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Annette Vogt
Eine vergessene Widerstandskämpferin

Die Wissenschaftlerin Margot Sponer (1898-1945)

Am 20. Juni 1935 wurde an der Philosophischen Fakultät der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität das Promotionsverfahren von Margot Sponer endlich abgeschlossen. Sie hatte mit der Arbeit »Altgalizische Urkunden« des 13. bis 15. Jahrhunderts bei den Professoren Ernst Gamillscheg (1887-1971) und Eduard Wechssler (1869-1949) promoviert, die das höchst selten vergebene »eximium« (ausgezeichnet) gaben. Die Prüfung, die sie mit »magna cum laude« bestand, hatte bereits am 23. Juli 1931 stattgefunden. Die Verzögerung des Verfahrens um fast genau vier Jahre hing mit den Zeitumständen, aber auch mit dem Problem der Drucklegung der Promotionsschrift zusammen.1)
     Der Dekan der Fakultät, der Mathematiker und seit 1933 fanatische Nazi-Anhänger Ludwig Bieberbach (1886-1982), vermerkte in einer Notiz, dass die Dissertation in Spanien gedruckt werde und die Fakultät damit einverstanden sei, und mit Sponer »... nicht nur kostenlose(r) Druck der Arbeit, sondern darüber hinaus sogar noch ein Honorar« vereinbart wurde.2) Wer war diese ungewöhnliche Promovendin?


Margot Sponer

Tochter aus gutem Hause

Margot Sponer wurde am 10. Februar 1898 in der Stadt Neisse in Schlesien geboren und machte 1919 als Externe ihr Abitur in Quedlinburg. Anschließend studierte sie Sprachen, zuerst klassische Philologie, dann Romanistik und Germanistik, später noch Arabisch. Sie studierte an den Universitäten in Halle, Leipzig, Neapel, Grenoble, Madrid und Berlin. Im Lebenslauf zur Dissertation schrieb sie: »Längere und öftere Reisen nach Frankreich, Italien, Spanien, Portugal und Algerien vervollständigten meine Studien.«3) Ihre Eltern, der Kaufmann Robert Sponer und Elsbeth, geb. Heerde, ermöglichten ihr eine exzellente Ausbildung.

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Dabei war sie nicht das einzige Kind, das studierte. Ihre ältere Schwester Hertha Sponer (1895-1968) hatte Physik studiert und wurde eine bekannte Wissenschaftlerin.
     Sie war neben Lise Meitner (1878-1968, Habilitation 1922 in Berlin;) und Hedwig Kohn, (1887-1964, Habilitation 1930 in Breslau) die dritte habilitierte Physikerin in Deutschland zwischen 1919 und 1945. 1932 wurde sie außerordentliche Professorin an der Universität Göttingen.4)
     Ungewöhnlich verliefen die vier Jahre zwischen Prüfung und Abschluss des Verfahrens. Margot Sponer erteilte von April 1929 bis zum Wintersemester 1932/33 Spanischunterricht an der Berliner Universität.5) Sie trug damit zu ihrem Lebensunterhalt bei, bereitete sich auf die Prüfungen vor und fertigte ihre Dissertation an.
     Mit der Machtübergabe an die NSDAP und den verheerenden Folgen auch für die Berliner Universität schien sie zunächst nicht nur die Universität, sondern auch das Land verlassen zu haben. Zwischen dem Vermerk über ihren Spanischunterricht und der Erteilung eines Lehrauftrages für Spanisch an der Philosophischen Fakultät 1937 klafft eine Lücke von - wiederum - vier Jahren.6) Wo war Margot Sponer zwischen Frühjahr 1933 und Frühjahr 1937? Was hat sie gemacht? Bisher ist nichts darüber bekannt. Mindestens zeitweise dürfte sie sich in Spanien aufgehalten und den Druck ihrer Dissertation vorbereitet haben.
Ihre Schwester Hertha war im Sommer 1933 an die Universität Oslo in Norwegen gegangen. Nach Beginn des NS-Regimes und der Vertreibung vieler Gelehrter, darunter ihres Lehrers und Freundes James Franck (1882-1964), ließ sie sich von der Universität Göttingen beurlauben und arbeitete zwei Jahre in Oslo. 1936 folgte sie Franck in die USA. An der Duke University in Durham wurde sie bald eine anerkannte Spezialistin. Ihr gelang es 1939, zur Rettung Hedwig Kohns aus Nazi-Deutschland beizutragen.7)
     In Oslo vermied es Hertha Sponer noch, als Emigrantin aufzutreten. Sie wollte nicht aufs Spiel setzen, ihre Verwandten in Deutschland besuchen zu können. Es scheint möglich, dass Margot Sponer eine ähnliche Strategie wählte und auf Grund ihres Spezialgebietes nach Spanien reiste.
     Bekannt ist, dass Margot Sponer 1934 die Vorträge ihrer Schwester Hertha übersetzte, die im Dezember zu einem Vortragsaufenthalt in Madrid eingeladen war.8) Aus den überlieferten Briefen Hertha Sponers geht jedoch nicht hervor, wo ihre Schwester zu dieser Zeit lebte und wovon. Auch Margot Sponer vermied es offenbar, als Emigrantin angesehen zu werden, anscheinend aus denselben familiären Gründen wie ihre Schwester. Der Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges im Sommer 1936 vereitelte ihre Berufspläne, und sie kehrte nach Deutschland zurück.
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Lehrbeauftragte an der Universität

Als ausgezeichnet promovierte Expertin bekam Margot Sponer am 26. April 1937 einen Lehrauftrag für Spanisch an der Philosophischen Fakultät der Berliner Universität. Von 1937 bis 1940 stand sie im Dienst der Philosophischen Fakultät, die 1936 aus der Teilung der alten Philosophischen in eine Mathematisch-Naturwissenschaftliche und eine Philosophische hervorgegangen war.9) Ab April 1940 erhielt sie ihren Lehrauftrag für Spanisch von der - neugebildeten - Auslandswissenschaftlichen Fakultät.10) Ab Dezember 1940 nahm sie außerdem einen Lehrauftrag für Spanisch - in Vertretung - an der Wirtschafts-Hochschule in der Spandauer Straße wahr.11) Vom 15. Oktober bis zum 1. November 1940 sowie von September bis Oktober 1941 waren ihr jeweils Studienreisen nach Spanien genehmigt worden.12)
     Franco-Spanien galt zwar als Verbündeter Nazi-Deutschlands, dennoch war es relativ ungewöhnlich, dass einer Lehrbeauftragten Forschungsreisen genehmigt wurden.
     Ein Jahr später, zum 1. Oktober 1942, erfolgte unerwartet ihre Entlassung aus der Universität, ohne dass ein Grund überliefert ist. Im Antrag der Fakultät an das Reichserziehungs-Ministerium vom 28. Juli 1942 hieß es lediglich,

dass die Entlassung wegen Unverträglichkeit Sponers mit dem Leiter der spanischen Abteilung in der Auslandswissenschaftlichen Fakultät, einem Herrn Noeli, erfolgen soll.13) Das Ministerium stimmte der Fakultät und nicht der Eingabe Sponers zu, und ihre Entlassung wurde zum 1. Oktober 1942 verfügt. Noch einmal, am 17. November 1942, wandte sich Margot Sponer schriftlich an das Reichserziehungsministerium mit der Bitte, ihre Entlassung rückgängig zu machen.14) Dieser Brief, geschrieben in der Berliner Oberwallstraße 1c, ist das letzte Dokument Margot Sponers in ihrer Personalakte.

Wie wurde sie verhaftet?

Über die Zeit von November 1942 bis Frühjahr 1945 ist bisher nichts bekannt. Margot Sponer half Verfolgten und war - entweder durch Unachtsamkeit oder durch Verrat - der Gestapo in die Hände gefallen. Jedenfalls schrieb die Biografin ihrer Schwester, Marie-Ann Maushart, den zwar gut gemeinten, aber dennoch unseligen Satz, dass Margot Sponer 1942 wegen ihrer Hilfe für »jüdische Mitbürger« verhaftet worden sei.15) Bisher konnte weder über die Art ihres Widerstandes noch über die Umstände, die zur Verhaftung und Ermordung durch die Nazis führten, Aufklärung erfolgen.

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Wer kann Hinweise geben?

Am 10. Februar 1945 hatte Margot Sponer erneut aus Berlin einen Brief geschrieben, dieses Mal an den französischen Häftling Bernard Morey. Sie schrieb den Brief mit dem Absender »Dr. Margot Sponer, Berlin-Wilmersdorf, Bregenzer Str. 8«. Diesen Brief hat Bernard Morey Jahrzehnte später der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Neuengamme übergeben, damit seine Berliner Freundin und Helferin nicht vergessen werde.16)
     Die genauen Todesumstände von Margot Sponer konnten bisher nicht aufgeklärt werden. Sie wurde noch im Frühjahr 1945, kurz vor der bedingungslosen Kapitulation des Nazi-Regimes, ermordet. Auf der Personalakte Sponers im Archiv der Berliner Universität steht der handschriftliche Eintrag:
»† Febr. 1945 KZ Neuengamme«, aber es fehlt jegliche Quelle hierfür. Es ist nicht einmal bekannt, von wem und wann der Eintrag erfolgte. Nach Auskunft der Gedenkstätte des KZ Neuengamme wurde Margot Sponer nicht in diesem KZ hingerichtet.17)
     Für ihre Ermordung gibt es zwei Belege. Dies schrieben sowohl die Physikerin Lise Meitner im Exil als auch der ehemalige Häftling des Konzentrationslagers Neuengamme Bernard Morey.

     Der inzwischen verstorbene Bernard Morey widmete in seinen 1981 erschienenen Erinnerungen »Le Voyageur egaré« einen Absatz der »guten Freundin unserer Familie, Margot Sponer von der Universität Berlin«, die im Frühjahr 1945 von der SS hingerichtet wurde. Morey schrieb ausdrücklich »durch das Fallbeil hingerichtet« (»qui fut décapitée à la hache dans jour de Berlin par les S.S.«).18)
     Lise Meitner weilte 1946 in den USA und traf dort unter anderen auch Hertha Sponer. An Max von Laue berichtete sie: Hertha Sponer »hat sehr viel Schweres erlebt, ihre jüngere Schwester haben die Nazis noch im April 1945 umgebracht, weil sie an der unterirdischen Bewegung beteiligt war«.19)
     Margot Sponer muss demnach zwischen dem 10. Februar 1945 und dem April 1945 in Berlin ermordet worden sein. Sie war aktiv am Widerstand gegen die Nationalsozialisten beteiligt gewesen und gehört damit zu den wenigen Universitätsangehörigen in Berlin, die sich dem Mord-Regime entgegenstellten, wohl wissend um die Gefahren, aber um der Menschlichkeit und der Zukunft ihres Landes willen.
     Die zweijährige Spurensuche der Autorin blieb bisher leider erfolglos.
     Vielleicht hilft dieser Beitrag zum Gedenken an Margot Sponer, eine Aufklärung doch noch zu ermöglichen.
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Quellen und Anmerkungen:
1 Vgl. Promotions-Verfahren Margot Sponer, in: Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin (im folgenden: Archiv HUB), Phil. Fak. Nr. 789, Bl. 40-58
2 Vgl. die Notiz von Bieberbach, in: Archiv HUB, Phil. Fak. Nr. 789, Bl. 45
3 Lebenslauf Margot Sponer, in: Archiv HUB, Phil. Fak. Nr. 789
4 Zur Biografie der Physikerin Hertha Sponer vgl. RenateTobies, Physikerinnen und spektroskopische Forschungen: Hertha Sponer (1895-1968), in: Christoph Meinel, Monika Renneberg, (Hrsg.) Geschlechterverhältnisse in Medizin, Naturwissenschaft und Technik, Bassum, Stuttgart 1996, S. 89 ff.; Marie-Ann Maushart, »Um mich nicht zu vergessen«: Hertha Sponer - ein Frauenleben für die Physik im 20. Jahrhundert, Bassum 1997
5 Vgl. Archiv HUB, PA UK PA S 176, Bl. 2; Gesamtverzeichnis des Lehrkörpers der Universität Berlin. Bd. 1 1810-1945, bearbeitet von Johannes Asen, Leipzig 1955, S. 191 (Bd. 2 ist nicht erschienen)
6 Vgl. Archiv HUB, PA: UK PA S 176, Bl. 10, 11
7 Vgl. Archive SPSL, Bodleian Library Oxford, personal file, sowie Churchill College Archives, Nachlass Meitner, insbesondere der Briefwechsel Sponer-Meitner
8 Vgl. Marie-Ann Maushart, a. a. o., S. 79 ff.
9 Gleichzeitig erweiterte sich die Juristische Fakultät zur Staats- und Rechtswissenschaftlichen, in die die staatswissenschaftlichen Ordinariate der alten Philosophischen Fakultät übernommen wurden
10Vgl. Archiv HUB, PA UK PA S 176, Bl. 15
11Vgl. Archiv HUB, PA UK PA S 176, Mappe 2, Bl. 3-4 und Bl. 6; die Wirtschafts-Hochschule wurde 1946 als Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät in die Humboldt-Universität eingegliedert
12Vgl. Archiv HUB, PA UK PA S 176, Bl. 16 und Bl. 27
13Vgl. Archiv HUB, PA UK PA S 176, Bl. 29; nach Asen, a. a. O. S. 141, gibt es aber nur Noëli, Teodosio, Lehrer für Spanisch von 1927 bis 1936. Es muss unklar bleiben, ob es sich um ihn oder um einen anderen Herrn handelt
14Brief Margot Sponers, Berlin, 17. 11. 1942, in: Archiv HUB, PA UK PA S 176, Bl. 32
15Vgl. Marie-Ann Maushart, a. a. O., S. 77 f.
16Dr. Herbert Dierks von der Gedenkstätte des KZ Neuengamme war so freundlich, mir eine Kopie des Briefes zu schicken
17Dr. Herbert Dierks, 26. 8. 1999, an A. Vogt
18Bernard Morey, Le Voyageur egaré. Paris, Editions France-Empire 1981, p. 194; den Hinweis auf das Buch und den Auszug verdanke ich Dr. Diercks
19Lise Meitner an Max von Laue, 28. 6. 1946, in: Jost Lemmerich, (Hrsg.), Lise Meitner - Max von Laue. Briefwechsel 1938-1948, Berlin, ERS Verlag 1998, S. 452
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 5/2001
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