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Gerhard Keiderling
»The Mother of Berlin«

Eleanor Lansing Dulles (1895-1996)

Am 21. Oktober 1959 überreichte der Regierende Bürgermeister Willy Brandt im Rahmen einer kleinen Feierstunde im Rathaus Schöneberg der scheidenden Berlin- Beauftragten der US- Regierung, Eleanor Lansing Dulles, als Dank und Anerkennung für ihr Wirken die Ernst-Reuter- Medaille in Silber. Er nannte sie »Mutter Berlin«.
     Eleanor Lansing Dulles wurde als viertes von fünf Kindern eines presbyterianischen Geistlichen am 1. Juni 1895 in Watertown am Ontariosee (US-Staat New York) geboren. Der Dulles- Clan hatte damals schon Fäden nach Washington geknüpft. Der Großvater mütterlicherseits, John W. Foster, stand im diplomatischen Dienst der Regierung. Seine Tochter Eleanor war mit dem Juristen Robert L. Lansing verheiratet, der unter Präsident Woodrow Wilson (1856-1924) Außenminister war. Und Großmutter Foster lud regelmäßig Senatoren, Regierungsmitglieder und Diplomaten zum Tee ein.
     So lag es nahe, dass die Dulles- Kinder John Foster (1888-1959), Allen Welsh (1893-1969) und Eleanor Lansing über eine elitäre


Eleanor Dulles zwischen ihrem Bruder John Foster Dulles und Willy Brandt, Berlin 1959

Ausbildung ihren Weg in die große Politik gingen.
     Eleanor studierte in London, Boston und Paris Wirtschaftswissenschaften. Auf einer Ferienreise besuchte sie 1922 zum ersten Mal Deutschland. 1929 erhielt sie ein Stipendium, um ein Buch über die im Rahmen des Young- Plans geschaffene Bank für Internationalen Zahlungsausgleich zu schreiben. So kam sie 1930 zu Studien nach Bonn und Berlin. Im Schatten der Wirtschaftskrise zog die Gefahr des Nationalsozialismus herauf. »Ich hatte bereits Anzeichen dafür erkannt, dass die neuen Männer mit ihrer neuerworbenen Macht Amok laufen könnten.«1)

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     Zurückgekehrt in die Staaten, heiratete sie Ende 1932 David S. Blondheim (1884-1934), Professor für Romanistik an der John Hopkins University in Baltimore. Kurz nach dem plötzlichen Tode des Vaters kam im Herbst 1934 Sohn David zur Welt. Die Mutter, die nicht noch einmal heiratete, adoptierte 1937 eine Tochter Ann.
     Eleanor Dulles - sie hatte ihren Mädchennamen beibehalten - verfasste 1932/33 ihr erstes Buch »The Bank for International Settlements at Work«, übte Lehrtätigkeit an einem College aus und war im Regierungsamt für Soziale Sicherheit tätig, wo sie sich mit Fragen der Sozialversicherung und Altersversorgung beschäftigte. Nach dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg nahm Eleanor Dulles 1942 eine Arbeit in der Deutschland- Abteilung des State Departments auf. Sie gehörte zu den Fürsprechern eines »von extremen Ideen gesäubert(en) und unter Führung von gemäßigten Politikern« wiederaufgebauten Nachkriegsdeutschlands2), die sich gegenüber den Verfechtern eines »karthagischen Friedens« à la Morgenthau durchsetzten.
     Bei Kriegsende schickte das State Department Eleanor Dulles nach Wien, wo sie von Mai 1945 bis Oktober 1948 im Stab des US- Oberbefehlshabers General Mark Clark als Berater für Finanzfragen fungierte.
Mit der deutschen Frage kam sie nicht nur durch Reisen in die US-Zone in Berührung. Sie beriet sich oft mit ihrem Bruder John Foster; er war als außenpolitischer Experte der oppositionellen Republikanischen Partei an den Verhandlungen über einen deutschen Friedensvertrag und einen österreichischen Staatsvertrag auf den Viermächte- Außenminister- Konferenzen von Moskau 1947 und Paris 1949 beteiligt.
     An der damals in Washington geführten Strategiedebatte über den effektivsten Umgang mit dem Kommunismus (»containment« oder »roll back«) beteiligten sich die Dulles- Geschwister an exponierten Positionen. John Foster, von 1953 bis zu seinem Tode 1959 Außenminister unter Präsident Dwight D. Eisenhower (1890-1969), verfocht eine »Politik der Stärke«. Allen Welsh, von 1941 bis 1945 Leiter der USA- Spionage in Europa und von 1952 bis 1961 Chef des CIA, tat das Gleiche an der »unsichtbaren Front« der Geheimdienste. Eleanor trug das Ihrige an der ökonomischen Front des Kalten Krieges bei. Anfang der fünfziger Jahre gehörte sie dem COCOM an, das die Liste von Gütern zusammenstellte, die vom Export in kommunistische Länder ausgeschlossen waren.
     Eleanor Dulles kehrte 1952 ins State Department zurück und übernahm die Leitung des Berlin Desk (Berlin- Ressorts) im damaligen Bureau of German Affairs.
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James W. Riddleberger, als Chef der Politischen Abteilung der US- Militärregierung in Deutschland von 1947 bis 1950 mit der Berliner Frage während der Blockadezeit bestens vertraut, hatte sie für diese Aufgabe gewonnen. Bislang hatten sich in Washington verschiedene Stellen mit dem Berlin- Problem beschäftigt.
     Das neue Ressort sollte die Arbeiten koordinieren und effektiver gestalten. Eleanor Dulles nahm sich der neuen Herausforderung mit großer Verve an. Sie begriff Berlin als eine »Schlüsselstadt für das Aufhalten der kommunistischen Flut, so wichtig für die Amerikaner wie eine ihrer eigenen Städte«.3)
     Im Januar 1953 kam die Sonderberaterin für Berliner Angelegenheiten des Direktors der Deutschland- Abteilung im State Department - so der offizielle Titel - erstmals in die Bundesrepublik und nach West-Berlin, um mit alliierten und deutschen Behörden die Zusammenarbeit mit der Marshallplan- Behörde zu koordinieren und eine Ausweitung der Hilfsprogramme zu erörtern. Damals befand sich West-Berlin in einer schwierigen, durch Wirtschaftskrise, Massenarbeitslosigkeit und Flüchtlingsnot gekennzeichneten Situation, die die Blockade und die Teilung der Stadt verursacht hatten (vgl. BM 10/2000).
     In Bonn sprach sie mit Bundeskanzler Konrad Adenauer und Bundes- Wirtschaftsminister Ludwig Erhard und in West-Berlin mit dem Regierenden Bürgermeister Ernst Reuter und dem Senator für Kreditwesen Paul Hertz.
     Bei ihrem zweiten Besuch in West-Berlin, der der Vergrößerung der sogenannten Senatsreserve zur Vorbeugung einer erneuten Blockade galt, erlebte Eleanor Dulles die Unruhen vom 16./17. Juni 1953 in Ost-Berlin. Von maßgebender politischer und militärischer Seite war größte Zurückhaltung der Westmächte beschlossen worden, zumal »der Aufstand keine Führung hatte und nicht organisiert war. Wir wussten, es gab keine herausragenden Widerstandspersönlichkeiten in der sowjetischen Zone«.4) Nach Washington zurückgekehrt, organisierte Eleanor Dulles in Absprache mit ihren Brüdern eine Lebensmittelhilfsaktion für die »hungernden Menschen in der Ostzone«, die die vielfach kritisierte Tatenlosigkeit der Westens ausgleichen sollte. 15 Millionen Dollar wurden kurzfristig bereitgestellt, um im Juli/August 1953 Lebensmittelpakete mit einem Wert von je etwa 15 Dollar in West-Berlin an DDR- Bürger bei Vorlage ihres Personalausweises zu verteilen - eine selbst in Washington umstrittene Aktion.
     Eleanor Dulles setzte sich dafür ein, dass die öffentlichen US- amerikanischen Gelder - ihre Gesamtsumme überstieg bis 1961 eine Milliarde Dollar - vorwiegend in Projekte flossen, die West-Berlin zu einem »Schaufenster für den Osten« ausgestalten und den antikommunistischen Widerstandsgeist der Berliner stärken sollten (vgl. BM 11/2000). Sie bewog die Ford Foundation, ihre Zuwendungen für die Freie Universität zu erhöhen.
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Das erste mit ihrem Namen verbundene Vorhaben war das Studentendorf in Schlachtensee (Bezirk Zehlendorf), das zwischen 1957 und 1959 durch eine Spende des US-State- Departments und der Ford Foundation errichtet wurde.
     Das spektakulärste Projekt war zweifelsohne die Kongresshalle im Tiergarten, der Beitrag der USA zur »Internationalen Bauausstellung« 1957. Die Idee stammte von Eleanor Dulles, die den Architekten Hugh Stubbins für den Entwurf und die Benjamin-Franklin- Stiftung für die Finanzierung gewann.
     Die feierliche Eröffnung des Gebäudes am 19. September 1957 empfand sie als »eine der befriedigendsten Erfahrungen in meinem Arbeitsleben«, nicht nur weil das Haus wegen seines geschwungenen Daches auch »Frau Dulles' Hut« genannt, sondern sofort von den Berlinern aus Ost und West angenommen wurde.
     Langwieriger gestaltete sich die Realisierung eines anderen Großprojektes, für das Eleanor Dulles ebenfalls die Benjamin-Franklin- Stiftung hatte gewinnen können. West-Berlin benötigte dringend ein modernes Großkrankenhaus und die Freie Universität eine Ausbildungsstätte. An der Grundsteinlegung zu diesem Klinikum in Steglitz am 21. Oktober 1959 wie auch an seiner feierlichen Eröffnung am 8. Oktober 1969 nahm die Initiatorin des Projektes selbstverständlich teil.

Auf Initiative von Eleanor Dulles treffen Lebensmittelspenden für »die Zone« in West-Berlin ein

»Wir vergaben große Summen für die Errichtung neuer Gebäude, nicht nur weil sie nötig waren, sondern weil sie unser langfristiges und anhaltendes Interesse versinnbildlichten.«5) In diesem Sinne waren weitere Unternehmungen mit ihrem Namen verbunden, so auch die finanzielle Förderung von »RIAS Berlin - Eine freie Stimme der freien Welt«.

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     Ende September 1959 schied Eleanor Dulles aus ihrem Amte als Berlin- Beauftragte. Zwischen 1952 und 1959 hatte sie insgesamt 27mal den Atlantik überquert. Das US- Außenministerium übertrug ihr neue Aufgaben in der Auslands- und Entwicklungshilfe, die sie auf drei Reisen in 47 Länder führten.
     Doch im September 1961 verließ sie nach 20- jähriger Tätigkeit endgültig das State Department. Der neue Präsident John F. Kennedy (1917-1963), der das blamable Misslingen des Landeversuches in der Schweinebucht auf Kuba im Mai 1961 dem CIA-Chef Allen Dulles anlastete, hatte auch auf der Entlassung von dessen Schwester bestanden.
     Eleanor Dulles widmete sich nun wieder der Lehrtätigkeit an amerikanischen Universitäten und unternahm Vortragsreisen. Sie besuchte 1965 und 1967 auch die DDR. Ihre Eindrücke von Land und Leuten legte sie in dem Buch »Berlin - The Wall is not forever« (1967) nieder, das unter dem Titel »Berlin und die Amerikaner« in der Bundesrepublik erschien. Ihre Beziehungen zu Berlin, zu dortigen Institutionen und Freunden, ließ sie nie abreißen. Die Freie Universität trug ihr im Mai 1985 die Ehrenprofessur an.
     Nach dem Mauerfall kam sie wieder an die Spree, um im Gästehaus des Senats in Grunewald ihren 95. Geburtstag zu feiern. Die letzten Jahre lebte sie in einem Washingtoner Altenheim. Hier starb sie am 30. Oktober 1996 im Alter von 101 Jahren.
Anmerkungen
1 Eleanor Lansing Dulles: Berlin und die Amerikaner, Köln 1967, S. 20
2 Eleanor L. Dulles: »Hier ist Eleanor«. Meine Karriere als Wirtschaftsexpertin und Diplomatin, Freiburg i. Br. 1982, S. 102
3 Dulles: Berlin und die Amerikaner, S. 15
4 Dulles: »Hier ist Eleanor«, S. 166
5 Ebenda, S. 180

Bildquellen: Archiv Autor, LBV

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 3/2001
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