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Kurt Laser
Glamour, Kunst und Kinoalltag

Streiflichter der Berliner Filmgeschichte in den Fünfzigern

Zu Beginn der 50er Jahre sind die Berliner Filmtheater gut besucht. Die Konkurrenz des Fernsehens fehlt noch.
     Im Januar 1950 läuft in 47 bundesdeutschen und Westberliner Kinos gleichzeitig der als bester Film des Jahres 1949 in Cannes preisgekrönte »Dritte Mann« des englischen Regisseurs Carol Reed, in der Werbung angekündigt als die Sensation der Weltstädte, Rekordlaufzeit in Paris, London, Zürich, Stockholm, Kopenhagen.
     Sonst hält in den Westberliner Kinos die Flut der Wildwestfilme an. »Abenteurer im Wilden Westen« der Allied- Artist Film hat am 10. Februar 1950 gleichzeitig in 15 Westberliner Filmtheatern Premiere. Es laufen außerdem um die Jahreswende 1949/50 der österreichische Film »Schleichendes Gift«, »Mit Pinsel und Degen« von der Paramount, »Herzen in Flammen« mit Marlene Dietrich (1900-1992) von Warner Brothers, »Tarzan in New York« und »Erfüllte Träume« von der Metro- Goldwyn- Mayer (MGM), »Das Wunder von Manhattan«, der Wiener Kunstfilm von der 20th Century- Fox, »Phantom der Oper« und »Arabische Nächte« von der Universal- International- Film.

Die ausländischen Filme werden in der Regel in Originalfassung mit deutschen Untertiteln gezeigt.
     Ab 11. Februar bietet das Marmorhaus am Kurfürstendamm für die Sonnabendnächte eine Staffel von zehn Filmen an und beginnt als Uraufführung mit »Francoise Villon« (»Vagabund und Poet«). Es folgen »Die Kartause von Parma«, »Das Boot der Verdammten«, »Das Spiel ist aus«, »Eine große Liebe« und der vom französischen Kritikerverband ausgezeichnete Streifen »Treffpunkt Quartier Latin«.
     Im Studio Berlin wird der Columbia- Film »Sambafieber«(»The Thrill of Brazil«) als Silvesterpremiere in Originalfassung mit deutschen Untertiteln vorgestellt, nachdem zuvor schon das Samba- Tanzfieber Deutschland überkam.
     Ab 3. Februar 1950 erscheint das erste Mal die »Neue Deutsche Woche« im Verleih der Schorchtfilm Berlin - Hamburg.

DEFA auf dem Weg aus der Krise?

Zur gleichen Zeit, etwa um das Jahr 1950, ist die DEFA, wie Kurt Maetzig (geb. 1911) 25 Jahre später im Rückblick feststellt, in ihre erste Krise geraten.
     Man wollte - so schreibt er -, um die Qualität der Filme zu heben, nur noch Projekte, die in jeder Hinsicht hieb- und stichfest waren, in die Produktion geben. Um das zu gewährleisten, wurde ein umfangreiches Beratungs- und Kontrollsystem geschaffen.

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Der Wildbach der ersten, spontanen Produktionsperiode wurde in zu enge Röhren kanalisiert. Es traten Reibungsverluste ein ... In der Absicht, inhaltlosen Formalismus abzuwehren, wurde die dringend nötige Entwicklung der künstlerischen Form gebremst und damit die Wirksamkeit geschwächt. Die Filme verloren an Bildkraft und Aussage, sie wurden geschwätzig und didaktisch und verloren in einem solchen Maße an Originalität, dass man nach dem Ansehen nicht mehr feststellen konnte, welcher Regisseur wohl dahinterstand.
     Als Folge dieser Krise geht auch die Zahl der produzierten Filme zurück. Sind es 1949 noch elf, so werden 1951 acht und 1952 nur noch sechs Filme gedreht.
     Immerhin entsteht aber bei der DEFA 1951 »Der Untertan«, das vielleicht beste Werk von Wolfgang Staudte (1906-1984), das in Karlovy Vary ausgezeichnet wird. Es ist die kongeniale Verfilmung des Romans von Heinrich Mann (1871-1950), die den deutschen Kleinbürger als verlässlichste Stütze einer großmannssüchtigen Bourgeoisie in einer filmischer Satire entlarvt. Bemerkenswert ist auch die Besinnung auf die optischen Ausdrucksmöglichkeiten der Filmkunst, die in diesen Jahren durch Betonung der Dialoge leidet.
Kein schlechter politischer Film

Auch Kurt Maetzig selbst produziert 1950 mit »Der Rat der Götter« ein Werk, das die Filmgeschichtsschreibung als sein bedeutendstes dieser Periode bezeichnet. Das Drehbuch schrieben Friedrich Wolf (1888-1953) und der sowjetische Schriftsteller Philipp Gecht, die aufwühlende Zweckmusik - so ein Kritiker - ist von Hanns Eisler (1898-1962). Die Autoren stützten sich auf Akten des Nürnberger Prozesses und das Buch »IG Farben«, das Richard Sasuly 1947 in New York veröffentlicht hatte und das großes Aufsehen erregte.
     Unter der Überschrift »Chemiegewaltige auf der Anklagebank« berichtet die in Baden-Baden erscheinende Illustrierte Filmwoche am 14. Januar 1950 über die Dreharbeiten. Obwohl der Prozess gegen die Leiter des IG-Farben- Konzerns die Grundlage sei, lege man Wert darauf, dass von einem Chemieprozess gesprochen wird und die Personen der Handlung frei erfunden seien. Regisseur Kurt Maetzig betont der Presse gegenüber, dass bei der Zeichnung der handelnden Personen jede Schwarzweißmalerei vermieden wurde. Als ein Pressevertreter fragt, ob der Film vielleicht auch in den Westzonen laufen werde, antwortet Maetzig lächelnd, dass dafür die Freiwillige Selbstkontrolle der bundesdeutschen Filmwirtschaft zuständig sei.

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Dass diese den Film zugelassen hätte, ist nicht verbürgt. In Ost-Berlin hat er am 12. Mai 1950 gleichzeitig im »Babylon« und im »DEFA- Filmtheater« in der Kastanienallee Premiere.
     Mit dem Titel ist der Aufsichtsrat der Konzerns gemeint, der sich selbst in Anlehnung an ein mythologisches Gemälde, unter dem die Herren zu tagen pflegen, Rat der Götter nennt. Während des
Kriegsverbrecherprozesses in Nürnberg fühlt sich keiner von ihnen schuldig.
     Die »Illustrierte Filmwoche« konstatiert, man habe einen politischen Film drehen wollen, und er sei als solcher nicht schlecht geraten. Er beschwöre die Anklage gegen jene Männer, die Hitler zur Seite standen, im Nürnberger Prozess freikamen und heute an gleicher Stelle giftige Gase mischen (sollen).

Heinz Rühmann in »Der Hauptmann von Köpenick«, 1956, Regie Helmut Käutner
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Das Drehbuch mache sich sehr geschickt geschichtliche Tatsachen zunutze, es verfälsche nicht unbedingt, berichte aber auch nicht unbedingt wahrheitsgemäß.
     Bei der Betrachtung der künstlerischen Leistung wird den Schöpfern eine außerordentlich gekonnte Ensemblearbeit bescheinigt und die ausgezeichnete Kameraführung von Friedel Behn-Grund hervorgehoben. Süffisant bemerkt der Rezensent: Die Schönheitstänzerin Laya Raki darf eine von Erwin Lehn ersonnene Rumbanummer tanzen und wurde zum Titelbild des zugehörigen Filmprogramms erkoren, womit zumindest ein Reklamechef sein Wissen um den Publikumsgeschmack bewies. Laya Raki macht später auch noch international Karriere.
     Der Film kostet die damals nicht unerhebliche Summe von fast 3 Millionen DDR-Mark. Das Schöpferteam erhält 1950 den Nationalpreis I. Klasse. Die Presse der DDR reagiert enthusiastisch, die Kinos sind voll.
     In seiner Resolution »Für den Aufschwung der fortschrittlichen deutschen Filmkunst« konstatiert das Politbüro des ZK der SED zwei Jahre später, am 27. Juli 1952 einen grundlegenden Fehler. Es fehle die Arbeiterklasse als führende Kraft im Kampf gegen Faschismus und Imperialismus. Wieder wäre der positive Held ein schwankender Intellektueller gewesen, während der antifaschistische Gewerkschaftsfunktionär »Onkel« Karl eine zweitrangige Rolle spiele.
Die DEFA dreht weitere antifaschistische Filme wie »Die Sonnenbrucks« (1950), »Der Teufelskreis« (1956), »Mich dürstet« (1956), »Sie nannten ihn Amigo« (1959). Internationale Beachtung findet »Sterne (1959) von Konrad Wolf (1925-1982).
     In »Hauptmann von Köln« (1956) greift Slatan Dudow (1903-1963) neonazistische Umtriebe in der Bundesrepublik auf. Zum aktuellen »Halbstarken«- Problem drehen Gerhard Klein (1920-1970) und Wolfgang Kohlhaase (geb. 1931) den inzwischen zum DEFA- Klassiker gewordenen Streifen »Berlin - Ecke Schönhauser« (1956). Annekathrin Bürger (geb. 1937) spielt ihre erste Hauptrolle, und Ekkehard Schall (geb. 1930) gibt, deutlich vom Vorbild James Dean beeinflusst, den männlichen Part. Es geht um die Probleme von Jugendlichen, die auf die schiefe Bahn gerieten. In dieser Zeit entstehen aber auch heiter besinnliche Filme wie »Der Kahn der fröhlichen Leute« (1950), »Eine Berliner Romanze« (1956), »Vergeßt mir meine Traudl nicht« (1957) mit Eva-Maria Hagen (geb. 1934) und »Verwirrung der Liebe« (1959) mit Annekathrin Bürger und Angelika Domröse (geb. 1941).

Neue Produktionsstätten in Haselhorst

Während die DEFA das Filmgelände in Babelsberg bei Berlin nutzt, steht für die Westberliner Produktionen zunächst nur das Filmstudio in Tempelhof zur Verfügung.

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Die wichtigste Filmproduktionsfima, Artur Brauners (geb. 1918) Central Cinema Comp. Film GmbH (CCC-Film), geht nach Haselhorst und kann hier am 28. Februar 1950 mit »Maharadscha wider Willen« die erste Produktion in eigenen Ateliers starten. Auf dem über 10 000 m2 großen Gelände stand früher eine chemische Fabrik. Mit Gasmasken mussten die Bauarbeiter den Fundamenten zu Leibe rücken. Bald stehen zwei Hallen, dann vier und schließlich sechs. Konnten 1950 nur drei CCC-Filme hergestellt werden, sind es 1957/58 12 bis 15. Es ist überwiegend leichtere Unterhaltungskost, die Brauner anbietet, so 1957/58 z. B. die Streifen ... »und abends in die Scala«, »Die Unschuld vom Lande«, »Kindermädchen für Papa gesucht«, »Einmal eine große Dame sein«, »Das einfache Mädchen«, »Liebe, Jazz und Übermut«, »Siebenmal in der Woche«, »Der Graf von Luxemburg«, »Münchhausen in Afrika«.
     Jedes Jahr bietet Artur Brauner einen Film für die Internationalen Berliner Filmfestspiele an. 1958 ist es ein Remake von »Mädchen in Uniform«. Doch die Jury lehnt ab. Hoffentlich sitzt Artur Brauner nun nicht im Schmollwinkel, fürchtet ein Filmkritiker.

Treffpunkt der Filmprominenz

Die ersten Internationalen Filmfestspiele in West-Berlin werden am 6. Juni 1951 im Steglitzer Titania- Palast eröffnet. Es beteiligen sich 21 Länder mit 34 Spiel- und 105 Kulturfilmen.

Das Interesse der Berliner Bevölkerung ist groß, weil mehr als einhundert Regisseure und Filmschauspieler in der Stadt weilen.
     Zu den prominenten Darstellern zählen Olga Tschechowa, Brigitte Horney, Lil Dagover, Gustav Fröhlich und Theo Lingen, der mit dem Streifen »Der Theodor im Fußballtor« einen großen Erfolg erlebt. In den Cafés am Kurfürstendamm versuchen Schaulustige, einen Blick auf die Prominenten zu erhaschen. 1951 erhält den Goldenen Bären in der Sparte Dramatische Filme die Schweizer Produktion »Die Vier im Jeep«. In der Abteilung Musikfilme wird »Cinderella« aus den USA ausgezeichnet. Die Zuschauer wählen diesen Film in einer Besucherabstimmung außerdem zum publikumswirksamsten Beitrag. In den Wettbewerbskategorien Komödienfilme sowie Kriminal- und Abenteuerfilme gehen die Goldenen Bären 1951 an französische Produktionen. Die deutschen Beiträge bleiben ohne Auszeichnung. Nur der Spielfilm »Das doppelte Lottchen« nach Erich Kästner wird am Eröffnungsabend mit dem Bundesfilmpreis 1950 ausgezeichnet.
     Durch die Eröffnung des Zoo- Palastes am 28. Mai 1957 mit 1 204 Plätzen erhalten die Internationalen Filmfestspiele ein neues Premierenkino. An diesem Ort nahe der Gedächtniskirche hatte seit 1921 der UFA- Palast gestanden, der im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Jetzt erhob sich hier Berlins erstes Kino mit zwei Sälen unter einem Dach.
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Dreharbeiten zu »Alarm im Zirkus«, 1954, Regie Gerhard Klein
Oben gab es 1 204 Plätze, unten im »Atelier am Zoo« waren es 550. Zur Einweihung am 28. Mai 1957 werden der deutsche Film »Die Züricher Verlobung« und der amerikanische Streifen »Der Regenmacher« gezeigt.
     Im bürgerlichen Westen Berlins waren schon vor dem Ersten Weltkrieg repräsentative Filmpaläste entstanden. Soweit sie nicht im
Krieg zerstört wurden, stehen sie weiterhin als Ur- und Erstaufführungskinos zur Verfügung.

108 Filmpremieren in Ost-Berlin

In Ost-Berlin laden zu diesem Zeitpunkt 87 Filmtheater zum Besuch ein, von denen einige klangvolle Namen haben

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wie »Capitol« in der Neuen Schönhauser Straße, »Filmburg« in der Memhardstraße, »Imperial« in der Rosenthaler Straße, »Elite« in der Brunnenstraße, »Mila« und »Skala« in der Schönhauser Allee, »Rio« in der Prenzlauer Promenade, »Gloria« in Mahlsdorf, »Universum« in Schönholz, »Bio« in Biesdorf, »Lichtpalast« in Köpenick und »Europa« in Grünau. Doch die Namen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die meisten der Säle noch aus der Anfangszeit des Kintopps stammen. Es sind Handtuchkinos, schmale Räume mit kaum 100 Sitzplätzen und meist veralteten Vorführapparaturen, die regelmäßig Filmrisse garantierten.
     In der Münz- und der Memhardtstraße schließt ein Kino fast an das andere an. Das Kino »Pritzkow« in der Memhardstraße, zwar nicht, wie oft behauptet das älteste Kino Berlins überhaupt, aber zumindest das älteste noch existierende, schließt erst im September 1959 seine Pforten. Viele dieser Kinos beginnen als Tageskinos schon in den Vormittagsstunden mit ihren Vorführungen.
     Als einigermaßen repräsentativ können das »Babylon«, das »DEFA- Filmtheater« in der Kastanienallee und das »Filmtheater am Friedrichshain« angesehen werden.
     Durch Umbau entsteht im Mai 1957 das »Colosseum« in der Schönhauser Allee, das für die damalige Zeit modernste Lichtspielhaus in Ost-Berlin. Das Metropol- Theater, das hier nach 1945 untergekommen war, ist wieder ins Stadtzentrum gezogen.
Kinoneubauten gibt es in den fünfziger Jahren in Ost-Berlin nicht.
     1957 erlebt die DDR- Hauptstadt 108 Filmpremieren. Die DEFA ist siebzehnmal vertreten, darunter »Die Abenteuer des Till Ulenspiegel«, eine Koproduktion mit Frankreich. Zu den elf sowjetischen Filmen gehören Grigori Tschuchrais Meisterwerk »Der letzte Schuß« (»Der Einundvierzigste«), ausgezeichnet auf dem Internationalen Filmfestival in Cannes, und Nikolai Ekks »Der Weg ins Leben« aus dem Jahre 1931, der als bedeutendster Film zu Beginn der Tonfilmperiode in der UdSSR angesehen wird und nach A. S. Makarenkos Roman »Der Weg ins Leben« gedreht ist.
     Mit »... und nicht als ein Fremder« und »Marty« ist die Weltfilmmacht USA nur zweimal berücksichtigt. Aus der Bundesrepublik Deutschland kommen sieben Filme, überwiegend harmlose Unterhaltungsstreifen, aber auch »Der Hauptmann von Köpenick« mit Heinz Rühmann (1902-1994) in der Hauptrolle.
     Anfang 1958 laufen in den Ostberliner Kinos außer den DEFA- Produktionen u. a. der nach dem Roman von B. Traven entstandene mexikanische Film »Die Rebellion der Gehängten«, aus Indien »Der Prinz von Piplinagar« und »Unter dem Mantel der Nacht«, beide produziert von dem bedeutenden Filmkünstler Raj Kapoor, der wie in anderen seiner Filme gleichzeitig Regisseur und Hauptdarsteller ist.
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Aus Italien kommt »Signal auf Halt« von Pietro Germi, aus Norwegen »Der Stärkere« über den Kampf gegen die Naziokkupation. Die Sowjetunion zeigt »Der weite Weg«, »Die Leningrader Sinfonie« und »Die Geschichte einer ersten Liebe«, China »Das Haus des Mandarins« und »Es kommt die Stunde« die Mongolei zeigt »Das Lied des Hirten«, Ungarn »Eine Sommerliebe«, die Bundesrepublik Deutschland »Ich denke oft an Piroschka«, Jugoslawien »Das Mädchen und die Eiche« sowie den Partisanenfilm »Entscheidung am Fluß«, Frankreich »Phantastische Symphonie« über den Komponisten Hector Berlioz (1803-1869) und Algerien den Dokumentarfilm »Flammendes Algerien« vom nationalen Unabhängigkeitskrieg gegen die französische Kolonialherrschaft.
     Anfang 1959 kommt mit dem sowjetischen Film »Ilja Muromez« der erste 4-Kanal- Magnettonfilm mit raumgetreuer Tonwiedergabe in die Lichtspieltheater. Cinemascopebzw. Totalvisionsfilme mit normaler Tonwiedergabe wie bei »Don Quichote«, »Prolog«, »Menschen und Wölfe«, »Die Elenden«, »Das Lied der Matrosen« hatte es auch vorher schon gegeben.

Heimatfilme und Westimporte

DEFA- Filme sind selten in den Westberliner Kinos.

Zu den wenigen Ausnahmen gehören »Der Untertan«, der im März 1957 in der Filmbühne Wien zu sehen ist, und »Lissy«, ein Jahr später in der Filmbühne am Steinplatz. Das Publikum ist von dem Film, den Konrad Wolf 1957 nach dem Roman F. C. Weiskopfs (1900-1955) gedreht hat, beeindruckt. »Der Tagesspiegel« schreibt: »Ein künstlerischer Film, der begeistert.« In der »Nachtdepesche« heißt es: »Es ist doch blamabel für uns, dass Sonja Sutter eine Probe ihres tatsächlichen Könnens erst in einem DEFA- Film liefern konnte. Denn ihr letztes Kinostück bei uns hieß >Drei Birken auf der Heide<. Und genau so blamabel ist es für den westdeutschen Film, dass er schließlich nicht ein ähnlich gutes und kräftiges Gewissenstück zusammengebracht hat.«
In ihrer ersten Ausgabe des Jahres 1958 zieht die in Karlsruhe erscheinende »Filmwoche« ein Resümee zum bundesdeutschen Filmgeschehen in der Weihnachtszeit 1957. Über West-Berlin schreibt Heinz Reinert: »Es schien, daß Berlins Filmtheater ihren Besuchern für das Weihnachtsfest besondere Leckerbissen zugedacht hatten, doch nicht alle munden wie festlicher Gänsebraten. Einige harte Nüsse galt es auch zu knacken, die sich innerlich als hohl erwiesen. Von >Franziska< (im UFA- Marmorhaus) bis zu den >Beinen der Dolores< im (UFA- Pavillon) reichte der weitgespannte Filmbogen ...
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     Aber während die Monroe sich in >Der Prinz und die Tänzerin< (deutsche Erstaufführung Filmbühne Wien) recht leidenschaftlich gab, während die Bardot als >Pariserin< (im Cinema Paris) sich mit Pfiff entkleidete und die Hepburn als >Süßer Fratz< (deutsche Erstaufführung im Delphi) wenigstens teilweise ihr Temperament versprühte, blieben die Berliner gegenüber der Loren und Cary Grant in >Stolz und Leidenschaft< (deutsche Erstaufführung im Zoo- Palast) leidenschaftslos. Man kann ohne diesen Film auch leben, dachten sie, sodass sich der Hausherr entschloss, den Film vorzeitig abzusetzen und statt dessen die Stimme von Hans Albers in >Das Herz von St. Pauli< sprechen zu lassen. Alte Bekannte stellten sich im Astor mit >Schneewittchen< ein. Sonst wurde der bunte Weihnachtsteller garniert mit einem Rindersaftbraten, humorvoll von Red Shelton als >Rindvieh Nr. 1< serviert, während Eddy Constantin im Filmtheater Atelier in bewährter Weise Mottenpulver in >Morphium, Mord und kesse Motten< verstreute und im Studio der silvesterliche Ruf erschallt, >Hilfe, der Doktor kommt<, zeigte MGM >Tarzan und die verschwundene Safari< erstmals auf Cinemascope. Alles in allem«, resümiert Reinert, »wenig Volltreffer. So bleibt der Wunsch, das Jahr 1958 möge filmisch besser werden.«

Einheitliche Berliner Kinolandschaft?

Viele Ostberliner und vor allem Berlinbesucher aus der DDR reizt ein Trip in die Westberliner Kinos. Westberliner fahren seltener in den Ostteil, um dort Filme anzusehen.

In einem Fall ist das anders. Im April 1950 wird nämlich der aus dem Jahre 1943 stammende deutsche »Titanic«- Film der Tobis- Filmkunst GmbH im Westen verboten. Ihm werden antibritische Tendenzen vorgeworfen. Bei der Probevorführung 1943 hatte Goebbels allerdings ungenügende antienglische Haltung gesehen. Der Film durfte während des Krieges in Deutschland nicht gezeigt werden, die Uraufführung erfolgte in Paris.
     Im Osten ist der Film erlaubt. Seitdem er hier gezeigt wird, sind die Filmtheater so überlaufen, dass Karten zu Schwarzmarktpreisen vor den Theatern gehandelt werden. Jetzt fährt also der Westberliner in den Ostsektor, sieht für eine Ostmark gleich etwa 15 Westpfennig diesen Film. »Seht, wir zeigen Euch, was der demokratische Westen verbot, während es bei uns eine richtig echte >Volksdemokratie< gibt«, schreibt die »Illustrierte Filmwoche« am 29. April 1950.
     Erst im April 1956 kann man den Streifen auch in West-Berlin wieder sehen. Er läuft mit gutem Erfolg sieben Tage im Titania- Palast, der 1 887 Besuchern Patz bietet.
     Für Ostbesucher sind 22 Filmtheater entlang der Sektorengrenze zu Grenzkinos ernannt worden. Ihnen werden Sondervorstellungen für Ostbewohner zugebilligt, die im allgemeinen in den frühen Nachmittagsstunden beendet sein sollen. Hier kann in DDR- Währung gezahlt werden, und zwar im Verhältnis 1:1. Darüber hinaus haben die Besucher aus dem Osten eine 50%ige Ermäßigung für alle Vorstellungen mit Ausnahme der Abendveranstaltung.
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     Anfangs ist man bemüht, hochwertige Filme in diesen Sondervorstellungen zu zeigen, die von einem besonderen Gremium ausgesucht werden. Doch merkantile Gesichtspunkte greifen bald Platz. Die Kinobesitzer büßen ohnehin nichts ein. Für die 0,25 DM, die sie pro Karte einnehmen, zahlen sie keine Vergnügungssteuer. Es gibt außerdem den Berliner Kulturplan. Danach trägt die Differenz von 0,75 DM-West pro Mark der Steuerzahler.
     Es geht aber nicht nur um die Spielfilme. Im Vorprogramm laufen regelmäßig Wochenschauen wie »Die Neue Deutsche Wochenschau - Blick in die Welt«. »Fox Tönende Wochenschau« oder »Welt im Bild«. Letztere stellt mit der 213. Folge im Juli 1956 ihr Erscheinen ein. Sie wird im August von der »UFA- Wochenschau« übernommen, die der Herzog- Filmverleih vertreibt und die Wochenschau GmbH in Hamburg herstellt.

Quellen:
1 Kurt Maetzig, Anfänge - vor 30 Jahren, in: Prisma. Kino- und Fernseh- Almanach, Nr. 6, hrsg. von Horst Knietzsch, Berlin 1975, S. 28
2 Zitiert nach Filmspiegel, Nr. 5/1958, S. 9

Literatur:
- Filmspiegel Berlin, Jg. 1958, 1959
- Filmwoche, Fachzeitschrift für das deutsche Filmwesen, Karlsruhe, Jg. 1956-1958
- Illustrierte Filmwoche, Baden-Baden, Jg. 1950
- Hans Borgelt, Filmstadt Berlin, Berlin (West) 1979
- Atze Brauner, Mich gibt's nur einmal Rückblende eines Lebens, München, Berlin 1976
- Die Chronik Berlin, 2. Auflage, Dortmund 1991
- Filmgeschichte in Bildern. Auswahl und Kommentar von Horst Knietzsch, Berlin (Ost) 1984
- Gerhard Keiderling, Berlin 1945-1968. Geschichte der Hauptstadt der DDR, Berlin (Ost) 1987
- Jerzy Toeplitz, Geschichte des Films, Band 5, 1945-1953, Berlin 1991
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 3/2001
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