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Herbert Mayer
Der Fall Fritz Sperling

Ein Westdeutscher in Ostberliner Gefängnissen

Zu den Gefangenen im Speziallager Nr. 3 des sowjetischen Geheimdienstes NKWD gehörten 1945/46 neben vielen anderen Max Emendörfer, einer der Mitbegründer und Vizepräsidenten des Nationalkomitees »Freies Deutschland«, der Schauspieler Heinrich George (1893-1946) und Karl Heinrich (....-1946), der erste Kommandant der Berliner Schutzpolizei nach dem Zweiten Weltkrieg. Dieses Lager in der Genslerstraße 64-72 in Hohenschönhausen bestand bis Oktober 1946. Bis Anfang 1951 existierte dort das Untersuchungsgefängnis der sowjetischen Besatzungsmacht. 1951 übernahm die DDR- Staatssicherheit das Gelände und nutzte es bis 1989 als zentrale Untersuchungshaftanstalt, zeitweise auch als Arbeitslager. Inhaftiert waren politische Gegner der DDR, Verdächtigte krimineller Straftaten und - oft vergessen oder ignoriert - auch Mitglieder der SED und Staatsfunktionäre, darunter das einstige SED- Politbüromitglied Paul Merker (1894-1969) und der erste Reichsbahnpräsident Willi Kreikemeyer (1894-1950). Weniger bekannt ist allgemein, dass in der DDR Anfang der fünfziger Jahre auch Funktionäre der

bundesdeutschen KPD verhaftet wurden. Zu den Inhaftierten in Ost-Berlin gehörten u. a. der stellvertretende KPD- Vorsitzende Kurt Müller, der Fraktionsvorsitzende der KPD im Hessischen Landtag Leo Bauer, der Hamburger KPD- Landesvorsitzende Willi Prinz und eben auch der spätere stellvertretende KPD- Vorsitzende Fritz Sperling (1911-1958).
     Sie gerieten in den Sog der stalinistischen Säuberungen gegen tatsächliche oder vermeintliche Feinde des Sozialismus, die in der Hoch-Zeit des Kalten Krieges Ende der vierziger/ Anfang der fünfziger Jahre in den osteuropäischen Ländern und in den kommunistischen Parteien durchgeführt wurden und in Schauprozessen mit anschließenden Todesurteilen wie gegen Lázló Rajk (1909-1949) in Ungarn, Traitscho Kostoff (1897-1949) in Bulgarien oder Rudolf Slánský (1901-1952) in der Tschechoslowakei gipfelten. In der KPD gab es vor allem nach SED- Beschlüssen vom Herbst 1949 immer stärkere Verdächtigungen gegen die sogenannten Westemigranten, die mit dem angeblichen US-Agenten Noel Field, der in Wirklichkeit eine antifaschistische Hilfsorganisation aufgebaut hatte, Kontakt hatten.
     Im Februar 1951 wurde in Ost-Berlin der stellvertretende KPD- Vorsitzende Fritz Sperling einige Tage nach einer Sitzung des KPD- Vorstandes verhaftet und - wie Willi Prinz - in Hohenschönhausen eingeliefert.1)
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Beide hatten zuvor aktiv an der innerparteilichen Säuberungspolitik, an der Entlarvung von »Parteifeinden« und »Agenten«, mitgewirkt.
     Fritz Sperling, am 11. Oktober 1911 in Algringen (Lothringen) geboren, war im Ruhrgebiet aufgewachsen und hatte Buchhalter gelernt. Zunächst in der sozialdemokratischen Arbeiterjugend organisiert, trat er 1931 zum Kommunistischen Jugendverband und später zur KPD über. Für sie hat er dann in verschiedenen Funktionen gearbeitet. Von den Nazis bereits am 2. März 1933 verhaftet, leistete er nach seiner Freilassung weiter illegale antifaschistische Arbeit, musste aber bald emigrieren. Er gehörte in der Schweiz zur Abschnittsleitung Süd der KPD und zu den Gründern der »Bewegung Freies Deutschland«. Seine mehrjährige Haft in Internierungslagern und im Zuchthaus führte zu einem schweren Herzleiden und anderen Gesundheitsschäden. Nach Deutschland im Juli 1945 zurückgekehrt, übernahm er in der KPD einflussreiche Funktionen. Er war Mitglied des Zonenbüros der KPD für die britische Zone, Landesvorsitzender der KPD Bayern und bei Bildung des KPD- Parteivorstandes im April 1948 eines der fünf Sekretariatsmitglieder. Des weiteren gehörte er dem bizonalen Frankfurter Wirtschaftsrat an. Im Mai 1950 löste er Kurt Müller als stellvertretenden Parteivorsitzenden ab. Sperling erhielt im Januar 1951 vom
KPD- Vorsitzenden Max Reimann (1898-1977) in einem Brief aus Berlin mitgeteilt: »Die Vorbereitung zu Deiner Aufnahme in ein Krankenhaus ist hier abgeschlossen.« Sperling wurde aufgefordert, alle Vorbereitungen zu treffen, »die notwendig sind, um einige Wochen hier im Krankenhaus unter ärztlicher Kontrolle zu verbringen«. Zugleich hieß es, dass »Deine Abwesenheit von dort etwas länger dauern wird, als wie die Arbeit es verträgt«.
     Im Ostberliner Regierungskrankenhaus suchte Reimann dann Sperling vor der erwähnten Tagung der KPD auf und erklärte ihm, dass er nicht mehr Mitglied des Parteivorstandes sein könne. Er sollte eine Erklärung unterzeichnen, dass er damit einverstanden sei. Die Anweisung dazu hatte Reimann von der ZPKK (Zentrale Parteikontrollkommission) der SED erhalten, die dies mit der Haltung Sperlings im Schweizer Exil begründete. Sperling, in der Annahme, er habe in der Emigration einen schweren Fehler begangen, stimmte zu. An der Vorstandssitzung selbst durfte er nicht teilnehmen.
     Er hoffte zugleich, dass er nach Behandlungsende in etwa zehn Tagen nach Hause könne.
     Statt dessen wurde Sperling in Ost-Berlin festgenommen. Später schildert er den Vorgang so: »Am Abend des 26. Februar also führte mich Richard Stahlmann vor das Krankenhaus, vor dem ein Auto wartete.
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In diesem Auto saßen drei Mitarbeiter der Staatssicherheit in Zivil. Richard Stahlmann machte die Türe des Autos auf, ich nahm Platz, er schlug hinter mir die Türe zu. Die drei Mitarbeiter der Staatssicherheit lieferten mich im Spezialgefängnis der Staatssicherheit Spezialstelle ab. Ich wurde also von deutschen Organen verhaftet.« Welch Hohn, am 20. März 1951 »genehmigte« das KPD- Sekretariat die »Übersiedlung« von Sperling - und anderen KPD- Spitzenfunktionären - in die DDR.
     Bis zur 2. Parteikonferenz der SED im Juli 1952 und der Erklärung des Zentralkomitees der SED vom 20. Dezember 1952 »Lehren aus dem Prozess gegen das Verschwörer- Zentrum Slansky« erfuhr die Öffentlichkeit nichts über Sperling. Nun wurde behauptet: »Eines der führenden Mitglieder der Züricher Emigrationsleitung, die unter trotzkistischer Leitung stand, Sperling, arbeitete eng zusammen mit den amerikanischen und englischen Agenten in der Schweiz.«
Ein Haftbefehl gegen Sperling wurde erst am 17. April 1953 erlassen.
     Sein erstes Verhör beschrieb er 1956 so: »In der Nacht vom 26. Februar 1951 auf den 27. Februar erklärte mir B., dass ich keine Fehler begangen hätte, sondern Verbrechen«. Er solle die »Wühlarbeit« gegen die Partei und führende Funktionäre zugeben. «Ich erklärte ihm, dass ich nie in meinem Leben Verbrechen gegen die Partei und gegen einzelne Funktionäre der Partei
begangen hätte, dass ich darum solche Aussagen, wie er es wünsche, nicht machen könne.« An seine Parteitreue appellierend und vorgaukelnd, daß die »Verhaftung mit der Zustimmung der Partei erfolgt« sei, wurde ihm »nahegelegt«: »Opfere Dich für die Partei.«
     Von einer im Mai 1956 von der KPD gebildeten Untersuchungskommission »seiner Angelegenheit« wurde er befragt: »In Deinem Bericht bezeichnest du auch Genossen bzw. Personen mit B und C. Wer ist das, was haben sie mit der Angelegenheit zu tun?« Fritz Sperling antwortete: »B ist Staatssekretär Mielke. C ist Gen. Walter Ulbricht.« Und er führte weiter aus, dass Mielke ihm zu Ende des ersten Verhörs zugerufen habe, »jetzt zum Gen. Walter Ulbricht zu gehen und ihm schildern, was ich für ein verkommener Lump sei«.
     In den Monaten nach der Verhaftung fanden nachts, meist abends um 22 oder 23 Uhr beginnend, stundenlang Verhöre statt, die von Offizieren des sowjetischen KGB (dem Nachfolger des NKWD) und der DDR- Staatssicherheit geführt wurden. Im Mai 1951 sagte ein sowjetischer Offizier, »Chef der Vernehmerbrigade«, zu Sperling: »Ihre Sache ist von ganz großen Leuten in Moskau entschieden worden. Sie sind ein Verbrecher und müssen vernichtet werden.« In den Verhören war der Herzkranke unerträglichen Torturen, darunter Schlafentzug und andere Qualen, ausgesetzt.
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In seiner Zelle im Keller befanden sich nur eine Holzpritsche und ein Kübel für die Notdurft. Hinlegen durfte er sich tagsüber nicht, beim Sitzen sich nicht anlehnen. In tiefer Verzweiflung unterzeichnete er im Oktober 1952 Protokolle, in denen er sich bezichtigte, »Verbrechen begangen zu haben« und faktisch ein »Agent« gewesen zu sein: »In der Überzeugung, dass ein Kommunist alles opfern muss, um zu helfen den Sozialismus zu verwirklichen habe ich alles geopfert was notwendig war.« Er sah damals keine andere Wahl. »Mir blieben nur zwei Möglichkeiten: entweder wie ein Tier zu krepieren oder aber am Leben zu bleiben, um alles aufzuklären.«
     Seine Peiniger versuchten vergeblich, ihn dazu zu bringen, die Spitzenfunktionäre der KPD Walter Fisch, Otto Niebergall oder Josef Schleifstein zu Agenten zu erklären, Aussagen über »Verbrechen« von Franz Dahlem (1892-1981) zu machen oder Paul Verner (1911-1986) und Wolfgang Langhoff (1901-1966) zu belasten.
     Sperling - mit Merker und Dahlem als Hauptangeklagten - war offenbar für eine »Hauptrolle« in einem DDR- Schauprozess auserkoren. Der Tod Stalins vereitelte dies. Dennoch wurde er in einem Geheimprozess, ohne Verteidiger, am 18. März 1954 vom Obersten Gericht der DDR zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. Er wurde als »Agent der Amerikaner« und wegen »Verbrechen gegen den Frieden« verurteilt, er hätte in der Emigration »planmäßige Zersetzungsarbeit« geleistet, die »Spaltung Deutschlands« begünstigt und die »Entlarvung von Agenten in der KPD« verhindert.
Im Mai 1954 kam er ins Zuchthaus Brandenburg, Anfang 1956 in das MfS- Gefängnis nach Berlin- Lichtenberg. Er blieb weiterhin von der Außenwelt isoliert. Seine Frau Lydia, mit der er seit 1947 verheiratet war, wusste fünf Jahre nicht, ob er noch lebte. Im November 1955 durfte er erstmals an sie einen Brief schreiben. Mitte Februar 1956 wird ihm mitgeteilt, dass sie in einem Pflegeheim sei.
     Unmittelbar nach dem XX. Parteitag der KPdSU im Frühjahr 1956 kam er frei, erst zu dieser Zeit erfuhr er von Stalins Tod. Am 8. März 1956 wurde er als Begnadigter, nicht aber als Rehabilitierter entlassen. Er musste unterschreiben, in der DDR zu bleiben und nicht in die Bundesrepublik zurückzukehren. Aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes kam er sofort in das Krankenhaus Berlin- Friedrichshain. Sperling verlangte wiederholt, so in einem Brief am 25. April 1956 an Hermann Matern (1893-1971), den Vorsitzenden der Kontrollkommission der SED, aufzuklären, dass in seinem Fall einzelne Funktionäre und zuständige Stellen bewusst gegen das Parteistatut gehandelt haben und an ihm politische und kriminelle Verbrechen begingen. Mehrfach forderte er eine vollständige, konsequente Untersuchung. Er betonte: »Es geht um die volle Wiederherstellung der demokratischen Gesetzlichkeit, es geht um die Ergreifung von Sicherungsmaßnahmen, dass niemals gleiche oder ähnliche Verbrechen an der SED, an der KPD begangen werden können. Das ist die Hauptfrage.« Es ging ihm um die Verantwortung von Spitzenfunktionären der KPD und SED sowie der Staats- und Justizorgane.
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Einer eingesetzten Kommission der KPD gab er am 14. Mai 1956 die Geschehnisse ausführlich zu Protokoll. Die von ihm unterschriebene Niederschrift umfasst über 100 Seiten. Am 8. Juni 1956 kam die Kommission zum Ergebnis, dass Fritz Sperling völlig unschuldig ist. Sie schlug »aufgrund der durchgeführten Überprüfung« vor, »Fritz Sperling zu rehabilitieren und seine Ehre wiederherzustellen«. Auf der Vorstandstagung der KPD im August 1956 hat Max Reimann zwar »Fehler aus der Periode 1950/51« eingestanden und unter den »parteigetreuen Genossen«, denen Unrecht geschah und die nun wieder das Vertrauen der Partei genießen, auch Sperling genannt. Doch zugleich erklärte er: »Die Genossen werden verstehen, dass wir diese Feststellung nicht im Dokument aufnehmen und auch nicht veröffentlichen.« Erst Ende Juli 1957 teilte die KPD- Zeitung »Freies Wort« mit, dass die Überprüfung der gegen Fritz Sperling erhobenen Beschuldigungen ergaben, »dass diese Beschuldigungen unzutreffend waren. Das Parteiverhältnis des Genossen Sperling ist geklärt. Er genießt das Vertrauen der Partei.«
     Fritz Sperling überlebte seine Freilassung nur zwei Jahre, ohne gerichtlich rehabilitiert zu sein. Er verstarb am 21. April 1958. Er war nur 46 Jahre alt geworden, beigesetzt wurde er am Pergolenweg bei der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin- Friedrichsfelde.
Das ZK der KPD würdigte ihn in einem Nachruf als »treuen Funktionär der Arbeiterklasse«, ging aber mit keinem Wort auf die Repressionen ein.

Der Beitrag stützt sich auf Bestände der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR (SAPMO), Berlin, zur KPD, insbesondere auf Archivalien zu Fritz Sperling, zu KPD- Vorstandssitzungen und zum Briefwechsel zwischen SED- und KPD- Apparat. Die Zitate von Sperling stammen meist aus der »Niederschrift der Aussprache zwischen den Mitgliedern der Kommission August Stötzel, Jule Jürgensen, Adolf Pöffel und Fritz Sperling vom 14. 5. 1956«. Vgl. zu Fritz Sperling und ausführlicher zur hier behandelten Problematik u. a. Karl-Heinz Jahnke: ...ich bin nie ein Parteifeind gewesen. Bonn 1993; Herbert Mayer: Durchsetzt von Parteifeinden, Agenten, Verbrechern ...? Berlin 1995; Wolfgang Kießling: Partner im »Narrenparadies« Berlin 1994; Thomas Klein u. a.: Visionen - Repression und Opposition in der SED 1949-1989, Frankfurt 1996.

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 3/2001
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