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Wilhelm II. und die Abiturienten

Äußerungen Sr. Majestät des Kaisers gelegentlich des von Walther Rathenau im Postmuseum zu Berlin am 10. Februar 1900 gehaltenen Vortrages über Elektrische Alchymie

     S. M.: Danke Ihnen für den Vortrag. Außerordentlich interessant. Famos, mit solchen Kräften rumzuwirtschaften, als ob es gar nichts wäre.
     W. R.: Die Schwierigkeit liegt in der Beschränkung. Von den Becquerelstrahlen konnte nur das Allgemeinste gesagt werden. Es ist kaum zu glauben, daß eine Substanz beständig von einer unsichtbaren Aureole umgeben ist.
     S. M.: Schönes Licht, die Azetylenflamme.
     W. R.: Und durchdringt den Nebel unvergleichlich besser als elektrisches Licht oder Petroleum. Majestät haben befohlen, soviel ich weiß, daß im Armeesignalwesen experimentiert werde. Die Verständigung soll auf 20 km gelungen sein.
     S. M.: 20 km? - 40! Von der französischen Grenze bis Straßburg können wir jetzt signalisieren. Aber vor allem: Weg mit dem Petroleum! Ausländisches Produkt, in einem fort verteuert. Und solche Petroleumlampe verdirbt die Luft in den kleinen Wohnungen. Na, und die Wasserkräfte müssen wir ausbauen! In Schlesien. Denken Sie, die Gefälle!

     W. R.: Ja, ich weiß, daß Majestät sich der Sache angenommen haben. Das ist ein großes Glück für die Industrie.
     S. M.: Und die Kanäle! Wenn wir die erst haben, führen wir überall elektrische Traktion ein.
     W. R.: In Frankreich und Belgien hat man gute Erfahrungen damit gemacht. Und Kanäle sind eine Sache, von der die Franzosen mehr verstehen als wir.
     S. M.: Sagen Sie mal: ich habe so'n paar kleine Güter. Soll ich nun da elektrisches Licht oder Azetylen einführen?
     W. R.: Es kommt drauf an, ob auch Krafterzeugung damit verbunden ist.
     S. M.: Nein, das ist nicht.
     W. R.: Majestät, die Blechtöpfe, die da hinten stehen, kosten höchstens ein paar hundert Mark.
     S. M.: Eulenburg, hören Sie! Die ganzen Azetylentöpfe kosten ein paar hundert Mark. Das müssen wir haben. - Na, und das Nernstlicht ist nun wirklich fertig?
     W. R.: Wir werden jetzt eine große Vorführung auf der Pariser Ausstellung machen. Die französische Regierung hat uns den einzigen Pavillon in der Cour d'honneur gestattet.
     S. M.: Hören Sie mal, das ist aber wirklich anständig von den Franzosen.
     W. R.: Wir hoffen aber auch, dafür ihnen den Clou zu bringen. Überhaupt muß die Ausstellung ein Triumph für die deutsche Industrie werden.
     S. M.: Wird sie auch!
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     W. R.: Man hat in der letzten Zeit wieder so viel von Amerika erzählt. Aber auch viel übertrieben. Wenn unsere Berliner Werke ausgebaut sind, in zwei Jahren, sind sie doppelt so groß wie jetzt das Niagarawerk.
     S. M.: Na, von Ihren Fabriken hat mir Rhodes erzählt. Der ist doch gewiß ein abgebrühter Kerl. Aber darüber war er baff.
     W. R.: Majestät, von unseren deutschen Fabriken können die Engländer was lernen. Die stoppeln immer eine Anlage auf die andere. Bei uns wird die ganze Sache einheitlich durchdacht und projektiert. Und dann: Der deutsche Beamte mit seiner Gewissenhaftigkeit und Bescheidenheit, der immer hinter seiner Aufgabe zurücktritt.
     S. M.: Ja, das Material haben wir!
     W. R.: Und zuletzt die Organisation. Da sehen wir uns den preußischen Staat an und suchen das im Kleinen zu kopieren.
     S. M.: Ja, Organisation ist die Hauptsache, da richten Sie sich nur nach dem Staat.
     W. R.: Ganz unbeträchtlich sind ja die Verhältnisse der großen Gesellschaften nicht. Ich weiß nicht genau, ob wir vor oder nach Krupp in der Gesamtausdehnung rangieren: aber in der Elektrizität haben wir den Rekord mit 14 000 Arbeitern und einer halben Milliarde investiert. - Unterbrechung
     Eulenburg sagt: Eben erzählt Rathenau, daß die Nernstlampe deswegen noch nicht rauskommt, weil er sie erst in Paris auf der Ausstellung vorführen will.
     S. M.: Das habe ich gehört. Na, wenn die Pariser zuerst kommen, dann müssen wir warten.
     S. M.: N' Abend, Arco, wie geht's. Sie wirtschaften ja mit riesigen Kräften rum. Daß da nie was passiert, wenn Sie so zwischen den Hochspannungsleitungen herumkriechen! Wissen Sie noch, wie Sie Ihren früheren Meister Slaby in Potsdam beinahe totgeschlagen haben?
     A: Jawohl, Majestät. Seit der Zeit hat die Funkentelegraphie bedeutende Fortschritte gemacht. Namentlich die letzte Geschwaderübung der Marine ist meines Wissens günstig verlaufen.
     S. M.: Ja, das Geschwader war sehr zufrieden. Sie haben bei jedem Wetter und auch wenn die Schiffe in Kiellinie fuhren und alles Mögliche dazwischen war, sich gut verständigen können.
     A: Die größte Entfernung war wohl nur 30 km. Aber die beiden Schiffe hatten auch eine recht ungünstige Takelung. Ich habe die Installation gemacht. Andere Schiffe hätten bessere Resultate gegeben.
     S. M.: Wir können überhaupt nicht mehr diese Art der Verbindung zwischen den Schiffen entbehren. Namentlich bei Nacht, wenn die Schiffe in Feindesnähe fahren und kein Lichtsignal gemacht werden darf, dann hat der Führer seine Schiffe doch in der Hand und weiß genau, daß seine Befehle verstanden sind. Aber die Engländer scheinen uns doch noch über zu sein.
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     W. R.: Ich glaube, Majestät, daß die Versuche bei unserer Marine den englischen nicht nachstehen. Jetzt soll ja Marconi nach Berlin kommen. Aber, was die Italiener können, das können die Herren hier jetzt auch.
     S. M.: Na ob! - Nun sehen Sie mal; wenn unsere Abiturienten solchen Tisch sehen könnten und die Experimente machen! Aber davon kriegen sie ja nie 'ne Ahnung.
     W. R.: Nein, aber die griechischen Dichter und Dialekte, die haben wir alle heute noch im Kopf.
     S. M.: Und so'n Landrat und Regierungsrat! Da soll nun der Mann über elektrische Zentralen beschließen! Der hat ja keinen Begriff, was das ist. Und wenn er's selbst lernen will, er kapiert's ja gar nicht mehr.
     W. R.: Wir machen unsere Fabriktore ja sperrangelweit auf und sagen: Kommt doch rein, wer's sehen will. Und aus Amerika und Australien kommen die Leute an. Aber hier?
     S. M.: Sehen Sie, da haben Sie's. Der Prophet gilt nun mal nichts in seinem Vaterland.
     W. R.: Ich habe mir gedacht, wenn man mal so ein paar Zentner Natrium gegen ein Schiff anschwimmen ließe! Das Stück, das ich vorhin vorführte, war nicht größer als meine kleine Fingerspitze.
     S. M.: Na, probieren sie mal. Können Sie ja gleich bei sich machen. Da auf der Spree. Sprengen Sie doch mal so'n paar hölzerne Appelkähne in die Luft.
     W. R.: Werden's sofort versuchen, Majestät.
     S. M.: Na, und vor den Amerikanern haben Sie keine Angst?
     W. R.: Nein, einstweilen nicht. Die haben allerdings selber sehr hohe Schutzzölle, und wir haben keine. Da können sie, wenn's mal bei uns bergab gehen sollte, uns mit ihrer Überproduktion auf den Hals kommen.
     S. M.: Denn müssen wir irgend was dagegen tun. Außerdem können Sie ja einfach so'ne Einrichtung erfinden wie die daneben und werfen einfach die Kerls übers Wasser wieder zurück.
     Danke Ihnen nochmals, die Sache war sehr interessant.

Quelle: Archiv AEG
Anmerkungen:
Arco, Georg Graf von (1869-1940), deutscher Physiker, Mitbegründer der Telefunken-Gesellschaft
Rhodes, Cecil (1853-1902), britischer Politiker
Nernst, Walter Hermann (1864-1941), Professor für physikalische Chemie, erfand 1897 eine Lampe, die ein fast weißes Licht abgibt
Eulenburg, Botho Graf zu (1831-1912), Oberhofmarschall bei Wilhelm II.
Becquerel, Henri (1852-1908), Professor an der Ecole polytechnique in Paris
Marconi, Guglielmo (1874-1937), italienischer Physiker, Pionier der Funktechnik
Slaby, Adolf (1849-1913), Funktechniker, stellte 1897 die erste drahtlose Verbindung zwischen Sakrow und Potsdam her
Rathenau, Walther (1867-1922), u. a. Generaldirektor der AEG.
Azetylen, gasförmiger Brennstoff, der u. a. zu Beleuchtungszwecken genutzt werden konnte

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 5/2001
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