Walter Sickert hat gestern der Berliner Bevölkerung für ihre verständnisvolle Haltung und Unterstützung dieser gewerkschaftlichen Maßnahme gedankt ... Der Präsident der sowjetzonalen »Reichsbahn«-Direktion, Otto Arndt, behauptete nach einer Meldung der Zonen-Nachrichtenagentur ADN in einer Pressekonferenz in Ost-Berlin, die Fahrgeldeinnahmen der S-Bahn in den letzten Tagen bewiesen, »daß die Fahrgäste sich nicht irre machen lassen«. Ohne die Boykottmaßnahmen gegen die S-Bahn ausdrücklich zu erwähnen, meinte er, daß nach den großen Kundgebungen der Berliner am Mittwoch und Sonnabend, »der Terror gegen die S-Bahn sprunghaft zunahm« ... Eine erregte Menschenmenge verursachte am Sonntag Abend auf den S-Bahnhöfen Zoologischer Garten und Innsbrucker Platz lebhafte Auseinandersetzungen. Sie hatte sich in scharfer Form gegen Westberliner Benutzer der unter kommunistischer Verwaltung stehenden S-Bahn gewandt und drohte gegen diese handgreiflich zu werden.

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   171   Dokumentiert Reaktionen auf Mauerbau  Voriges BlattNächstes Blatt
»Telegraf«,
Freitag, 25. August 1961:

Der Berliner Innensenator Lipschitz hat gestern die Schließung sämtlicher 13 Geschäftsstellen der kommunistischen Einheitspartei (SED) in Westberlin angeordnet. Diese Maßnahme geschah auf Grund des § 14 des Polizeiverwaltungsgesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bis zur Wiederherstellung der Freizügigkeit in Westberlin. Kurz nach 18.00 Uhr trafen gestern daraufhin die Polizisten im »Dachbüro« in Neukölln und in den zwölf Kreisbüros ein und forderten Angehörige der SED zum Verlassen der Räume auf. Sämtliche Türschlösser wurden verplombt. Dokumente und Unterlagen der Westberliner SED blieben in diesen versiegelten Dienststellen. Die Schließung der SED-Büros ist eine Antwort des Westberliner Senats auf die Zwangsmaßnahme gegen mehrere SPD-Büros in Ost-Berlin. Wie Innensenator Lipschitz mitteilte, wird man auch gegen die kommunistischen Terrororganisationen in West-Berlin vorgehen. Dazu gehören unter anderem die kommunistische Einheitsgewerkschaft FDGB und der »Demokratische Frauenbund Deutschlands«.

»Neues Deutschland«,
Mittwoch, 23. August 1961:

Ungeachtet aller Warnungen setzen faschistische Rowdies in West-Berlin auf direkte Weisung von Brandt und Lipschitz ihre Terror- und Gewaltakte gegen Mitglieder der SED und anderer demokratischer Massenorganisationen fort. Ungeachtet aller Warnungen werden weiterhin Büros der SED, des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands, der Freien Deutschen Jugend und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes demoliert und gebrandschatzt. Solche Überfälle wurden bereits auf 14 Büros organisiert. Wes Geistes Kind die randalierenden Rowdies sind, beweist die Tatsache, daß die Büros besudelt und mit Hetzlosungen und Hakenkreuzen beschmiert werden.

Gleichzeitig werden die Gewaltakte gegen das billigste Verkehrsmittel der West-Berliner, die S-Bahn, fortgesetzt, S-Bahnwagen zerstört und friedliche Passanten terrorisiert. All diese Willkürakte und Terrormaßnahmen werden von der Stumm-Polizei gedeckt. Als Antwort auf diese fortgesetzten Gewaltakte und die von Brandt und Lipschitz inszenierten Provokationen haben Kampfgruppen der Arbeiterklasse am Dienstag-Vormittag die SPD-Büros in den Kreisen Mitte und Weißensee geschlossen.

»Berliner Morgenpost«,
Freitag, 25. August 1961:

Den Vopos gingen gestern die Augen über: In Seelenruhe setzten sich die alliierten Soldaten an den Sektorengrenzen zu Tisch. Engländer machten im Grün des Tiergartens Picknick. Amerikaner schmausten zwischen Panzern und Schaulustigen in Kreuzberg und Neukölln. Tommys und GIs ließen sich durch den Anblick der »Volksarmisten« den Appetit nicht verderben. Die kommunistischen Topfgucker staunten, als sie mit ihren Ferngläsern auf das Ruinengrundstück Koch- Ecke Friedrichstraße sahen. Da wurden Gartentische und Klappstühle zurechtgestellt. Ein Sergeant holte aus einem Lastwagen Tischdecken, Servietten, Bestecks, Metalltassen (die er geflissentlich mit einem sauberen Tuch auswischte).

Die ersten Mauertoten

»Berliner Morgenpost«,
Mittwoch, 23. August 1961:

Ein Menschenleben haben gestern Ulbrichts brutale Maßnahmen gegen unsere Landsleute im Ostsektor Berlins gefordert. Abgeschnürt von der freien Welt, sprang in ihrer Verzweiflung die 58jährige Ida Siekmann aus einem Fenster ihrer im dritten Stock gelegenen Wohnung in der Bernauer Straße 48 um nach Westberlin zu gelangen. Sie stürzte in den Tod. Schon vor Tagen waren die Eingänge der Ostberliner Häuser an der Bernauer Straße auf Befehl Ulbrichts zugemauert worden.

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   172   Dokumentiert Reaktionen auf Mauerbau  Voriges BlattNächstes Blatt
Fahrbahn und Bürgersteige gehören zum Westberliner Bezirk Wedding. Auch die Tür des Hauses Nr. 48 hatten Bautrupps verbarrikadiert.
     In der Nacht zum Dienstag wurde auch der Eingang zur Versöhnungskirche in Ost-Berlin zugemauert. Das Portal führt auf die Bernauer Straße. Mehr als die Hälfte der Gemeindemitglieder wohnt in Westberlin. Für sie wird von Sonntag an der Gottesdienst in der Kirche Ackerstraße 31/32 stattfinden.

»Telegraf«,
Freitag, 25. August 1961:

Ulbrichts KZ-Wächter mordeten gestern kaltblütig einen Flüchtling. Drei Transportpolizisten, die die Sektorengrenze auf der Eisenbahnbrücke bewachen, eröffneten das Feuer auf den Fliehenden, der durch den Humboldthafen am Lehrter Bahnhof in die Freiheit schwimmen wollte. Von mehreren Schüssen getroffen versank der Flüchtling in den Wellen. Stundenlang versuchten Vopo und Feuerwehr unter Einsatz eines Löschbootes, die Leiche zu bergen. Erst nach Einsatz von drei »Froschmännern« der Ostberliner Feuerwehr, wurde der Tote kurz nach 19 Uhr an Land gezogen.

»Berliner Morgenpost«,
Mittwoch, 30. August 1961:

Die unmenschliche Teilung unserer Stadt hat gestern ein drittes Todesopfer gefordert. Bei dem Versuch, durch den Teltow-Kanal in die Freiheit zu schwimmen, wurde an der Zonengrenze in Lichterfelde ein unbekannter Flüchtling von der Vopo ermordet. Wie Augenzeugen beobachteten, wurde der etwa 30jährige Mann von den Schergen Ulbrichts mit einer Salve aus einer Maschinenpistole niedergeschossen. Die tödlichen Schüsse trafen ihn kurz vor dem rettenden Ufer.
     Soldaten der Zonen-Armee! Ihr und die Vopos sowie alle Mitglieder der Betriebskampfgruppen tragt seit dem 13. August 1961 schwere Verantwortung. Von Euch hängt es ab, ob mitten in Deutschland auf Deutsche geschossen wird.

Kameraden von Euch haben gestern einen jungen Bauarbeiter kaltblütig abgeknallt. Wir sagen Euch: Das ist Mord ... Denkt daran: Kein Mord bleibt ungesühnt!

Johnson und Adenauer in Berlin

»Der Tagesspiegel«,
Sonntag, 20. August 1961:

Als erste Antwort auf Brandts Brief hat Kennedy den Vizepräsidenten Johnson mit einer Botschaft nach Berlin geschickt. Er hat als Begleiter den General Clay mitgeschickt, den die Deutschen und besonders die Berliner, als den amerikanischen Oberkommandierenden während der Blockade in guter Erinnerung haben. Eine bessere Mannschaft konnte Kennedy uns nicht schicken und wir sind ihm von Herzen dankbar dafür, daß er so prompt auf den Ruf des Regierenden Bürgermeisters von Berlin reagierte. Dieses prompte Reagieren war es ja gewesen, was wir vor allem vermißten und dessen Ausbleiben die Wellen der Enttäuschung hochtreiben mußte. Wir Berliner rechnen es Brandt hoch an, daß er die Initiative ergriff.

»Telegraf«,
Mittwoch, 23. August 1961:

Mit mehr Freundlichkeit als erwartet wurde Bundeskanzler Konrad Adenauer gestern während seines Blitzbesuches in Westberlin von der Bevölkerung begrüßt. Tausende winkten ihm auf seiner Rundfahrt durch die Stadt zu, man sah aber vor dem Rathaus Schöneberg auch Plakate kritischen Inhalts. Auf einem stand frei nach Schiller: »Spät kommst Du, doch Du kommst, die nächste Wahl entschuldigt nicht Dein Säumen«, auf einem anderen: »Hier wurde deutsche Geschichte gemacht als Sie auf Wahlreise waren« ... Hervorstechendstes Ereignis der Rundreise Adenauers war der Beifall den ihm Ostberliner an der Sektorengrenze spendeten, obwohl sie von der Volkspolizei weit in den Ostsektor zurückgetrieben und am Stehenbleiben gehindert worden waren.

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   173   Dokumentiert Reaktionen auf Mauerbau  Voriges BlattNächstes Blatt
Trotz aller Bedrohungen winkten viele Hunderte der fernen Kolonne zu ... Höhepunkt der Rundfahrt war ein Besuch der Bernauer Straße, in der die Häuserfront die Grenze des Sowjetsektors bildet. Die vernagelten Türen und die mit meterhohen Betonmauern versperrten Baulücken ergaben ein schauriges Bild des deutschen Elends. Interessiert verfolgten die Grenzposten im Sowjetsektor die Vorgänge auf der Westseite.

»Der Tagesspiegel«,
Mittwoch, 23. August 1961:

Zum Abschluß seines Besuches in Westberlin, der ihn zum Flüchtlingslager Marienfelde, an verschiedene Punkte der Sektorengrenze und ins Rathaus Schöneberg geführt hatte, beantwortete Bundeskanzler Adenauer am späten Dienstag Nachmittag die Fragen eines großen Kreises von in- und ausländischen Journalisten ... Die erste Frage, die an den Bundeskanzler gerichtet wurde, betraf seine Haltung zu Gegenmaßnahmen gegen den illegalen Gewaltakt Ulbrichts in Ostberlin. Adenauer sagte: »Ich wünschte, es gäbe noch mehr Druckmittel als es wirklich gibt. Es sollte versucht werden etwas mehr zu tun, als bisher geschehen ist« ...

Parole: Verhandlungen

»Neue Zeit«, Organ der Ost-CDU,
Freitag, 25. August 1961:

Es gibt in diesen Tagen bitterböse Kommentare in der bundesrepublikanischen Presse und es gibt wohl auch schon Zwistigkeiten innerhalb der Adenauer-CDU. All das ist Ausdruck der Ernüchterung die nach dem 13. August eingetreten ist, der Ohnmacht. »Das Gebäude der Bonner Politik der militärischen Stärke ist zusammengekracht«, lautet die Feststellung in der »Westfälischen Rundschau«. Die Mahner, die es auch in Westdeutschland immer gab, sehen sich gerechtfertigt.

Sie müssen dies um so mehr, als gegen alle Erfahrungen plötzlich auch solche Ausradierer wie Strauß und ebenso sein Kanzler vor den Schrecken eines Atomkrieges warnen und die Parole Verhandlungen aufnehmen. Derselbe Strauß, der im Jahre 1956 nach einer AP-Meldung sagte, daß »die vereinigte Stärke unserer Bundesgenossen ausreicht, um das Reich der Sowjetunion von der Landkarte streichen zu können«, forderte in einer Pressekonferenz am 17. August in München Zurückhaltung, damit die Krise nicht verschärft werde ... Wir können heute feststellen, daß der Gedanke der Verhandlungen triumphiert, daß auch die, die sie bisher wütend ablehnten, plötzlich für Verhandlungen sind. Die Maßnahmen der Regierung der DDR und der Warschauer Vertragsländer haben dazu beigetragen, die Kriegshysterie zu zügeln.

In Ostberlin: Produktionsaufgebot

»Berliner Zeitung«,
Donnerstag, 7. September 1961:

Die Arbeiterinnen und Arbeiter der Abteilung Elektrodendreherei im VEB Elektrokohle Berlin-Lichtenberg rufen in einem Brief alle Arbeiter, Angehörigen der Intelligenz und Angestellten unserer Republik auf, sich an einem Produktionsaufgebot zur Vorbereitung des Friedensvertrages zu beteiligen. Der Aufruf wurde Mittwoch auf einer Abteilungsgewerkschafts-Versammlung beraten und beschlossen. Der Aufruf hat folgenden Wortlaut ... In Berlin haben wir Werktätigen der Deutschen Demokratischen Republik am 13. August einen großen Sieg errungen. In Berlin siegte der Frieden über die Kriegstreiber, die noch einmal die blutige Herrschaft des deutschen Militarismus über ganz Deutschland und Europa ausdehnen wollen. Der 13. August 1961 zeigt: »Je stärker die Deutsche Demokratische Republik, desto stärker der Frieden in Deutschland!« ...

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»Anweisung der Sowjets«

»Der Tagesspiegel«,
Donnerstag, 26. Oktober 1961:

Sechs Stunden stand gestern die amerikanische Garnison in Berlin in Alarmbereitschaft, nachdem sich am Morgen die Situation am Sektorenübergang Friedrichstraße durch das Verhalten der »Volkspolizei« zugespitzt hatte. Amerikanische Panzer fuhren auf. Die Amerikaner forderten die Vopos auf, einen Sowjetoffizier zu holen. Mit diesem wurde eine Unterredung zwischen dem US-Stadtkommandanten General Watson und dem sowjetischen Stadtkommandanten Oberst Solowjew vereinbart. General Watson hat im Auftrag der amerikanischen Regierung bei den Sowjets gegen die Behinderung amerikanischer Beamter beim Betreten Ostberlins durch die Vopo protestiert und nachdrücklich die unveränderte amerikanische Haltung bekräftigt, daß eine Kontrolle amerikanischer Militär- und Zivilbeamte durch sowjetzonale Behörden nicht geduldet wird ...

»Der Tagesspiegel«,
Sonnabend, 28. Oktober 1961:

Das amerikanische Außenministerium hat gestern die Auffassung vertreten, daß der Aufmarsch sowjetischer Panzer in Ost-Berlin ein »verspätetes Eingeständnis« der Sowjets sei, daß sie für Ost-Berlin verantwortlich sind. In ähnlichem Sinne hat sich auch in Berlin General Clay geäußert. Er sagte, nach dem Erscheinen sowjetischer Panzer an der Friedrichstraße sei die Vorspiegelung, daß die Zonenbehörde aus eigener Machtvollkommenheit Kontrollen an der Grenzlinie ausübten, zerstört worden. Die Auffahrt der sowjetischen Panzer beweise, daß die neuen Schwierigkeiten an der Sektorengrenze nicht durch das Zonenregime von sich aus entstanden seien, sondern durch eine Anweisung der Sowjets.

Zusammengestellt von Horst Wagner

Inter - Inter - Inter

Es stinkt schon langsam in den Himmel
der so genannte Interfimmel.
Es gibt Intershop und Intertank,
auch Interflug gibt's, Gott sei Dank!

In großen Städten baut man heuer
Interhotels - groß und teuer.
Die Toilette darum, das is'
das so genannte Interpiss!

Der größte Knüller, den wir sah'n
steht an der Leipziger Autobahn -
ein Parkplatz nur für Westtouristen
und für den Fall, dass sie mal müssten!

Es stimmt uns heiter und auch froh -
ein blaugefliestes Interklo.
In diesen still verträumten Winkeln
da kann man nur für Westgeld pinkeln!

Legt sich der Darm bei uns in Falten,
wir dürfen da noch lang nicht halten.
Wir hocken stöhnend in den Büschen
und müssen uns mit Gras den Hintern wischen.
Über kahle Backen pfeift der Wind,
weil wir eben nicht Inter sind!

So fehlt uns neben Frau und dem Suff
nur noch ein schöner Interpuff,
wo ein devisenkräftiger Mann
auch einmal Interbumsen kann!!!

(Dieser Text ist original DDR-gedichtet und DDR-Maschine geschrieben, ca. 1970 - auch heute noch amüsant und erinnerungsträchtig)

Aus: Rundbrief des Vereins zur Dokumentation der DDR-Alltagskultur, Nr. 11, Februar 2001

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/2001
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