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Klaus Duntze
Die Könige und ihre Gärten

Zum Abgesang ein Brief an Preußen

Ach Gott, du liebes Preußen! Seit einem Jahr versuche ich in der »Berlinischen Monatsschrift«, dir auf die Spur zu kommen, herausgefordert und irritiert durch die Erfahrungen mit der Potsdamer Kulturlandschaft. Die - immer noch - betörend schönen Parks und Gärten, die Reste der einst einmaligen Barockstadt, die Imagination des Früheren, unwiderruflich Vergangenen, all diese Eindrücke sind ineinander verwoben zum Mythos des Preußischen Arkadiens. Aber das Bild hatte Risse, nicht erst durch die Zerstörungen des Krieges und der sozialistischen Umgestaltung, sie sind schon im Bild selbst, in der Konzeption.
     In einer Fachtagung zur Potsdamer Kulturlandschaft 1994 stellte der Berliner Stadtplaner Urs Kohlbrenner seine Fragen an den Mythos von der Insel Potsdam und ihrer Identität: »Dazu haben wir eine verblüffende Feststellung gemacht - Potsdam erscheint in zwei sehr gegensätzlichen Bildern: Als Gartenreich oder als Garnisonstadt. Dennoch ist vom >Gesamtkunstwerk< die Rede ...

Weil Gartenkultur und Kriegswesen als zwei unvereinbare Lebensentwürfe erscheinen, halten wir es für notwendig, die in Potsdam festzustellende Beziehung offenzulegen. Es gibt kaum einen friedfertigeren Aspekt des menschlichen Lebens als die Existenz im Garten; die Pflege des Besonderen, des Fremden innerhalb der vorgegebenen Grenzen. Ganz anders das Kriegswesen, das auf ständige Ausweitung der Grenzen orientiert, das Fremde bekämpft und schließlich das Leben vernichtet. Für Potsdam erscheint uns die Aufklärung dieses Zusammenhanges zwischen zwei prinzipiell unversöhnlichen Aspekten menschlicher Tätigkeit auch deshalb besonders erforderlich, weil eine fast bruchlose Kontinuität zu diesem Zusammenhang festzustellen ist. Fast alle Herrscher waren an Kriegen beteiligt und mehr oder weniger haben sie alle Anteil am Potsdamer Gartenreich.«
     Ja, du liebes Preußen, da war nun dieser Widerspruch, der noch einmal offensichtlich wurde an den Überlegungen und Planungen zum Bornstedter Feld, dem großen Militärgelände im Potsdamer Norden, umgeben von einem Kranz unzerstörter und bis zur Wende genutzter Kasernen. Dieser martialische Keil im Lennéschen Gartenreich zwischen Ruinenberg und Pfingstberg gelegen, tabu für die Aufschmückung der Landschaft! Die Konversion des Bornstedter Feldes in friedliche Nutzung sollte die Gespenster des Krieges aus Preußens erster Garnisonstadt verbannen: Gartenstadt und Bundesgartenschau in einem.
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Überwindung des Widerspruchs durch Stadt- und Grünplanung? Mit Gespenstern, zumal so eingesessenen und martialischen, ist nicht zu spaßen; die Kontaminierung solcher Flächen reicht tiefer als bis in das Grundwasser, sie reicht in die Geschichte. »Fast alle Herrscher waren an Kriegen beteiligt, mehr oder weniger haben sie zugleich alle Anteil am Potsdamer Gartenreich.«
     Und da fand ich dann meinen eigenen Schlüssel zu diesem so eigenen, so preußischen Phänomen, einen einzigen Satz aus einem Dichterstück, aus Kleists »Prinzen von Homburg«. Natalie, die Tochter des Großen Kurfürsten (1620-1688, Kurfürst ab 1640), streitet mit ihrem Vater über Homburgs siegreiche Insubordination in der Schlacht von Fehrbellin. Der Kurfürst besteht auf Kriegsgericht und Todesurteil, um die Disziplin in Heer und Staat zu wahren. Die Tochter weiß mehr, und sagt es ihm: »Das Kriegsgesetz, ich weiß es wohl, soll herrschen. Jedoch die lieblichen Gefühle auch!« So hat Heinrich von Kleist (1777-1811) dich erträumt als ein menschliches Preußen in aller auch militärischen Stärke, ein Traum, an dem er persönlich wie als Künstler gescheitert ist: Dein Königshaus wollte von seinem Werk, »auf den Knien seines Herzens« dargeboten, nichts wissen. Und doch haben sie alle so gelebt und gehandelt, vom Großen Kurfürsten an, der sich die Parole seines Freundes Moritz von Anhalt-Siegen (gest. 1679) zu Eigen machte,
der gern zitierte: »Das gantze Eyland muß ein Paradies werden!« bis hin zu Wilhelm II., letzter Monarch in Preußen und in Deutschland (1859-1941, König und Kaiser 1888-1918), der dem Park von Sanssouci mit dem Kronprinzen-Schloss Cecilienhof und vielen Erweiterungen der Gartenlandschaft ihre letzte Form gab. Seit 1926 wird das über zwei Jahrhunderte gewachsene Ensemble des Parks Sanssouci mit seinen unterschiedlichen Formstilen denkmalpflegerisch betreut.
     Die Gärten der Könige, ich habe versucht, dieser grundlegenden Ambivalenz von Kriegsgesetz und lieblichen Gefühlen bei den einzelnen Herrschern nachzugehen, zu sehen, wie sie die Nötigung zu Krieg und Rüstung in Politik und Regierung umsetzten und wie sie ihrer Sehnsucht nach dem Paradies auf Erden - denn Paradies ist ja nichts anderes als der Garten, in dem Menschen versöhnt miteinander und mit der Natur leben können - Gestalt zu verleihen suchten, monarchisch, autokratisch und doch eben sehr menschlich.
     Aber, du liebes Preußen, 1947 hat man dich durch Kontrollratsbeschluss der Alliierten aufgelöst als die Brutstätte des deutschen Militarismus und Ausgangspunkt der letzten Weltkatastrophe. Zu Recht, zu Unrecht - Historiker und Politiker streiten darüber, selbst heute werden Stimmen laut, die sich für das gemeinsame Bundesland Berlin-Brandenburg den alten Namen Preußen wünschen.
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Gott behüte - Geschichte lässt sich nicht zurückdrehen. Und dass es zu deiner Auflösung gekommen ist, hat ja auch seine Geschichte und schlimme Logik. Ein Abgesang war's, Abgesang auf diese spannungsvolle Ambivalenz von Kriegsgesetz und lieblichen Gefühlen, von der Sehnsucht nach der Blüte von Stadt und Land in einem Allgemeinen Landfrieden bei politisch-militärischer Unabhängigkeit, denn diese löste sich mit der Reichsgründung 1871 in Großmachtstreben und Weltgeltungsanspruch auf -, dass Preußen in Deutschland aufging (oder umgekehrt?), hat dir nicht gutgetan.
     Es hat ja schon früh angefangen, schon beim vierten Friedrich Wilhelm (1795-1861, König 1840-1858), dem Romantiker auf dem Thron, dem königlichen Architekten und Planungspartner des großen Lenné (1789-1866), der das Potsdamer Gartenreich in seine unvergleichliche Form brachte. Der König hatte in der Berliner Luisenstadt die katholische Garnisonkirche bauen lassen. Die Figur des Erzengels Michael aber, die das Gotteshaus krönt und ihm den Namen verlieh, hat neben ihrer fromm-ästhetischen Bedeutung noch einen anderen, sehr brutalen Bezug: Als Duplikat steht sie zum einen auf dem
Schloss Cecilienhof

Alten Friedhof in Karlsruhe zur Krönung des Ehrenmals für die bei der Niederschlagung der Badischen Revolution 1848/49 gefallenen Soldaten, zum anderen hinter dem Schloss in Babelsberg als Hommage des Königs an den Feldherrn dieses Kriegszuges, den >Kartätschenprinzen< Wilhelm, seinen Bruder und späteren König von Preußen und ersten Deutschen Kaiser (1797-1888).

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Eigenartige Frömmigkeit, die Maxime »Gegen Demokraten helfen nur Soldaten« mit dem Heiligen Michael zu garnieren. Und - Schinkel (1781-1841) hin, Persius (1803-1845) und Strack (1805-1880) her - passt Wilhelms Babelsberger Normannenschloss so richtig in die Schlösser- und Gartenlandschaft um die Havel? Nach Wilhelm I. kam Wilhelm II.; der 99-Tage-Kaiser Friedrich III. (1831-1888) bekam vom Schicksal keine Chance, die Liberalität in Preußen zu erneuern: »Von nun an ging's bergab«, wie Hildegard Knef zu singen pflegt.
     Von nun an ging's bergab mit dir, du liebes Preußen. Natürlich nicht in der wirtschaftlichen Entwicklung, bestimmt nicht in der weltpolitischen Bedeutung, auch nicht im Aufwand für Schlösser und Gärten. Der König und Kaiser nahm seinen Wohnsitz im Neuen Palais, ließ es modernisieren, gar einen hydraulischen Aufzug einbauen, wo der Alte Fritz (1712-1786, König ab 1740) noch zu Fuß gegangen war, ließ dem Park Pflege angedeihen, erneuerte Friedrichs Belvedere über den Weinbergterrassen, ließ Georg Potente (1876-1945) den Klausberg nach Bornstedt hin arrondieren mit dem Potente-Stück im skandinavischen Stil und die vierreihige Lindenallee, die Krimhildallee zwischen Orangerie und Belvedere anlegen, erweiterte die Terrasse vor der Orangerie zu der grandiosen Treppenanlage, die wir heute bewundern und gar nicht daran denken, dass sie erst 1913 fertiggestellt wurde.
(Dafür mussten das Hofgärtnerhaus des Herrmann Sello (1800-1876) und das Wohnhaus der Witwe Persius sowie das beliebte Café Bluhm - das die Herrschaften sowieso störte - abgerissen werden.) Das anschließende Hippodrom, aufgeschmückt durch die monumentale Figur des Bogenschützen von Ernst Moritz Geyer (1861-1941), verbindet auf gelungene Weise die Anlage der Orangerie mit der Hauptachse des Parks zwischen dem Obelisken und dem Neuen Palais.
     Auch dessen Umgebung wurde viel Aufwand zuteil. Emil Sello (1816-1893) und Georg Potente durften Anfang des Jahrhunderts das Parterre vor dem Schloss und die angrenzenden Heckenquartiere umgestalten. Im nördlichen entstand der Rosengarten der Kaiserin Augusta, (1811-1890), die ihre eigenen eigenwilligen Vorstellungen einbrachte, daran angrenzend ein Spiel- und Turnplatz für die sechs hochgeborenen Söhne. Und nicht weit vom Denkmal Lennés, mit dem König Friedrich Wilhelm IV. seinen Gartenschöpfer ehrte (wozu er ihn am 7. Juni 1848 um 4 Uhr früh »buchstäblich aus dem Bett klopfte, um den Ahnungslosen zu der tags zuvor ... als Herme aufgestellten Marmorbüste zu führen«1)) findet sich in die friedliche Rasenlandschaft eingebettet das Miniaturfort, Geschenk der Firma Krupp an die Kaisersöhne, in dem sie mit ihren Kameraden nach Herzenslust Krieg spielen konnten.
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Sicher, alle deine Prinzen, liebes Preußen, wurden mit dem sechsten Lebensjahr in Uniform gesteckt und bekamen als Zehnjährige das Leutnantspatent, aber die Kinderfestung im Wiesengrund?
     Vom Kaiservater wird erzählt, dass er bis zu sechsmal am Tag die Uniform wechselte - Zivil trug er sowieso erst im Exil - und sehr stolz auf das britische Admirals- und Feldmarschallkostüm war, mit dem ihn die englische Verwandtschaft bei Laune zu halten suchte, nicht anders als der russische Zarenvetter (Nikolaus II., 1868-1918, Kaiser 1894-1917). Es ging bergab in den Krieg und - Schuldfrage hin, Kriegsursache her - mit kriegerischen Operationen spekulierte und handelte man damals wie heute mit Aktienpaketen, Fusionen und feindlichen Übernahmen. Was Preußen-Deutschland sich seinem Renommee schuldig glaubte - der Kaiser brachte es in die haarsträubenden Formulierungen, welche die anderen Völker verschreckten, den Diplomaten schlaflose Nächte und unsägliche Mühen mit der Bereinigung der dadurch verursachten Krisen bereiteten.
     Aber es sollte ja immer so weiter gehen mit Hohenzollernglanz und Preußens Gloria. Dem ältesten Kaisersohn Wilhelm (1882-1951) war das Marmorpalais zu klein und unbequem, ein Kronprinzenschloss musste her, Cecilienhof in die letzte Ecke des Neuen Gartens elegant eingepasst,
im englischen Landhausstil vom Architekten der Bodenständigkeit Schultze-Naumburg (1869-1949) entworfen, »nur« 176 Räume um fünf Höfe, und doch sehr ländlich, fast bescheiden wirkend, eine Meisterleistung an Architektur und Wohnlichkeit, 1913 begonnen und zum Kriegsende fertig gestellt. Bis dahin war es schon bergab gegangen. Der Kaiser in Doorn im Exil, der Kronprinz auf der holländischen Insel Wiersching interniert, die Schlösser leer in Wartestellung - auf wen, auf was? In der Weimarer Republik nur noch denkmalpflegerisch betreut, da war kein gestaltender Wille mehr, die Sehnsucht nach einem Paradies auf Erden ging eher auf die Kleingartenkolonie und ihrer Zeltstadt »Kuhle Wampe«, vor allem aber auf gerechte gesellschaftliche Verhältnisse statt auf Parks und Schlossgärten. Immerhin behielten bei der Fürstenabfindung die Hohenzollern das Wohnrecht in Cecilienhof auf drei Generationen, und Wilhelm II. durfte sich 51 Eisenbahnwaggons mit Schlössereinrichtungen und Kunstgegenständen nach Holland kommen lassen - komfortables Exil!
     Aber es ging noch weiter bergab. Hitler (1889-1945) war dreimal in Cecilienhof, um mit dem Stahlhelm-Kumpan Kronprinz Wilhelm Politik zu machen, ihn sogar zur Kandidatur gegen Hindenburg als Reichspräsident zu bewegen.
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Zwar war die gegenseitige Sympathie nicht sehr ausgeprägt, aber beim »Tag von Potsdam« am 21. März 1933 war der Kronprinz in großer Uniform an Hitlers Seite, um die nationale Erhebung zu feiern. Martialische Zeiten haben keine Verwendung für liebliche Gefühle; ach Preußen, deine Tugenden mutierten zu den Leitparolen für die deutsche Jugend: »Hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder, flink wie die Windhunde!« So gingen sie fast alle gläubig, nur wenige skeptisch, in den Zweiten Weltkrieg, verführt vom braunen Mythos eines neuen größeren Deutschlands. Und du, Preußen, sollst das gewesen sein? Du warst es auch, warst es, seit die Spannung verloren ging zwischen der notwendigen staatlichen Selbstbehauptung in der Mitte Europas unter stärkeren Mächten und der Sehnsucht nach einem versöhnten Leben der Menschen miteinander und mit der Natur. Doch die war ja als Lebensgrund schon lange an den Rand gerückt und überformt von Wissenschaft, Technik und Industrie. Seit 1846 durchquert die Eisenbahn Arkadien, legte Knotenpunkte in die Feldflur, wuchsen und verbreiteten sich die Straßen, ersetzten Fabrikschornsteine als Landmarken die Kirchtürme. Das Lennésche Gartenreich driftete ab in die Ästhetik, vielfach beschnitten, reduziert und überformt. Gut zum Spazierengehen und als Kulisse für »events«.
     Davon haben die Nationalsozialisten zur höheren Ehre der Herrenrasse denn auch reichlich Gebrauch gemacht.
Wolf Jobst Siedler beschreibt in seinem Büchlein über die Pfaueninsel ein Fest zum Abschluss der Olympischen Spiele 1936 mit der ganzen politischen Prominenz, von den Söhnen Mussolinis bis zum Internationalen Olympischen Komitee, mit Rasenfest, Ballettdarbietungen im Fackelschein, jungen Mädchen in Kostümen des 15. Jahrhunderts als Pagen. »Kurz vor Mitternacht beginnt das Feuerwerk. Goebbels als Gastgeber will, daß es das größte wird, das die Welt je gesehen. Tatsächlich steigen die Raketen so hoch in den nächtlichen Himmel, daß die Menschen auf den Straßen und Plätzen Potsdams stehen und über die dunkle Wasserfläche zur Insel blicken. Aber man übertreibt es; es ist zwar imposant, aber nicht auf die gewünschte Weise. ,Die prasselnden Raketen machten den Eindruck eines >gewaltigen Artilleriefeuers<, schreibt François-Poncet (der französische Botschafter) in sein Notizbuch, und Dodd (der amerikanische Botschafter) notiert, daß sich ,viele Leute über diese Form von Kriegspropaganda beschwerten. Der Lärm der Explosionen erschütterte den Erdboden. Alle Welt hatte Assoziationen.«2)
     Das passte zur nationalistischen Vermarktung der gesamten preußisch-friderizianisch-potsdamer Tradition für die arische Großmacht-Ideologie, ausgespielt bis zum bitteren Ende, das auch Durchhalte-Filme wie »Fridericus Rex« und »Kolberg« so wenig aufhalten und wenden konnten wie die versprochenen Wunderwaffen;
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der Tod Roosevelts 1945 war eben nicht der Tod der Zarin Elisabeth 1762.
     Und so kam es mit dir, liebes Preußen, auf den Punkt. Punktum in Cecilienhof; das unversehrte Schloss taugte für die Siegerattitüde, zu der Stalin die Alliierten in das eroberte Preußen einlud. Die Villenkolonie Babelsberg wurde beschlagnahmt, geräumt und in allierte Zonen aufgeteilt, die Delegationen fuhren auf der Pontonbrücke über die Havel zum Neuen Garten, der Konferenztisch, 3,05 Meter im Durchmesser, war von Moskauer Tischlern gefertigt, die Möblierung aus den Potsdamer und Berliner Schlössern zusammengeholt. Damit begann die Nachkriegszeit, der Kalte Krieg, die Teilung Deutschlands, dein Ende, Preußen, als Staat, die Aufteilung des Landes in Verwaltungsbezirke.
     Aber Potsdam, wiewohl verheert und geschändet, die Parks und Gärten waren noch da, die Rote Armee stellte sich schützend vor das Kulturerbe, vor die Erscheinung, die Gestalt, nicht vor die Inhalte, die waren in Verruf, du, Preußen, warst der Schoß, aus dem das alles gekrochen war und nie mehr hecken sollte. Man hat die Schlösser unschuldig gemacht, die Gartenanlagen ihren Urhebern entfremdet, Denkmale, die nichts zu denken geben, erst spät hat sich die DDR zu Friedrich II. bekannt und seine Statue wieder unter die Linden gestellt.
Aber die Kasernen zu Potsdam, die seltsam unzerstörten, füllten sich wieder mit Roter Armee und Nationaler Volksarmee, auf dem Bornstedter Feld mahlten weiter die Panzerketten und gellte das »Sprung auf! Marsch Marsch!« Und Arkadien, ach dein Arkadien, Preußen, erlitt die deutsche Teilung am eigenen Leibe, Mauer und Stacheldraht am Jungfernsee, Grenzhundetraining im Schloss Sakrow, die Heilandskirche herausgestellt vor die Grenzanlage und dem Verfall ausgesetzt, der Schlosspark Babelsberg so grenztechnisch verwüstet, dass nach der Wende nur mit gartenarchäologischer Feinarbeit die alten Wege und Geländemodellierungen wieder aufzufinden waren - ein Glück, dass einem Zeugen der Zerstörung , dem Gärtner Eisbein, die Wiederherstellung des Parks übertragen werden konnte. Die sozialistischen Machthaber konnten die Geschichte nicht achten, die in ihrer Ambivalenz diese Potsdamer Insel mit ihren Parks und Kasernen hervorgebracht hatte. So konnten sie auch die Gestalt nicht schätzen, die sich im Torso der Stadt und der umliegenden Gartenlandschaft eingeliefert hatte in die neue Zeit. Hochhäuser in die Sichtachsen Arkadiens gestellt, so schlimm wie die Preisgabe des Schlosses und die Zuschüttung des Stadtkanals, die Sprengung der Garnisonkirche, ach, die Erinnerungen an den »Tag von Potsdam« lassen sich nicht wegsprengen, wer wieder von Deutschlands Größe träumen will, erfindet sich seine Symbole selbst.
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Die Konversion, die Erlösung des verkommenen Preußens aus seinem Niedergang hat in der sozialistischen deutschen Republik nicht stattgefunden.
     Ging's bergauf nach der Wende mit dir, verblichenes Preußen? Hat man unterscheiden gelernt zwischen den Zeiten, da du dich im spannungsvollen Gleichgewicht halten konntest zwischen Kriegsnotwendigkeit und Friedensfähigkeit, zwischen Anspruch an Achtung unter den Völkern und Bescheidung auf das dir Mögliche und Gemäße, und den Zeiten, da du dich dahin überhoben hast, dass an deinem Wesen nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt genesen sollte? Wie ging es dir damit, als des Großen Friedrichs Gebeine nach so langem Exil endlich in die selbstgewählte Gruft gelangten? Aber eben nicht bei Dunkelheit und Fackelschein, sondern als Staatsakt des gewendeten Deutschland? Es ist schön geworden in deinen Potsdamer Gärten, auch die Schlösser strahlen wieder in frischem Glanz, und das Armee-Museum der DDR ist wieder nur das Marmorpalais, ohne Geschütze und Düsenjäger vor der Tür.
     Nur: Arkadien ist dahin. Und sie verstehen es nicht, die den Faden derzeit weiterzuspinnen vorgeben, Arkadien sagen und Geld meinen. Die Projektentwickler der Luxusvillen im italienisierenden Stil am Glienicker Horn reden unverfroren
vom neuen Arkadien, behaupten, Schinkel, würde er heute für sie arbeiten, würde so und nicht anders bauen. Der Entwicklungsträger Bornstedter Feld zerteilt im Einvernehmen mit der Bundesgartenschau die weite Fläche durch eine Verkehrsachse mit eingebetteter Straßenbahntrasse (die das Weltkulturerbe Alexandrowka von der Russischen Kirche auf dem Kapellenberg trennt; das war der städtebauliche Auftakt), suggeriert mit Gartenanlagen einen Volkspark, wo nach der BUGA Häuser stehen werden, schafft einen Alibiweg zwischen Ruinenberg und Pfingstberg, auf dem sich Lenné über die alte Militärbrache hinweg von dem einen seiner Höhe-Punkte zum anderen schlängeln darf. Aber man darf nicht ungerecht sein: Es gibt auch schöne Ecken, wie den so genannten Waldpark im Schragen zwischen der Verkehrstrasse und der Nedlitzer Straße, die Wälle der ehemaligen Militäranlage sind fantasievoll in Garten- und Spielanlagen transformiert, und die Einbeziehung und Restaurierung der Bornstedter Feldflur ist eine echte Hinwendung zu Lennés Landschaftskulturwerk. Nur der Park ist kein Park, sondern eine Ansammlung von mehr oder weniger artifiziellen Freiflächen um ein vorübergehendes Gartenspektakel, das in eine grüne Vorstadt mündet; mit dem Entwicklungsträger Bornstedter Feld hat man den Bock zum Gärtner gemacht.
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Ach, liebes Preußen, wir haben mehr erwartet von dieser Konversion, dass zur Ruhe kommt die böse Zeit der militanten Überheblichkeit in Braun und Rot, damit wir dich, bei aller Kritik, wieder wahrnehmen können. Wir haben gehofft, dass die Haltung der Potsdamer Gärtner Schule macht in Stadt und Land, der wohl einzigen Menschengruppe, die dies Besondere an dir versteht, es hegt, pflegt und bewahrt: Wenigstens in der Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten, in seinen Mitarbeitern lebt die Verpflichtung auf die lieblichen Gefühle, nun im Streit mit dem Kriegsgesetz des Geldes um die Anerkennung als Weltkulturerbe der UNESCO. Aber die Frage, wie denn wir heute in der Spannung leben können zwischen der persönlichen wie der kollektiven Selbstbehauptung und dem Wissen, dass nicht nur Menschen einander Geschwister sind, sondern auch die belebte und unbelebte Natur ihr Recht auf Partnerschaft einlösen möchte, wird nicht gestellt auf der Bundesgartenschau, geschweige denn in der Stadt und unter ihren Bewohnern. Dein Erbe, viel geschmähtes Preußen, hüllt uns ein mit seinem grüngoldenen Reichtum, greift uns ans Herz, geht uns in den Sinn. Möchte es uns auch durch den Kopf gehen, dass die Sinne Besinnung auslösen, wir uns nicht abfinden mit der Preisgabe der überlieferten Kostbarkeiten und dem Vertun der gebotenen Chancen für eine wohnliche Welt in Potsdam und Umgebung. »Das gantze Eyland muss ein Paradies werden« - die Forderung gilt noch und immer wieder. Und darin seien sie aufgehoben, die Könige und ihre Gärten.
     Es grüßt dich, liebenswertes, fragwürdiges Preußen, dein zweifelvoller Verehrer K. D.

Quellen:
1 Friedrich Wilhelm IV., Künstler und König, Ausstellungskatalog Potsdam 1995, Seite 69
2 Wolf Jobst Siedler, Auf der Pfaueninsel, Berlin 1986, Seite 86f

Bildquelle: Repro LBV

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 5/2001
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