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Maria Curter
Wohin mit dem Müll?

Straßenreinigung und Müllbeseitigung zwischen 1945 und 1960

Etwa drei Wochen nach Beendigung der Kampfhandlungen in Berlin forderte die sowjetische Militäradministration am 23. Mai 1945 mit dem Befehl Nr. 21 die Berliner Bevölkerung auf, alle Anordnungen der Gesundheitsverwaltung zur »Müllbeseitigung und zur Sauberhaltung der Straßen und Häuser nach besten Kräften zu befolgen, um keine Infektionsherde entstehen zu lassen«. Vordringlichste Aufgabe in diesen Wochen war, die am Ende des Krieges zum Erliegen gekommene Müllabfuhr und Straßenreinigung wieder in Gang zu bringen und die Trümmer in der zu zwei Dritteln zerstörten Stadt zu beseitigen.
     Am 1. Oktober 1945 wurde die »Groß-Berliner Straßenreinigung und Müllabfuhr« gebildet. Standen ihrer Vorgängerin, der »Städtischen Müllbeseitigungsanstalt«, zehn Jahre zuvor 386 Pferdewagen Typ »Staubschutz«, etwa 800 Pferde, 64 Automobile und 85 Elektromobile zur Verfügung, so waren davon 1945 noch neun Großraummüllwagen, 28 Elektromobile, 27 LKW bzw. Zugmaschinen, 120 Staubschutzwagen sowie 16 Pferde übrig geblieben.

Nicht nur das Einsammeln des Mülls war behindert, sondern auch der Ferntransport zu den Deponien. Es mangelte an Eisenbahnwaggons. Statt monatlich 50 benötigter Wagen konnte die Reichsbahn nur etwa fünf stellen. Deshalb mussten Deponiemöglichkeiten innerhalb der Stadt ausfindig gemacht werden. So bestimmte man einen U-Bahn- Schacht vom Theodor-Heuss- Platz unter der Heerstraße Richtung Spandau als Müllgrube, im Tiergarten Schächte für eine geplante Stettiner Bahn. Munitionsgräben und noch unter der Nazi- Herrschaft ausgehobene Kanalisationsgräben im Tiergarten wurden ebenso bis 1948 mit Müll verfüllt wie ein zerstörter Bunker im Friedrichshain. Im Wedding und in Friedrichshain hat man versucht, »aus dem Müll eine gewisse Komposterde zu machen«, um sie in der Landwirtschaft und in Kleingärten zu verwenden.
     Im Frühjahr 1946 schaffte die Müllabfuhr, trotz größter Anstrengungen, nur etwa 20 Prozent des Hausmülls abzufahren. Nach der am 13. April 1946 erlassenen Polizeiverordnung sollten deshalb bis Ende April auf den Grundstücken zeitweilig Müllgruben von mehr als einem Meter Tiefe angelegt und mit Chlormörtel bedeckt, alles Brennbare verbrannt und Küchenabfälle kompostiert werden, »weil die geregelte Müllabfuhr im gesamten Stadtgebiet noch nicht möglich ist«.
     Im Jahre 1947 wurden aus den Westzonen Arbeitspferde nach Berlin gebracht, um noch vorhandene Fuhrwerke nutzen zu können.
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Anfang 1948 verfügte die Müllabfuhr zwar über 320 Pferde, aber deren Versorgung mit Futter konnte nicht gewährleistet werden.
     So fuhren manche Müllkutscher, um den Kontrollen an den Sektorengrenzen zu entgehen, über Friedhöfe ins Umland, um bei Bauern Futter einzukaufen. Und die privaten Fuhrunternehmer, die in bezirklichen Fahrgemeinschaften zusammengeschlossen waren, erklärten sich eher bereit, eine Lebensmittelfuhre als eine Müllfuhre zu übernehmen.
     Mit der totalen Blockade der Verkehrswege nach West-Berlin im Juni 1948 konnte ein knappes Jahr lang kein Müll mehr diesen Teil der Stadt verlassen. Die »Rosinenbomber« versorgten zwar die Westberliner Bevölkerung mit dem Nötigsten, waren aber für Mülltransporte nicht ausgelegt.
     So wurden u. a. Plätze in der Ziegrastraße (Neukölln), Bergstraße/ Ecke Munsterdamm (Steglitz), der Kemperplatz (Tiergarten) sowie die Grünanlagen am Humboldthain (Wedding) zeitweilig zu Mülldeponien.
     Bedeutete in den ersten Nachkriegsjahren Straßenreinigung vorwiegend Schutt- und Trümmerbeseitigung, so konnte man sich Ende der vierziger Jahre wieder der systematischen Straßenreinigung und Müllabfuhr zuwenden. Doch mit der Teilung der Stadt am 1. Dezember 1948 teilte sich auch die Verwaltung der Stadtreinigung.
Die Berliner Stadtreinigung

Ende November 1948 begannen in West-Berlin ansässige Verwaltungsmitarbeiter der »Groß-Berliner Straßenreinigung und Müllabfuhr«, darunter auch der Direktor, mit den Vorbereitungen zum Aufbau einer eigenständigen Westberliner Straßenreinigung und Müllabfuhr, die als »Berliner Stadtreinigung« (BSR) ab 1. April 1951 ihren Hauptsitz in der Ringbahnstraße in Tempelhof hatte. Sie verfügte über acht von neun für ganz Berlin vorhandene Großraummüllwagen, 18 (von 28) Elektromobile, sechs (von 27) LKW bzw. Zugmaschinen sowie 38 (von 120) Staubschutzwagen. Die wichtigsten Aufgaben zwischen 1951 und 1960 waren die technische Erneuerung des Fuhrparks und die Suche nach Möglichkeiten der Müllbeseitigung.
     Während der Müll aus Ost-Berlin weiterhin ins Brandenburger Umland, auf den aus der Weimarer und Kaiserzeit stammenden Kippen Vorketzin, Schöneicher Plan, Bergerdamm und Caputh entsorgt werden konnte, blieb der Westberliner Müll zunächst in der Stadt. Von September 1949 bis Juni 1952 war es noch einmal möglich, Müll von der Bahnverladestelle Monumentenbrücke (Kreuzberg) zum Schöneicher Plan in die DDR zu transportieren. Die weitere Entsorgung ins Umland scheiterte daran, dass man sich über die Kostenerstattung nicht einigen konnte.

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Von Kriegsende bis 1958 waren so auf Westberliner Gebiet 33 Kippen mit acht Millionen Kubikmeter Müll aufgefüllt worden. Größere Abladeplätze befanden sich seit Dezember 1948 an der Teufelsseechaussee (Teufelsberg), am Diedersdorfer Weg (Marienfelde), an der Waßmannsdorfer Chaussee (Rudow), in der Quickborner Straße (Lübars, bis 1967) sowie im Jagen 76 in Wannsee. Kleinere Deponien entstanden bis 1958 in Lichterfelde, Tempelhof, Zehlendorf, Reinickendorf, Kladow, Rudow, Britz, Wittenau, Schöneberg, Tempelhof, Hermsdorf, Charlottenburg und Heiligensee. Bis 1958 war der Rohrbruch in Haselhorst mit einem Fassungsvermögen von 1,5 Millionen m3 die größte Westberliner Müllkippe. Als diese und einige andere Abladeplätze geschlossen werden mussten, baute die BSR beim Betriebshof Forckenbeckstraße (Wilmerdorf) eine große Umladestation. Seit März 1959 kippten dort die Müllfahrzeuge ihren Inhalt an zehn Ladestellen über trichterförmige Schächte direkt auf große Sattelschlepper. Diese 20 Kubikmeter fassenden Fahrzeuge verfrachteten den Abfall zu den vier größten innerstädtischen Deponien - Wannsee (1954-1982; 32 Millionen m3; Höhe 90 Meter), Lübars, Marienfelde und Rudow.
Die letzte Fahrt der »Staubschutzpatentwagen« im April 1955
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Bis 1955 dominierten bei der Müllabfuhr die noch aus der Jahrhundertwende stammenden sogenannten Staubschutzwagen. Im April 1955 wurden diese »Müllkutschen« ausrangiert. Die dazugehörigen 200 Liter fassenden Müllkästen wurden durch 110-Liter- Tonnen ersetzt. Von nun an erfolgte die Müllabfuhr nur noch mit Großraummüllwagen, von denen es 1954 schon 48 gab. Zwischen 1950 und 1960 stieg das Müllaufkommen um 22 Prozent. Für die Straßenreinigung wurden ab 1953 moderne sogenannte selbstaufnehmende Kehrmaschinen der Firma Faun eingesetzt.

Die »Groß-Berliner Straßenreinigung und Müllabfuhr«

In Ost-Berlin blieb es bis 1976 bei der »Groß-Berliner Straßenreinigung und Müllabfuhr«, deren technische Ausstattung nach der Teilung der Stadt aus einem Großraummüllwagen, 10 Elektromobilen, 20 LKW und anderen Zugmaschinen sowie etwa 80 Staubschutzwagen bestand. Auch hier ging es zwischen 1950 und 1960 um die technische Erneuerung des Fuhrparks, aber ebenso um die Verwertung des Mülls.
     Ab Mitte der fünfziger Jahre wurde begonnen, den Fuhrpark zu erneuern. So erhielt der Betrieb 1956 zehn Müllspezialautos aus der Tschechoslowakei. 1957 folgten elf weitere. Im selben Jahr standen 97 Staubschutzwagen, von denen 70 pferdebespannt waren und 27 durch Traktoren gezogen wurden, zur Verfügung.

Darüber hinaus verfügte der Betrieb über 48 Müllautos, von denen 16 veraltet waren. »Die Notwendigkeit des Ersatzes der 97 sogenannten Müllpatentwagen, die nur noch als Wracks zu bezeichnen sind, kann von keiner Seite bestritten werden«, hieß es in einer Magistratsvorlage. In diesem Zusammenhang wurde eingeschätzt, dass wegen des unzureichenden Fuhrparks »noch nicht das gesamte Gebiet des demokratischen Sektors von Groß-Berlin durch die Groß-Berliner Straßenreinigung und Müllabfuhr in die Müllabfuhr einbezogen werden (kann)«.
     In einer Reihe von Ortsteilen wie Rauchfangswerder, Wilhelmshagen, Hessenwinkel, Rahnsdorf, Karow, Blankenburg, Buch, Müggelheim u. a. wird die Müllabfuhr behelfsmäßig vorgenommen.
     Zur Zeit werden von der Müllabfuhr ca. 900 000 m3 Müll jährlich erfasst. In der Perspektive, d. h. bei Einbeziehung aller Randgebiete, wird sich die Menge auf ca. 1 100 000 m3 erhöhen. Für die endgültige Bereinigung des Fahrzeugparkes der Müllabfuhr und für den vorläufigen Abschluss der Technisierung, die bis 1960 beendet sein soll, benötigt der Betrieb ab 1958 weitere 80 Skoda- Müllfahrzeuge. Mit diesem Fahrzeugpark ist der Betrieb dann in der Lage, die Müllbeseitigung im gesamten demokratischen Sektor zu übernehmen und einen gesicherten Betriebsablauf zu garantieren.« Im Oktober 1959 ging die letzte »Müllkutsche« in Ost-Berlin außer Betrieb.
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     Über die Kompostierung und anderweitige Verwertung der Siedlungsabfälle wurde zwar schon 1957 nachgedacht, aber die Lösung dieses Problems um fünf Jahre verschoben. Der Müll wurde deshalb weiterhin per Bahn ins Umland, hauptsächlich zum Schöneicher Plan, verfrachtet. Das erfolgte an drei Verladebrücken, und zwar an der Behmbrücke (Prenzlauer Berg), an der Modersohnbrücke (Friedrichshain) und in Spindlersfeld (Köpenick).
     Für die Straßenreinigung waren 14 völlig veraltete sogenannte Waschmaschinen sowie neun Kombinationsfahrzeuge (für Kehrichtabfuhr und als Sprengwagen) vorhanden. Im Jahre 1957 legte man den Schwerpunkt auf die technische Entwicklung von selbstaufnehmenden Kehrmaschinen. Es wurde eingeschätzt, dass sich die vorhandenen fünf selbstaufnehmenden Kehrmaschinen vom Typ Faun mit einem Fassungsvermögen von 1,5 m³ nicht genügend bewährt haben. Die im VEB Spezialfahrzeugbau Berlin- Adlershof entwickelte Maschine hatte dagegen ein Fassungsvermögen von 3 m³ und somit den doppelten Aktionsradius.
     Deshalb beschloss der Magistrat, in den nächsten Jahren noch 40 Maschinen aus Adlershof anzuschaffen.
     1960 wurde eine neue Gebührenordnung erlassen, die die vom 1. April 1949 stammende ersetzte.
Denn durch die Umstellung der Müllabfuhr auf die Skoda- Müllspezialfahrzeuge war auch die Umstellung von den 200-Liter- Müllkästen auf 110-Liter- Tonnen erforderlich. Auch die Satzung über die Städtische Müllbeseitigung in Berlin vom 19. Dezember 1936 wurde durch eine neue ersetzt, da sie »nicht mehr unserer gesellschaftlichen Entwicklung entspricht«.

Quellen:
-     Curter, Maria, Berliner Gold, Geschichte der Müllbeseitigung in Berlin, Berlin 1996
-     Hofmeister-Lemke, K.-H., Geschichte der Berliner Stadtreinigung, Berlin 1990 (unveröffentlichtes Manuskript)
-     Landesarchiv Berlin (LAB), Rep 100/770; Rep 100/869; Rep 100/1011; Rep 100/1030

Bildquelle: Archiv Autor

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 3/2001
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