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Gesellschaft für Christlich- Jüdische Zusammenarbeit in Berlin e. V. (Hrsg.)
50 Jahre im Gespräch.

Eine Festschrift, Berlin, 1999

Festschriften erreichen meist nur einen begrenzten Personenkreis, das liegt in der Natur der Sache. Wer dennoch an die in Konzeption und Redaktion von Ulrich Werner Grimm verantwortete Schrift gelangt, wird mit Erstaunen auf ein unbekanntes Kapitel Berlin- Geschichte der Nachkriegszeit stoßen, ein Westberliner Kapitel: Hier wurde am 24. November 1949 die Gesellschaft für Christlich- Jüdische Zusammenarbeit in Berlin e. V. (GCJZ) gegründet. Keinesfalls aus innerem Antrieb, sondern auf Wunsch der amerikanischen Besatzungsmacht, wie Josef Foschepoth, damals Generalsekretär des Deutschen

     »Weder die Kirchen noch die Christen sahen die Notwendigkeit, trotz der Schrecken der Vergangenheit und der den Juden zugefügten Leiden nach den religiösen und gesellschaftlichen Ursachen jener Barbarei zu fragen, gar eine Annäherung zwischen den Religionen und Kulturen anzustreben«, schreibt Foschepoth. »Weder die religiös bedingte Judenfeindschaft noch der wiederaufkeimende politische Antisemitismus wurden als besonderes Problem empfunden. Schändungen der jüdischen Friedhöfe waren in der Nachkriegszeit an der Tagesordnung.« (S. 39) In der deutschen Trümmergesellschaft lag Zusammenarbeit zwischen Protestanten und Katholiken im Trend, kaum aber mit den Juden, schreibt er. Und selbst die nach amerikanischem Vorbild ausgerichtete »Woche der Brüderlichkeit« stieß in den Gesellschaften für christlich- jüdische Zusammenarbeit damals auf Kritik.
Koordinierungsrates - der Dachorganisation dieser Gesellschaften - in seinem Beitrag deutlich macht.
     Mit dem Auftrag, Gesellschaften für christlich- jüdische Zusammenarbeit nach amerikanischem Vorbild auch in Deutschland zu gründen, war 1948 Methodistenpfarrer Carl F. Zietlow aus Minneapolis in Berlin eingetroffen. Als er nach drei Jahren in die USA zurückkehrte, waren elf dieser Gesellschaften gegründet worden, mit organisatorischer und finanzieller Hilfe der Amerikaner, für die sie ein wesentliches Instrument zur Umerziehung der Deutschen waren.

Erstes Jugend- Wochenendseminar der GCJZ Berlin, 25./26. April 1953, Wannseeheim für Jugendarbeit
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     Der Geschichte der Berliner GCJZ im Spiegel ihrer Quellen geht Ulrich Werner Grimm im umfangreichsten Beitrag der Festschrift nach. Aus 20 Regalmetern Akten, ein reguläres Archiv gibt es noch nicht, aus Korrespondenzen, anderen Unterlagen und Interviews zeichnet er die Geschichte der Gesellschaft auch anhand von Geschichten nach, dokumentiert mit fast 300 Quellenangaben.
     Schon allein die Namen der Persönlichkeiten, die mit der Gesellschaft verbunden waren und sind, beeindrucken: Rabbiner, Theologen und Geistliche wie Leo Baeck, Schhalom Ben-Chorin, Eberhard Bethge, Martin Buber, Otto Dibelius, Kurt Scharf, Georg Sterzinsky; Politiker wie Heinrich Albertz, Franz Amrehn, Willy Brandt, Ferdinand Friedensburg, Heinz Galinski, Hanna-Renate Laurien, Ernst Lemmer, Ernst Reuter, Louise Schroeder, Richard von Weizsäcker, Jeanette Wolff; Wissenschaftler wie Ossip K. Flechtheim, Peter von der Osten-Sacken, Edwin Redslob, Hans Schomburgk, Rudolf Schottlaender Künstler; wie Michael Degen, Victor de Kowa, Martin Held, Hilde Körber, Estrongo Nachama.
     Ausführlich beschreibt Grimm die Gründungsversammlung am 8. August 1949 unter Leitung des FU- Direktors Redslob, die zur Einsetzung eines Organisationsausschusses führte. In diesem wurde denn auch die Frage ventiliert, ob Bewohner des Ostsektors aufgenommen werden können. Nicht nur in diesem Punkt ist die Gesellschaft Spiegelbild der Berliner Verhältnisse. Es wird beschlossen, »daß nur solche Personen Zutritt finden sollten, die nicht im öffentlichen politischen Leben stünden und die nicht verpflichtet wären, der SED oder den Russen gegenüber Rechenschaft über ihr Tun abzulegen«. (S. 50) Ein bezeichnendes Bild für das Nachkriegs- Berlin auch die Wahl des ersten Geschäftsführers. Es ist der Katholik Heinrich Keul, nachdem man übereingekommen war, wie übrigens auch
in den anderen Gesellschaften für christlich- jüdische Zusammenarbeit, keinen jüdischen Anwärter in Erwägung zu ziehen, weil es bei den » >gutwilligen Deutschen< einen ungünstigen Eindruck erwecken könnte, wenn sich Juden zu sehr in den Vordergrund drängen würden«. (S. 53) In der Berliner Gesellschaft, in der Protestanten, Katholiken und Juden zusammenarbeiten sollten, wusste man ebenso um die theologischen Diskussionen unter Protestanten um die Judenmission wie um die Vorbehalte der Katholiken; noch 1951 kam aus dem Päpstlichen Sekretariat in Rom die Warnung vor einer Mitarbeit.
     Juden in Berlin nach den Verbrechen in der Nazizeit? 1950 lebten 7 000 in der Stadt, 4 000 in den westlichen Sektoren, 3 000 im Osten der Stadt. Und ein Großteil von ihnen stand einer Verständigung mit christlichen Deutschen sehr skeptisch gegenüber. Ulrich Werner Grimm schildert Diskussionen innerhalb der Gesellschaft über eine Bemerkung Siegmund Weltlingers, des jüdischen Vorsitzenden, im Jahre 1955, dass die Juden sich zehn Jahre nach Beendigung des Krieges für eine bestimmte Haltung Deutschland gegenüber entscheiden müssten. Deutsche Juden oder Juden in Deutschland, das war die Frage für viele nach der Gründung des Staates Israel am 14. Mai 1948.
     Auch die »Woche der Brüderlichkeit«, in Westdeutschland von den Gesellschaften für christlich- jüdische Zusammenarbeit 1951 erstmals lokal begrenzt durchgeführt, hat in Berlin ihre eigene, andere Geschichte. Für 1951 noch abgelehnt, »sowohl aus kirchenpolitischen Gründen wie aus der allgemeinen Situation Berlins heraus«, wurde in der Gesellschaft heftig um die Durchführung im Jahr 1952 gestritten. Sie später als in anderen Städten durchzuführen, wo sie im März stattfand, wurde u. a. damit begründet, dass 40 Prozent der Studenten der Freien Universität aus der Ostzone kämen und in den Semesterferien sicher nicht in Berlin sein würden.
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Die Ostjugend anzusprechen, sei aber von besonderer Bedeutung. (S. 95)
     Anfang der 50er Jahre protestierte die Berliner GCJZ heftig, als Filme des »Jud- Süß«- Regisseur Veit Harlan in der Stadt aufgeführt werden sollten. Zu dieser Zeit war der »Berliner Theaterskandal« noch in aller Munde. Wieder beleuchtet Grimm, gestützt auf Quellen der Gesellschaft, ein heute fast vergessenes Kapitel der Berliner Nachkriegsgeschichte: Im Rahmen eines Gastspiels des Wiener Burgtheaters sollte der Schauspieler Werner Krauß in der Stadt auftreten. Er hatte in Harlans antisemitischen Film »Jud Süß«

Estrongo Nachama, Oberkantor der Jüdischen Gemeinde
(1940) den Rabbi Loew gespielt. Schon im Vorfeld des Gastspiels kam es zu Auseinandersetzungen; während der Kritiker Friedrich Luft gegen einen Auftritt von Krauß war, zahlreiche Proteste, u. a. von der GCJZ, laut wurden, verteidigte Oberbürgermeister Ernst Reuter das Gastspiel. Am Abend der ersten Aufführung, am 8. Dezember 1950, gab es Aufruhr auf dem Kurfürstendamm, Scheiben gingen zu Bruch, die Polizei setzte Knüppel und Wasserwerfer ein. Das Gastspiel musste vorzeitig beendet werden. (S. 129/130)
     Von der Geschichte der Jüdischen Gemeinde berichtet deren Vorsitzender Andreas Nachama. Er beschreibt dabei auch ein Kapitel des Kalten Krieges. Julius Meyer, zusammen mit Heinz Galinski von 1949 bis 1953 Gemeindevorsitzender, ist Mitglied der DDR- Volkskammer und hält Kontakt zur sowjetischen Besatzungsmacht. Im Zusammenhang mit den antisemitischen Schauprozessen in der UdSSR, Ungarn und der Tschechoslowakai ruft der Westberliner Rabbiner Nathan Peter Levinson im Frühjahr 1953 alle in Ost-Berlin lebenden Juden auf, in den Westen zu fliehen. Im Winter 1953 trifft auch Julius Meyer in West-Berlin ein.
»Es ist überliefert, daß Heinz Galinski ihn nach seiner Flucht mit dem Bemerken, er hätte mit der falschen Seite Kollaboration betrieben und dafür jetzt die Quittung bekommen, aus seinem Büro in der Joachimstaler Straße hinausgeworfen haben soll«, schreibt Nachama. (S. 180)
     Dokumentiert werden in der Festschrift die Themen, Orte und Eröffnungsansprachen der »Woche der Brüderlichkeit« von 1952 bis 1999, die Träger der Buber-Rosenzweig- Medaille sowie erstmalig die Sendungen, die in Kooperation der Berliner Gesellschaft für Christlich- Jüdische Zusammenarbeit und dem SFB in den Jahren von 1954 bis 1973 entstanden. Ein Personenregister erleichtert den Gang durch die Geschichte der Gesellschaft.
     Die Gesellschaft für Christlich- Jüdische Zusammenarbeit hat ihren Sitz in der Laubenheimer Straße 19, 14197 Berlin,
Tel: 82 166 83,
Internet: http://www.gcjz-berlin.de

Jutta Arnold

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 3/2001
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