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Bernhard Meyer
Pathologe und Geschäftsmann

Der Arzt Robert Friedrich Froriep (1804-1861)

Wenn von den Großen der Charité gesprochen wird, dann fällt der Name Robert Froriep nicht. Pathologisch-anatomische Entdeckungen gehen ebenso wenig auf ihn zurück wie bedeutsame Schriften. Und dennoch wird sein 15-jähriges Wirken in Berlin von der Medizingeschichte gewürdigt.
     Seinem Festhalten an der Prosektur in den 1830er und 40er Jahren wird ein wesentlicher Anteil zur Begründung der selbstständigen Pathologie an den deutschen Universitätskliniken zugeschrieben. Üblich war seinerzeit die sofortige Bestattung Verstorbener ohne Sektion. Wenn sie dennoch aus gesetzlichen Gründen oder einem wissenschaftlichen Interesse erforderlich wurde, so kümmerten sich um diese eher lästige Angelegenheit zumeist junge unerfahrene Klinikärzte. Jede Klinik der noch wenig gegliederten Medizin nahm die Sektion selbst vor, wobei es festgeschriebene Regeln des anatomischen Vorgehens sowie für die Anfertigung beispielsweise eines Sektionsprotokolls noch nicht gab.


Robert Friedrich Froriep

 
Diese Situation spiegelt die ganze Armseligkeit des medizinischen Wissens und die selbst auferlegte Beschränkung bei der Erweiterung der diagnostischen Kenntnisse Anfang des 19. Jahrhunderts wider.
     Nun war Froriep keineswegs mit dem Vorsatz angetreten, durch sein Wirken der Diagnostik und Therapie durch pathologisch-anatomische Sektionen auf die Beine zu helfen.

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Er war eher zufällig - durch seine 1831 erfolgte Übersiedlung von Jena nach Berlin - in diese Bahn gelangt. Eigentlich trieb den Thüringer nur die auf Preußen zugekommene, 1827 im Gangesdelta ausgebrochene und sich inzwischen zu einer Pandemie entwickelnde Cholera in die preußische Residenz- und Hauptstadt. Sein Vater Ludwig Friedrich von Froriep (1777-1847), vormals ein anerkannter Tübinger Ordinarius für Chirurgie, Geburtshilfe und Anatomie (der übrigens auf der Erstbesetzungsliste der Berliner Universitätsgründung für Anatomie und Geburtshilfe stand, jedoch zu Gunsten von Tübingen ablehnte) und um diese Zeit der designierte Chef des Bertuchschen »Landes-Industrie-Comptoirs« in Weimar, hatte im Verlagsprogramm eine Publikation über die asiatische Cholera vorgesehen, die sich sein Sohn im preußischen Berlin ansehen sollte, da die gefährliche Infektionskrankheit das Herzogtum an der Ilm verschonte. Froriep junior, mit einer Assistentenstelle an der Charité versehen, studierte Übertragung, Verlauf und Tod dieser heimtückischen Infektionskrankheit. Er fertigte zahlreiche Zeichnungen von Physiognomien Erkrankter und anatomischen Details an, die sich in der Publikation des großväterlich/väterlichen Verlags wiederfanden. Prominentestes Berliner Opfer dieser Seuche war am 14. November 1831 der 1770 geborene Philosoph Georg Friedrich Wilhelm Hegel. Die Umstände für die Reise nach Berlin und das Verbleiben für 15 Jahre sind trotz des Auftrags des Vaters recht merkwürdig. Immerhin hatte der Vater, am Weimarer Hof hoch geachtet und von gewissem Einfluss, gemeinsam mit seinem Schwiegervater Friedrich Justin Bertuch (1747-1822) und Goethe (1749-1832) gerade eine außerordentliche Professur für seinen Sohn an der Jenenser Universität durchgesetzt. Diese trat er auch mit dem üblichen Vorlesungsbetrieb im Frühjahr 1831 an. Mit seinen 27 Jahren stand er vor einer glänzenden Karriere in Jena. Sesshaft hätte er umso mehr werden können, als er wenige Monate zuvor, am 21. Dezember 1830, seine Verlobte Wilhelmine Ammermüller geehelicht hatte. Seine Frau stammte aus dem schwäbischen Tübingen, wo er 1823 mit dem Medizinstudium begonnen hatte, das er 1825 in Bonn fortsetzte und 1828 mit dem »Doctor medicinae et chirurgiae« beendete. Nebenher bildete er sein Zeichentalent aus, was später für seine pathologisch-anatomische Arbeit von außerordentlicher Wichtigkeit werden sollte. Zum Medizinstudium hatte ihn sein Vater gedrängt, der während der Tübinger Zeit seine Kenntnisse auch dem König von Württemberg als Leibarzt zukommen ließ - wofür er von ihm den nicht vererbbaren Adelstitel erhielt -, wie er später in Weimar neben seiner Geschäftstätigkeit noch Leibarzt des Regenten und Direktor des Medizinalwesens im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach war.
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In diese angesehene Familie wurde Robert Friedrich Froriep am 21. Februar 1804 in Jena hineingeboren.
     Vielleicht schwebte dem jungen Froriep insgeheim die Berliner Karriere seines Landsmannes Hufeland (1762-1836) vor, der 1790 auch von Jena aus ins größere und finanziell kräftigere Preußische ging und dort zu einer Berühmtheit avancierte. Für Froriep waren die Startbedingungen jedoch ungleich schwerer, denn er kam als unbekannter, eigentlich noch gar nicht ganz fertig ausgebildeter Arzt in die Stadt. Zwar konnte er auf mehrere umfängliche Studienreisen verweisen, die ihn u. a. nach Paris, Brüssel, Den Haag, Leiden, Amsterdam, Utrecht, ferner nach Triest, Venedig, Innsbruck und Prag sowie zu einer vielmonatigen Ausbildung als Augenarzt nach Wien geführt hatten. Für seine ferneren Ziele fehlte ihm auf jeden Fall die Habilitation, die er 1832 an der Charité abschloss, woraufhin er schnell Privatdozent wurde.
     Das Ministerium für geistliche, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten hielt es für angezeigt, dem Trend international führender Bildungseinrichtungen wie Wien und Paris zu folgen und der Charité eine zunächst provisorische Prosektur zu genehmigen. Erster Amtsinhaber wurde am 8. Mai 1831 Philipp Phoebus (1804-1880). Der geriet sofort mit den dirigierenden Ärzten über Rechte und Pflichten einer Prosektur in Streit.
Sie befürchteten die Beschneidung ihrer Kompetenzen und Kritik an ihren diagnostischen Leistungen. Keine sechs Wochen später, am 20. Juni, reichte Phoebus seinen Rücktritt ein.
     Erst nach über zwei Jahren unternahmen das Charité-Kuratorium und das Ministerium einen erneuten Versuch, eine Prosektur zu etablieren. Aus der beträchtlichen Zahl von Bewerbern gelangten nur zwei in die engere Wahl: die Ärzte Leo und Froriep. Zum 12. September 1833 berief das Ministerium Froriep vorläufig an das Charité-Krankenhaus. Obwohl mit der gleichzeitigen Berufung zum außerordentlichen Professor keine fixierte Besoldung verbunden war, übernahm Froriep zum 1. November 1833 das Amt. Die Bezahlung Frorieps, der finanziell noch immer von seinen Eltern abhängig war, sollte jeweils auf seinen Antrag hin zum Jahresende erfolgen und 300 Taler nicht überschreiten. Mit dieser Summe konnte er lediglich die Miete für seine geräumige Wohnung in der Behrenstraße 65 begleichen. Die Familie wuchs nach und nach auf neun Kinder an, von denen jedoch nur fünf das Erwachsenenalter erreichten.
     Froriep blieb nichts anderes übrig, nebenbei als niedergelassener praktischer Arzt Geld zu verdienen. Für ihn ergab sich wiederum eine glückliche Fügung, weil die Akademie der Künste einen Anatomielehrer benötigte, der mit 400 Talern pro Jahr besser honoriert wurde als ein Prosektor an der Charité.
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Froriep trug nunmehr den Titel »Prosector, Conservator und Zeichner bei dem Charité-Krankenhaus«. So wohlklingend die Amtsbezeichnung auch gewesen sein mag, ein Ordinariat mit Institut und Gebäude und vor allem mit angemessener Bezahlung war damit nicht verbunden. Der als Charité-Direktor fungierende Chirurg Carl Alexander Ferdinand Kluge (1782-1844) wies ihm aber immerhin drei Mitarbeiter zu, die alle zwei bis drei Monate wechseln sollten. Die bemerkenswerteste personelle Zuordnung bestand in der Leichenwärterin Frau Vogelsang, einer ehemaligen Hebamme. Sie wurde nicht ausgewechselt und führte offensichtlich mit zunehmender Zeit das Regiment. Jedenfalls lässt dies der berühmte russische Arzt Nikolai Iwanowitsch Pirogow (1810-1881) vermuten, der anlässlich eines Besuchs der Prosektur 1833 vermerkte: »In einem kleinen Zimmer standen zwei Tische, auf deren jeden zwei oder drei Leichen lagen, und an einem dieser Tische sah ich eine hagere Frau stehen, welche ... mit der größten Gewandtheit und Schnelligkeit eine Leiche nach der anderen obduzierte.«1)
     Froriep schien wie sein kurzzeitiger Vorgänger Querelen mit den dirigierenden Ärzten zu haben, auf jeden Fall gab es zunehmend Streit wegen der pathologisch-anatomischen Sammlung. An deren Ausweitung und Vervollkommnung musste der Pathologe und Zeichner Froriep interessiert sein.
Der auch für die Anatomie zuständige Johannes Müller (1801-1858) allerdings sah in dieser Sammlung eine wachsende Konkurrenz zum anatomischen Museum unter seiner Ägide. Schließlich setzte sich Müller 1842 mit einem Kompromiss zu Ungunsten der pathologischen Sammlung durch. Das alles erhöhte nicht die Bereitschaft von Froriep, der Prosektur uneingeschränkt zur Verfügung zustehen.
     Der Auftakt binnen Jahresfrist jedoch konnte sich sehen lassen, wie aus dem ersten Tätigkeitsbericht Frorieps vom 10. Oktober 1834 hervorging. Demnach obduzierte er von 869 in der Charité Verstorbenen 184 Leichen. Die erwähnte Präparatesammlung wuchs von 224 Stück auf 900 an, wozu noch 47 pathologisch-anatomische Zeichnungen kamen. Froriep konnte zufrieden sein, obwohl die Prosektur weiterhin ein Dasein am äußersten Rand der Charité fristete. Daran änderte auch nichts seine 1836 erfolgte Ernennung zum Medizinalrat und die Mitgliedschaft im Medizinalkollegium der Provinz Brandenburg. 1838 zog sich das Ministerium aus der Besoldung zurück. Wissenschaftlichen Trost fand Froriep wohl beim Mitgestalten des Verlagsprogramms seines Vaters, da er eifrigst an den periodisch erscheinenden »Notizen aus der Natur- und Heilkunde« beteiligt war und die Herausgabe der »Klinischen Kupfertafeln« und der »Chirurgischen Kupfertafeln« betrieb.
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Offensichtlich konnte er in der wissenschaftlich und finanziell ungeklärten Stellung als Prosektor seine Lebensaufgabe nicht erkennen. Hoffnung für den Fortgang der Pathologie an der Charité hegte er, als er 1838 vom Ministerium den Auftrag erhielt, ein neues Leichenhaus zu konzipieren. Mit einem Betrag von 9 000 Talern wurden nach seinen Vorstellungen neben den für ein derartiges Haus üblichen Räumlichkeiten ein Demonstrationssaal für 120 Personen, ein Saal für 3 000 Präparate und ein Arbeitszimmer für den Prosektor gebaut. Dennoch bewarb sich Froriep zwei Jahre später als dirigierender Arzt der chirurgischen Station, als Dieffenbach (1792-1847) in der Nachfolge von Karl Ferdinand von Graefe (1787-1840) die Chirurgie übernahm. Er erhielt eine Ablehnung, da die Stelle durch Umstrukturierung hinfällig wurde. Wie sehr er trotzdem an Berlin hing, offenbart der Umstand, dass er im gleichen Zeitraum den ihm in Königsberg angebotenen Lehrstuhl für Chirurgie ausschlug.
     Die Aufmerksamkeit der Medizinhistoriker für Froriep resultiert noch aus einem anderen Grunde. 1844 trat der an der »Pépinière« studierende 23-jährige Rudolf Virchow (1821-1902) im Rahmen seiner Ausbildung in das Leichenhaus ein. Froriep erkannte alsbald dessen Interesse und Talent für pathologisch-anatomische Belange und förderte ihn nach Kräften. Virchow wiederum fühlte sich gefordert: »Mittlerweile arbeite ich recht fleissig, gewöhnlich von 8 Uhr Morgens bis 8 Uhr Abends, gehe dann aus bis 11-12 Uhr, und arbeite dann noch einige Stunden.
Es ist eine wahre Danaiden-Arbeit, diese Medicin; nichts ist ordentlich untersucht, alles muss man selbst von vornher wieder selbst durcharbeiten ... Hätte ich nicht das Resultat vor mir, dass ich jetzt in wissenschaftlichen Dingen von jedem in der Charité als Autorität betrachtet werde, und das jeder meinen Angaben glaubt, so hätte ich vielleicht schon aufgehört.«2) Dabei stand Virchow noch das Staatsexamen bevor! Zunächst lenkte Froriep Virchows Aufmerksamkeit auf Entzündungen und empfahl ihm eine Dissertation zum Thema Venenentzündungen im Gefolge von Amputationen. Die Promotion wurde ein Erfolg und noch mehr: Virchow benutzte die Untersuchungsergebnisse, um sie am 2. August 1845 als einer der drei Festredner anlässlich des 50. Gründungstages der »Pépinière« vorzutragen. Über die »sehr günstig ausgefallene« Rede berichtete er seinem Vater am 27. August nach Schivelbein in Pommern.
     Froriep sorgte anschließend für den Druck der ersten Publikationen Virchows in den »Notizen« des väterlichen Verlages in Weimar, worüber Virchow seinem Vater so berichtete: Ich habe »angefangen, eine Reihe eigener Beobachtungen in einer Zeitschrift, die in Weimar unter der Redaktion des Med. Raths Froriep, meines liebenswürdigen Vorgesetzten, und seines Vaters, des dasigen Leibarztes erscheint, zu publicieren.«3) Ebenso schuf Froriep die Voraussetzungen, damit Virchow in einem neuen Labor chemische und mikroskopische Untersuchungen durchführen konnte. Er ernannte Virchow auch zu seinem Stellvertreter bei den Sektionen.
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     Auf diese Weise stand Froriep als verständnisvoller und uneigennütziger Förderer an der Seite des jungen, mittellosen Virchow. 1846 erkrankte Frorieps Vater so ernsthaft, dass er schweren Herzens der Charité zum 1. April 1846 die Kündigung einreichte und wieder nach Weimar zurückging, um dort den Verlag zu führen. Er verließ Berlin jedoch nicht, ohne Virchow von seinem Vorhaben rechtzeitig zu informieren, ihn zur Übernahme seiner Aufgabe anzuregen und bei der Charité-Direktion nachdrücklich für den hoffnungsvollen Nachwuchsmann zu plädieren. Virchow wurde zunächst interimistisch und dann ab 1847 als Prosektor der Charité eingesetzt. Mit Froriep blieb er bis zu dessen Tod in einem ständigen herzlichen Briefwechsel verbunden. Frorieps Wirken in Berlin verlieh der bescheidenen Prosektur eine Dauerhaftigkeit, aus der später das weltberühmte Institut für Pathologie unter der Leitung seines einstigen Schülers hervorging.
     Nach dem Tod seines Vaters übernahm Froriep den Verlag und wurde ein Geschäftsmann, der das Unternehmen mit einigem Erfolg führte. Der Verlag fühlte sich in einem seiner Schwerpunkte der Medizin verbunden, brachte u. a. 1850 den »Atlas anatomicus« heraus. Dennoch musste Froriep das Geschäft 1853 aus finanziellen Gründen verkaufen, so dass er fortan wieder ärztlich praktizierte, schriftstellerisch wirkte und die populärwissenschaftliche Zeitschrift »Der ärztliche Hausfreund« herausgab.
An der gerade eröffneten Kunstschule Weimar übernahm er wie schon seinerzeit in Berlin die Anatomie. Froriep starb im Alter von 57 Jahren am 15. Juni 1861 in Weimar.

Quellen:
1 Nikolai Iwanowitsch Pirogow, Lebensfragen. Tagebuch eines alten Arztes. Stuttgart 1894, S. 57
2 Marie Rabl(-Virchow) (Hrsg.), Rudolf Virchow - Briefe an seine Eltern 1839-1864. Leipzig 1906, S. 97
3 Ebenda, S. 98

Bildquelle: Archiv LBV

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 4/2001
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