48   Porträt Albert Lortzing  Nächstes Blatt
Wolfgang Helfritsch
Lebenslang auf Wanderschaft

Der Komponist Albert Lortzing (1801-1851)

Die Berliner Opernhäuser, die Musikexperten und die Medien lassen es sich in diesem Jahr nicht nehmen, des 100. Todestages des großen Verdi zu gedenken und die Bedeutung eines der Grandseigneurs der klassischen Tonkunst gebührend zu würdigen. Die drei Berliner Opernhäuser brillieren in den ersten Monaten des Jahres mit vier Verdi-Inszenierungen. Hinzu kommen Kammerkonzerte und Liederabende, und eine Ende Januar veranstaltete theaterpädagogische Tagung sowie ein Symposium »Verdi und Berlin«. Berlin huldigt Verdi, und Ehre dem, der Ehre verdient.
     Weniger nachvollziehbar ist dagegen die vornehme Zurückhaltung, die die Berliner Musikszene einem Künstler gegenüber an den Tag legt, dem von zahlreichen Fachleuten nicht mehr und nicht weniger als die Schöpfung der deutschen Komischen Oper attestiert wird: Albert Lortzing, geboren in Berlin am 28. Oktober 1801, verstorben daselbst, noch nicht fünfzigjährig, am 21. Januar 1851 an Herzversagen. Die Spielpläne der bundeshauptstädtischen Musikbühnen weisen im I. Quartal des doppelten Jubiläumsjahrs


Albert Lortzing

lediglich 1 (in Worten: eine) Lortzing-Oper aus: »Zar und Zimmermann« steht seit Ende Februar (wieder?) auf dem Programm der Deutschen Oper. An den anderen tönenden Bühnen ist Lortzing gegenwärtig nicht momentan. Das Deutsche Theater rettete seine Ehre und veranstaltete am 150. Todestag des ehemaligen Ensemblemitglieds eine Matinee.

BlattanfangNächstes Blatt

   49   Porträt Albert Lortzing  Voriges BlattNächstes Blatt
     Scheuen sich die Berliner Opernhäuser etwa davor, sich an den legendären Lortzing-Inszenierungen der Opern-Gurus Walter Felsenstein oder Boleslaw Barlog (sein »Wildschütz« liegt auch schon 33 Jahre zurück!) messen zu lassen? Sollten die Missachtung und das Unrecht, das man Lortzing bereits zu Lebzeiten - und das nicht zu knapp - in seiner Heimatstadt und anderswo antat, an der Schwelle des 21. Jahrhunderts eine wenig rühmliche Fortsetzung finden? Das Motto der Berliner Verdi-Präsentationen - Falstaffs »Tutto nel mondo« (»Alles ist Spaß auf Erden«) - hätte sich wohl auch kaum auf die Nachzeichnung der Vita Lortzings übertragen lassen. Im Trauerzug, der dem lorbeerbekränzten Sarg des Komponisten am 24. Januar 1851 durch die Friedrichstrasse zum Sophienstädtischen Friedhof folgte, fehlte es nicht an kommunaler und künstlerischer Prominenz. Hatten die Honoratioren schon damals ein schlechtes Gewissen? Wollten sie vergessen machen, dass die Intendanz dem Kapellmeister des wenige Monate zuvor unter seinem Dirigat mit Glanz eröffneten »Friedrich-Wilhelmstädtischen Theaters« vorzeitig gekündigt und ihn damit in neue existenzielle Nöte gestürzt hatte? Sollte Grabredner Anton Ascher, Schauspieler an derselben Bühne und Alberts Freund, Recht behalten, als er beklagte, dass »... wohl selten eine so begabte Natur, ein so großes Talent so wenig nach Verdienst gewürdigt ...« worden sei? »Zwar, wenn ich bald wieder Berlin zu verlassen genötigt wäre«, hatte Lortzing wenige Tage vor seinem Tode in einem Brief an den Freund Düringer drastisch bekannt, »würde ich wenig Transport- und Übersiedlungskosten haben, denn noch einmal wandern müssen, könnte nur mit nacktem A... geschehen ...«. Der erneute Umzug blieb ihm erspart - der Tod kam ihm zuvor.


Albert Lortzings Arbeitsstätte 1833-1845: das »Alte Theater« in Leipzig

BlattanfangNächstes Blatt

   50   Porträt Albert Lortzing  Voriges BlattNächstes Blatt
Der an musikalischen Werken so reiche und an materiellen Gütern so knapp bestückte Lebensweg Albert Lortzings begann am 23. Oktober 1801, als er, unweit vom Mühlendamm, in der Breiten Straße Nr. 12 zur Welt kam. Die Eltern, die ein kleines Ledergeschäft führten, schwankten so lange zwischen ihrer Musik- und Literaturleidenschaft und dem Geschäft hin und her, bis ihnen der Bankrott die Entscheidung abnahm. Sie machten jedoch aus der Not eine Tugend und bemühten sich um ein Bühnenengagement. Da die Aussichten, in der Berliner Kulturszene mit einer ABM-Stelle bedient zu werden, wegen der offenbar schon damals knappen Fördertöpfe gegen Null tendierten, begaben sich Johann und Charlotte Lortzing geb. Seidel nebst Goldsohn Albert nach Breslau. Die Stadt galt als wissenschafts- und kunstfreundlich, hatte dem Dramatiker Lessing und dem Romantiker Weber ihr Auskommen geboten und bescherte auch den Lortzings ein mager dotiertes Engagement. Das war gut für den aufgeweckten Albert, denn so konnte er schon früh die Erfahrung machen, dass Kunst und Not unter normalen Umständen nur zwei Seiten ein und derselben Medaille sind.
     Es folgte ein unstetes Wanderleben, das den Heranwachsenden sowohl mit abwechslungsreichen Landschaften als auch mit vielschichtigen Kunst- und Lebensproblemen konfrontierte.
Nicht selten zum Beispiel verließ die Lortzing-Familie um die Mittagszeit ihr Quartier, um den süddeutschen Wirtsleuten die Einnahme der Mahlzeit in einer renommierten Restauration vorzugaukeln. In Wahrheit verzehrte sie in der gesunden Winterluft den Rest ihrer Frühstücksstullen. Über das knorrige Bayern und das kurgefällige Baden führte die Lortzings das Bemühen um Engagements an den schönen deutschen Rhein, an dessen oft besungenen Ufern Albert seine spätere Gattin Rosina Ahles kennen und lieben lernte. Rosina war in einem Waisenhaus aufgewachsen, hatte sich den Weg zur Bühne unter großen Entbehrungen erkämpft und war folglich auf das verzichtreiche Leben in einer Künstlerfamilie bestens vorbereitet. So wechselten beide dann auch am 30. Januar 1824 in Köln die Ringe, und die ungewohnt spendable Theaterdirektion gewährte ihnen eine »Vorstellung zum Vorteil ihrer Verbindung«. Im Gegensatz zu vielen zeitgenössischen und nachzeitgenössischen Künstlerpaaren blieben die Lortzings jedoch nicht nur kurzfristige Lebensabschnittsgefährten, sondern die Ehe gestaltete sich zu einem Dauerbrenner, der der bedauernswerten Boulevardpresse kaum Stoff für spektakuläre Leitartikel geboten hätte. Aus der Ehe gingen elf Kinder hervor, von denen sieben das Erwachsenenalter erreichten.
BlattanfangNächstes Blatt

   51   Porträt Albert Lortzing  Voriges BlattNächstes Blatt
Die berührenden Briefe, in denen der zutiefst erschütterte Komponist Angehörige und Freunde über das Ableben seiner Kinder informierte, geben über die Atmosphäre und seine Rolle in der Familie überzeugender Auskunft als jeder biographische Bericht. »Was muß der Mensch alles erleiden und wieviel kann er ertragen ... Das ist nun das vierte Kind, das wir verlieren, und welch ein Kind! Meine ganze Seele ging auf, wenn ich es von ferne erblickte ...«. Trost und Ablenkung fand er in harter Arbeit.
     In Detmold, das von 1826 bis 1833 zur künstlerischen Heimat der jungen Lortzings avancierte, sang Albert Bass, Bariton und Tenor, gestaltete er an die 300 musikalische Partien, war er Schauspieler, Sänger und Cellist. Er fühlte sich wie ein »immerwährendes Lasttier« und schrieb an die in Köln verbliebenen Eltern: »Die Direktoren sind überall Schweinehunde, und wo man sie kneifen kann, soll man es tun!« Seiner Rosina erging es keinesfalls besser: Sie war in weit über 100 musikalischen Aufführungen mit von der Partie und hatte außerdem kaum weniger »muntere Sprechrollen« zu bewältigen. Der Autor Christian Grabbe (1801-1836), Sohn des Zuchthausdirektors, wegen seiner Hitzigkeit und seiner Zechereien in der lippischen Residenz nicht weniger bekannt als durch seine Stücke und Theaterkritiken, machte ihnen das Leben durch seine Verrisse zusätzlich schwer.

Zuschauerraum des Berliner Friedrich-Wilhelmstädtischen Theaters

Obwohl ihn Lortzing als »in hohem Grade miserables Subjekt« outete, kam dennoch eine künstlerische Zusammenarbeit zustande, als er - warum auch immer - das musikalische Beiwerk zu Grabbes Drama »Don Juan und Faust« übernahm.
     In Lortzings in Detmold entstandenen und von den Zeitereignissen deutlich inspirierten Frühwerken - so »Der Pole und sein Kind« oder »Andreas Hofer« - profilierten sich Stil und Originalität seiner Kompositionen. Mag das Verhältnis zwischen den unterkühlten Detmoldern und dem empfindsamen Komponisten zu dessen lippeschen Aktionszeiten auch nicht das herzlichste gewesen sein - sie stellten ihm eine Büste vor das Landestheater und würdigten in dem 1972 erschienenen Band über die Historie der Hofbühne sein und Rosinas Wirken.

BlattanfangNächstes Blatt

   52   Porträt Albert Lortzing  Voriges BlattNächstes Blatt
Und im diesjährigen schönen Mai wird »Heil sei dem Tag, an welchem Du bei uns erschienen« erneut durch das Detmolder Theaterrund tönen - eine nachträglich-nachdrückliche Referenz an das langjährige Ensemblemitglied.
     Den Höhepunkt seines Schaffens erlebte und gestaltete Lortzing in Leipzig. Dorthin folgte die Familie ihrem alten Kölner Theaterchef Ringelhardt, der auch die alten Lortzings in die Pleissestadt holte. Albert und Rosina, die in Leipzig nicht nur an-, sondern kurz nach der Ankunft auch erneut niederkam, schlitterten, wie gehabt, von einer Rolle in die andere. Mutter Charlotte spielte komische Alte, und Vater Johann wechselte von den Bühnenbrettern zur Theaterkasse.
     Die Familie blieb zunächst zwölf Jahre in der Stadt (1833-1845); ein späteres Intermezzo in der Metropole des Handels, des Buchdrucks, der Kunst und der Helden (1849/50) stand unter einem weitaus ungünstigeren Stern.
     Zunächst fühlten sich die Lortzings in der Stadt durchaus wohl. Albert traf sich mit aufmüpfigen Literaten, befreundete sich mit Robert Blum (1807-1848) und hielt Kontakt zu seinen Komponistenkollegen Robert Schumann (1810-1856) und Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847), die sich zu dieser Zeit ebenfalls in Leipzig niedergelassen hatten. Und das für ihn wohl wichtigste: Er konnte seinen Lebenstraum verwirklichen und sich als Kapellmeister beweisen.
Das gab ihm neuen künstlerischen Auftrieb, und das Komponieren ging ihm flott von der Hand. Mit dem Werk »Die beiden Schützen«, in dem er selbst die Hauptrolle spielte und sang, vollzog er den wahrscheinlich profilbestimmenden Schritt zur deutschen Komischen Oper. 1840 führte er anlässlich des Gutenberg-Jubiläums seine Komische Oper »Hans Sachs« auf, in der im Gegensatz zu Wagners altersweisem Sachs ein junger, tatkräftiger Schusterpoet auf der Bühne agiert.
     Historischen Stoffen widmete sich Lortzing mit hoher Intensität. So stürzte er sich auf die bereits von mehreren Autoren bearbeitete Story über den berühmten russischen kaiserlichen Holzhandwerker und schuf mit seinem »Zar und Zimmermann« eine Oper voller strotzender Kraft, aktiver Lebenshaltung und verschmitzter Fröhlichkeit. In der Leipziger Uraufführung übernahm Lortzing höchstpersönlich die Rolle des Peter Iwanow, seine Mutter sang und spielte die Witwe und Unternehmerin Browe. Die Oper trat ihren Siegeszug über Berlin, Breslau, Prag, Stockholm und andere europäische Hauptstädte an und wurde bereits 1840 von 18 Bühnen gespielt - zum »Bestseller« für ihren Schöpfer wurde sie jedoch nie. »Gegenwärtig liege ich mit Petersburg in den Haaren«, klagte er. »Das Sauvolk hat zwei Opern von mir gegeben und will nicht zahlen!« Anderswo erging es Lortzing auch nicht besser.
BlattanfangNächstes Blatt

   53   Porträt Albert Lortzing  Voriges BlattNächstes Blatt
     1842 entstand »Der Wildschütz« nach einem Bühnenstück von Kotzebue. Die »5 000 Taler«, mit denen Baculus in der Oper jongliert, blieben für den Komponisten ein Wunschtraum. Die Zweifel des potentiellen Existenzgründers Baculus »Soll ich ein Gelehrter bleiben oders Merkantilische betreiben? Baue ich mir ein Palais oder werde ich Kneipier?«, könnten ihn auch unter heutigen Bedingungen plagen!
     Parallel zu seinem vielseitigen Leipziger Engagement bemühte sich Lortzing um Gastspiele. Damit verfolgte er sowohl die Absicht, sich anderswo auszuprobieren, als auch das notgedrungene Ziel, den Haushaltsetat der Großfamilie aufzubessern. Im Februar 1845 schrieb er an Reger: »Jetzt ist mein Haus hübsch voll, und wenn ich daran denke, daß binnen kurzem abermals zwei lebende Wesen, ein kleines und ein großes, (letzteres eine Amme) einziehen werden, so stehen mir die Haare zu Berge. Der Monat wird für mich eine verhängnisvolle Zeit: Die Niederkunft meiner Gattin in Leipzig und meiner Oper Undine in Hamburg. Mögen sie es beide glücklich überstehen!« Beide überstanden es, und Lortzing hatte zweifachen Grund, »Füllt die Pokale ...« zu intonieren. Die Familie hatte erneut zugelegt, und mit der »Undine« hatte sich der Komponist gekonnt eines romantischen Stoffes bedient und ein lyrisches und volksnahes musikalisches Drama geschaffen.

Das Lippische Landestheater in Detmold

     Es wäre zu schön gewesen, wenn Leipzig weiterhin eine schützende Glocke über die Lortzings gestülpt hätte. Aber Neider und Intriganten hatten dem Komponisten längst Stolpersteine in den Weg gelegt. Er erhielt die Kündigung, und der Traum von der »köstlichen Zeit« war ausgeträumt. Trotz lautstarker Proteste des Publikums bestand die Direktion auf dem Rausschmiss, und am 30. Juli 1845 dirigierte Lortzing in der späteren Heldenstadt zum letzten Male seinen »Wildschütz«. Nachdem anderweitige Bemühungen fehlgeschlagen waren, nahm er eine schlecht vergütete Kapellmeisterstelle im »Theater an der Wien« an.

BlattanfangNächstes Blatt

   54   Porträt Albert Lortzing  Voriges BlattNächstes Blatt
Der Ruf Wiens, Stadt der Musik zu sein, verknüpfte sich jedoch vorrangig mit dem Walzer, und es bereitete dem Komponisten große Mühe, mit seinem »Waffenschmied« Resonanz an der schönen blauen Donau zu finden. Die mangelnde künstlerische Qualität des Orchesters und die mit sich und anderen zerstrittene Intendanz belasteten das Wiener Engagement Lortzings erheblich. Ein Lichtblick war die kreative Zusammenarbeit mit seinem Kapellmeister-Kollegen Franz v. Suppé. »Mit meinem Kollegen Suppé lebe ich in bestem Einvernehmen«, berichtete er aus der Walzermetropole, »denn er ist ein seelensguter Kerl.«
     Schmalhans blieb bei den Lortzings weiterhin Küchenmeister. Von 100 Gulden Monatsgage wurden 44 von der Miete verschlungen, und die Familie hielt sich in einem der Wohnung naheliegenden Stall zwei Kühe, um durch den Milchverkauf zusätzliche Einkünfte zu erzielen. Das mit der Aufzucht von Hornvieh verbundene Risiko hatte sich in Musikerkreisen damals offensichtlich noch nicht herumgesprochen. Die Erlebnisse der 48er Revolution, die bewaffneten Kämpfe zwischen kleinbürgerlich-proletarischen Aufständischen und der Reaktion und die persönliche Erschütterung über die Erschießung seines Freundes Robert Blum bewegten Lortzing tief.
Sie fanden Eingang in seine Oper »Regina«, in der er das Volk als Akteur auf die Bühne brachte und das Orchester zum Mitträger der Handlung werden ließ. »Wir wollen nicht! Was hätten wir davon?« begehrt der Chor der Tagelöhner auf, als dem Fabrikanten eine untertänigste Referenz dargebracht werden soll. »Wird unser Fleiß nicht anerkannt, so rührt auch keiner seine Hand!«
     Mit Wien und den Wienern fühlte sich Lortzing nie besonders verbunden. »Der sogenannte gemütliche Wiener gefällt mir nicht«, gestand er. »Vielleicht habe ich ihn nicht erkannt, und das Gefallen kommt noch ...«. »Uns gehts miserabel«, setzte er in Hinsicht auf die finanzielle Situation der Familie hinzu. »Was ich an wertvollen Sachen besitze, ist auf dem Versatzamt, sonst wäre ich mit den Meinigen bereits verhungert.«
     Lortzings wiederholte Bemühungen um eine Anstellung an einer anderen Bühne hatten zunächst keinen Erfolg. Auch Berlin, das sich um eine Nachfolge für den im Alter von 39 Jahren verstorbenen Kapellmeister Otto Nicolai, den musikalischen Vater der »Lustigen Weiber«, bemühte, hatte keine Verwendung für ihn. Und Dresden fühlte sich ebenfalls nicht in der Pflicht, obwohl es ihm seit Jahren das Honorar für die »Undine« schuldete.
BlattanfangNächstes Blatt

   55   Porträt Albert Lortzing  Voriges BlattNächstes Blatt
Schließlich landete Lortzing nochmals am Leipziger Theater, das nach anfänglichem Zögern seine neue Oper »Rolands Knappen oder Das ersehnte Glück« nach einem Stoff des Märchendichters Musäus (1735-1787) herausbrachte. Die Worte, die der Knappe Andiol an den König Garsias richtet, erhielten für den Komponisten fast symbolische Bedeutung: »Die Narrheit ist's, die mir gefällt, sie stärkt das Herz und regieret die Welt. Drum, macht mir der Ernst und das Wissen viel Feind, so ruf` ich: Ein Glück ist's, ein Narr zu sein ...«.
     Auf Grund des weniger als mageren Salärs musste sich der inzwischen über Deutschlands Grenzen hinaus bekannte Künstler wahrhaftig zum Narren machen. Ein Glück war und wurde es für ihn jedoch nicht. Er tingelte in der näheren und weiteren Umgebung Leipzigs als Sänger und Darsteller herum und bemühte sich um »Muggen« (musikalische Gelegenheitsgeschäfte). »Ich sitze hier im Städtchen Gera und mache Faxen ... Von hier aus gehe ich nach Lüneburg, später nach Dessau, Chemnitz usw. ... Welchen Weg soll ich eigentlich für die Zukunft einschlagen? ... Mein braves Weib fühlt es tief, welche Überwindung es mich kostet und wie ich mich quälen muß, und sie weint manche Träne deshalb, aber sie weiß auch, daß es im Augenblicke nicht zu ändern ist.«
     Nicht wenige Theaterdirektoren missbrauchten Lortzings Namen als Publikumsmagnet - der Protagonist selbst ging dabei oft leer aus.
Die Anstrengungen der zur damaligen Zeit ohne schnelle und klimatisierte Intercity-Züge zurückzulegenden Reisen, die Anspannung des häufigen Rollenwechsels und die Sorge um die zu Hause mit ständigen Entbehrungen lebende Familie zehrten an seinen Kräften. »Ich sitze außer der Zeit, die das Geschäft beansprucht, in meiner Stube und blase Trübsal«, berichtete er an Rosina. »Wobei ich leider - wenn ich nicht erfrieren will - viel Holz verbrennen muß. Ich muß diesen Brief leer abschicken, mein liebes Weib, so peinlich mirs auch ist ...«. Aus Lüneburg schrieb er am 15. Februar 1850: »Vorgestern habe ich Zar und Zimmermann dirigiert und gestern ... im Reisenden Studenten agiert ... Geld habe ich keins erhalten, da ... mein bißchen, wie es scheint, gebraucht wird. Grüße und küsse bitte meine gute Tochter Bertha von mir. Ich kann ihr nichts geben zu ihrem Geburtstag als meinen aufrichtigen, väterlichen Glückwunsch. Vielleicht bringe ich ihr eine Lüneburger Bricke mit ...«
     Überraschend tat sich in Lüneburg nochmals ein Lichtblick für Lortzing auf. Aus Berlin erreichte ihn das Angebot, am »Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater« als Kapellmeister anzutreten. Die Offerte reizte ihn, zumal der Neubau des Hauses im Mai eingeweiht werden sollte. Der Kreis schloss sich - der Komponist kehrte trotz geringer Bezüge in seine Geburtsstadt zurück. Anfang Mai schrieb er an Rosina: »Das neue Theater wird ein sehr hübsches Gebäude ...
BlattanfangNächstes Blatt

   56   Porträt Albert Lortzing  Voriges BlattArtikelanfang
Ich schreibe diese Zeilen bereits in meiner Wohnung dicht neben dem Theater (Schumannstraße 15; W. H.) ...«. Die Theatereinweihung am 15. 5. 1850 wurde für Lortzing ein oft entbehrter Triumph. »Nach dem Prolog«, lobte die Kritik, »erschien Herr Kapellmeister Lortzing im Orchester und empfing den lebhaftesten und ehrenvollsten Beifall des Publikums. Ebenso die glänzende und zugleich angenehm melodische Festouvertüre seiner Composition.«
     Anfang Juli erbat Lortzing von der Theaterdirektion einen Vorschuss, um den Umzug der Familie nach Berlin in die Luisenstraße 53 begleichen zu können. Obwohl die Not blieb, schöpfte Lortzing aus der Hoffnung auf bessere Zeiten immer wieder neue Kraft. Neuen Auftrieb erhielte er, als seine Opern »Der Wildschütz« und »Die beiden Schützen« vom Publikum gut aufgenommen wurden. Auch seine einfühlsame Ouvertüre und sein gelungenes musikalisches Arrangement zum Gottschall-Drama »Ferdinand v. Schill« wurden mit großem Beifall quittiert. Lortzings Lied »Das neunte Regiment« über die Verteidigung Kolbergs durch die Schillschen Freischaren im Jahre 1807 sollte zu seiner letzten Komposition werden. Das Drama rief neben der Anerkennung durch das Publikum zugleich das Misstrauen der Behörden hervor, die wegen des politisch aufmüpfigen Gehalts des Stücks nach der zweiten Aufführung die Absetzung vom Spielplan erzwangen.
Der Autor Gottschall musste Berlin auf polizeiliche Verfügung verlassen.
     Das Engagement Lortzings für das Werk und der ökonomische Druck auf das als »revolutionär« geltende »Friedrich-Wilhelmstädtische Theater« mögen die bestimmenden Gründe für die vorzeitige Lösung seines Vertrages gewesen sein.
     Am 18. Januar 1851 stand er zum letzten Male am Dirigentenpult. In den Morgenstunden des 21. Januar verstarb er in den Armen seiner Frau. Am Abend des Vortages hatte sich Lortzing noch im Theater aufgehalten. Einer der Schauspieler wollte ihn noch dazu überreden, gemeinsam eine italienische Opernaufführung in der Königstadt zu besuchen. Aber Lortzing lehnte dankend ab. »Ich werde mich nach Hause zu meiner Familie begeben und um 10 Uhr im Bette liegen«, soll er geäußert haben. Und er habe hinzugesetzt: »Euer Berlin ist recht langweilig!« Ein prophetischer Vorwurf, obwohl der Meister damit wohl kaum auf seine postmortalen Ehrungen zwei Jahrhunderte später angespielt haben dürfte.

Bildquellen:
-     Hans Georg Peters, Vom Hoftheater zum Landestheater. Die Detmolder Bühne 1825-1969, Lippische Studien, Detmold 1972
-     Programmheft der Komischen Oper Berlin zu »Zar und Zimmermann«, 24. April 1957

BlattanfangArtikelanfang

© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 5/2001
www.berlinische-monatsschrift.de